TE Vwgh Erkenntnis 2006/6/29 2005/01/0016

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Veröffentlicht am 29.06.2006
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §6 Abs1 Z3 idF 2003/I/101;
AsylG 1997 §8 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Pelant, Dr. Kleiser und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des M M in W, geboren 1976, vertreten durch Dr. Georg Haunschmidt, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schwarzenbergstraße 8/I/1, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 27. Oktober 2004, Zl. 254.111/0- III/07/04, betreffend § 8 Abs. 1 und §§ 6 Abs. 3, 8 Abs. 2 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein marokkanischer Staatsangehöriger, stellte am 5. August 2004 einen Asylantrag, den das Bundesasylamt mit Bescheid vom 30. August 2004 gemäß § 6 Abs. 1 Z 3 Asylgesetz 1997 (AsylG) als offensichtlich unbegründet abwies (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig erklärte es die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Marokko gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für zulässig (Spruchpunkt II.) und wies den Beschwerdeführer gemäß § 6 Abs. 3 AsylG "aus dem österreichischen Bundesgebiet" aus (Spruchpunkt III.). Diese Entscheidung begründete die Behörde damit, dass der Beschwerdeführer bei seinen Einvernahmen keine Asyl- oder subsidiären Schutzgründe geltend gemacht habe, weshalb sein Asylantrag offensichtlich unbegründet und ihm auch kein Refoulementschutz zu gewähren sei. Die Ausweisung aus dem Bundesgebiet sei im Übrigen bei Vornahme einer - näher begründeten - "individuellen Abwägung" der für und gegen diese Maßnahme sprechenden Umstände im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, die er mit der Überschrift "Antworten für den zweiten Spruch" betitelte. In dieser führte er im Wesentlichen aus, er sei bereits seit dem Jahr 1990 (seit seinem 13. Lebensjahr) in Österreich, habe mehr als die Hälfte seines Lebens hier verbracht und wolle auch weiter hier bleiben. Seinen Herkunftsstaat habe er wegen des Bürgerkriegs verlassen, er könne nicht einmal seine Muttersprache und kenne in Marokko niemanden. In einer Berufungsergänzung vom 11. Oktober 2004 brachte er überdies vor, er habe keinerlei Kontakte und Beziehungen mehr nach Marokko, wisse nicht, was ihn dort bei Rückkehr erwarten würde und befürchte "jedenfalls ... das Schlimmste".

Mit dem angefochtenen Bescheid erklärte die belangte Behörde - in (vermeintlicher) Erledigung der erhobenen Berufung - die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Marokko "gemäß § 8 AsylG iVm § 57 des Fremdengesetzes" für zulässig (Spruchpunkt 1.) und wies den Beschwerdeführer "gemäß § 6 Abs. 3 iVm. § 8 Abs. 2 AsylG ... aus dem österreichischen Bundesgebiet" aus (Spruchpunkt 2.). Der Beschwerdeführer habe - so die belangte Behörde - ausdrücklich und ausschließlich gegen Spruchpunkt II. des erstinstanzlichen Bescheides berufen, weshalb die Abweisung seines Asylantrages "gemäß § 6 Abs. 3 AsylG" (Spruchpunkt I. des erstinstanzlichen Bescheides) in Rechtskraft erwachsen sei. Das Bundesasylamt habe hinsichtlich der Spruchpunkte II. und III. seines Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammengefasst, weshalb sich die belangte Behörde den diesbezüglichen Ausführungen vollinhaltlich anschließe und sie zum Inhalt des gegenständlichen Bescheides erhebe.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die belangte Behörde ging in ihrer Bescheidbegründung davon aus, dass sich die Berufung des Beschwerdeführers ausdrücklich nur gegen den Ausspruch nach § 8 Abs. 1 AsylG (Spruchpunkt II. des erstinstanzlichen Bescheides) wendete, und sie unterzog im Folgenden diesen Spruchteil sowie die Ausweisung des Beschwerdeführers aus dem Bundesgebiet (Spruchpunkt III. des erstinstanzlichen Bescheides) einer Überprüfung. Zu Spruchpunkt I. des erstinstanzlichen Bescheides vermeinte die belangte Behörde hingegen, die Abweisung des Asylantrages "gemäß § 6 Abs. 3 AsylG" (richtig: § 6 Abs. 1 Z 3 AsylG in der Fassung der AsylG-Novelle 2003, BGBl. I Nr. 101) sei mangels Anfechtung in Rechtskraft erwachsen.

Mit dieser einschränkenden Auslegung des Anfechtungsumfanges der Berufung übersah die belangte Behörde, dass die Abweisung eines Asylantrages als offensichtlich unbegründet im Sinne des § 6 Abs. 1 Z 3 AsylG nur in Betracht kommt, wenn ohne begründeten Hinweis auf eine Flüchtlingseigenschaft oder das Vorliegen subsidiärer Schutzgründe gemäß § 8 AsylG der Asylwerber weder Asylnoch subsidiäre Schutzgründe geltend gemacht hat. Die Annahme der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe sich mit seiner Berufung gegen die Verweigerung von subsidiärem Schutz durch das Bundesasylamt gewandt, lässt sich daher auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Beschwerdeführer nicht ausdrücklich erklärte, Spruchpunkt I. des erstinstanzlichen Bescheides unbekämpft zu lassen, mit der von ihr vorgenommenen (engen) Interpretation der Anfechtungserklärung, nicht in Einklang bringen, bedeutete eine Anfechtung des Ausspruches nach § 8 Abs. 1 AsylG doch, dass der Beschwerdeführer vom Vorliegen subsidiärer Schutzgründe ausging, womit aber - bei Zutreffen dieser Ansicht - auch einer Abweisung des Asylantrages gemäß § 6 Abs. 1 Z 3 AsylG die Grundlage entzogen wäre (vgl. zum Verhältnis des § 6 AsylG idF der AsylG-Novelle 2003 zu § 8 Abs. 1 AsylG im allgemeinen bereits das hg. Erkenntnis vom 30. Juni 2005, Zl. 2005/20/0108).

Aufgrund ihres Rechtsirrtums hat es die belangte Behörde daher zu Unrecht unterlassen, auch die mit Spruchpunkt I. des erstinstanzlichen Bescheides vorgenommene Abweisung des Asylantrages als offensichtlich unbegründet in Prüfung zu nehmen. Damit kann jedoch der angefochtene Bescheid keinen Bestand haben, weil der Ausspruch nach § 8 Abs. 1 AsylG und die - im Übrigen zielstaatsbezogen vorzunehmende - Ausweisung eine abschließende (negative) Beurteilung des Asylbegehrens voraussetzen.

Der angefochtene Bescheid war deshalb wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 1 Z 1 VwGG aufzuheben.

Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 29. Juni 2006

Schlagworte

Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2005010016.X00

Im RIS seit

25.07.2006
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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