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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Pelant, Dr. Kleiser und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde 1. des G S, geboren 1967, 2. der X S, geboren 1970, 3. der B S, geboren 1994,
4. der B S, geboren 1996 und 5. des A S, geboren 1997, alle in G, alle vertreten durch Mag. Michael-Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 13/II, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 17. August 2004, Zlen. 251.077/0-IX/27/04, 232.106/0-IX/27/02, 232.106/0-IX/27/02, 232.106/0-IX/27/02, und 232.106/0-IX/27/02, jeweils betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrenvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 991,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführer, alle der albanischen Volksgruppe angehörende Staatsangehörige des nunmehrigen Serbien, reisten getrennt (der Erstbeschwerdeführer am 6. Juni 2002, die Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer am 23. September 2002) in das Bundesgebiet ein und beantragten Asyl.
Zu den Fluchtgründen gab der Erstbeschwerdeführer - zusammengefasst - an, ihm sei vorgeworfen worden, während des Krieges mit Serben zusammengearbeitet zu haben bzw. mit diesen befreundet zu sein. Damit in Zusammenhang stehend sei er auch entführt und mit dem Auftrag freigelassen worden, "in zwei Wochen Erkundigungen über die Serben" einzuholen. Daraufhin habe er die Flucht aus dem Kosovo ergriffen. Die Zweitbeschwerdeführerin führte aus, sie habe nach der Flucht ihres Ehemannes einen Drohbrief erhalten, wonach man ihre Kinder entführen werde, wenn der Erstbeschwerdeführer nicht in den Kosovo zurückkehre. Tatsächlich hätten Unbekannte etwa zwei Wochen vor ihrer Flucht versucht, ihr Kind Albion (den Fünftbeschwerdeführer) zu entführen; dieser Versuch sei jedoch nicht gelungen, "da mein Kind geschrieen hat".
Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 9. Juli 2003 den Asylantrag des Erstbeschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und erklärte seine "Zurückweisung, Zurückschiebung" nach Serbien und Montenegro gemäß § 8 AsylG für zulässig.
Mit Bescheid vom 26. September 2002 wies das Bundesasylamt die Asylanträge der Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer gemäß § 7 AsylG ab und erklärte ihre "Zurückweisung, Zurückschiebung" in die autonome Provinz Kosovo der Bundesrepublik Jugoslawien gemäß § 8 AsylG für zulässig.
Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid wies die belangte Behörde die Berufungen der Beschwerdeführer - ohne Durchführung einer Berufungsverhandlung - gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG iVm § 57 FrG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführer in die Provinz Kosovo zulässig sei. Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidung (nach Wiedergabe des Verfahrensganges und allgemeinen Rechtsausführungen) im Wesentlichen damit, dass dem Bundesasylamt beizupflichten sei, wenn es die jeweiligen Vorbringen der Beschwerdeführer aus den (in den erstinstanzlichen Bescheiden) dargestellten Gründen für unglaubwürdig erachtet habe. Im Hinblick auf die als schlüssig zu beurteilende Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz und da zusätzliche Hinweise auf eine gebotene Erörterung des Sachverhaltes mit den Asylwerbern in den Berufungen nicht vorhanden seien habe die Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung unterbleiben können.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Die belangte Behörde übernimmt die negativen Feststellungen des Bundesasylamtes zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer unter Hinweis darauf, dass der ersten Instanz beizupflichten sei, wenn sie die jeweiligen Vorbringen aus den in den erstinstanzlichen Bescheiden dargestellten Gründen für unglaubwürdig erachtet habe.
In seinem die Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer betreffenden Bescheid hatte das Bundesasylamt die Einschätzung der Unglaubwürdigkeit der Zweitbeschwerdeführerin darauf gestützt, dass es nicht plausibel sei, wenn sie angebe, der Entführungsversuch ihres Kindes sei an dessen Schreien und seiner Gegenwehr gescheitert, lasse sich ein Entführer doch von einem solchen Verhalten eines fünfjährigen Kindes von der Ausführung seines Vorhabens nicht abbringen. Im Übrigen habe die Zweitbeschwerdeführerin den angeblich erhaltenen Drohbrief nicht vorlegen können und es sei die von ihr behauptete Angst des Ehemannes vor Verfolgung im Heimatland auch deshalb nicht glaubwürdig, weil er in diesem Fall in Österreich "sicher um Asyl angesucht" hätte, er jedoch im Asylwerberinformationssystem nicht als Asylwerber aufscheine.
Diese Argumentation erweist sich als nicht nachvollziehbar, lässt sich doch in Unkenntnis der Umstände und Abläufe eines Entführungsversuches nicht ohne Weiteres verneinen, dass ein Entführer sich in der von der Zweitbeschwerdeführerin behaupteten Weise verhielt. Auch hat es das Bundesasylamt unterlassen, näher zu hinterfragen, aus welchen Gründen die Zweitbeschwerdeführerin den angeblichen Drohbrief nicht vorlegen konnte und sind seine Überlegungen zur unterbliebenen Asylantragstellung seitens des Erstbeschwerdeführers nachweislich unrichtig (der Erstbeschwerdeführer hatte - wie zuvor ausgeführt - bereits am 6. Juni 2002 nach seiner Einreise in das Bundesgebiet um Asyl angesucht).
Damit hält die Beweiswürdigung des Bundesasylamtes hinsichtlich der Angaben der Zweitbeschwerdeführerin einer Schlüssigkeitsprüfung nicht Stand. Bleibt aber angesichts dessen offen, ob die Angaben der Zweitbeschwerdeführerin der weiteren Prüfung der Asylbehörden als wahr zugrunde zu legen sind, hat das auch Auswirkungen auf die Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Erstbeschwerdeführers, lassen sich die von beiden Asylwerbern erzählten Fluchtgeschichten doch nur in Abstimmung miteinander abschließend beurteilen.
Die aufgezeigte Unschlüssigkeit der Beweiswürdigung hinsichtlich des Vorbringens der Zweitbeschwerdeführerin schlägt auch auf die Beweiswürdigung bezüglich des Erstbeschwerdeführers durch, ist doch vorliegend eine Berücksichtigung der wechselseitigen Vorbringen der Beschwerdeführer geboten.
Die belangte Behörde wäre daher zur Durchführung einer Berufungsverhandlung verpflichtet gewesen, weil ein "geklärter Sachverhalt" im Sinne des Art. II. Abs. 2 Z 43a EGVG nicht vorgelegen ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 21. März 2006, Zl. 2005/01/0307, und die darin angegebene Judikatur).
Da der angefochtene Bescheid somit mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften behaftet ist, war er gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 und 6 VwGG abgesehen werden.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 29. Juni 2006
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2004010439.X00Im RIS seit
10.08.2006