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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schilhan, über die Beschwerde der DDr. A in S, vertreten durch Dr. Fritz Müller und Dr. Michael Müller, Rechtsanwälte in 5010 Salzburg, Mozartplatz 4, gegen den Bescheid des Bundesministers für Justiz vom 20. Juni 2003, Zl. 23973/1-Pr 9/03, betreffend Feststellung des Vorrückungsstichtages, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin absolvierte in der Zeit vom 1. November 1992 bis zum 31. Mai 1994 ihre Gerichtspraxis und war vom 1. Juni 1994 bis zum 30. September 1996 Richteramtsanwärterin im Sprengel des Oberlandesgerichtes X. Am 2. Juli 1996 legte sie die Richteramtsprüfung mit sehr gutem Erfolg ab. Mit Ablauf des 30. September 1996 trat sie gemäß § 100 Abs. 2 RDG aus dem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis aus. Am 30. Oktober 1996 legte sie die Rechtsanwaltsergänzungsprüfung mit ausgezeichnetem Erfolg ab. In der Zeit vom 1. Oktober 1996 bis zum 30. Juni 1999 war sie als angestellte Rechtsanwaltsanwärterin, vom 1. Juli 1999 bis zum 28. Februar 2001 als selbständige Rechtsanwältin tätig. Mit Wirkung vom 1. März 2001 wurde sie auf die Planstelle einer Richterin des Landesgerichtes Y. ernannt. Sie wurde zur Gänze als Berichterstatterin in Rechtsmittelsachen verwendet.
Für die Zeit als Rechtsanwaltsanwärterin stellten ihre ausbildenden Rechtsanwälte am 30. Juni 1999 ein Dienstzeugnis aus. Darin legten sie dar, die Beschwerdeführerin sei auf sämtlichen Gebieten, die in einer Rechtsanwaltskanzlei üblicherweise anfielen, eingesetzt worden. Insbesondere sei sie mit der Vorbereitung und Führung von Zivil- und Strafprozessen, in Exekutionssachen, Außerstreitsachen sowie Verwaltungs- und Vertragsangelegenheiten befasst gewesen. Gerade im Zusammenhang mit der Ausarbeitung von Klagen und Rechtsmitteln sei sie auf Grund ihres profunden Wissens außergewöhnlich tüchtig und erfolgreich gewesen. Durch diese Praxis habe sie ihre ohnedies sehr guten juristischen Kenntnisse gefestigt und erweitert. Infolge ihres ausgeprägten Verantwortungsbewusstseins sei sie vom ersten Arbeitstag an eine äußerst wertvolle Mitarbeiterin gewesen. Auf Grund ihres sehr guten Kontaktes zu Klienten und ihres Einfühlungsvermögens erfreue sie sich auch bei Klienten größter Beliebtheit. Besonders hervorzuheben seien Ehrlichkeit und Verlässlichkeit, weshalb "auch eine korrekteste Behandlung von Geldangelegenheiten" (insbesondere in Treuhandsachen) erfolgt sei.
Am 21. April 2001 gaben die genannten Rechtsanwälte eine Stellungnahme ab, worin der Tätigkeitsbereich der Beschwerdeführerin - für die Zeit als Rechtsanwaltsanwärterin und als Rechtsanwältin - näher aufgeschlüsselt wird. Hervorzuheben ist dabei ihre Arbeit in Exekutions- und Insolvenzverfahren, im Grundbuchsrecht und in Angelegenheiten des Grundverkehrs.
Der Präsident des Landesgerichtes Y. berichtete am 19. September 2001, dass die Beschwerdeführerin "seit ihrer Ernennung in zivilen Rechtsmittelsenaten als Berichterstatterin eingesetzt" worden sei. Anfangs habe sie einen Monat lang im Familienrechtssenat diverse Rückstände aufgearbeitet und sei seit 1. April 2001 ständiges Mitglied eines Senates, "in dem sie neben den allgemeinen zivilen Rechtsmitteln schwerpunktmäßig besonders im Exekutions- und Insolvenzrecht tätig" sei. Sie habe sich "besonders für diese Aufgabe interessiert" und erledige die ihr zugewiesenen Akten äußerst expeditiv und auf einem hervorragenden qualitativen Niveau mit ausgezeichnetem Erfolg. Der Erfolg ihrer Verwendung sei im Vergleich zu Richtern mit gleicher Dienstzeit nicht nur vollkommen ebenbürtig, sondern übersteige - entsprechend ihrem ausgezeichneten Erfolg in der Ausbildung - diese sogar. Dieser überdurchschnittliche Verwendungserfolg sei nicht nur auf die ausgezeichnete Ausbildung als Richteramtsanwärterin zurückzuführen, sondern auch auf die mit Auszeichnung abgelegte Anwalts(zusatz)prüfung und die Erfahrungen, die sie in der Anwaltschaft erworben habe und ausgezeichnet umzusetzen im Stande sei.
Mit Bescheid vom 23. Mai 2002 setzte der Präsident des Oberlandesgerichtes X. den Vorrückungsstichtag der Beschwerdeführerin anlässlich ihrer Aufnahme in das öffentlichrechtliche Dienstverhältnis als Richterin (1. März 2001) gemäß § 12 GehG mit 1. September 1994 fest. Entsprechend der nach erstmaliger Befassung abgegebenen Stellungnahme des BMöLS vom 5. Dezember 2001 wurde darin "eine Gänzeberücksichtigung der als Rechtsanwaltsanwärterin bzw. selbständige Rechtsanwältin zurückgelegten sonstigen Zeiten im Ausmaß" von (lediglich) einem Monat vorgenommen.
Im Verfahren über die dagegen erhobene Berufung ersuchte die belangte Behörde das Bundesministerium für öffentliche Leistung und Sport (kurz: BMöLS), dem die die Beschwerdeführerin betreffenden Unterlagen vorgelegt wurden, um Zustimmung, dass die von der Beschwerdeführerin als Rechtsanwaltsanwärterin und Rechtsanwältin zurückgelegten Zeiten nach § 12 Abs. 3 GehG bei der Ermittlung des Vorrückungsstichtages zur Gänze berücksichtigt werden. Der Präsident des Oberlandesgerichtes X. führte in einem Erhebungsbericht vom 12. September 2002, der dem BMöLS weitergeleitet wurde, aus, "unter Berücksichtigung aller derzeit in einem Rechtsmittelsenat tätigen Richter/innen des Landesgerichtes Y., ist ein/e bestqualifizierte/r Richter/in zunächst durchschnittlich 3 Jahre und 9 Monate in der ersten Instanz (Richter/in des BG bzw. Richter b. OLG ... f. d. Spr. ds. OLG mit fast ausschließlicher Tätigkeit beim BG) tätig, bevor eine Ernennung zum/r Richter/in in der II. Instanz (LG) erfolgt." (Anonymisierungen durch den Verwaltungsgerichtshof)
Das BMöLS stimmte mit Schreiben vom 12. März 2003 der Anrechnung im Umfang der Zeiten als selbständige Rechtsanwältin (1. Juli 1999 bis 28. Februar 2001) zu. Hingegen wurde die Zustimmung in einem ein Monat übersteigenden Ausmaß hinsichtlich der Zeiten als Rechtsanwaltsanwärterin (vom 1. Oktober 1996 bis 30. Juni 1999) verweigert. Die Begründung lautet auszugsweise:
"Zur Entscheidung wird festgestellt:
Die Beschwerdeführerin absolvierte vom 1.11.1992 bis 31.5.1994 die Gerichtspraxis und vom 1.6.1994 bis 30.9.1996 die Ausbildung als Richteramtsanwärterin (RiAA), das sind insgesamt 3 Jahre und 11 Monate.
Vom 1.10.1996 bis 30.6.1999 war sie als Rechtsanwaltsanwärterin (ReAA) praktisch tätig. Entsprechend den Bestimmungen des § 2 der Rechtsanwaltsordnung (RAO) ist eine 5- jährige praktische Verwendung, wovon mindestens 3 Jahre bei einem Rechtsanwalt zu verbringen sind, für die Erlangung der Rechte eines Rechtsanwaltes erforderlich.
Entsprechend der Bestätigung der ... Rechtsanwaltskammer vom
18.12.2000 wurden der Genannten 166 Tage ihrer Ausbildung als RiAA
auf die zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft erforderliche
praktische Verwendung angerechnet. Die Beschwerdeführerin wurde
mit 1.7.1999 in die Liste der ... Rechtsanwälte eingetragen.
Wie aus dieser Sachlage ersichtlich ist, hat die Genannte somit de facto zwei 'gleichartige' Ausbildungen, nämlich als RiAA und als ReAA absolviert.
Gemäß § 9 Abs. 1 Richterdienstgesetzt (RDG) beträgt die Ausbildungszeit grundsätzlich 4 Jahre, weshalb auch der o. a. Anrechnung eines Monates gem. § 12 Abs. 3 GehG zugestimmt wurde. Die restliche Zeit der Tätigkeit bzw. zweiten 'gleichartigen' Ausbildung als ReAA ist daher im Sinne des § 12 Abs. 3 leg. cit. weder von öffentlichem Interesse noch von besonderer Bedeutung. Sie ist vielmehr der privaten Interessenssphäre der Beschwerdeführerin zuzurechnen, da sie erforderlich ist, den Beruf des Rechtsanwaltes auszuüben, was sie in der Zeit vom 1.7.1999 bis 28.2.2001 auch tatsächlich tat. Diese Interessenslage wird auch durch ihr Schreiben vom 11.7.2002 ... untermauert, dem zu entnehmen ist, dass ihr erst Ende 2000 mitgeteilt wurde, dass es für sie eine Planstelle im Rechtsmittelsenat beim LG Y. gab. Die Tätigkeit als ReAA ist ein Erfordernis für ihre Folgetätigkeit als Rechtsanwältin und nicht ursächlich dafür, dass der durch sie verursachte Erfolg der Verwendung für ihre Eintrittsverwendung in den Bundesdienst als Richterin nur in einem beträchtlich geringerem Ausmaß gegeben wäre. Ursächlich hierfür ist ihre Vorverwendung als Rechtsanwältin.
...
Die ... durchschnittliche Vorverwendung der im Rechtsmittelsenat des LG Y. verwendeten Richter in der Dauer von 3 Jahren und 9 Monaten in der ersten Instanz ist festzuhalten, dass dieser beim LG Y. offensichtliche Durchschnittswert im ggstdl. Fall nicht gegeben ist bzw. durch die nunmehrige Zustimmung zur Berücksichtigung der Vortätigkeit als Rechtsanwältin im Ausmaß von 1 Jahr und 8 Monaten, unterschritten wird. Daraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass auch die übrigen Vortätigkeiten (ReAA) die Voraussetzungen des § 12 Abs. 3 GehG erfüllen. Es war ... das 'Fehlen eines gleich geeigneten Bewerbers für die Zustimmung zur Wiederaufnahme in den Bundesdienst Voraussetzung'.
Es konnte daher dem do. Antrag nur teilweise näher getreten werden.
Der von do. ermittelte Vorrückungsstichtag wäre entsprechend zu
korrigieren.
..."
(Anonymisierungen durch den Verwaltungsgerichtshof)
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der von der Beschwerdeführerin erhobenen Berufung teilweise Folge und änderte den hiermit bekämpften Bescheid des Präsidenten des Oberlandesgerichtes X. dahingehend ab, dass er zu lauten habe:
"Gemäß § 12 Gehaltsgesetz 1956 wird für Sie mit Wirksamkeit vom 1. März 2001 der 1. Jänner 1993
als Vorrückungsstichtag festgesetzt."
In ihrer Begründung führte die belangte Behörde nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens und der Rechtslage aus, "auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens und der begründeten Berufungseinwendungen" seien die Voraussetzungen für eine Vollanrechnung der Vortätigkeiten als Rechtsanwaltsanwärterin und selbständige Rechtsanwältin "im Gesamtausmaß von vier Jahren und fünf Monaten als erfüllt anzusehen". Das BMöLS habe jedoch (wie oben dargestellt) nur einer Vollanrechnung im Umfang der Tätigkeit als selbständige Rechtsanwältin, nicht aber (in einem einen Monat übersteigenden Ausmaß) der Vollanrechnung von Zeiten als Rechtsanwaltsanwärterin zugestimmt.
In den für die Anwendung des § 12 Abs. 3 GehG typischen Fällen komme es darauf an, einen Anreiz zu schaffen, in den öffentlichen Dienst einzutreten. Jedoch könne "von einem großzügigen Gebrauch dieser Bestimmung nicht die Rede sein", zumal schon hinsichtlich Vordienstzeiten, die vor der Erfüllung des betreffenden Anstellungserfordernisses zurückgelegt worden seien, bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 12 Abs. 3 GehG zuträfen, ein besonders strenger Maßstab anzulegen sei, etwa in der Richtung, ob die Vortätigkeit für die nunmehrige Verwendung des Beamten der Sache nach unerlässlich sei. Dies sei "jedoch unter Hinweis auf obige Ausführungen jedenfalls zu verneinen".
Die bei anderen Richtern gehandhabte Vorgangsweise sei im Beschwerdefall nicht maßgeblich, weil die Anwendung des § 12 Abs. 3 GehG in jedem Einzelfall auf Grund der konkreten Gegebenheiten nach dem Gesetz zu lösen sei und Hinweise auf die Laufbahnen anderer Beamten unerheblich seien (es folgt eine tabellarische Übersicht der ab Vollendung des 18. Lebensjahres zurückgelegten Zeiten und ihrer Berücksichtigung nach § 12 GehG).
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtwidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem nach § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in ihrem Recht, dass ihre Vortätigkeit als Rechtsanwaltsanwärterin gemäß § 12 Abs. 3 GehG vollständig (also in einem weiteren Zeitraum von zwei Jahren und acht Monaten) zur Gänze auf die Festsetzung des Vorrückungsstichtages angerechnet werde, verletzt.
Sie macht (auf das Wesentlichste zusammengefasst) geltend, die Wiedergabe der Wertung des BMöLS entbinde die belangte Behörde nicht von ihrer Pflicht, auf Grund eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens unter Einbindung der Beschwerdeführerin die erforderlichen Feststellungen zu treffen. Eine solche Vorgangsweise hätte zum Schluss geführt, dass ihre gesamten Vortätigkeiten (die als Rechtsanwaltsanwärterin seien der als Rechtsanwältin inhaltlich ähnlich gewesen) für den ausgezeichneten Erfolg als Rechtsmittelrichterin ursächlich gewesen seien.
Diesen Ausführungen kommt Berechtigung zu:
Nach § 26 Abs. 1 des Richterdienstgesetzes, BGBl. Nr. 305/1961 - RDG, in der Fassung der Novellen BGBl. Nr. 362/1991 und BGBl. Nr. 507/1994 kann zum Richter nur ernannt werden, wer
1. die für den richterlichen Vorbereitungsdienst vorgesehenen Aufnahmeerfordernisse erfüllt,
2.
die Richteramtsprüfung bestanden hat und
3.
eine insgesamt vierjährige Rechtspraxis, davon zumindest ein Jahr im richterlichen Vorbereitungsdienst, zurückgelegt hat.
Die restliche Zeit der Rechtspraxis kann in jeder der in § 15 genannten Verwendungen zurückgelegt werden. Bei der Berechnung der Dauer der außerhalb des Ausbildungsdienstes zurückgelegten Rechtspraxis ist § 13 anzuwenden.
Gemäß § 26 Abs. 3 RDG - eingefügt durch die Novelle BGBl. Nr. 362/1991 - kann der Bundesminister für Justiz vom Erfordernis der einjährigen Rechtspraxis im richterlichen Vorbereitungsdienst nach Abs. 1 Z. 3 Nachsicht erteilen, wenn kein gleichwertiger Mitbewerber aufgetreten ist, der die Ernennungserfordernisse erfüllt.
Nach § 10 Abs. 1 erster Satz RDG in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 230/1988 ist der Ausbildungsdienst so einzurichten, dass der Richteramtsanwärter in sämtlichen Geschäftszweigen des gerichtlichen und des staatsanwaltschaftlichen Dienstes einschließlich der Justizverwaltungssachen und des Dienstes in der Geschäftsstelle unterwiesen wird und die zur selbständigen Ausübung des Amtes eines Richters oder Staatsanwaltes erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten erwerben kann. Nach § 12 Abs. 1 erster Satz leg. cit. in der selben Fassung hat jeder mit der Ausbildung des Richteramtsanwärters betraute Richter, Staatsanwalt oder Beamte, dessen Leistungen, Ausbildungsstand und Eignung für den Richterberuf nach den im § 54 Abs. 1 genannten Erfordernissen schriftlich zu beurteilen.
Gemäß § 15 RDG in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 230/1988 ist vom Präsidenten des Oberlandesgerichtes die vor der Ernennung zum Richteramtsanwärter zurückgelegte Praxis als Rechtspraktikant, bei der Finanzprokuratur oder bei einer anderen Dienststelle der Verwaltung, als Rechtsanwaltsanwärter oder Notariatskandidat ganz oder teilweise in den Ausbildungsdienst einzurechnen, soweit durch diese Praxis eine den Zwecken des Ausbildungsdienstes entsprechende Verwendung und Ausbildung des Richteramtsanwärters gewährleistet ist. Im Einrechnungsbescheid ist festzustellen, ob, welche und in welchem Umfang in § 9 Abs. 2 aufgezählte Ausbildungsstationen ersetzt werden.
Gemäß § 9 Abs. 1 RDG in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 230/1988 dauert der Ausbildungsdienst vier Jahre; wird die Richteramtsprüfung nicht innerhalb dieses Zeitraumes erfolgreich abgelegt, verlängert sich der Ausbildungsdienst bis zur erfolgreichen Ablegung der Richteramtsprüfung. Nach Abs. 2 leg. cit. ist der Ausbildungsdienst beim Bezirksgericht, beim Gerichtshof erster Instanz, bei einer Staatsanwaltschaft, bei einer Anstalt zum Vollzug von Freiheitsstrafen oder vorbeugenden Maßnahmen sowie bei einem Rechtsanwalt oder bei einem Notar oder bei der Finanzprokuratur zu leisten.
Nach § 113 Abs. 16 des Gehaltsgesetzes 1956, BGBl. Nr. 54 - GehG, in der Fassung des Deregulierungsgesetzes - Öffentlicher Dienst 2002, BGBl. I Nr. 119, ist auf Aufnahmen in das öffentlichrechtliche Dienstverhältnis, die vor dem 1. September 2002 erfolgen, an Stelle des § 12 Abs. 3 und 3a in der Fassung dieser Novelle § 12 Abs. 3 in der bis zum 31. August 2002 geltenden Fassung weiterhin anzuwenden. Diese Voraussetzung ist im Beschwerdefall erfüllt.
§ 12 GehG lautet in der Fassung seines Abs. 1 durch das Strukturanpassungsgesetz, BGBl. Nr. 297/1995, und seines Abs. 3 in der Fassung durch das Kompetenzbereinigungsgesetz 1992, BGBl. Nr. 256/1993, und durch das Bundesministeriengesetz in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 17/2003, auszugsweise:
"Vorrückungsstichtag
§ 12. (1) Der Vorrückungsstichtag ist dadurch zu ermitteln, dass - unter Ausschluss der vor der Vollendung des 18. Lebensjahres liegenden Zeiten und unter Beachtung der einschränkenden Bestimmungen der Abs. 4 bis 8 - dem Tag der Anstellung vorangesetzt werden:
1 die im Abs. 2 angeführten Zeiten zur Gänze,
2. sonstige Zeiten,
a)
die die Erfordernisse des Abs. 3 erfüllen, zur Gänze,
b)
die die Erfordernisse des Abs. 3 nicht erfüllen, soweit sie insgesamt drei Jahre nicht übersteigen, zur Hälfte.
...
(3) Zeiten gemäß Abs. 1 Z 2, in denen der Beamte eine Tätigkeit ausgeübt oder ein Studium betrieben hat, können mit Zustimmung des Bundesministers für öffentliche Leistung und Sport im öffentlichen Interesse insoweit zur Gänze berücksichtigt werden, als die Tätigkeit oder das Studium für die erfolgreiche Verwendung des Beamten von besonderer Bedeutung ist. Solche Zeiten sind jedoch ohne Zustimmung des Bundesministers für öffentliche Leistung und Sport zur Gänze zu berücksichtigen,
1. soweit sie bereits im unmittelbar vorangegangenen Bundesdienstverhältnis nach dem ersten Satz, nach § 26 Abs. 3 des Vertragsbedienstetengesetzes 1948 oder nach einer gleichartigen Bestimmung einer anderen Rechtsvorschrift zur Gänze berücksichtigt worden sind und
2. der Beamte bei Beginn des öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses nach wie vor die hiefür maßgebende Verwendung ausübt.
..."
Im Beschwerdefall ist strittig, ob der gesamten Zeit, in der die Beschwerdeführerin als Rechtsanwaltsanwärterin tätig war, eine besondere Bedeutung im Sinn des § 12 Abs. 3 erster Satz GehG zukommt, sodass diese Zeit in ihrem vollen Ausmaß nach § 12 Abs. 1 Z. 2 lit. a GehG zur Gänze dem Tag der Anstellung voranzusetzen ist.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine Vortätigkeit für die erfolgreiche Verwendung eines Beamten von Bedeutung, wenn sie sich als eine ihrer Ursachen darstellt. Von besonderer Bedeutung ist sie dann, wenn der durch sie verursachte Erfolg der Verwendung ohne sie nur in einem beträchtlich geringeren Maße gegeben wäre (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 14. Juni 1995, Zl. 94/12/0065, mwN).
Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in diesem Zusammenhang die Rechtsauffassung, dass bei zeitlich lang andauernden Vortätigkeiten, die für die erfolgreiche Verwendung des öffentlichrechtlich Bediensteten von Bedeutung sind, eine besondere Bedeutung im Sinn des § 12 Abs. 3 GehG nur für einen Teil dieser Zeit, der in der Regel erforderlich ist, um die notwendigen praktischen Kenntnisse und Erfahrungen für die erfolgreiche Ausübung der Vortätigkeit zu erwerben, gegeben sein kann. Die wesentliche Auswirkung der Vortätigkeit auf die erfolgreiche Verwendung des öffentlich-rechtlich Bediensteten kann daher zeitlich begrenzt sein und eine darüber hinausgehende Vollanrechnung auch nicht im öffentlichen Interesse liegen (vgl. etwa das zitierte hg. Erkenntnis vom 14. Juni 1995, mwN).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Prüfung der Anrechenbarkeit von Zeiten nach § 12 Abs. 3 GehG auf den Zeitpunkt der Anstellung des Beamten und auf die Tätigkeit abzustellen, die der Beamte bei Antritt des Dienstes auszuüben hatte. Der Beurteilung der Frage der besonderen Bedeutung der Vortätigkeit ist für die erfolgreiche Verwendung grundsätzlich nicht mehr als der Zeitraum eines halben Jahres nach Beginn des Dienstverhältnisses zu Grunde zu legen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 21. November 2001, Zl. 99/12/0097, mwN). Zur Beantwortung der Frage der besonderen Bedeutung einer Vortätigkeit des Beamten ist festzustellen, welche tatsächlichen Verrichtungen während der Vordienstzeit besorgt wurden, in welchem Ausmaß dies geschehen ist und welche Kenntnisse und Fähigkeiten hiebei erworben wurden. Andererseits ist festzustellen, welche tatsächlichen Tätigkeiten der Anrechnungswerber auf dem Dienstposten, auf den er ernannt wurde, und zwar im ersten Halbjahr des öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses, zu verrichten hatte, inwieweit sein Verwendungserfolg in diesem Rahmen über dem von Beamten ohne ähnliche Vortätigkeit lag und ob die Vortätigkeit für diesen Verwendungserfolg als Beamter ursächlich war. Trifft all dies zu und wäre der durch die Vortätigkeit verursachte Verwendungserfolg ohne diese nur in einem beträchtlich geringeren Maß gegeben gewesen, dann ist die Vortätigkeit für die erfolgreiche Verwendung als Beamter von besonderer Bedeutung im Sinn des § 12 Abs. 3 GehG (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 27. September 2000, Zl. 98/12/0054).
Zwar wurden im Verwaltungsverfahren derartige Ermittlungen (jedenfalls zumindest ansatzweise) durchgeführt und deren Ergebnisse dem (damaligen) BMöLS aus Anlass von dessen zweiter Befassung im Berufungsverfahren von der belangten Behörde vorgelegt. Das entbindet diese aber nicht von ihrer Verpflichtung, im angefochtenen Bescheid entsprechend den nach der wiedergegebenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gebotenen Kriterien nachvollziehbar begründete Feststellungen über die Tätigkeit der Beschwerdeführerin während der (gesamten) Vordienstzeit als Rechtsanwaltsanwärterin einerseits und während des ersten halben Jahres als Richterin und weiter darüber zu treffen, ob und inwieweit ihr Verwendungserfolg in diesem Rahmen über dem von Richtern ohne eine Vortätigkeit wie jene der Beschwerdeführerin lag und ob die Vortätigkeit für einen allfälligen Verwendungserfolg ursächlich war.
Soweit die belangte Behörde (inhaltlich) auf die nur in eingeschränktem Maß erteilte Zustimmung des BMöLS Bezug nimmt, genügt es, auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach die erforderliche Zustimmung zur Vordienstzeitenanrechnung lediglich ein Tatbestandserfordernis für die Entscheidung der Dienstbehörde darstellt, die ihrerseits der Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof unterliegt. Im Fall der Vordienstzeitenanrechnung obliegt ausschließlich der Dienstbehörde und nicht jener Behörde, mit der das Einvernehmen herzustellen war, die bescheidmäßige Entscheidung über die Vordienstzeitenanrechnung. Die Zustimmung oder die Versagung einer Zustimmung befreit die Dienstbehörde nicht von der Verpflichtung einer entsprechend begründeten bescheidmäßigen Entscheidung. Da die erforderliche Zustimmung lediglich ein Tatbestandserfordernis für die Entscheidung der Dienstbehörde darstellt, ist es ungeachtet dessen Aufgabe der Dienstbehörde, auf Grund eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens unter Einbindung des Beschwerdeführers die erforderlichen Sachverhaltsfeststellungen zu treffen und daran die rechtliche Wertung zu knüpfen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 21. Jänner 1998, Zl. 96/12/0001, mwN).
Die in der StN des im Zeitpunkt der Abgabe seiner 2. StN vom 12. März 2003 noch bestehenden BMöLS vertretene Auffassung, die offenkundig die Zeit der Tätigkeit der Beschwerdeführerin als Rechtsanwaltsanwärterin mit der Grundausbildung (Rechtspraxis) eines Richteramtsanwärters gleichsetzt (nur so ist die bloße Anrechnung von einem Monat der erstgenannten Tätigkeit nach § 12 Abs. 3 GehG erklärbar), ist schon deshalb verfehlt, weil sie auf die Besonderheiten des Beschwerdefalls (Ablegung der Richteramtsprüfung vor der Aufnahme der Tätigkeit als Rechtsanwaltsanwärterin und kurz danach die Ablegung der Ergänzungsprüfung für Rechtsanwälte) nicht Bedacht genommen hat. Bei dieser Fallkonstellation tritt der Ausbildungszweck dieser Zeit in den Hintergrund, sofern nicht besondere Umstände das Gegenteil indizieren. Im fortgesetzten Verfahren könnte auch dem Erhebungsbericht des Präsidenten des Oberlandesgerichtes X. vom 12. September 2002 für das Ausmaß der Anerkennung der (privaten) Vortätigkeit nach § 12 Abs. 3 GehG besondere Bedeutung zukommen.
Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am 5. Juli 2006
Schlagworte
Besondere Rechtsgebiete ZustimmungserfordernisEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2003120157.X00Im RIS seit
11.08.2006