TE OGH 1997/4/9 Bsw22541/93

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Veröffentlicht am 09.04.1997
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Kopf

Europäische Kommission für Menschenrechte, Kammer I, Beschwerdesache Bernhard Marte und Walter Achberger gegen Österreich, Bericht vom 9.4.1997, Bsw. 22541/93.Europäische Kommission für Menschenrechte, Kammer römisch eins, Beschwerdesache Bernhard Marte und Walter Achberger gegen Österreich, Bericht vom 9.4.1997, Bsw. 22541/93.

Spruch

Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 4 7. ZP EMRK, Art. 64 EMRK, § 269 StGB, Art. IX Abs. 1 Z. 1 EGVG idF. BGBl. 1990/356, Art. 18 Abs. 2 Vorarlberger SittenpolG - Unzureichende nachprüfende Kontrolle von VfGH und VwGH bei Verwaltungsstrafen - Grundsatz ne bis in idem.Artikel 6, Absatz eins, EMRK, Artikel 4, 7. ZP EMRK, Artikel 64, EMRK, Paragraph 269, StGB, Art. römisch IX Absatz eins, Ziffer eins, EGVG in der Fassung BGBl. 1990/356, Artikel 18, Absatz 2, Vorarlberger SittenpolG - Unzureichende nachprüfende Kontrolle von VfGH und VwGH bei Verwaltungsstrafen - Grundsatz ne bis in idem.

Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK (einstimmig).Verletzung von Artikel 6, Absatz eins, EMRK (einstimmig).

Verletzung von Arft. 4 7. ZP EMRK (einstimmig).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

Die Bf. waren anlässlich des Besuchs eines Sommerfestes von Polizeibeamten aufgefordert worden, mit ihnen die dortige Bar zu verlassen. Sie verweigerten dies mit den Worten "Arschlöcher, Scheiß Bullen, Ihr könnt uns am Arsch lecken" und versuchten, sich loszureißen. Bei dem darauffolgenden Handgemenge wurden die einschreitenden Polizeibeamten verletzt. Das Landesgericht Feldkirch verurteilte die Bf. daraufhin wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt gemäß § 269 StGB.Die Bf. waren anlässlich des Besuchs eines Sommerfestes von Polizeibeamten aufgefordert worden, mit ihnen die dortige Bar zu verlassen. Sie verweigerten dies mit den Worten "Arschlöcher, Scheiß Bullen, Ihr könnt uns am Arsch lecken" und versuchten, sich loszureißen. Bei dem darauffolgenden Handgemenge wurden die einschreitenden Polizeibeamten verletzt. Das Landesgericht Feldkirch verurteilte die Bf. daraufhin wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt gemäß Paragraph 269, StGB.

Im Verwaltungswege wurden über sie Geldstrafen wegen Störung der Ordnung an öffentlichen Orten gemäß Art. IX (1) Z. 1 EGVG, aufgrund ihres - Ärgernis erregenden - Verhaltens vor und nach dem Eintreffen der Polizeibeamten bzw. wegen Tätlichkeiten gegenüber einem Polizeibeamten, sowie wegen Verletzung des öffentlichen Anstandes gemäß Art. 18 (2) SittenPolG, aufgrund Beleidigung von Polizeibeamten, verhängt.Im Verwaltungswege wurden über sie Geldstrafen wegen Störung der Ordnung an öffentlichen Orten gemäß Art. römisch IX (1) Ziffer eins, EGVG, aufgrund ihres - Ärgernis erregenden - Verhaltens vor und nach dem Eintreffen der Polizeibeamten bzw. wegen Tätlichkeiten gegenüber einem Polizeibeamten, sowie wegen Verletzung des öffentlichen Anstandes gemäß Artikel 18, (2) SittenPolG, aufgrund Beleidigung von Polizeibeamten, verhängt.

Die gegen die Geldstrafen erhobenen Rechtsmittel blieben erfolglos. Der von den Bf. daraufhin angerufene VfGH lehnte eine Behandlung ihrer Bsw. ab: Was den Beschwerdepunkt nach Art. 6 EMRK betreffe, sei auf den österr. Vorbehalt zu Art. 5 EMRK hinzuweisen; hinsichtlich des Beschwerdepunktes nach Art. 4 7.ZP EMRK sei zu sagen, daß Österreichs Erklärung anläßlich der Ratifikation dieses Protokolls Verfassungsrang habe, die Bsw. daher keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe. Der VwGH wies die Bsw. ab: Eine Verwaltungsstraftat könne zwar nicht zweimal in einem Verwaltungsstrafverfahren verfolgt werden, dies schließe aber eine verwaltungsstrafrechtliche Verfolgung - auch nach erfolgter strafrechtlicher Verurteilung - nicht aus. Art. 18 SittenpolG gehe von einem anderen Verhalten aus als zB. § 115 StGB (Beleidigung) oder § 269 StGB (Widerstand gegen die Staatsgewalt). Gegen den Grundsatz der Gewaltentrennung sei daher nicht verstoßen worden.Die gegen die Geldstrafen erhobenen Rechtsmittel blieben erfolglos. Der von den Bf. daraufhin angerufene VfGH lehnte eine Behandlung ihrer Bsw. ab: Was den Beschwerdepunkt nach Artikel 6, EMRK betreffe, sei auf den österr. Vorbehalt zu Artikel 5, EMRK hinzuweisen; hinsichtlich des Beschwerdepunktes nach Artikel 4, 7.ZP EMRK sei zu sagen, daß Österreichs Erklärung anläßlich der Ratifikation dieses Protokolls Verfassungsrang habe, die Bsw. daher keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe. Der VwGH wies die Bsw. ab: Eine Verwaltungsstraftat könne zwar nicht zweimal in einem Verwaltungsstrafverfahren verfolgt werden, dies schließe aber eine verwaltungsstrafrechtliche Verfolgung - auch nach erfolgter strafrechtlicher Verurteilung - nicht aus. Artikel 18, SittenpolG gehe von einem anderen Verhalten aus als zB. Paragraph 115, StGB (Beleidigung) oder Paragraph 269, StGB (Widerstand gegen die Staatsgewalt). Gegen den Grundsatz der Gewaltentrennung sei daher nicht verstoßen worden.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Die Bf. behaupten eine Verletzung ihres Rechts auf Entscheidung durch ein Gericht gemäß Art. 6 (1) EMRK, da die in den Verwaltungsstrafverfahren entscheidenden Behörden keine Tribunale iS. dieser Bestimmung gewesen wären.Die Bf. behaupten eine Verletzung ihres Rechts auf Entscheidung durch ein Gericht gemäß Artikel 6, (1) EMRK, da die in den Verwaltungsstrafverfahren entscheidenden Behörden keine Tribunale iS. dieser Bestimmung gewesen wären.

Die Kms. weist darauf hin, dass der GH in seinen Urteilen vom 23.10.1995 in den Fällen Schmautzer, Umlauft und Gradinger/A (A/328-A, A/328-B, A/328-C = NL 95/5/10) und Pramstaller, Palaoro und Pfarrmeier/A (A/329-A, A/329-B, A/329-C = NL 95/5/10) festgestellt hatte, dass die ggst. Verfahren eine Entscheidung über eine strafrechtliche Anklage iSv. Art. 6 (1) EMRK zum Gegenstand gehabt hatten. Der GH entschied weiters, dass der österr. Vorbehalt sich nicht auf die in Frage kommenden Verwaltungsstrafverfahren erstrecke und weder VfGH noch VwGH die von Art. 6 (1) EMRK geforderte volle Überprüfungsbefugnis bei Verwaltungsstrafen besitzen würden. Im vorliegenden Fall unterlagen die Verwaltungsstrafverfahren der nachprüfenden Kontrolle von VfGH und VwGH. Deren Überprüfungsbefugnis war dieselbe wie bei den zuvor zitierten Fällen und daher unzureichend. Verletzung von Art. 6 (1) EMRK (einstimmig). Die Bf. behaupten eine Verletzung von Art. 4 7.ZP EMRK (ne bis in idem), da sie wegen desselben Verhaltens sowohl von einem Strafgericht als auch von einer Verwaltungsbehörde verurteilt wurden.Die Kms. weist darauf hin, dass der GH in seinen Urteilen vom 23.10.1995 in den Fällen Schmautzer, Umlauft und Gradinger/A (A/328-A, A/328-B, A/328-C = NL 95/5/10) und Pramstaller, Palaoro und Pfarrmeier/A (A/329-A, A/329-B, A/329-C = NL 95/5/10) festgestellt hatte, dass die ggst. Verfahren eine Entscheidung über eine strafrechtliche Anklage iSv. Artikel 6, (1) EMRK zum Gegenstand gehabt hatten. Der GH entschied weiters, dass der österr. Vorbehalt sich nicht auf die in Frage kommenden Verwaltungsstrafverfahren erstrecke und weder VfGH noch VwGH die von Artikel 6, (1) EMRK geforderte volle Überprüfungsbefugnis bei Verwaltungsstrafen besitzen würden. Im vorliegenden Fall unterlagen die Verwaltungsstrafverfahren der nachprüfenden Kontrolle von VfGH und VwGH. Deren Überprüfungsbefugnis war dieselbe wie bei den zuvor zitierten Fällen und daher unzureichend. Verletzung von Artikel 6, (1) EMRK (einstimmig). Die Bf. behaupten eine Verletzung von Artikel 4, 7.ZP EMRK (ne bis in idem), da sie wegen desselben Verhaltens sowohl von einem Strafgericht als auch von einer Verwaltungsbehörde verurteilt wurden.

Art. 4 7.ZP EMRK lautet: "Niemand darf wegen einer strafbaren Handlung, wegen der er bereits nach dem Gesetz oder dem Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren desselben Staates erneut vor Gericht gestellt oder bestraft werden."Artikel 4, 7.ZP EMRK lautet: "Niemand darf wegen einer strafbaren Handlung, wegen der er bereits nach dem Gesetz oder dem Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren desselben Staates erneut vor Gericht gestellt oder bestraft werden."

In seinem Urteil im Fall Gradinger/A (A/328-C § 51) hatte der GH festgestellt, dass die Erklärung Österreichs zu Art. 4 7.ZP EMRK, nämlich, dass diese Bestimmung "...sich nur auf Strafverfahren iSd. österr. StPO..." beziehe, den Anforderungen des Art. 64 (2) EMRK nicht entsprochen hatte. Dies ist auch hier der Fall: Zwar ist - anders als im Fall Gradinger/A - nicht eindeutig, ob der den jeweiligen Verfahren zugrundeliegende Sachverhalt identisch war. So wurden die Bf. wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt strafrechtlich verurteilt, da sie die einschreitenden Polizeibeamten beleidigt und nach dem Versuch, sich loszureißen, im anschließenden Handgemenge verletzt hatten. Die verwaltungsstrafrechtliche Verurteilung stützte sich auf das Verhalten der Bf. vor dem Eintreffen der Polizeibeamten bzw. auf die - nachfolgende - Beleidigung von bzw. Tätlichkeiten gegen einen Polizeibeamten. Den strafrechtlichen und verwaltungsstrafrechtlichen Verurteilungen lag jedoch ein weitgehend identer Sachverhalt zugrunde, sodass die Bf. - in bezug auf das Verwaltungsstrafverfahren - wegen einer strafbaren Handlung, wegen der sie bereits rechtskräftig verurteilt worden waren, erneut bestraft wurden. Verletzung von Art. 4 7.ZP EMRK (einstimmig).In seinem Urteil im Fall Gradinger/A (A/328-C Paragraph 51,) hatte der GH festgestellt, dass die Erklärung Österreichs zu Artikel 4, 7.ZP EMRK, nämlich, dass diese Bestimmung "...sich nur auf Strafverfahren iSd. österr. StPO..." beziehe, den Anforderungen des Artikel 64, (2) EMRK nicht entsprochen hatte. Dies ist auch hier der Fall: Zwar ist - anders als im Fall Gradinger/A - nicht eindeutig, ob der den jeweiligen Verfahren zugrundeliegende Sachverhalt identisch war. So wurden die Bf. wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt strafrechtlich verurteilt, da sie die einschreitenden Polizeibeamten beleidigt und nach dem Versuch, sich loszureißen, im anschließenden Handgemenge verletzt hatten. Die verwaltungsstrafrechtliche Verurteilung stützte sich auf das Verhalten der Bf. vor dem Eintreffen der Polizeibeamten bzw. auf die - nachfolgende - Beleidigung von bzw. Tätlichkeiten gegen einen Polizeibeamten. Den strafrechtlichen und verwaltungsstrafrechtlichen Verurteilungen lag jedoch ein weitgehend identer Sachverhalt zugrunde, sodass die Bf. - in bezug auf das Verwaltungsstrafverfahren - wegen einer strafbaren Handlung, wegen der sie bereits rechtskräftig verurteilt worden waren, erneut bestraft wurden. Verletzung von Artikel 4, 7.ZP EMRK (einstimmig).

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über den Bericht der EKMR vom 9.4.1997, Bsw. 22541/93, entstammt der Zeitschrift „ÖIMR-Newsletter" (NL 1997, 211) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Der Bericht im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/97_4/Marte.pdf

Das Original des Berichts ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.

Anmerkung

EGM00145 Bsw22541.93-B

Dokumentnummer

JJT_19970409_AUSL000_000BSW22541_9300000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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