TE Vfgh Beschluss 2002/5/17 B923/02

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Veröffentlicht am 17.05.2002
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Index

10 Verfassungsrecht
10/07 Verfassungsgerichtshof, Verwaltungsgerichtshof

Norm

EMRK 7. ZP Art2
ARHG §33, §34
VfGG §85 Abs2 / Allg
VfGG §85 Abs2 / Strafrecht

Spruch

Dem in der Beschwerdesache des S W, ..., gegen das als Bescheid gewertete Schreiben des Bundesministers für Justiz vom 10. Mai 2002, ..., gestellten Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wird gem. §85 Abs2 und Abs4 VfGG insoweit Folge gegeben, als der Beschwerdeführer vorerst bis einschließlich 23. Mai 2002 nicht ausgeliefert werden darf; im übrigen wird die Entscheidung über den Antrag auf aufschiebende Wirkung vorbehalten.

Begründung

Begründung:

Die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde wendet sich gegen eine vom Beschwerdeführer (einem US-Staatsbürger) als Bescheid qualifizierte Erledigung des Bundesministers für Justiz, mit welcher dieser die Auslieferung des Beschwerdeführers an die USA zur Vollstreckung einer mit näher bezeichnetem Urteil eines Gerichtes in Florida verhängten Freiheitsstrafe in der Dauer von 845 Jahren bewilligt.

Dieser Erledigung war - nach dem Beschwerdevorbringen, den angeschlossenen Beilagen und in Übereinstimmung mit der dem Verfassungsgerichtshof aus der unter G151,152/02 protokollierten Rechtssache bereits bekannten Sachlage - eine die Auslieferung für unzulässig erklärende Entscheidung des OLG Wien vom 11. September 2001, 22 Ns 2/01 vorangegangen, welche mit Beschluß des OGH vom 9. April 2002, 14 Os 8/02-12, aufgrund einer Beschwerde der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes nach §33 Abs2 StPO, aufgehoben worden war. Der OGH hat in diesem Beschluß auf das Wesentliche zusammengefaßt die Auffassung vertreten, zur Prüfung der Frage, ob die Auslieferung des Beschwerdeführers gegen Art2 des 7. ZP z EMRK verstoße, sei nicht das Oberlandesgericht in seiner über die Zulässigkeit der Auslieferung unter (im Wesentlichen) grundrechtlichen Gesichtspunkten zu treffenden Entscheidung nach §33 ARHG zuständig, sondern der Bundesminister für Justiz in seiner (das Auslieferungsverfahren abschließenden) Entscheidung nach §34 ARHG. Das OLG Wien hat nach dem Beschwerdevorbringen mittlerweile in einer verkündeten Entscheidung vom 8. Mai 2002, 22 Ns 8/02, (deren Ausfertigung bisher offenbar nicht erfolgt sein dürfte) die Auslieferung des Beschwerdeführers für zulässig erklärt.

Gemäß §85 VfGG hat der Verfassungsgerichtshof der Beschwerde auf Antrag des Beschwerdeführers mit Beschluß aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, insoweit dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung aller berührten Interessen mit dem Vollzug des Bescheides für den Beschwerdeführer ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.

Ein Nachteil ist dann unverhältnismäßig, wenn bei einem mittlerweiligen Vollzug des angefochtenen Bescheides (im Sinne einer auf welche Weise immer stattfindenden Umsetzung des angefochtenen Bescheides in die Wirklichkeit) durch die dadurch bewirkte Lage der Tatsachen der beschwerdeführenden Partei ein Nachteil droht, der auch nach Aufhebung des angefochtenen Bescheides im Hauptverfahren nicht wieder gutzumachen und daher geeignet ist, den vom Verfassungsgerichtshof zu gewährenden Rechtsschutz zu beeinträchtigen (vgl. dazu VfSlg. 15.259/1998, mwN).

Von zwingenden öffentlichen Interessen im Sinne des §85 Abs2 VfGG kann nur gesprochen werden, wenn die konkrete Interessenlage öffentliche Rücksichten berührt, die einen umgehenden Vollzug des angefochtenen Bescheides gebieten. Der Umstand, daß öffentliche Interessen am Vollzug einer behördlichen Maßnahme bestehen, berechtigt nicht ohne weiteres zur Annahme, daß eben diese Interessen zwingend auch eine sofortige Verwirklichung der getroffenen Maßnahmen gebieten. Dem Aufschub entgegenstehende zwingende öffentliche Interessen wurden in der Rechtsprechung im wesentlichen stets dann angenommen, wenn mit dem Aufschub eine Gefahr für die Gesundheit und das Leben von Menschen (und zum Teil auch deren Eigentum) verbunden wäre; daneben lassen sich als relevante Gesichtspunkte die Gefährdung der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruches und des Abgabenanspruches als solchen sowie die Gefährdung der Versorgungslage breiterer Bevölkerungsteile (mit Wasser und Energie) erkennen (vgl. den hg. Beschluß vom 4. April 2001, B2271/00, mwN).

Es unterliegt keinem Zweifel, daß der Beschwerdeführer in einer für ihn existentiell besonders bedeutsamen Frage um Rechtsschutz beim Verfassungsgerichtshof nachsucht, sowie ferner, daß im Sinne der zitierten Vorjudikatur im Falle des Obsiegens des Beschwerdeführers im Beschwerdeverfahren ein nicht wieder gutzumachender Nachteil droht, sofern die Auslieferung unverzüglich vollzogen wird.

Im Lichte der (vorerst nicht näher zu untersuchenden) Entscheidung des OGH dürfte es dem Bundesminister bei der Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung - so nimmt der Verfassungsgerichtshof vorläufig an - auch obliegen, über eine die Rechtssphäre des Beschwerdeführers betreffende Angelegenheit, nämlich die Zulässigkeit der Auslieferung unter dem Gesichtspunkt des Art2 des 7. ZP z EMRK zu entscheiden. Eine solche Entscheidung dürfte somit normative Wirkung in bezug auf die Rechtssphäre des Beschwerdeführers entfalten, ihr sohin Bescheidqualität zuzumessen sein.

In der angefochtenen Erledigung des Bundesministers für Justiz vom 10. Mai 2002 wird nun auf diese Frage kein Bezug genommen, gleichwohl aber die Auslieferung "bewilligt". Auch intendiert diese Erledigung offenkundig, das Auslieferungsverfahren endgültig abzuschließen. Es dürfte daher - so nimmt der Verfassungsgerichtshof vor dem Hintergrund der vom OGH vertretenen Rechtsauffassung vorläufig an - bereits der als Bescheid bekämpften Entscheidung implizit die Beurteilung innewohnen, daß die Auslieferung des Beschwerdeführers unter dem Gesichtspunkt des Art2 des 7. ZP z EMRK zulässig ist; damit könnte aber der bekämpften Erledigung in der Tat Bescheidqualität zuzumessen sein. Dem Umstand, daß die Erledigung nicht als Bescheid bezeichnet ist, käme angesichts des vorläufig angenommenen normativen Inhaltes der Erledigung keine ausschlaggebende Bedeutung zu (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I, §56 AVG unter E 21 zitierte Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes).

Die Frage, ob der Bewilligung der aufschiebenden Wirkung zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen, vermag der Verfassungsgerichtshof derzeit nicht abschließend zu beurteilen. Um der belangten Behörde Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, dem Beschwerdeführer zugleich den vom Verfassungsgerichtshof vorerst als erforderlich angesehenen Rechtsschutz zu gewähren, war daher vorerst - in Anwendung des §85 Abs4 VfGG - die aufschiebende Wirkung zu bewilligen, jedoch nur für einen Zeitraum bis 23. Mai 2002. Über den darüber hinausgehenden Teil des Antrages wird der Verfassungsgerichtshof am 23. Mai 2002 unter Berücksichtigung einer von der belangten Behörde noch zu erstattenden Stellungnahme zum Antrag auf aufschiebende Wirkung entscheiden. Insoweit war daher die Entscheidung vorzubehalten.

Schlagworte

Bescheidbegriff, Rechtsschutz, Strafrecht, Strafprozeßrecht, VfGH / Wirkung aufschiebende, Auslieferung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2002:B923.2002

Dokumentnummer

JFT_09979483_02B00923_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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