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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
ArbeitsstättenV 1998 §22 Abs6;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Riedinger, Dr. Holeschofsky, Dr. Beck und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ströbl, über die Beschwerde des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit gegen Spruchpunkt III.2. des Bescheides des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich, Außenstelle Wiener Neustadt, vom 4. Oktober 2005, Zl. Senat-MD-03-1338, betreffend Übertretung arbeitnehmerschutzrechtlicher Bestimmungen (Mitbeteiligte: RK in W, vertreten durch Dr. Christian Kuhn und Dr. Wolfgang Vanis, Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Elisabethstraße 22, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Die Behörde erster Instanz erließ gegen die Mitbeteiligte das Straferkenntnis vom 24. Juli 2003, dessen Spruchpunkt 2. lautet:
"Sie" (= die Mitbeteiligte) "sind als verantwortliche Beauftragte der B AG mit Sitz in W dafür verantwortlich, dass am 03. April 2003 in der B-Filiale in B folgende Arbeitnehmerschutzvorschriften nicht eingehalten wurden:
...
2) Obwohl als Arbeitsräume nur Räume verwendet werden dürfen, die möglichst gleichmäßig natürlich belichtet sind und Lichteintrittsflächen ausweisen müssen, die in Summe mindestens 10 % der Bodenfläche des Raumes betragen und direkt ins Freie führen, betrug die Belichtungsfläche für Verkaufsraum 2, welcher eine Bodenfläche von 131,72 m2 aufweist, nur 2,35 m2 anstatt der für diese Fläche erforderlichen 13 m2, da die Belichtungsflächen in Richtung Westen (Oberlichtband) durch Lagerungen (Getränkeflaschen) und das Fenster an der Südseite ebenfalls durch Getränkekisten zur Gänze verstellt war und als Belichtungsfläche lediglich eine Ausgangstüre mit zwei Belichtungsflächen von jeweils 0,66 x 1,78 m vorhanden war."
Die Mitbeteiligte habe dadurch eine Verwaltungsübertretung gemäß § 22 Abs. 6 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) iVm § 25 Abs. 1 Arbeitsstättenverordnung (AStV) begangen. Gemäß § 130 Abs. 1 ASchG wurde eine Geldstrafe in Höhe von EUR 1.000,-- (im Nichteinbringungsfall eine Ersatzfreiheitsstrafe von fünf Tagen) verhängt.
Gegen diesen Bescheid erhob die Mitbeteiligte Berufung.
Die belangte Behörde gab der Berufung statt, hob u.a. Spruchpunkt 2. des Straferkenntnisses mit Spruchpunkt III. auf und stellte das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z. 2 erster Fall VStG ein.
Dies begründete die belangte Behörde folgendermaßen:
"§ 25 Abs. 1 AStV bestimmt unter anderem, dass als Arbeitsräume nur Räume verwendet werden dürfen, die möglichst gleichmäßig natürlich belichtet sind und bestimmte der Größe nach angegebene Lichteintrittsflächen aufweisen müssen. Aus dieser gefassten Textierung ist ersichtlich, dass die AStV in dieser zitierten Vorschrift ausschließlich auf die bauliche Ausgestaltung abzielt. Offenbar waren Belichtungsflächen baulich vorhanden, jedoch durch die Verlagerung in ihrer Wirksamkeit herabgesetzt.
Es ist auch der Auffassung des Beschuldigtenvertreters dahingehend zu folgen, dass es lebensnah ist, dass durch die angezeigten Verlagerungen durch Getränkeflaschen Belichtungsflächen mit Sicherheit nicht zur Gänze unwirksam gemacht werden können, Feststellungen auch in der Anzeige und der behördlichen Verfolgungshandlung hinsichtlich des Ausmaßes des offenbar vorhandenen Oberlichtbandes völlig fehlten, somit eine korrekte Nachvollziehbarkeit bzw. Berechnung der tatsächlich vorhandenen Belichtungsfläche nicht machbar und nachvollziehbar ist, sohin die Berufungsbehörde im Lichte auch der ständigen VwGH Judikatur zusätzlich einen nicht unwesentlichen Konkretisierungsmangel im Sinne der Bestimmung des § 44a VStG ersieht, der im jetzigen Stadium des Verfahrens keiner Mängelbehebung mehr zugänglich ist."
Ausschließlich gegen Punkt III.2. dieses Bescheides richtet sich die vorliegende gemäß § 13 des Arbeitsinspektionsgesetzes 1993 erhobene (Amts-)Beschwerde.
Die Mitbeteiligte schloss sich in ihrer Gegenschrift der Ansicht der belangten Behörde an.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die Überschrift des zweiten Abschnittes des ASchG (§§ 19 bis 32) lautet:
"Arbeitsstätten und Baustellen Anwendungsbereich"
Gemäß § 19 Abs. 1 Z. 1 ASchG sind alle Gebäude und sonstigen baulichen Anlagen sowie Teile von Gebäuden oder sonstigen baulichen Anlagen, in denen Arbeitsplätze eingerichtet sind oder eingerichtet werden sollen oder zu denen Arbeitnehmer im Rahmen ihrer Arbeit Zugang haben, Arbeitsstätten in Gebäuden.
§ 20 Abs. 1 ASchG (allgemeine Bestimmungen über Arbeitsstätten und Baustellen) lautet:
"Arbeitgeber sind verpflichtet, Arbeitsstätten und Baustellen entsprechend den Vorschriften dieses Bundesgesetzes sowie den dazu erlassenen Verordnungen und entsprechend den für sie geltenden behördlichen Vorschreibungen einzurichten und zu betreiben."
§ 22 ASchG (Arbeitsräume) enthält folgende Bestimmungen:
"(1) Arbeitsräume sind jene Räume, in denen mindestens ein ständiger Arbeitsplatz eingerichtet ist.
...
(6) Soweit die Zweckbestimmung der Räume und die Art der Arbeitsvorgänge dies zulassen, müssen Arbeitsräume ausreichend natürlich belichtet sein und eine Sichtverbindung mit dem Freien aufweisen. Bei der Anordnung der Arbeitsplätze ist auf die Lage der Belichtungsflächen und der Sichtverbindung Bedacht zu nehmen."
Aus diesen Normen ist vorerst klar, dass die Bestimmungen für Arbeitsstätten auch für Arbeitsräume gelten, solange für letztere nicht ausdrücklich etwas anderes normiert ist.
Auf Grund der §§ 19 bis 32 ASchG wurde die AStV, BGBl. II Nr. 368/1998, erlassen. Deren § 25 Abs. 1 lautet:
"Als Arbeitsräume dürfen nur Räume verwendet werden, die möglichst gleichmäßig natürlich belichtet sind. Sie müssen Lichteintrittsflächen aufweisen, die
1. in Summe mindestens 10 % der Bodenfläche des Raumes betragen und
2. direkt ins Freie führen."
Abgesehen davon, dass bereits das Wort "verwendet" des § 25 Abs. 1 AStV keinen Anhaltspunkt für die von der belangten Behörde vorgenommene Auslegung bietet, sondern - im Gegenteil - darauf hinweist, dass diese Bestimmung sowohl die bauliche Herstellung als auch den Zustand während der Verwendung dieses Arbeitsraumes regelt, deuten auch die Wortfolgen "belichtet sein" und "aufweisen" des § 22 Abs. 6 ASchG auf das letztgenannte Verständnis hin. Endgültige Klarheit im Sinne des letztgenannten Verständnisses der gegenständlichen Bestimmung bringt aber die Wortfolge des § 20 Abs. 1 ASchG "Arbeitsstätten ... einzurichten und zu betreiben". Die Auffassung der belangten Behörde würde - wie der Beschwerdeführer zu Recht ausführt - den Sinn der Norm "ad absurdum" führen, denn baulich zwar vorhandene Lichteintrittsflächen, die aber z.B. durch Lagerungen verstellt sind, wären völlig zwecklos für den Schutz von Arbeitnehmern.
Auch das zweite Argument der belangten Behörde - offenbar ist es trotz der sprachlich missglückten Formulierung im angefochtenen Bescheid so aufzufassen, dass eine Berechnung der zwischen den Getränkeflaschen verbleibenden "Lichtlücken" und der quantitativen Verringerung des Lichtes durch Material und Inhalt der Getränkeflaschen vermisst wird - hält einer Überprüfung nicht stand. Schon aus der Wortfolge des § 25 Abs. 1 AStV "möglichst gleichmäßig natürlich belichtet" wird klar, dass zum Beispiel Lagerungen von Getränkeflaschen und Getränkekisten bei Beeinflussung der natürlichen Belichtung zu unterlassen sind. Wie der Beschwerdeführer richtig ausführt, ist aber allgemein bekannt, dass etwa auch Getränkeflaschen die natürliche Belichtung nicht völlig unberührt lassen. Deshalb sind auch Lagerungen von Getränkeflaschen bzw. Getränkekisten in ihrer flächenmäßigen Gesamtausdehnung von den zur Verfügung stehenden Lichteintrittsflächen zu subtrahieren, wie dies die Behörde erster Instanz getan hat. Es bedarf daher keiner näheren Untersuchung wie etwa des Materials, der Art und Farbe der gelagerten Getränkeflaschen bzw. ihres Inhaltes und der Größe von Etiketten.
Sollte die belangte Behörde mit dem von ihr behaupteten Spruchmangel gemäß § 44a VStG darüber hinaus noch - anders als bereits oben abgehandelt - meinen, dass die im Spruch der Behörde erster Instanz enthaltenen Berechnungsgrundlagen unzureichend seien, so verkennt sie auch damit die Rechtslage. Zur Umschreibung einer Übertretung nach § 25 Abs. 1 (erster Fall) AStV (iVm § 22 Abs. 6 AStV und § 130 Abs. 1 Z. 15 ASchG) ist es nicht erforderlich, im Spruch des Straferkenntnisses die Berechnung darzulegen, auf Grund welcher die Behörde zur Ansicht gelangt ist, dass die Summe aller ins Freie führenden Lichteintrittsflächen nicht mindestens 10 % der Bodenfläche des Raumes beträgt (vgl. zur zwischenzeitig außer Kraft getretenen ähnlichen Bestimmung des § 8 Abs. 1 erster Fall der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung das hg. Erkenntnis vom 8. September 1994, Zl. 92/18/0182). Die von der Behörde erster Instanz gewählte Form der Tatumschreibung hat die Mitbeteiligte jedenfalls in die Lage versetzt, zum konkreten Tatvorwurf Stellung zu nehmen. Auf Grund der Tatumschreibung der Behörde erster Instanz ist die Mitbeteiligte auch davor geschützt, wegen desselben Verhaltens nochmals zur Verantwortung gezogen zu werden.
Der angefochtene Bescheid erweist sich daher mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Wien, am 11. August 2006
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1 Mängel im Spruch Besondere Rechtsgebiete Auslegung Diverses VwRallg3/5European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2005020307.X00Im RIS seit
25.09.2006Zuletzt aktualisiert am
07.10.2008