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19/05 Menschenrechte;Norm
MRK Art8 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Pelant, Dr. Kleiser und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des NG in M, vertreten durch Dr. Kurt Bayr, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 4, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 22. Dezember 2004, Zl. Ia-20.592/15-2004, betreffend Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 22. Dezember 2004 wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 5. September 2003 auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 Z 6 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985, BGBl. Nr. 311 in der Fassung BGBl. I Nr. 124/1998 (StbG), abgewiesen.
Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer halte sich nachweislich seit 18. September 1989 ununterbrochen in Österreich auf, gehe seit 19. August 2002 einer aufrechten Beschäftigung nach, verfüge über einen Befreiungsschein des Arbeitsmarktservice Innsbruck vom 25. Oktober 2000, gültig bis 24. Oktober 2005, und eine unbefristete Niederlassungsbewilligung vom 31. März 1998.
Mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 11. März 1992 sei der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 StGB zu einer Geldstrafe in der Höhe von 240 Tagessätzen verurteilt worden, weil er am 4. Oktober 1991 seine Schwägerin durch Versetzen von Messerstichen gegen deren Unterbauch bzw. Hüfte, die eine klaffende Schnittwunde im Bereich der linken Hüftvorderseite und zwei oberflächliche Stichverletzungen verbunden mit einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsstörung zur Folge hatten, vorsätzlich am Körper verletzt habe, wobei er die Tat mit einem solchen Mittel und auf eine solche Weise begangen habe, womit in der Regel Lebensgefahr verbunden sei. Gemäß § 43 Abs. 1 StGB sei der Vollzug der Geldstrafe unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen worden.
Laut der Anzeige des Gendarmeriepostenkommandos M vom 17. Februar 2004 habe der Beschwerdeführer am 31. Jänner 2004 nach einer verbalen Auseinandersetzung seine geschiedene Ehegattin an den Oberarmen erfasst und auf die Couch gedrückt, ihr zusätzlich einen heftigen Stoß gegen die Schultern versetzt und weiters die Drohung ausgestoßen, dass er ein Messer aus der Küche holen und sie damit umbringen werde. Als er die Küche betreten habe, habe die geschiedene Ehegattin die Küchentür aus Furcht versperrt und die Gendarmerie verständigt. Der Beschwerdeführer sei auch nach dem Eintreffen der Exekutivorgane nicht zu beruhigen gewesen, weshalb gegen ihn eine Wegweisung mit Bertretungsverbot gemäß § 38a SPG ausgesprochen und von der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck bestätigt worden sei. Das Bezirksgericht Innsbruck habe gegen den Beschwerdeführer eine einstweilige Verfügung für die Dauer von 3 Monaten erlassen. Das Strafverfahren wegen Verdachtes des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB und gefährlicher Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB gegen den Beschwerdeführer sei mit Beschluss des Landesgerichtes Innsbruck vom 25. März 2004 gemäß § 90g StPO (Bezahlung eines Pauschalkostenbetrages von EUR 100,--) eingestellt worden.
Nach Anführung der angewendeten gesetzlichen Bestimmungen führte die belangte Behörde weiters aus, im vorliegenden Fall handle es sich bei beiden Vorfällen durchwegs um solche Verhaltensweisen, die sich auf die Gesundheit und das Leben anderer Menschen negativ auswirkten. Zudem seien beide Straftaten gegen Frauen aus dem Familienkreis des Beschwerdeführers gerichtet gewesen. Nach Ansicht der belangten Behörde wiesen beide Taten deutlich auf die Neigung des Beschwerdeführers hin, Konfliktsituationen unter Anwendung von Gewalt, und zwar massiver Körpergewalt, zu lösen. Es zeige sich damit beim Beschwerdeführer ein Charakterbild, das von einem nicht unerheblichen Aggressionspotenzial geprägt sei. So habe der Beschwerdeführer im ersten Fall seine Schwägerin vorsätzlich durch Versetzen von Messerstichen am Körper auf solche Art und Weise verletzt, dass laut Gutachter des gerichtsmedizinischen Institutes in der Regel damit Lebensgefahr verbunden sei und im zweiten Fall mit der Androhung, "ein Messer zu holen und damit seine Exehefrau umzubringen", diese in Furcht und Unruhe versetzt bzw. durch sonstige Attacken auch körperlich verletzt. Gerade der Umstand, dass der Beschwerdeführer bei seinen körperlichen Attacken auch Waffen eingesetzt oder das Verwenden solcher glaubwürdig angedroht habe, weise auf seine gefährliche Aggressionsbereitschaft hin.
Zwar liege die erstbegangene Straftat der schweren Körperverletzung bereits 13 Jahre zurück und fielen weiter zurückliegende Taten weniger stark ins Gewicht, doch habe der Beschwerdeführer nun neuerlich eine Handlung gesetzt, die wiederum das gleiche Rechtsgut, nämlich die körperliche und psychische Unversehrtheit anderer Personen, beeinträchtigt habe. Dies zeige, dass beim Beschwerdeführer auch trotz seines zwischenzeitlichen Wohlverhaltens immer noch eine deutliche Gewaltbereitschaft gegeben sei. Dabei sei es unerheblich, dass es beim zweiten Vorfall letztlich zu keiner strafgerichtlichen Verurteilung, sondern lediglich zu einer Diversion nach § 90g StPO gekommen sei. Trotzdem könnten aus dem strafrechtlich relevanten Verhalten, das erst vor Kurzem (Anfang des Jahres 2004) gesetzt worden sei, durchaus Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des Verleihungswerbers gezogen werden.
Aus diesem Grund gebe es noch keine ausreichende Gewähr dafür, dass der Beschwerdeführer positiv zur österreichischen Rechtsordnung eingestellt sei und keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstelle. Auch wenn sich der Beschwerdeführer zwischen dem ersten und zweiten Vorfall eine längere Zeit wohlverhalten habe, so schließe der noch nicht einmal ein Jahr zurückliegende "Rückfall" eine günstige Prognose aus. Daher könne zur Zeit nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer in Zukunft wesentliche, zur Abwehr von Gefahren für das Leben und die Gesundheit von Menschen, für die allgemeine Sicherheit sowie für die öffentliche Ruhe und Ordnung erlassene Rechtsvorschriften nicht weiter missachten werde.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 6 StbG kann die österreichische Staatsbürgerschaft einem Fremden nur verliehen werden, wenn er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, dass er zur Republik Österreich bejahend eingestellt ist und weder eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstellt, noch andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen gefährdet.
2. Die Beschwerde wendet gegen die Annahme der belangten Behörde, es läge das Verleihungshindernis des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG vor, im Wesentlichen ein, die belangte Behörde habe nicht beachtet, dass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (bis heute) unbescholten gewesen sei, wie auch der der Beschwerde beigelegte Strafregisterauszug vom 17. Februar 2004 beweise.
Die von der Behörde angeführte Verurteilung aus dem Jahre 1992 liege jedenfalls bereits so lange zurück, dass sie einer Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft nicht entgegenstehen könne.
Zu der von der Behörde als weiteren Hinderungsgrund angeführten Anzeige vom 17. Februar 2004 sei auszuführen, dass das diesbezüglich eingeleitete Strafverfahren gemäß § 90g StPO eingestellt worden sei. Es sei auch zu erwähnen, dass dieses Verfahren nicht nur gegen den Beschwerdeführer, sondern auch gegen seine geschiedene Ehegattin geführt worden sei. Aus dem angeführten Beschluss des Strafgerichtes gemäß § 90g StPO sei ersichtlich, dass die Voraussetzungen nach § 90a StPO gegeben gewesen seien und insbesondere der Staatsanwalt davon ausgegangen sei, dass eine Bestrafung des Beschwerdeführers nicht geboten erscheine und die Schuld des Beschwerdeführers nicht als schwer anzusehen sei. Alleine aus diesem Grund sei eine Prognose des künftigen Wohlverhaltens des Beschwerdeführers gemäß § 10 Abs. 1 Z 6 StGB angebracht.
Letztlich habe die Behörde nicht nachvollziehbar dargetan, in welcher Weise sie das ihr gemäß § 11 StbG eingeräumte freie Ermessen ausgeübt habe.
3. Zunächst ist im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen zu § 11 StbG darauf hinzuweisen, dass die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid nicht auf § 11 StbG, sondern auf das Vorliegen des Einbürgerungshindernisses nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG gestützt hat, welches einer Ermessensübung nach § 11 StbG vorgelagert ist und nicht im (freien) Ermessen der Behörde liegt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. Jänner 2005, Zl. 2004/01/0285, mwN).
4. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 6 StbG ist maßgebend, ob das Gesamtverhalten des Einbürgerswerbers, insbesondere von ihm begangene strafrechtliche Delikte, den Schluss rechtfertigt, der Betreffende werde auch in Zukunft wesentliche, zum Schutz vor Gefahren für das Leben, die Gesundheit, die Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung - oder andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte Rechtsgüter - erlassene Vorschriften missachten. Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit fallen bei der gemäß § 10 Abs. 1 Z 6 StbG zu treffenden Prognose besonders ins Gewicht. Im Allgemeinen ist nach derartigen Straftaten ein ausreichend langer Zeitraum des Wohlverhaltens erforderlich, um eine positive Prognose im Sinn des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG gerechtfertigt erscheinen zu lassen (vgl. zu allem das hg. Erkenntnis vom 23. Februar 2006, Zl. 2004/01/0514, mwN).
Insoweit die Beschwerde vorbringt, es sei im Hinblick auf das in der Anzeige vom 17. Februar 2004 dargestellte Verhalten des Beschwerdeführers zu einer Einstellung des strafgerichtlichen Verfahrens gemäß § 90g StPO und nicht zu einer gerichtlichen Verurteilung gekommen, so ist darauf hinzuweisen, dass das Verleihungshindernis des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG eine gerichtliche Verurteilung wegen einer als erwiesen angesehenen Straftat nicht voraussetzt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. Dezember 2005, Zl. 2003/01/0184, mwN). Vielmehr knüpft § 10 Abs. 1 Z 6 StbG nicht an die gerichtliche Verurteilung, sondern an das Verhalten des Einbürgerungswerbers an (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. August 2005, Zl. 2004/01/0444, mwN).
Jedoch durfte sich die belangte Behörde - ausgehend von der oben aufgezeigten Notwendigkeit, bei der Beurteilung des Verleihungshindernisses nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG das Gesamtverhalten des Verleihungswerbers zu prüfen - nicht mit dem Hinweis auf den Inhalt der Anzeige gegen den Beschwerdeführer und die Einstellung des Verfahrens gemäß § 90g StPO begnügen, da die Einstellung eines Strafverfahrens nach dieser Bestimmung keiner - Bindung entfaltenden - rechtskräftigen Verurteilung gleichzuhalten ist (vgl. zur Diversion nach § 90g StPO bereits das hg. Erkenntnis vom 31. März 2005, Zl. 2003/03/0051, mwN; zur Diversion nach §90c StPO iZm § 10 Abs. 1 Z 6 StbG das hg. Erkenntnis vom 9. September 2003, Zl. 2002/01/0238).
Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde lediglich den Inhalt der Anzeige vom 17. Februar 2004 festgestellt, hiezu jedoch keine eigene Beweiswürdigung vorgenommen. Eine solche wäre jedoch schon deshalb erforderlich gewesen, da der Beschwerdeführer im Verfahren vor der belangten Behörde vorbrachte, "nicht schuldig zu sein" und insoweit nicht davon ausgegangen werden konnte, dass das in der genannten Anzeige beschriebene Verhalten des Beschwerdeführers gänzlich unbestritten geblieben ist.
Im Übrigen hätte die belangte Behörde darlegen müssen, warum sie ungeachtet der diversionellen Erledigung nach § 90g StPO dennoch annimmt, der Verleihungswerber werde in Zukunft wesentliche, zum Schutz vor Gefahren für das Leben, die Gesundheit, die Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung - oder andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte Rechtsgüter - erlassene Vorschriften missachten.
Der angefochtene Bescheid war auf Grund dieses Begründungsmangels wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 3 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
5. Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 22. August 2006
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2005010026.X00Im RIS seit
22.09.2006