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19/05 Menschenrechte;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Pelant, Dr. Kleiser und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des K A in G, geboren 1970, vertreten durch Mag. Wolfgang Auner, Rechtsanwalt in 8700 Leoben, Parkstraße 1/I, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 17. Oktober 2005, Zl. 264.505/0-V/15/05, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Algerien, reiste am 15. Oktober 2004 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 20. Oktober 2004 Asyl. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 22. Oktober 2004 gab er als Fluchtgrund im Wesentlichen an, in einem Zinshaus in Algier gewohnt zu haben. Dort habe er im Dezember 2002 verdächtige, in einer anderen Wohnung desselben Hauses wohnende Personen bemerkt, die vermutlich Terroristen gewesen seien und die er bei der Polizei angezeigt habe. Zwei oder drei Tage später seien diese Personen von der Polizei verhaftet worden. Vermutlich durch Beziehungen hätte die Terrorgruppe in Erfahrung gebracht, dass er die Anzeige gegen ihre Mitglieder erstattet hatte. Seither würde er von den Terroristen verfolgt. Er habe die Polizei um Hilfe gebeten, die ihm jedoch keinen Schutz gewähre.
In einer weiteren Einvernahme am 3. August 2005 änderte der Beschwerdeführer sein Vorbringen dahingehend ab, selbst Mitglied einer islamistischen Terrorgruppe gewesen zu sein, diese Gruppe jedoch verlassen zu haben und seither von ihr verfolgt zu werden.
Mit Bescheid vom 15. September 2005 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab, erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Algerien gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für zulässig und wies den Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Algerien aus.
Die dagegen erhobene Berufung wies die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid gemäß § 7 AsylG ab (Spruchpunkt 1.), stellte fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Algerien gemäß § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 57 FrG zulässig sei (Spruchpunkt 2.) und wies den Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Algerien aus (Spruchpunkt 3.).
Nach kurzer Wiedergabe des Verfahrensverlaufes und allgemeinen Rechtsausführungen begründete die belangte Behörde ihre Entscheidung fallbezogen damit, dass das Bundesasylamt unter Berücksichtigung der vom Beschwerdeführer anlässlich seiner zweiten Einvernahme abweichend und aus nicht nachvollziehbaren Gründen gesteigerten Fluchtgeschichte zum Ergebnis gelangt sei, der Beschwerdeführer habe - so wie in seiner ersten Einvernahme glaubwürdig dargestellt - als unbescholtener Bürger zwei terrorverdächtige Personen angezeigt. Diese Ausführungen im erstinstanzlichen Bescheid würden vollinhaltlich übernommen und zum Bestandteil des Berufungsbescheides erklärt. Ausgehend davon könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat aus einem der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (FlKonv) genannten Gründe verfolgt werde. Eine von staatlicher Stelle ausgehende Gefahr im Sinne des § 57 FrG, welche dem Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit im Falle der Rückkehr nach Algerien drohen könnte, sei nicht ableitbar und könne auch eine allgemeine extreme Gefährdungssituation im Hinblick auf Art. 2 und 3 EMRK ausgeschlossen werden. Angesichts der Angaben des Beschwerdeführers zu seinen nichtvorhandenen familiären Bindungen in Österreich sei schließlich auch nicht erkennbar, dass die vom Bundesasylamt verfügte Ausweisung im Sinne des Art. 8 EMRK rechts- oder verfassungswidrig wäre.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die belangte Behörde legte - wie schon das Bundesasylamt - ihrer Entscheidung das Vorbringen eines Beschwerdeführers bei seiner Einvernahme vom 22. Oktober 2004 zu Grunde, demzufolge der Beschwerdeführer vor seiner Flucht aus dem Heimatland von "Terroristen" verfolgt worden sei, weil er zwei der ihren bei der Polizei angezeigt und damit deren Verhaftung veranlasst hatte. Ausgehend davon verneinte die belangte Behörde die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers schon deshalb, weil die vorgebrachte Verfolgung nicht auf einen der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv genannten Gründe (Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, politische Gesinnung) zurückzuführen sei. Diese Rechtsauffassung erweist sich insbesondere vor dem Hintergrund der - vom Bundesasylamt festgestellten - politischen Situation in Algerien als unzutreffend, kann doch nicht ausgeschlossen werden, dass es sich um die Verfolgung wegen einer dem Beschwerdeführer unterstellten, gegen die politischen Ziele der von ihm als "Terroristen" bezeichneten Gruppe gerichteten politischen Ansicht handelt (vgl. dazu etwa die ebenfalls Algerien betreffenden hg. Erkenntnisse vom 16. Juli 2003, Zl. 2000/01/0518, vom 12. März 2002, Zl. 99/01/0205, und vom 22. März 2000, Zl. 99/01/0256). Geht man aber von einer auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung des Beschwerdeführers aus, hätte sich die belangte Behörde mit der Schutzfähigkeit und dem Willen des Staates, dem Beschwerdeführer einen der Situation entsprechenden Schutz angedeihen zu lassen, auseinander setzen müssen. Derartige Erwägung lässt der angefochtene Bescheid zur Gänze vermissen.
Selbst wenn aber unterstellt würde, dass sich die belangte Behörde insoweit den Ausführungen im erstinstanzlichen Bescheid anschließen wollte, vermag der angefochtene Bescheid keinen Bestand zu haben. Das Bundesasylamt hat in diesem Zusammenhang argumentiert, der Beschwerdeführer habe nicht dargetan, dass die gegen ihn gerichteten Übergriffe von den Behörden seines Heimatlandes geduldet würden oder dass er, hätte er sich an diese gewandt, keinen Schutz erhalten hätte. Letzteres erweist sich - unter Zugrundelegung des Vorbringens des Beschwerdeführers - als aktenwidrig. Im Übrigen hat das Bundesasylamt zwar allgemeine Feststellungen zur Sicherheitslage in Algerien getroffen (denen zufolge größere Städte im Vergleich zu abgelegenen Landesteilen einen erhöhten, aber keinen vollkommenen Schutz gegen terroristische Anschläge böten), auf die konkrete Situation des Beschwerdeführers (individuelle Verfolgung durch eine Terroristengruppe wegen Verrates von Mitgliedern derselben) aber überhaupt nicht Bedacht genommen und insbesondere keine Sachverhaltsfeststellungen zur Effektivität des dem Beschwerdeführer in Algerien in diesem Zusammenhang zur Verfügung stehenden staatlichen Schutzes getroffen.
Abschließend ist klarzustellen, dass die von der belangten Behörde vorgenommene und offenkundig im Zusammenhang mit der Beurteilung der Voraussetzungen des § 8 AsylG iVm § 57 Abs. 1 und 2 FrG stehende rechtliche Beurteilung, wonach eine "von staatlicher Stelle ausgehende Gefahr im Sinne des § 57 FrG" dem Beschwerdeführer im Heimatland nicht drohe und auch eine allgemeine extreme Gefährdungssituation im Hinblick auf Art. 2 und 3 EMRK ausgeschlossen werden könne, der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht entspricht, lässt die von der belangten Behörde verwendete Formulierung doch erkennen, dass sie eine dem Beschwerdeführer bei Rückkehr in den Herkunftsstaat drohende Gefahr (ausgenommen den Fall einer allgemeinen extremen Gefährdungssituation) nur dann für beachtlich hält, wenn diese von staatlicher Stelle ausgeht. Demgegenüber hat der Verwaltungsgerichtshof auch im Zusammenhang mit § 8 AsylG bereits mehrfach klargestellt, dass Gesichtspunkte der Zurechnung der Bedrohung im Zielstaat zu einem bestimmten "Verfolgerobjekt" speziell in Verbindung mit § 57 Abs. 1 FrG schon vom Ansatz her nicht von Bedeutung sind (vgl. dazu bereits das hg. Erkenntnis vom 26. Februar 2002, Zl. 99/20/0509, mwN; weiters die hg. Erkenntnisse vom 30. Juni 2005, Zl. 2002/20/0205, vom 1. September 2005, Zl. 2005/20/0357, und vom heutigen Tag, Zl. 2005/01/0718).
Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Da der Beschwerdeführer im Rahmen der mit hg. Beschluss vom 15. Dezember 2005 bewilligten Verfahrenshilfe von der Entrichtung der Eingabegebühr nach § 24 Abs. 3 VwGG befreit ist, kam ein Zuspruch der verzeichneten Gebühr nicht in Betracht.
Wien, am 22. August 2006
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2005010728.X00Im RIS seit
15.09.2006