TE Vwgh Erkenntnis 2006/8/29 2006/19/0092

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Veröffentlicht am 29.08.2006
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß und die Hofräte Dr. Nowakowski und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. B. Trefil, über die Beschwerde des A in S, geboren 1984, vertreten durch Mag. Eva Pany, Rechtsanwältin in 8430 Leibnitz, Kadagasse 15, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 1. Juni 2004, Zl. 227.891/0-X/24/02, betreffend § 7 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Afghanistans, reiste im April 2001 erstmals in das Bundesgebiet ein und beantragte Asyl. Bei der Einvernahme zu seinen Fluchtgründen vor dem Bundesasylamt am 28. Februar 2002 gab er an, der Volksgruppe der Hazara anzugehören und aus Mazar-i-Sharif zu stammen. Bei der Einnahme der Stadt durch die Taliban im August 1998 seien seine Eltern getötet worden. Er selbst sei (damals 14-jährig) von den Taliban festgenommen worden und erst im Februar 2001 durch Bestechung freigekommen. Für den Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan fürchte er sich vor den Leuten, die ihn gefangen gehalten hätten. Diese Personen hätten ihr Aussehen geändert und seien jetzt anders gekleidet, befänden sich aber immer noch in seinem Heimatland.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 3. April 2002 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab, erklärte seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan aber gemäß § 8 AsylG für nicht zulässig. Begründend führte es im Wesentlichen aus, der Fluchtgrund des Beschwerdeführers sei durch die Änderung der Verhältnisse in Afghanistan "gegenstandslos" geworden, im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan würde ihm dort aber in Anbetracht der allgemein herrschenden Verhältnisse eine Lebensgrundlage fehlen.

Die Berufung des Beschwerdeführers gegen die Abweisung des Asylantrages enthielt nähere Angaben über die Personen, die für die Ermordung der Eltern des Beschwerdeführers und für dessen Gefangenschaft verantwortlich gewesen seien. In Afghanistan gelte die Regel, dass die gesamte Familie getötet werden müsse, wenn das Familienoberhaupt ermordet werde. Es bestehe sonst - aus der Sicht der Mörder - die Gefahr der Rache durch überlebende Familienmitglieder.

Die belangte Behörde führte am 25. Mai 2004 eine Berufungsverhandlung durch, in deren Verlauf der Beschwerdeführer neuerlich befragt wurde und der nichtamtliche Sachverständige Dr. Rasuly sich zur Glaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers über seine Herkunft sowie darüber äußerte, ob ihm eine Verfolgung durch noch in seiner Heimatregion lebende Paschtunen drohe.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 7 AsylG ab. Sie begründete dies - ausgehend vom Vorbringen des Beschwerdeführers über dessen Erlebnisse bis zu seiner Ausreise - im Wesentlichen mit der Einschätzung des Sachverständigen, die nach der Änderung der Verhältnisse in Afghanistan im Zuge des Sturzes des Talibanregimes noch in der Heimatregion des Beschwerdeführers verbliebenen Paschtunen seien dort selbst in einer bedrängten Lage und für den Beschwerdeführer bestehe nicht die Gefahr, wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit oder seines schiitischen Glaubens von ihnen verfolgt zu werden. Der Kommandant, der an der Ermordung der Eltern des Beschwerdeführers nach dessen Darstellung führend beteiligt gewesen sei, sei bei einem amerikanischen Bombenangriff ums Leben gekommen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die belangte Behörde hat sich in der Begründung ihrer Entscheidung im Wesentlichen darauf gestützt, dass eine an seine Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit anknüpfende Verfolgung des Beschwerdeführers durch in seiner Heimatregion lebende Paschtunen unter den geänderten Verhältnissen nachhaltig unwahrscheinlich sei. Dieser Ausführungen bedurfte es im Hinblick darauf, dass der Beschwerdeführer zuletzt noch in der Berufungsverhandlung angegeben hatte, er würde in seiner Heimat erst wieder sicher sein, wenn die zehntausend bis zwanzigtausend paschtunischen Familien, die dort noch lebten, alle "vertrieben würden".

Davon abgesehen hatte der Beschwerdeführer das konkrete Schicksal seiner Familie -  mit Abweichungen im Detail, auf die die belangte Behörde nicht eingegangen ist - aber darauf zurückgeführt, dass zwischen seinem Vater und einem schon vor der Eroberung Mazar-i-Sharifs durch die Taliban dort lebenden (nach den Ausführungen des Sachverständigen von der Hezb-e Islami und Dostum zu den Taliban übergelaufenen) Kommandanten eine Feindschaft bestanden habe. In dieser Hinsicht hat es die belangte Behörde offenbar als wesentlich erachtet, dass der erwähnte Kommandant in der Zwischenzeit ums Leben gekommen sei. Der Zeitungsbericht darüber ist - entgegen den Behauptungen in der Beschwerde - dem Verhandlungsprotokoll angeschlossen, und es wird auch in der Beschwerde nicht behauptet, dass diese Person noch am Leben sei.

Aus Seite 9 der Verhandlungsschrift über die Berufungsverhandlung geht jedoch hervor, dass der Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme zu den Ausführungen des Sachverständigen den ihm nur unter der Bezeichnung "Kaku" bekannten Kommandanten nannte, der den Beschwerdeführer inhaftiert habe und der ihn jetzt im Fall seiner Rückkehr "sehr leicht töten" könnte. "Kaku" sei ein Kommandant von "Juma Khan" gewesen, der jetzt mit der Regierung zusammenarbeite. Wenn "Juma Khan" mit der Regierung arbeite, "dann arbeiten auch seine Leute mit und verteidigen ihre Gebiete".

Diese Vorbringensteile kommen im angefochtenen Bescheid nirgends vor und wurden auch in der Verhandlung vom Sachverständigen nicht mehr in Behandlung genommen. Er äußerte sich nur zu der - unmittelbar anschließenden - Behauptung des Beschwerdeführers, erst eine Vertreibung aller Paschtunen würde ihm eine sichere Rückkehr ermöglichen.

Damit fehlt im angefochtenen Bescheid aber eine nachvollziehbare Begründung dafür, dass dem Beschwerdeführer bei Zugrundelegung seines Vorbringens abgesehen von der behaupteten - und mit schlüssiger Begründung verneinten - Bedrohung durch die paschtunische Bevölkerung im Allgemeinen nach dem Tod des von ihm besonders hervorgehobenen Kommandanten auch keine Gefahr mehr seitens anderer paschtunischer Kommandanten drohe, die an der Verfolgung seiner Familie beteiligt waren und beim Sturz der Taliban nicht ums Leben kamen, sondern die Seiten wechselten. Auf die vom Beschwerdeführer wiederholt und bis zuletzt vorgebrachte Behauptung einer solchen Bedrohung durch Personen, die unter den geänderten Verhältnissen wieder in Machtpositionen seien, findet sich auch in den von der belangten Behörde übernommenen Ausführungen des Sachverständigen, wonach es "nicht üblich" sei, "dass in Afghanistan die Täter ständig die Mitglieder der Familie ihres Opfers suchen, um sie auszuschalten", keine ausreichende Antwort.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 29. August 2006

Schlagworte

Begründung Begründungsmangel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2006190092.X00

Im RIS seit

29.09.2006
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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