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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
FrPolG 2005 §76 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Thurin, über die Beschwerde des U, vertreten durch Dr. Josef Unterweger, Mag. Robert Bitsche und Mag. Doris Einwallner, Rechtsanwälte in 1080 Wien, Buchfeldgasse 19a, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 13. April 2006, Zl. Senat-FR-06-0024, betreffend Schubhaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist folgender Sachverhalt unbestritten:
Der Beschwerdeführer reiste am 26. September 2003 illegal in Österreich ein. Sein Asylantrag wurde mit Bescheid des BAA vom 12. November 2004 abgewiesen und es wurde gleichzeitig eine Ausweisung nach § 8 Abs. 2 Asylgesetz 1997 ausgesprochen. Am 16. September 2005 heiratete der Beschwerdeführer eine österreichische Staatsangehörige und stellte einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung. Die Berufung gegen den Asylbescheid zog er zurück.
Mit Bescheid vom 22. September 2005 verhängte die Bundespolizeidirektion Wien gegen den Beschwerdeführer ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot und schloss die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Berufung aus. Das Verfahren über die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung ist noch offen.
Am 10. März 2006 ordnete die Bezirkshauptmannschaft St. Pölten gegen den am selben Tag festgenommenen Beschwerdeführer die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung an.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Schubhaftbeschwerde gemäß § 83 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ab und stellte gemäß § 83 Abs. 4 erster Satz leg. cit. fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen.
Diesen Ausspruch begründete sie nach Wiedergabe des Verwaltungsverfahrens und der maßgeblichen Gesetzesbestimmungen folgendermaßen:
"Der Anhaltung in Schubhaft liegt ein vollstreckbarer Schubhaftbescheid zugrunde. Die formelle Voraussetzung für die Anhaltung in Schubhaft liegt somit vor.
Hinsichtlich der Prüfung der materiellen Voraussetzungen für die Erlassung des Schubhaftbescheides und den Freiheitsentzug ist der Unabhängige Verwaltungssenat im Land NÖ an das vollstreckbare Aufenthaltsverbot vom 22.9.2005 (Datum der Eheschließung: 16.9.2005) gebunden. Hinzu kommt, dass der Fremde kein gültiges Reisedokument besitzt und für den weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet nicht über ausreichende Barmittel verfügt.
Zu 'den dem Einschreiter vorliegenden Informationen', dass 'seitens der nigerianischen Botschaft dem Einschreiter kein Dokument ausgestellt wird, sodass eine Abschiebung des Einschreiters nach Nigeria tatsächlich nicht möglich ist', ist anzumerken, dass derartige Spekulationen nicht in diese Entscheidung einfließen können. Sollte sich herausstellen, dass die Ausstellung eines Heimreisezertifikates deshalb verweigert wird, weil der Fremde kein nigerianischer Staatsangehöriger ist, dann läge sogar ein Tatbestand vor, der eine Ausdehnung der Anhaltung auf über zwei Monate rechtfertigen würde.
Zur Anwendbarkeit eines gelinderen Mittels: Die fehlende Bereitschaft des Fremden, seiner aus dem Aufenthaltsverbot resultierenden Ausreiseverpflichtung nachzukommen, rechtfertigt noch nicht die Verhängung der Schubhaft. Allerdings gefährdet der Aufenthalt des Fremden wegen seiner strafgerichtlichen Verurteilungen die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit, sodass der belangten Behörde im Lichte des geschilderten Sachverhaltes nicht entgegengetreten werden kann, wenn sie zur Sicherung der Abschiebung kein gelinderes Mittel als die Anhaltung in Betracht zog.
Der Fremde befindet sich erst seit 10.3.2006 in Schubhaft, sodass die Anhaltung auch noch nicht unverhältnismäßig lange dauert.
Die Beschwerde war daher abzuweisen und festzustellen, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen."
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:
Gemäß § 76 Abs. 1 FPG können Fremde festgenommen und in Schubhaft angehalten werden, sofern dies notwendig ist, um das Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung bis zum Eintritt ihrer Durchsetzbarkeit oder um die Abschiebung, die Zurückschiebung oder die Durchbeförderung zu sichern. Über Fremde, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, darf Schubhaft verhängt werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, sie würden sich dem Verfahren entziehen.
Die belangte Behörde wies selbst zutreffend darauf hin, dass eine fehlende Ausreisewilligkeit für sich allein die Verhängung der Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung nicht rechtfertigen könne (vgl. das hg. Erkenntnis vom 8. September 2005, Zl. 2005/21/0301, und zuletzt das Erkenntnis vom 22. Juni 2006, Zl. 2006/21/0081). Demnach muss das Sicherungserfordernis des § 76 Abs. 1 FPG in weiteren Umständen begründet sein, wofür etwa eine mangelnde berufliche oder soziale Verankerung im Inland in Frage käme, um die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens, als schlüssig anzusehen (vgl. auch dazu die zitierten Erkenntnisse). Diesbezüglich verwies die belangte Behörde auf das Fehlen eines gültigen Reisedokumentes des Beschwerdeführers und das Fehlen ausreichender Barmittel sowie auf die Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit durch dessen Aufenthalt. Die letztgenannte Überlegung ist indes - was die belangte Behörde verkannt hat - für die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, nicht jedoch für die Prüfung der Erforderlichkeit der Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung relevant. Es bleibt somit der Hinweis auf das Fehlen eines gültigen Reisedokumentes und das Fehlen ausreichender Barmittel. In keiner Weise befasste sich die belangte Behörde jedoch mit der festgestellten Ehe des Beschwerdeführers mit einer österreichischen Staatsangehörigen, die auch nicht als sogenannte Aufenthaltsehe gewertet wurde. Hätte die belangte Behörde Feststellungen zu einer aus dieser Ehe ableitbaren Integration des Beschwerdeführers im Inland getroffen, hätte sie in Ansehung einer allfälligen sozialen Verankerung des Beschwerdeführers im Inland zu einer anderen Beurteilung des Sicherungserfordernisses kommen können (in diesem Sinn auch das zitierte Erkenntnis Zl. 2006/21/0081).
Schon deshalb war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 31. August 2006
Schlagworte
Begründung BegründungsmangelBesondere RechtsgebieteVerfahrensbestimmungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2006210087.X00Im RIS seit
29.09.2006Zuletzt aktualisiert am
25.01.2009