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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §64 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Thurin, über die Beschwerde des N, vertreten durch Mag. Franz Karl Juraczka, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Alser Strasse 32/15, gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 21. Jänner 2004, Zl. III-1132006/FrB/04, betreffend Anordnung der Schubhaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der seinen Angaben zufolge am 16. Juni 1986 geborene Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, ist Mitte März 2003 nach Österreich eingereist und stellte unmittelbar danach einen Asylantrag, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 16. Juni 2003 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 abgewiesen wurde. Weiters wurde festgestellt, dass (unter anderem) die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria zulässig sei. Der Bescheid ist nach dem Inhalt eines Auszuges aus dem Asylwerberinformationssystem unbekämpft rechtskräftig geworden. Aus diesem Datenauszug ergibt sich auch, dass der Beschwerdeführer "bis 15.07.2003" im Rahmen der Bundesbetreuung in Wien in einer näher bezeichneten Notunterkunft untergebracht war.
Der Beschwerdeführer wurde am 6. Juli 2003 wegen des Verdachtes der Begehung einer strafbaren Handlung nach dem Suchtmittelgesetz in die Justizanstalt Josefstadt eingeliefert und in Untersuchungshaft genommen. Am 8. Juli 2003 erging die Mitteilung an die Bundespolizeidirektion Wien, dass "die Leistungen der Bundesbetreuung (Unterkunft, Verpflegung und/oder Krankenversicherung)" für den Beschwerdeführer mit Wirksamkeit vom 6. August 2003 eingestellt werden.
Bei der am 14. August 2003 durchgeführten Befragung wurde der Beschwerdeführer von der Absicht, gegen ihn ein Aufenthaltsverbot zu erlassen und ihn nach der Entlassung aus der Gerichtshaft in Schubhaft zu nehmen, in Kenntnis gesetzt. Er gab dazu an, ledig zu sein, keine Sorgepflichten zu haben und in Österreich weder über familiäre noch berufliche Bindungen zu verfügen. Er sei in Wien (an der Adresse der erwähnten Notunterkunft) gemeldet, jedoch nicht im Besitz von Barmittel. Abschließend gab der Beschwerdeführer an, sich in Untersuchungshaft zu befinden und den Termin der Hauptverhandlung im Strafverfahren noch nicht zu kennen.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 21. Jänner 2004 ordnete die Bundespolizeidirektion Wien (die belangte Behörde) gemäß § 61 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 (FrG) gegen den Beschwerdeführer die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung (§ 56 FrG) an, wobei sie aussprach, dass die Rechtsfolgen ihres Bescheides nach der Entlassung des Beschwerdeführers aus der Gerichtshaft eintreten.
Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei am 6. Juli 2003 wegen des Tatverdachtes nach dem Suchtmittelgesetz (SMG) festgenommen und in die Justizanstalt Wien Josefstadt eingeliefert worden. In der Folge sei er mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 30. Oktober 2003 wegen § 28 Abs. 2 und 3 erster Fall SMG, § 15 StGB zur einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden. Der Beschwerdeführer befinde sich "nach wie vor" in der genannten Justizanstalt "zur Strafverbüßung". Gegen den Beschwerdeführer sei dann am 12. November 2003 ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden. "Zu Österreich" bestünden weder familiäre noch berufliche Bindungen. Sein Verhalten lasse klar erkennen, dass er nicht gewillt sei, österreichische Rechtsvorschriften einzuhalten. Nach Abwägung der maßgeblichen öffentlichen Interessen gegen seine Privatinteressen fielen die öffentlichen Interessen erheblich schwerer ins Gewicht, weshalb die Interessenabwägung zu seinem Nachteil habe ausfallen müssen. Gegen Minderjährige habe die Behörde gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn, sie hätte Grund zur Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden könne. Die Anwendung eines gelinderen Mittels sei im vorliegenden Fall "jedoch auszuschließen", weil auf Grund des bisherigen Verhaltens des Beschwerdeführers die Annahme gerechtfertigt sei, dass er sich dem weiteren fremdenpolizeilichen Verfahren entziehen werde und der Zweck der Schubhaft somit nicht erreicht werden könne.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
Vorweg ist klarzustellen, dass sich die - über Ersuchen des Verwaltungsgerichtshofes, zur Frage der Vollziehung des angefochtenen Bescheides Stellung zu nehmen - erstattete Mitteilung der belangten Behörde vom 13. Juni 2006, wonach der Beschwerdeführer am 7. März 2006 aus der Strafhaft entlassen und anschließend nicht in Schubhaft genommen worden sei, nicht auf die im angefochtenen Bescheid erwähnte Gerichtshaft bezieht. Vielmehr wurde der Beschwerdeführer aus dieser Untersuchungs- und anschließenden Strafhaft (nach Verbüßung einer einjährigen Freiheitsstrafe) am 6. Juli 2004 entlassen und anschließend in Vollziehung des angefochtenen Bescheides bis 7. Oktober 2004 in Schubhaft genommen. Von der Gegenstandslosigkeit der Beschwerde ist daher im vorliegenden Fall nicht auszugehen (vgl. demgegenüber die dem hg. Beschluss vom heutigen Tag, Zl. 2003/21/0073, zugrundeliegende Konstellation).
Gemäß § 61 Abs. 1 FrG können Fremde festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern dies notwendig ist, um (unter anderem) die Abschiebung zu sichern.
Die Beschwerde bemängelt mehrfach, dem erwähnten Aufenthaltsverbot und in der Folge auch dem Schubhaftbescheid sei ein noch nicht rechtskräftiges Strafurteil zugrundegelegt worden. Das Aufenthaltsverbot gegen den unbescholtenen Beschwerdeführer sei "schon allein aufgrund der Unschuldsvermutung nichtig". Das Aufenthaltsverbot in Verbindung mit einem noch nicht rechtskräftigen Urteil wäre daher nicht als "Basis für Überlegungen heranzuziehen" gewesen, dass der Beschwerdeführer "prinzipiell nicht gewillt sei, Rechtsvorschriften einzuhalten". Offensichtlich seien das Aufenthaltsverbot und der Schubhaftbescheid "übereilt" erlassen worden und bei Letzterem das Aufenthaltsverbot "in aktenwidriger Weise gegen den Beschwerdeführer verwertet" worden.
Im Sinne dieses Beschwerdevorbringens ist der belangten Behörde vorzuwerfen, dass sie nicht klarstellte, dass das Strafurteil vom 30. Oktober 2003 im Bescheiderlassungszeitpunkt noch nicht rechtskräftig war. Vielmehr erweckte sie durch die Formulierung, der Beschwerdeführer befinde sich in der genannten Justizanstalt "zur Strafverbüßung" und nicht weiterhin in Untersuchungshaft, den Eindruck von einem rechtskräftigen Urteil. Auch in Bezug auf das Aufenthaltsverbot wurde in der Bescheidbegründung der Verfahrensstand nicht offen gelegt. Entgegen der Beschwerdemeinung kommt diesen Begründungsmängeln aber keine zur Bescheidaufhebung führende Relevanz zu.
Die belangte Behörde ordnete die Schubhaft (nur) zur Sicherung der Abschiebung an, was ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot voraussetzt. Diese Bedingung war nach der Aktenlage - unabhängig von dessen Rechtskraft - schon deshalb gegeben, weil die das Aufenthaltsverbot erlassende Erstbehörde die aufschiebende Wirkung einer Berufung ausgeschlossen hatte.
Soweit sich der Beschwerdeführer mit den wiedergegebenen Ausführungen auch inhaltlich gegen das über ihn verhängte Aufenthaltsverbot wendet, ist er auf die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofes zu verweisen, wonach die Schubhaftbehörde insoweit nur gehalten ist zu prüfen, ob das für die Festnahme und Anhaltung in Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung eine (mittelbare) Tatbestandswirkung erzeugende durchsetzbare Aufenthaltsverbot aufrecht ist. Trifft dies zu, so ist sie an dessen Bestehen gebunden und hat davon auszugehen. Das gilt nicht nur für den unabhängigen Verwaltungssenat bei der Beurteilung einer Schubhaftbeschwerde (vgl. dazu etwa das Erkenntnis vom 30. Oktober 2003, Zl. 2003/02/0161), sondern auch für eine die Schubhaft (für einen späteren Zeitpunkt) anordnende Behörde (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 18. Mai 2001, Zl. 2001/02/0048).
Aus den vorgelegten Verwaltungsakten lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass das Aufenthaltsverbot gegen den Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (26. Februar 2004) nicht durchsetzbar gewesen wäre. Gegenteiliges wird in der Beschwerde auch nur im Zusammenhang mit einer angeblichen Nichtigkeit des Aufenthaltsverbotes - für eine solche Annahme fehlt aber eine Rechtsgrundlage - behauptet. Die belangte Behörde durfte daher zu Recht vom Bestehen eines die Schubhaftanordnung tragenden durchsetzbaren Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer ausgehen.
Entgegen der Beschwerdemeinung hätte die Schubhaftanordnung aber auch nicht die Rechtskraft des Strafurteiles vorausgesetzt. Im Hinblick auf die über längere Zeit aufrecht erhaltene Untersuchungshaft durfte auch die belangte Behörde vom Bestehen eines dringenden Tatverdachtes gegen den Beschwerdeführer in Richtung eines Verstoßes gegen das Suchtmittelgesetz ausgehen und insoweit in der Bescheidbegründung auf das "bisherige Verhalten" Bezug nehmen. Im Übrigen bestätigte sich dieser Verdacht durch die am 18. Mai 2004 erfolgte rechtskräftige Verurteilung des Beschwerdeführers nach § 28 Abs. 2 SMG, § 15 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von einem Jahr.
Der in der Beschwerde wiederholt enthaltene und offenbar auf eine Unzulässigkeit der Schubhaft nach § 21 Abs. 1 Asylgesetz 1997 (idF vor der Novelle 2003) zielende Hinweis, der Beschwerdeführer sei Asylwerber, ist aktenwidrig, weil das Asylverfahren im Bescheiderlassungszeitpunkt rechtskräftig beendet war und der Beschwerdeführer erst mit Schriftsatz seines Vertreters vom 22. Juli 2004 einen weiteren Asylantrag stellte.
Schließlich macht der Beschwerdeführer in Bezug auf seine Lebensverhältnisse noch Ermittlungsmängel geltend. Die belangte Behörde hätte seiner Ansicht nach Feststellungen darüber zu treffen gehabt, "wie seine aktuellen familiären und beruflichen Bindungen sind bzw. ob er nunmehr im Besitz von baren Mitteln wäre und ob sich seine Rechtstreue gebessert hat".
Dabei lässt die Beschwerde außer Acht, dass der Beschwerdeführer zu integrationsbegründenden Umständen am 14. August 2003 befragt wurde und die belangte Behörde seiner Aussage entsprechende Feststellungen getroffen hat. Dass sich in Bezug auf seine familiären Bindungen, seine berufliche Situation, seine Mittellosigkeit oder in Bezug auf eine Unterkunft seit damals (während der Haft) die Verhältnisse maßgeblich geändert hätten, ist aber weder der Beschwerde ausreichend konkret zu entnehmen, noch bestehen dafür nach der Aktenlage Anhaltspunkte. Insbesondere fehlt jedes substanziierte Vorbringen zu einer (nach dem Verlust der Leistungen aus der Bundesbetreuung) nach der Haftentlassung bestehenden Wohnmöglichkeit und zu Möglichkeiten, den Lebensunterhalt zu erlangen. Davon ausgehend durfte die belangte Behörde vor dem Hintergrund einer fehlenden sozialen Integration das Bestehen eines Sicherungsinteresses bejahen, aber auch die Anwendung von gelinderen Mitteln verneinen. Dabei ist die belangte Behörde ohnehin davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte und bei Beginn des Schubhaftvollzuges noch nicht vollendet haben wird, und sie hat demnach die Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 zweiter Satz FrG geprüft, wobei sie der diesbezüglichen Begründungspflicht mit dem generellen Hinweis auf das "bisherige Verhalten" in Verbindung mit den getroffenen Feststellungen fallbezogen (gerade noch) ausreichend entsprochen hat (vgl. zum Ganzen das einen ähnlich gelagerten Fall betreffende hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2004/21/0133, mit weiteren Nachweisen). Diese Beurteilung wird auch nicht durch die insoweit einen Begründungsmangel behauptenden Beschwerdeausführungen entkräftet, zumal sich diese nur auf Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes beziehen, in denen sich die belangte Behörde mit der Frage der Anwendung von gelinderen Mitteln überhaupt nicht befasst hatte.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 31. August 2006
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2004210138.X00Im RIS seit
29.09.2006