TE Vfgh Erkenntnis 2002/6/10 G109/02

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Veröffentlicht am 10.06.2002
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Index

L7 Wirtschaftsrecht
L7200 Beschaffung, Vergabe

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
Stmk VergabeG 1998 §3 Abs1 Z2 lita
Stmk VergabeG 1998 §125 Abs1

Leitsatz

Gleichheitswidrigkeit einer Schwellenwertregelung im Stmk VergabeG 1998 mangels sachlicher Rechtfertigung des Ausschlusses des vergabespezifischen Rechtsschutzes im Unterschwellenbereich

Spruch

Die Wortfolge "- und Dienstleistungs" in §3 Abs1 Z2 lita idF des §125 Abs1 des Steiermärkischen Vergabegesetzes 1998 - StVergG, LGBl. für das Land Steiermark Nr. 74, idF LGBl. Nr. 66/2000 war verfassungswidrig.

Der Landeshauptmann von Steiermark ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt für das Land Steiermark verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Gestützt auf Art140 Abs1 und 4 B-VG beantragt der Verwaltungsgerichtshof aus Anlaß eines bei ihm anhängigen Beschwerdeverfahrens auszusprechen, daß die Wortfolge "- und Dienstleistungs" in §3 Abs1 Z2 lita idF des §125 Abs1 des Steiermärkischen Vergabegesetzes 1998 - StVergG, LGBl. für das Land Steiermark 74, idF LGBl. 66/2000 (in eventu §3 Abs1 Z2 lita idF des §125 Abs1 leg.cit. zur Gänze) verfassungswidrig war.

a) Begründend führt er aus, daß er über eine Beschwerde gegen einen Bescheid des Vergabekontrollsenates des Landes Steiermark zu erkennen habe, mit dem der Antrag einer Bietergemeinschaft, das Nachprüfungsverfahren einzuleiten und ein näher bezeichnetes Angebot "vom gegenständlichen Vergabeverfahren aus[zu]schließen" sowie der weiters gestellte Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung "mangels Anwendbarkeit der Bestimmungen des Steiermärkischen Vergabegesetzes 1998 über den Rechtsschutz" zurückgewiesen wurden, weil der antragsgegenständliche Dienstleistungsauftrag die in §3 Abs1 Z2 lita normierte Wertgrenze für die Anwendbarkeit der im 5. Teil des StVergG geregelten Bestimmungen über den Rechtsschutz nicht erreiche. Bei Überprüfung des angefochtenen Bescheides, der sich - bezogen auf Dienstleistungsaufträge - auf §3 Abs1 Z2 lita idF des §125 Abs1 StVergG idF LGBl. 66/2000 zu stützen scheine, habe der Verwaltungsgerichtshof (auch) diese Bestimmung anzuwenden.

b) In der Sache sieht der Verwaltungsgerichtshof unter Bezugnahme auf die hg. Erkenntnisse vom 30. November 2000, G110,111/99, vom 26. Februar 2001, G43/00, und vom 9. Oktober 2001, G10/01, keinen Grund, weshalb der gänzliche Verzicht auf einen vergabespezifischen Rechtsschutz angesichts des Mangels geeigneter zivilverfahrensrechtlicher Vorschriften, die den besonderen Bedürfnissen einer raschen - vielfach keinen Aufschub duldenden - vergaberechtlichen Rechtskontrolle Rechnung tragen, nicht auch im vorliegenden Fall zu einem gleichheitswidrigen Ergebnis führen sollte.

2. Die Steiermärkische Landesregierung hat von der Erstattung einer Äußerung Abstand genommen. Die beschwerdeführenden Gesellschaften des Anlaßverfahrens sind den Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes beigetreten.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Es ist nichts hervorgekommen, was daran zweifeln ließe, daß der Verwaltungsgerichtshof bei Erledigung der bei ihm anhängigen Beschwerde, die Anlaß zur Stellung des vorliegenden Antrages bot, die angefochtene Wortfolge anzuwenden hätte.

§3 Abs1 Z2 lita StVergG regelt zwei Auftragsarten, sodaß ein allfälliger Ausspruch im Sinne des Primärbegehrens den zweiten, Lieferaufträge betreffenden und vom Verwaltungsgerichtshof offenkundig nicht anzuwendenden Teil dieser Bestimmung unberührt ließe (vgl. VfSlg. 12.292/1990, 14.095/1995). Der Primärantrag des Verwaltungsgerichtshofes ist daher, da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, zulässig.

2. Der Antrag ist auch begründet:

a) Die vom Verwaltungsgerichtshof angefochtene Regelung stand in folgendem normativen Zusammenhang:

Das StVergG regelt die Vergabe von Lieferaufträgen, Bauaufträgen, Baukonzessionsaufträgen und Dienstleistungsaufträgen durch öffentliche Auftraggeber (§1). Nach Abs1 des unter der Überschrift "Anwendungsbereich bei der Vergabe von Aufträgen oberhalb der Schwellenwerte" stehenden §2 ist

"[d]ieses Gesetz ... - mit Ausnahme des 3. Teiles - anzuwenden, wenn der geschätzte Auftragswert ohne Umsatzsteuer

1. bei der Vergabe von Liefer- und Dienstleistungsaufträgen mindestens 200.000 Euro und

2. bei der Vergabe von Bau- und Baukonzessionsaufträgen mindestens 5 Millionen Euro

beträgt".

Hinsichtlich des "Anwendungsbereich[es] bei der Vergabe von Aufträgen unterhalb der Schwellenwerte" ordnet §3 Abs1 an:

"(1) Für die Vergabe von Aufträgen, deren geschätzter Auftragswert die im §2 festgelegten Schwellenwerte nicht erreicht, gilt dieses Gesetz mit der Maßgabe, daß

1. die Bestimmungen des 4. Teiles und des 3. Hauptstückes des 5. Teiles nicht anzuwenden sind und

2. die übrigen Bestimmungen des 5. Teiles nur anzuwenden sind, wenn der Auftragswert ohne Umsatzsteuer

a)

bei der Vergabe von Liefer- und Dienstleistungsaufträgen mindestens 75.000 Euro und

b)

bei der Vergabe von Bau- und Baukonzessions-aufträgen mindestens 500.000 Euro

beträgt."

Die soeben wiedergegebenen Bestimmungen gehen auf die Novelle LGBl. 66/2000 zurück und sind gemäß §122a Abs1 StVergG mit 1. November 2000 in Kraft getreten, jedoch lautet §3 Abs1 Z2 gemäß der "Übergangsvorschrift" des §125 Abs1 StVergG idF LGBl. 66/2000 "bis zum 31. Dezember 2001" wie folgt (die in Prüfung stehende Wortfolge ist hervorgehoben):

"2. die übrigen Bestimmungen des 5. Teiles nur anzuwenden sind, wenn der Auftragswert ohne Umsatzsteuer

a)

bei der Vergabe von Liefer- und Dienstleistungsaufträgen mindestens eine Million Schilling und

b)

bei der Vergabe von Bau- und Baukonzessionsaufträgen mindestens 7 Millionen Schilling

beträgt."

[Der mit hg. Erkenntnis vom 26. Februar 2002, G349/01, erfolgte Ausspruch, daß die Wortfolge "Bau- und" in litb der soeben wiedergegebenen Bestimmung verfassungswidrig war, wurde zwischenzeitig im LGBl. 38/2002 kundgemacht.]

3. a) Wie der Verwaltungsgerichtshof zu Recht dartut, hat der Verfassungsgerichtshof schon mehrfach die Auffassung vertreten, daß es dem Gleichheitssatz widerspricht, bei der Vergabe von Aufträgen durch öffentliche Auftraggeber im Unterschwellenbereich auf eine außenwirksame Regelung, die den Bewerbern und Bietern wenigstens ein Minimum an Verfahrensgarantien zur Verfügung stellt, gänzlich zu verzichten und die Bewerber und Bieter damit vom vergabespezifischen Rechtsschutz auszuschließen (VfGH 30.11.2000, G110,111/99; 26.2.2001, G43/00; 9.10.2001, G10/01, sowie jeweils 26.2.2002, G349/01; G350/01; G351-355/01; G363/01; G17/02). Daher steht auch die vom Verwaltungsgerichtshof (primär) angefochtene Wortfolge "- und Dienstleistungs" in §3 Abs1 Z2 lita idF des §125 Abs1 des StVergG idF LGBl. 66/2000, die einen solchen vergabespezifischen Rechtsschutz bei Dienstleistungsaufträgen unterhalb bestimmter Schwellenwerte ausschließt, mit dem auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitssatz in Widerspruch. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird auf die erwähnten Erkenntnisse verwiesen.

Da sohin die zur Aufhebung beantragte Wortfolge mit Gleichheitswidrigkeit belastet ist, diese Bestimmung zufolge des §125 Abs1 Einleitungssatz StVergG mit Ablauf des 31. Dezember 2001 außer Kraft getreten ist, war gemäß Art140 Abs4 B-VG auszusprechen, daß die genannte Wortfolge verfassungswidrig war.

b) Die Verpflichtung des Landeshauptmannes zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches erfließt aus Art140 Abs5 zweiter Satz B-VG und §64 Abs2 VfGG.

III. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z2 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Rechtsschutz, Vergabewesen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2002:G109.2002

Dokumentnummer

JFT_09979390_02G00109_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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