TE OGH 1997/10/15 10ObS349/97i

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Veröffentlicht am 15.10.1997
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ehmayr und Dr.Danzl als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Reinhard Drössler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wilhelm Hackl (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Michael A*****, vertreten durch die Sachwalterin Sieglinde I*****, diese vertreten durch Dr.Gottfried Eypeltauer, Dr.Alfred Hawel und Dr.Ernst Eypeltauer, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Pflegegeld, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 15.Juli 1997, GZ 12 Rs 178/97a-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 6.März 1997, GZ 6 Cgs 50/96p-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Sozialrechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen. Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten erster Instanz.

Text

Begründung:

Der am 19.10.1971 geborene Kläger leidet seit Kindheit an einer psychischen Behinderung wegen Schizophrenie und Depressionen. Er lebt in einer Wohngemeinschaft im Rahmen einer sog. geschützten Institution. Die von ihm bewohnte Wohneinheit ist mit Bad, WC und einer Küche mit Elektroherd ausgestattet. Er bezieht Essen auf Rädern, bereitet sich aber einfache Mahlzeiten selbst zu, weil ihm diese Küche zur Verfügung steht und ihm das Kochen "manchmal Spaß macht". Seit November 1995 bezieht er eine Invaliditätspenion; mit Beschluß des Bezirksgerichtes Linz wurde eine Sachwalterin für ihn bestellt. Aus medizinischer Sicht benötigt er derzeit Hilfestellungen bei den Hilfsverrichtungen der Reinigung der Wohnung und der persönlichen Gebrauchsgegenstände, der Pflege der Leib- und Bettwäsche sowie für Mobilitätshilfe im weiteren Sinne. In der Wohngemeinschaft wird seine Tagesstruktur mehr oder weniger vorgegeben, ebenso die Einhaltung bestimmter Regeln und ist auch eine ausreichende Kommunikation durch diese Rahmenbedingungen sozusagen vorgegeben, ansonsten ein Abgleiten in autistische Zustände gegeben wäre. In diesem Falle würden als zusätzliche Pflegepositionen noch das Herbeischaffen von Lebensmitteln und Medikamenten sowie die Zubereitung von Mahlzeiten kommen.

Mit Bescheid vom 20.12.1995 lehnte die beklagte Partei seinen Antrag vom 8.8.1995 auf Gewährung von Pflegegeld ab.

In seiner Klage stellte der Kläger das Begehren auf Zuerkennung des Pflegegeldes ab 1.8.1995 im gesetzlichen Ausmaß.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es beurteilte den eingangs zusammengefaßt wiedergegebenen Sachverhalt rechtlich dahin, daß sein monatlicher Gesamtpflegebedarf von derzeit nur 30 Stunden pro Monat die für die Pflegegeldstufe 1 erforderliche Mindeststundenanzahl von 50 nicht erreiche.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es führte (in rechtlicher Hinsicht) noch ergänzend aus, daß sich die in der Wohngemeinschaft gesicherten Rahmenbedingungen (vorgegebene Tagesstruktur, verpflichtende Einhaltung bestimmter Regeln und ausreichende Kommunikation) nicht als Pflegeleistungen, wie sie das BPGG im Auge habe, darstellten, sondern als soziale Hilfestellungen für ein menschenwürdiges Dasein, welche sozusagen den günstigen Nebeneffekt hätten, daß dadurch auch eine Verschlechterung der geistigen bzw psychischen Krankheit des Klägers vermieden werden könne. Auch § 4 der EinstV habe nur jene Fälle im Auge, in denen die Anwesenheit der Betreuungsperson während der Verrichtung erforderlich sei.Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es führte (in rechtlicher Hinsicht) noch ergänzend aus, daß sich die in der Wohngemeinschaft gesicherten Rahmenbedingungen (vorgegebene Tagesstruktur, verpflichtende Einhaltung bestimmter Regeln und ausreichende Kommunikation) nicht als Pflegeleistungen, wie sie das BPGG im Auge habe, darstellten, sondern als soziale Hilfestellungen für ein menschenwürdiges Dasein, welche sozusagen den günstigen Nebeneffekt hätten, daß dadurch auch eine Verschlechterung der geistigen bzw psychischen Krankheit des Klägers vermieden werden könne. Auch Paragraph 4, der EinstV habe nur jene Fälle im Auge, in denen die Anwesenheit der Betreuungsperson während der Verrichtung erforderlich sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision des Klägers mit dem Antrag, ihm das Pflegegeld der Stufe 1 ab 1.8.1995 zuzuerkennen. Die Revision ist gemäß § 46 Abs 3 ASGG auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen des Abs 1 leg cit zulässig und im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrages auch berechtigt. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.Gegen dieses Urteil richtet sich die auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision des Klägers mit dem Antrag, ihm das Pflegegeld der Stufe 1 ab 1.8.1995 zuzuerkennen. Die Revision ist gemäß Paragraph 46, Absatz 3, ASGG auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen des Absatz eins, leg cit zulässig und im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrages auch berechtigt. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Der Argumentation des Revisionswerbers zur Anrechenbarkeit des Betreuungsaufwandes der auch vom neurologischen Sachverständigen anerkannten "Unterstützungsmaßnahmen im Rahmen der Wohngemeinschaft zur Bildungsförderung und Aggressionsdämpfung" ist zunächst entgegenzuhalten, daß der Oberste Gerichtshof erst jüngst in seiner Entscheidung 10 ObS 187/97s ausgeführt hat, daß für therapeutische Betreuungen, sie sich ausschließlich auf nicht in den §§ 1 und 2 EinstV erfaßte Lebensbereiche - etwa im Sinne einer "Betreuungstherapie" geistig behinderter Personen - erstrecken, eine pflegegeldrelevante Rechtsgrundlage fehlt und ein solcher Pflegeaufwand daher grundsätzlich nicht die für eine bestimmte Pflegegeldstufe erforderliche Stundenzahl anzuheben vermag. Allerdings fehlen im vorliegenden Fall verläßliche und für die rechtliche Beurteilung unerläßliche Feststellungen darüber, daß sich der Kläger nicht ordentliche warme Mahlzeiten ohne fremde Hilfe grundsätzlich zubereiten kann. Die Feststellung, daß er sich "einfache" (?) Mahlzeiten zubereitet, wenn es ihm "Spaß macht", sagt nämlich nichts darüber aus, ob er hiezu körperlich und geistig (mit oder ohne Anleitung) in der Lage wäre. Anhaltspunkte dafür, daß er hiezu (grundsätzlich) imstande ist, sind durch die getroffene (wenngleich vage) Feststellung jedenfalls indiziert (SSV-NF 4/135; 10 ObS 2176/96i = infas 1997 S 11). In der Entscheidung SSV-NF 9/42 wurde ausgeführt, daß für die Zubereitung von Mahlzeiten dann kein Betreuungsaufwand anzunehmen ist, wenn ein Pflegegeldwerber die Gewandtheit besitzt, sich nicht nur unter Verwendung der handelsüblichen Tiefkühlkost und von Fertiggerichten, sondern grundsätzlich auch aus Frischprodukten komplette Mahlzeiten (Hausmannskost) zuzubereiten. Der vom Erstgericht gewählte Begriff der "einfachen Mahlzeit" ist daher ebenfalls noch aufklärungsbedürftig. Der Umstand allein, daß der Kläger (derzeit und solange er im Wohnheim untergebracht ist) Essen auf Rädern bezieht und durch die Einbindung in die Wohngemeinschaft mit geregelter Organisation und Strukturierung nicht kochen müßte, um sich zu erhalten, ist hingegen für sich allein unmaßgeblich; andernfalls könnte auch etwa der Insasse in einem Altersheim, dem von der Heimküche die Mahlzeiten zubereitet werden, der hiezu jedoch grundsätzlich auch in der Lage wäre, selbst zu kochen, diesen Pflegeaufwand ansprechen oder ein in gewissen (anderen) Bereichen Behinderter, der zu Hause lebt und dem seine Frau das Essen regelmäßig zubereitet, der jedoch auch dort hiezu grundsätzlich selbst in der Lage wäre, dies jedoch aus Gewohnheit oder auch familiärer "Tradition" durch seine Partnerin machen läßt und nur gelegentlich selbst hiezu "Lust verspürt", um sie zu entlasten oäm. Nur wenn feststeht, daß der Kläger zur regelmäßigen Zubereitung einer warmen Hauptmahlzeit unfähig ist, ist aber der in § 1 Abs 4 EinstV vorgesehene Mindestbedarf in Rechnung zu stellen (Pfeil, BPGG 87 mwN). In diesem Falle würde der Kläger die für die von ihm begehrte Pflegegeldstufe 1 erforderliche Mindeststundenzahl von 50 (monatlich insgesamt) überschreiten und wäre seinem Klagebegehren somit Folge zu geben.Der Argumentation des Revisionswerbers zur Anrechenbarkeit des Betreuungsaufwandes der auch vom neurologischen Sachverständigen anerkannten "Unterstützungsmaßnahmen im Rahmen der Wohngemeinschaft zur Bildungsförderung und Aggressionsdämpfung" ist zunächst entgegenzuhalten, daß der Oberste Gerichtshof erst jüngst in seiner Entscheidung 10 ObS 187/97s ausgeführt hat, daß für therapeutische Betreuungen, sie sich ausschließlich auf nicht in den Paragraphen eins und 2 EinstV erfaßte Lebensbereiche - etwa im Sinne einer "Betreuungstherapie" geistig behinderter Personen - erstrecken, eine pflegegeldrelevante Rechtsgrundlage fehlt und ein solcher Pflegeaufwand daher grundsätzlich nicht die für eine bestimmte Pflegegeldstufe erforderliche Stundenzahl anzuheben vermag. Allerdings fehlen im vorliegenden Fall verläßliche und für die rechtliche Beurteilung unerläßliche Feststellungen darüber, daß sich der Kläger nicht ordentliche warme Mahlzeiten ohne fremde Hilfe grundsätzlich zubereiten kann. Die Feststellung, daß er sich "einfache" (?) Mahlzeiten zubereitet, wenn es ihm "Spaß macht", sagt nämlich nichts darüber aus, ob er hiezu körperlich und geistig (mit oder ohne Anleitung) in der Lage wäre. Anhaltspunkte dafür, daß er hiezu (grundsätzlich) imstande ist, sind durch die getroffene (wenngleich vage) Feststellung jedenfalls indiziert (SSV-NF 4/135; 10 ObS 2176/96i = infas 1997 S 11). In der Entscheidung SSV-NF 9/42 wurde ausgeführt, daß für die Zubereitung von Mahlzeiten dann kein Betreuungsaufwand anzunehmen ist, wenn ein Pflegegeldwerber die Gewandtheit besitzt, sich nicht nur unter Verwendung der handelsüblichen Tiefkühlkost und von Fertiggerichten, sondern grundsätzlich auch aus Frischprodukten komplette Mahlzeiten (Hausmannskost) zuzubereiten. Der vom Erstgericht gewählte Begriff der "einfachen Mahlzeit" ist daher ebenfalls noch aufklärungsbedürftig. Der Umstand allein, daß der Kläger (derzeit und solange er im Wohnheim untergebracht ist) Essen auf Rädern bezieht und durch die Einbindung in die Wohngemeinschaft mit geregelter Organisation und Strukturierung nicht kochen müßte, um sich zu erhalten, ist hingegen für sich allein unmaßgeblich; andernfalls könnte auch etwa der Insasse in einem Altersheim, dem von der Heimküche die Mahlzeiten zubereitet werden, der hiezu jedoch grundsätzlich auch in der Lage wäre, selbst zu kochen, diesen Pflegeaufwand ansprechen oder ein in gewissen (anderen) Bereichen Behinderter, der zu Hause lebt und dem seine Frau das Essen regelmäßig zubereitet, der jedoch auch dort hiezu grundsätzlich selbst in der Lage wäre, dies jedoch aus Gewohnheit oder auch familiärer "Tradition" durch seine Partnerin machen läßt und nur gelegentlich selbst hiezu "Lust verspürt", um sie zu entlasten oäm. Nur wenn feststeht, daß der Kläger zur regelmäßigen Zubereitung einer warmen Hauptmahlzeit unfähig ist, ist aber der in Paragraph eins, Absatz 4, EinstV vorgesehene Mindestbedarf in Rechnung zu stellen (Pfeil, BPGG 87 mwN). In diesem Falle würde der Kläger die für die von ihm begehrte Pflegegeldstufe 1 erforderliche Mindeststundenzahl von 50 (monatlich insgesamt) überschreiten und wäre seinem Klagebegehren somit Folge zu geben.

Da sohin für die abschließende rechtliche Beurteilung wesentliche Fragen noch ungeklärt sind, waren die Entscheidungen der Vorinstanzen zur Ergänzung des Verfahrens im aufgezeigten Sinne aufzuheben.

Der Kostenvorbehalt ist in § 52 Abs 1 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG begründet.Der Kostenvorbehalt ist in Paragraph 52, Absatz eins, ZPO in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, ASGG begründet.

Anmerkung

E47868 10C03497

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1997:010OBS00349.97I.1015.000

Dokumentnummer

JJT_19971015_OGH0002_010OBS00349_97I0000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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