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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hofer, über die Beschwerde des OO in W, geboren am 12. Juni 1986, vertreten durch Mag. Sonja Scheed, Rechtsanwalt in 1220 Wien, Brachelligasse 16, gegen den am 21. November 2005 mündlich verkündeten und am 23. März 2006 schriftlich ausgefertigten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates, Zlen. 255.730/3- II/04/05 und 255.730/4-II/04/05, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird insoweit, als damit Spruchpunkt III des erstinstanzlichen Bescheides (Ausweisung des Beschwerdeführers "aus dem österreichischen Bundesgebiet") bestätigt wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Nigeria, gelangte (nach seinen Angaben) am 15. September 2003 in das Bundesgebiet und beantragte am selben Tag Asyl. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 25. November 2004 gab der Beschwerdeführer an, es habe einen "Landstreit" innerhalb seines Dorfes gegeben. Er habe deswegen seit 1991 nicht mehr zu Hause, sondern in einer "Mission der Kirche" in der Nähe des Heimatdorfes gelebt, sei aber 2000 zu seinem Vater zurückgekehrt. Sein Vater - über diesen hatte der Beschwerdeführer zunächst angegeben, er sei am 27. Februar 2003 verstorben - sei der "Häuptling" des Dorfes gewesen und sei am 20. Mai 2003 getötet worden. Über Vorhalt, dass der Beschwerdeführer zuvor angegeben hätte, sein Vater sei schon früher verstorben, führte der Beschwerdeführer aus, er habe am 20. Mai 2003 durch seine Tante, die er von Österreich aus angerufen habe, vom Tod seines Vaters erfahren. Über Vorhalt, dass der Beschwerdeführer nach seinen früher gemachten Angaben am 20. Mai 2003 noch gar nicht in Österreich gewesen sei, gab er an:
"Ich habe meine Tante dieses Jahr angerufen und sie hat mir den Todestag meines Vaters erzählt."
Aufgefordert, den Grund seiner Ausreise konkret zu schildern, gab der Beschwerdeführer an, ihm sei "zwei Tage vor dem Verlassen Nigerias" mitgeteilt worden, dass sein Vater tot sei; es sei "der Instinkt (gewesen), der mir das sagte". Entführte Personen würden "normalerweise" getötet. Da der Beschwerdeführer der älteste Sohn gewesen sei, sei es für ihn "ratsam (gewesen), das Land zu verlassen". Wer seinen Vater entführt habe, wisse er nicht, es gebe "zwei Gruppen, die gegeneinander kämpfen". Er habe Angst gehabt, auch gekidnappt zu werden, "da sie unsere Familie auslöschen wollten, um an das Land heranzukommen". An einem anderen Ort Nigerias sei er auch nicht sicher, weil viele Leute verschwinden und umgebracht würden.
Mit Bescheid vom 25. November 2004 wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab (Spruchpunkt I.); weiters wurde gemäß § 8 Abs. 1 AsylG die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria festgestellt (Spruchpunkt II.) und der Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 AsylG "aus dem österreichischen Bundesgebiet" ausgewiesen (Spruchpunkt III.). Das Bundesasylamt traf Feststellungen zur allgemeinen Situation in Nigeria. Das Vorbringen des Beschwerdeführers sei unglaubwürdig, sodass eine asylrelevante Verfolgung in Nigeria nicht habe festgestellt werden können. Neben Bedenken hinsichtlich des - bei der Befragung unterschiedlich angegebenen - Alters des (älter wirkenden) Beschwerdeführers führte die belangte Behörde an, dass in dessen Aussage auch "nach jeweiliger Hinterfragung (...) kaum Details, Interaktionen oder glaubhafte Emotionen ans Licht" gekommen seien. Die Ausführungen hinsichtlich des Todes des Vaters seien "völlig widersprüchlich" gewesen. Die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln sei in Nigeria grundsätzlich gewährleistet, sodass der Beschwerdeführer im Falle der Abschiebung in keine aussichtslose Situation geraten würde. Der Beschwerdeführer habe keine familiären Beziehungen in Österreich.
Gegen diese Entscheidung erhob der Beschwerdeführer Berufung, die die belangte Behörde - nach Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung - mit dem angefochtenen Bescheid gemäß §§ 7 und 8 Abs. 1 und 2 AsylG abwies. Die belangte Behörde schloss sich in der (in der Verhandlungsschrift beurkundeten) Begründung ihrer Entscheidung der Beurteilung des Bundesasylamtes hinsichtlich der mangelnden Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers an. Dieser habe bei seiner Einvernahme in der Berufungsverhandlung die schon früher gegebenen "Inkonsistenzen" hinsichtlich des Todes seines Vaters "um einen weiteren, fraglos gravierenden Widerspruch bereichert" (der Beschwerdeführer habe in der Berufungsverhandlung erstmals angegeben, Augenzeuge der Entführung seines Vaters geworden zu sein, sei jedoch in der Folge nicht einmal ansatzweise in der Lage gewesen, den Widerspruch zu seinen erstinstanzlichen Angaben - wonach er erst nach dem Tatzeitpunkt hievon erfahren habe - nachvollziehbar aufzuklären; vielmehr habe er versucht, seine erstinstanzlichen Angaben zu bestreiten). Darüber hinaus habe die der Berufungsverhandlung beigezogene Sachverständige - mit näherer Begründung - hervorgehoben, dass gerade bei einem lokalen "Chief" die vom Beschwerdeführer geschilderten Ereignisse äußerst unwahrscheinlich seien. Da auch sonst keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer relevanten sonstigen Gefährdung des Beschwerdeführers hervorgekommen seien, sei die Berufung gegen die Spruchteile I und II des angefochtenen Bescheides abzuweisen gewesen. Auch die gegen Spruchteil III gerichtete Berufung sei abzuweisen gewesen, wobei die nicht zielstaatsbezogene Fassung dieses Spruchteiles "im Interesse möglichster Wahrung der Dispositionsfreiheit" des Beschwerdeführers beizubehalten gewesen sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
1. Die Beweiswürdigung ist nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich, als es sich um deren Schlüssigkeit - also die Übereinstimmung mit den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut - oder darum handelt, ob die gewürdigten Beweise einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden sind.
Dem Beschwerdeführer gelingt es in seiner Beschwerde nicht, Zweifel an der Schlüssigkeit der von der belangten Behörde vorgenommenen Beweiswürdigung aufzuzeigen. Auf die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Mängel hinsichtlich der Qualifikation der von der belangten Behörde herangezogenen Sachverständigen ist nicht einzugehen, weil die belangte Behörde schon auf Grund der von ihr zutreffend hervorgehobenen Widersprüche die Unglaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers schlüssig begründet hat.
Die belangte Behörde ist daher zutreffend vom Fehlen einer asylrelevanten Verfolgungsgefahr und eines Refoulementhindernisses ausgegangen, sodass die Beschwerde, soweit sie sich gegen die Bestätigung der Spruchpunkte I. und II. des erstinstanzlichen Bescheides richtet, gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.
2. Die Beschwerde ist jedoch hinsichtlich der unveränderten Bestätigung des Spruchpunktes III. des erstinstanzlichen Bescheides erfolgreich.
Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, er sei hinsichtlich des "Vorbringens familiärer Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet" nicht belehrt worden, sodass er an einer diesbezüglichen "substantiierten Behauptung" gehindert gewesen sei, ist er zwar darauf zu verweisen, dass die Feststellung des Fehlens familiärer Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet bereits im erstinstanzlichen Bescheid enthalten war und der Beschwerdeführer dieser Feststellung weder in seiner Berufung noch in seiner Aussage vor der belangten Behörde entgegengetreten ist.
Die belangte Behörde hat aber verkannt, dass die Asylbehörden in einem Fall wie dem vorliegenden nicht berechtigt sind, die Ausweisung eines Asylwerbers ohne Einschränkung auf den Herkunftsstaat auszusprechen. Hiezu kann gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das - nach Verkündung des angefochtenen Bescheides ergangene - hg. Erkenntnis vom 13. Dezember 2005, Zl. 2005/01/0625, und die dort angeführte Vorjudikatur verwiesen werden.
Es war daher die Bestätigung des Spruchpunktes III. des erstinstanzlichen Bescheides gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
3. Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am 5. September 2006
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2006200021.X00Im RIS seit
04.10.2006