TE Vwgh Erkenntnis 2006/9/5 2006/18/0162

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Veröffentlicht am 05.09.2006
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Index

E2D Assoziierung Türkei;
E2D E02401013;
E2D E05204000;
E2D E11401020;
19/05 Menschenrechte;
20/02 Familienrecht;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

ARB1/80 Art6 Abs1;
EheG §23 Abs1;
EheG §23;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
FrPolG 2005 §60 Abs6;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
MRK Art8 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ströbl, über die Beschwerde des Y D, (geboren 1980), vertreten durch Dr. Thaddäus Kleisinger, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Fleischmarkt 28, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 18. April 2006, Zl. SD 721/03, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 18. April 2006 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 Z. 1 iVm Abs. 2 Z. 9 sowie § 63 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100 idF BGBl. I Nr. 157/2005, ein Aufenthaltsverbot in der Dauer von fünf Jahren erlassen.

Der Beschwerdeführer habe am 11. Februar 2002 in der Türkei eine namentlich genannte österreichische Staatsbürgerin geheiratet. Im Anschluss daran sei dem Beschwerdeführer von der Bezirkshauptmannschaft Baden eine vom 29. März 2002 bis zum 12. November 2002 gültige Niederlassungsbewilligung zum Zweck "Familiengemeinschaft mit Österreicher" erteilt worden.

Der Beschwerdeführer habe in weiterer Folge die Einbringung eines rechtzeitigen Verlängerungsantrages unterlassen, woraufhin er im März 2003 im Zuge einer polizeilichen Anhaltung auf Grund seines fehlenden Aufenthaltstitels zunächst wegen Übertretung des Fremdengesetzes 1997 in Schubhaft genommen worden sei. Wegen seines unrechtmäßigen Aufenthalts sei er rechtskräftig bestraft worden. Nachdem der Beschwerdeführer erst am 12. März 2003 einen Verlängerungsantrag gestellt habe, sei der erstinstanzliche Bescheid vom 25. Juni 2003 erlassen worden.

Mit Urteil des Bezirksgerichts Fünfhaus vom 27. Juni 2005, bestätigt durch das Landesgericht für Zivilrechtssachen am 7. Dezember 2005, sei die Ehe des Beschwerdeführers gemäß § 23 des Ehegesetzes rechtskräftig für nichtig erklärt worden. Aus den Entscheidungsgründen der beiden Urteile bzw. aus dem (diesen zugrunde liegenden) Außerstreitakt ergebe sich, dass die gegenständliche Ehe ausschließlich deshalb geschlossen worden sei, um dem Beschwerdeführer die Möglichkeit zu verschaffen, problemlos eine Arbeits- und eine Aufenthaltsbewilligung und damit eine Anwartschaft auf den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft zu erlangen. Die Aufnahme einer ehelichen Gemeinschaft sei von den Ehegatten nie beabsichtigt gewesen und auch nie erfolgt. Sie hätten nie sexuellen Kontakt gehabt, sie hätten auch nie zusammen gewohnt, die Meldung des Beschwerdeführers an der Meldeadresse seiner früheren Ehefrau sei lediglich eine Scheinanmeldung gewesen. Diese Vereinbarungen seien auf Grund der fehlenden Verständigungsmöglichkeiten der Ehegatten über den namentlich genannten Vermittler getroffen worden, welcher der Ehefrau als Gegenleistung für die vorliegende Eheschließung nach der Rückkehr aus der Türkei einen Geldbetrag in der Höhe von S 45.000,-- (EUR 3.270,28) ausbezahlt habe.

Zu diesen Feststellungen seien die Gerichte vor allem durch die schlüssigen, in sich widerspruchsfreien, von der Ehefrau anlässlich ihrer Befragung vor dem Gendarmerieposten Alland am 23. Oktober 2002 wie auch anlässlich ihrer gerichtlichen Vernehmung vor dem Bezirksgericht Baden getätigten übereinstimmenden Aussagen gelangt. Zudem hätten zwei weitere Zeuginnen ausgesagt, welche ebenso über denselben Vermittler zwei Scheinehen eingegangen seien, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers ihnen gegenüber geäußert hätte, dass sie selbst gegen Entgelt eine Scheinehe mit einem türkischen Staatsbürger geschlossen hätte, ohne wirklich eine Ehe aufnehmen zu wollen. Dies erscheine im Übrigen umso glaubwürdiger, als beide Zeuginnen übereinstimmend angegeben hätten, dass sie gemeinsam mit der Ehefrau des Beschwerdeführers sowie dem Scheinehenvermittler nach Istanbul geflogen wären, und sich im Fremdenpolizeiakt eine Passagierliste vom Flug am 4. April 2004 von Wien nach Istanbul befinde, in welcher sämtliche genannten Personen als Passagiere desselben Flugs aufscheinen würden. Die hinsichtlich des Geldflusses und der nicht beabsichtigten Aufnahme der Ehegemeinschaft leugnende Verantwortung des Beschwerdeführers sei von den Gerichten zu Recht als Schutzbehauptung gewertet worden, habe der Beschwerdeführer doch zur Untermauerung seiner Ansicht keinerlei Zeugen anführen können. Zudem habe das Gericht im erstinstanzlichen Urteil zutreffend Widersprüchlichkeiten in der Art und Weise des angeblichen Kennenlernens aufgezeigt und mit der Lebenserfahrung nicht in Einklang bringen können.

Die belangte Behörde habe daher als erwiesen angenommen, dass der Beschwerdeführer mit der österreichischen Staatsbürgerin die Ehe geschlossen und sich für die Erteilung eines Aufenthaltstitels auf diese berufen habe, ohne mit seiner Ehefrau ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK geführt zu haben, und zudem für die Eheschließung einem ihm zurechenbaren Vermögensvorteil geleistet habe. Von daher seien zweifelsfrei die Voraussetzungen des vorliegend anzuwendenden § 60 Abs. 2 Z. 9 FPG (der im Übrigen die Leistung eines Vermögensvorteils nicht als Tatbestandsvoraussetzung normiere) erfüllt.

Der Missbruch des Rechtsinstituts der Ehe zur Erlangung fremdenrechtlich bedeutsamer Rechte stelle, was der Gesetzgeber durch die Norm des § 60 Abs. 2 Z. 9 FPG deutlich zum Ausdruck gebracht habe, eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar, welche die Erlassung eines Aufenthaltsverbots selbst dann rechtfertige, wenn kein Geldfluss für die Eheschließung nachweisbar sei. Umso mehr müsse dies für den gegenständlichen Fall gelten, wo zweifelsfrei die Leistung des besagten (im Übrigen nicht unbedeutenden) Vermögensvorteils erfolgt sei. Diese Gefährdung der öffentlichen Ordnung sei nach wie vor gegeben, weil die rechtsmissbräuchliche Eheschließung erst etwas mehr als vier Jahre zurückliege.

Der Beschwerdeführer sei seit etwas mehr als vier Jahren im Bundesgebiet aufhältig. Hier lebten laut den Angaben des Beschwerdeführers neben einem Bruder noch "zahlreiche Onkel". Es sei daher von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in sein Privat- und Familienleben auszugehen. Dessen ungeachtet sei dieser Eingriff zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, somit zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele, dringend geboten. Wer sich - wie der Beschwerdeführer - auf die dargestellte Art rechtsmissbräuchlich verhalte, um sich aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts wesentliche Berechtigungen zu verschaffen, verstoße gegen gewichtige öffentliche Interessen, die ein Aufenthaltsverbot zum Schutz der öffentlichen Ordnung notwendig erscheinen ließen.

Die Zulässigkeit des Aufenthaltsverbots sei auch im Rahmen der gemäß § 66 Abs. 1 und 2 FPG gebotenen Interessensabwägung zu bejahen. Nur auf Grund der durch seine Eheschließung mit einer österreichischen Staatsbürgerin bevorzugten Stellung nach dem AuslBG habe der Beschwerdeführer einer unselbständigen Beschäftigung nachgehen können, weshalb auch seine durch den etwa vierjährigen Aufenthalt erzielte Integration wesentlich geschmälert werde. Dies umso mehr, als letztlich auch die Rechtmäßigkeit seines Aufenthalts auf dem besagten rechtsmissbräuchlichen Verhalten basiere. Von daher gesehen hätten die privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers gegenüber dem hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens in den Hintergrund treten müssen. Bei einer Abwägung dieser Interessenslagen ergebe sich sohin, dass die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers und seiner Verwandten (ein gemeinsamer Haushalt mit den Familienangehörigen sei im Übrigen nicht einmal behauptet worden) an einem Verbleib im Bundesgebiet keinesfalls schwerer wögen, als das öffentliche Interesse an der Erlassung dieser Maßnahme.

Da sonst keine besonderen, zugunsten des Beschwerdeführers sprechenden Umstände gegeben gewesen seien, habe die belangte Behörde angesichts des vorliegenden Sachverhalts von der Erlassung des Aufenthaltsverbots auch nicht im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand nehmen können.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Beschwerde stellt nicht in Abrede, dass die besagte Ehe des Beschwerdeführers mit dem durch das Landesgericht für Zivilrechtssachen bestätigten Urteil des Bezirksgerichts Fünfhaus nach § 23 des Ehegesetzes für nichtig erklärt wurde. Durch das besagte Urteil wurde bindend festgestellt, dass der Beschwerdeführer die Ehe ausschließlich oder vorwiegend zu einem der in § 23 Abs. 1 des Ehegesetzes genannten Zwecke geschlossen habe, ohne dass eine eheliche Lebensgemeinschaft hätte begründet werden sollen. Vor diesem Hintergrund erfüllt das Verhalten des Beschwerdeführers den Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 9 FPG.

Angesichts des hohen Stellenwertes, welcher der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) zukommt, kann es (entgegen der Beschwerde) nicht als rechtswidrig angesehen werden, wenn die belangte Behörde im Beschwerdefall auch die Annahme gemäß § 60 Abs. 1 FPG für gerechtfertigt erachtet hat.

Vor diesem Hintergrund ist für den Beschwerdeführer mit seinem Vorbringen, es sei ihm nicht gelungen, das Gericht davon zu überzeugen, dass die Eheschließung nicht vornehmlich zur Erreichung eines Aufenthaltstitels angestrebt worden sei, sondern um mit seiner Ehefrau eine Familie zu gründen und eine eheliche Gemeinschaft zu leben, und er von seiner Ehefrau und ihrem Bekannten getäuscht worden sei, nichts gewonnen. Ferner erweisen sich nach dem Gesagten die Ausführungen als nicht zielführend, aus den Feststellungen der belangten Behörde ergebe sich, dass der Beschwerdeführer mit seiner Ehefrau und zwei weiteren Personen (Scheinehevermittlern) im April 2004 nach Istanbul geflogen sei, was darauf hinweisen würde, dass er noch zwei Jahre nach der Eheschließung Kontakt mit seiner Frau gehabt hätte und mit dieser von Wien nach Istanbul geflogen wäre.

2.1. Der Beschwerdeführer bringt weiters vor, dass er seit bereits mehr als vier Jahren in Österreich lebe, hier habe Fuß fassen können, einer geregelten Beschäftigung nachgehe und enge Kontakte mit seinen hier lebenden Familienangehörigen habe, insbesondere auch mit seinem Bruder, der österreichischer Staatsbürger sei. Das Ausmaß seiner Integration in Österreich sei sehr hoch, die familiären und sonstigen Beziehungen seien äußerst intensiv. Damit wirke die Erlassung des Aufenthaltsverbots auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie schwerer als die nachteiligen Folgen einer Abstandnahme von seiner Erlassung.

2.2. Auf dem Boden der insoweit unstrittigen Feststellungen hat die belangte Behörde zutreffend einen mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen relevanten Eingriff in die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an seinem Verbleib in Österreich angenommen. Ihre Auffassung, dass die Erlassung des Aufenthaltsverbots im Grund des § 60 Abs. 6 iVm § 66 Abs. 1 FPG dringend geboten sei, erweist sich aber - unter Bedachtnahme auf diese persönliche Interessenslage - ebenso als zutreffend. Der Beschwerdeführer beeinträchtige durch sein Fehlverhalten das öffentliche Interesse an der Einhaltung der für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden getroffenen Regelungen, dem aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zukommt, gravierend.

Vor diesem Hintergrund kann auch das Ergebnis der von der belangten Behörde nach § 60 Abs. 6 iVm § 66 Abs. 2 FPG getroffenen Beurteilung nicht als rechtswidrig erkannt werden. Da auf dem Boden der unstrittigen Feststellungen dem gesamten inländischen Aufenthalt des Beschwerdeführers die besagte Ehe mit der österreichischen Staatsbürgerin zugrunde liegt, die gemäß § 23 des Ehegesetzes für nichtig erklärt wurde, erscheinen sowohl die aus dem inländischen Aufenthalts des Beschwerdeführers ableitbaren privaten (einschließlich der beruflichen) Interessen als auch die durch diesen Aufenthalt gegebenen familiären Bindungen in ihrem Gewicht maßgeblich relativiert. Den solcherart nicht stark ausgeprägten persönlichen Interessen am Verbleib in Österreich kommt kein größeres Gewicht zu als den gegenläufigen maßgeblichen öffentlichen Interessen an der Erlassung der vorliegenden fremdenpolizeilichen Maßnahme.

3. Für die belangte Behörde bestand auch keine Veranlassung, von dem ihr gemäß § 60 Abs. 1 FPG bei der Verhängung eines Aufenthaltsverbots zukommenden Ermessen zugunsten des Beschwerdeführers Gebrauch zu machen, sind doch weder aus der Beschwerde noch aus dem angefochtenen Bescheid Umstände ersichtlich, die für einer derartige Ermessensübung sprächen.

4. Auf dem Boden des Gesagten erweist sich das nicht näher konkretisierte Vorbringen, der Beschwerdeführer sei durch den angefochtenen Bescheid in seinem Recht auf Durchführung eines mängelfreien Verfahrens verletzt worden, als nicht zielführend.

5. Bemerkt wird schließlich, dass sich der Beschwerdeführer nicht auf eine Begünstigung nach Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/80 des - durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichteten - Assoziationsrats vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB) berufen kann, weil in Anbetracht der durch das Nichtigkeitsurteil feststehenden Scheinehe das Erfordernis eines "ordnungsgemäßen Wohnsitzes" nicht erfüllt ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 20. April 2006, Zl. 2005/18/0555, mwH). Vorliegend ist daher kein Fall gegeben, in dem auf dem Boden des hg. Erkenntnisses vom 13. Juni 2006, Zl. 2006/18/0138, die belangte Behörde unzuständig gewesen wäre, den vorliegend angefochtenen Bescheid zu erlassen.

6. Da somit bereits der Beschwerdeinhalt erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen. Wien, am 5. September 2006

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2006180162.X00

Im RIS seit

05.10.2006

Zuletzt aktualisiert am

25.01.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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