TE OGH 1997/11/24 Bsw20602/92

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Veröffentlicht am 24.11.1997
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Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer, Beschwerdesache Szücs gegen Österreich, Urteil vom 24.11.1997, Bsw. 20602/92.

Spruch

Art. 6 Abs. 1 EMRK, § 82 StPO,§ 2 Abs. 1 lit. a StEG, § 2 Abs. 1 lit. b StEG, § 6 Abs. 4 StEG, § 6 Abs. 7 StEG - Haftentschädigungsverfahren und fair trial.Artikel 6, Absatz eins, EMRK, Paragraph 82, StPO,§ 2 Absatz eins, Litera a, StEG, Paragraph 2, Absatz eins, Litera b, StEG, Paragraph 6, Absatz 4, StEG, Paragraph 6, Absatz 7, StEG - Haftentschädigungsverfahren und fair trial.

Verletzung von Art. 6 Abs. 1 (einstimmig).Verletzung von Artikel 6, Absatz eins, (einstimmig).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

Der Bf., ein ungar. Staatsangehöriger, war bei der Einreise nach Österreich aufgrund eines Haftbefehls festgenommen worden. Er stand unter Verdacht, mehrere Betrugsdelikte mit einer gestohlenen Kreditkarte begangen zu haben. In der Folge wurde die Untersuchungshaft über den Bf. verhängt. Gemäß einem graphologischen Gutachten war es unwahrscheinlich, dass die gefälschten Unterschriften vom Bf. stammten. Das Verfahren wurde eingestellt und die Freilassung des Bf. angeordnet. Der Bf. machte hierauf einen Ersatzanspruch wegen ungerechtfertigter Haft gemäß § 2 (1) (b) StEG geltend. Die Ratskammer stellte jedoch fest, dass die Anspruchsvoraussetzungen nicht gegeben waren: Der Verdacht, der Bf. habe eine strafbare Handlung begangen, sei nicht entkräftet worden.Der Bf., ein ungar. Staatsangehöriger, war bei der Einreise nach Österreich aufgrund eines Haftbefehls festgenommen worden. Er stand unter Verdacht, mehrere Betrugsdelikte mit einer gestohlenen Kreditkarte begangen zu haben. In der Folge wurde die Untersuchungshaft über den Bf. verhängt. Gemäß einem graphologischen Gutachten war es unwahrscheinlich, dass die gefälschten Unterschriften vom Bf. stammten. Das Verfahren wurde eingestellt und die Freilassung des Bf. angeordnet. Der Bf. machte hierauf einen Ersatzanspruch wegen ungerechtfertigter Haft gemäß Paragraph 2, (1) (b) StEG geltend. Die Ratskammer stellte jedoch fest, dass die Anspruchsvoraussetzungen nicht gegeben waren: Der Verdacht, der Bf. habe eine strafbare Handlung begangen, sei nicht entkräftet worden.

Dagegen richtete der Bf. eine Bsw. an das OLG. Darüber hinaus beantragte er Entschädigung wegen gesetzwidriger Haft gemäß § 2 (1) (a) StEG. Die Begehren wurden vom OLG in nichtöffentlicher Sitzung abgewiesen bzw. abgelehnt.Dagegen richtete der Bf. eine Bsw. an das OLG. Darüber hinaus beantragte er Entschädigung wegen gesetzwidriger Haft gemäß Paragraph 2, (1) (a) StEG. Die Begehren wurden vom OLG in nichtöffentlicher Sitzung abgewiesen bzw. abgelehnt.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Der Bf. behauptet eine Verletzung von Art. 6 (1) EMRK (Recht auf ein faires Verfahren), da die Beschlüsse des OLG nicht mündlich verkündet worden sind.Der Bf. behauptet eine Verletzung von Artikel 6, (1) EMRK (Recht auf ein faires Verfahren), da die Beschlüsse des OLG nicht mündlich verkündet worden sind.

Zur Anwendbarkeit von Art. 6 (1) EMRK:Zur Anwendbarkeit von Artikel 6, (1) EMRK:

Voraussetzung für die Anwendbarkeit von Art. 6 (1) EMRK ist, dass ein aus dem innerstaatlichen Recht abzuleitender Anspruch bzw. abzuleitendes Recht in Frage steht. Weiters muss ein echter und ernsthafter Streit (genuine and serious dispute) vorliegen, dessen Ausgang für diesen Anspruch bzw. dieses Recht direkt entscheidend (directly decisive) ist. Überdies muss der Anspruch bzw. das Recht zivilrechtlicher Natur sein.Voraussetzung für die Anwendbarkeit von Artikel 6, (1) EMRK ist, dass ein aus dem innerstaatlichen Recht abzuleitender Anspruch bzw. abzuleitendes Recht in Frage steht. Weiters muss ein echter und ernsthafter Streit (genuine and serious dispute) vorliegen, dessen Ausgang für diesen Anspruch bzw. dieses Recht direkt entscheidend (directly decisive) ist. Überdies muss der Anspruch bzw. das Recht zivilrechtlicher Natur sein.

Der Geschädigte hat unter den Voraussetzungen des § 2 (1) StEG einen ausdrücklichen Anspruch auf Ersatz vermögensrechtlicher Nachteile. Demnach liegt ein aus der innerstaatlichen Rechtsordnung abzuleitendes Recht vor. Über dieses Recht wurde vor den innerstaatlichen Gerichten ein echter und ernsthafter Streit geführt. Gemäß § 6 (7) StEG ist ein rechtskräftiger Beschluss (über das Bestehen bzw. Nichtbestehen von Anspruchsvoraussetzungen) für das weitere Verfahren bindend: Der Ausgang des echten und ernsthaften Streits ist für das Recht des Bf. demnach direkt entscheidend.Der Geschädigte hat unter den Voraussetzungen des Paragraph 2, (1) StEG einen ausdrücklichen Anspruch auf Ersatz vermögensrechtlicher Nachteile. Demnach liegt ein aus der innerstaatlichen Rechtsordnung abzuleitendes Recht vor. Über dieses Recht wurde vor den innerstaatlichen Gerichten ein echter und ernsthafter Streit geführt. Gemäß Paragraph 6, (7) StEG ist ein rechtskräftiger Beschluss (über das Bestehen bzw. Nichtbestehen von Anspruchsvoraussetzungen) für das weitere Verfahren bindend: Der Ausgang des echten und ernsthaften Streits ist für das Recht des Bf. demnach direkt entscheidend.

Für die Feststellung, ob ein Recht zivilrechtlicher Natur ist, kommt es nicht auf dessen Klassifizierung im nationalen Rechtssystem an. Es genügt, wenn der Klagsgegenstand eine vermögenswerte (pecuniary) Angelegenheit betraf und die Klage auf einer angeblichen Verletzung von Rechten beruhte, die gleichfalls vermögenswerte Rechte waren. Das Recht auf Haftentschädigung ist wegen seines vermögenswerten Charakters ein zivilrechtlicher Anspruch iSd. Art. 6 (1) EMRK.Für die Feststellung, ob ein Recht zivilrechtlicher Natur ist, kommt es nicht auf dessen Klassifizierung im nationalen Rechtssystem an. Es genügt, wenn der Klagsgegenstand eine vermögenswerte (pecuniary) Angelegenheit betraf und die Klage auf einer angeblichen Verletzung von Rechten beruhte, die gleichfalls vermögenswerte Rechte waren. Das Recht auf Haftentschädigung ist wegen seines vermögenswerten Charakters ein zivilrechtlicher Anspruch iSd. Artikel 6, (1) EMRK.

Art. 6 (1) EMRK ist anwendbar (einstimmig).Artikel 6, (1) EMRK ist anwendbar (einstimmig).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 6 (1) EMRK:Zur behaupteten Verletzung von Artikel 6, (1) EMRK:

Durch das Erfordernis der Öffentlichkeit des Verfahrens, welches ein wesentliches Prinzip des Art. 6 (1) EMRK darstellt, wird die Rechtspflege der Überwachung durch die Allgemeinheit unterzogen und das Vertrauen in die Gerichte erhöht. Dadurch, dass er das Verfahrensgeschehen sichtbar macht, trägt der Grundsatz der Öffentlichkeit dazu bei, den Zweck von Art. 6 (1) EMRK zu verwirklichen, nämlich ein faires Verfahren sicherzustellen. Die Öffentlichkeit erstreckt sich nach Art. 6 (1) Satz 2 EMRK auch auf die Urteilsverkündung. Die Form der Veröffentlichung eines "Urteils", wie sie im Rechtssystem des betreffenden Staates vorgesehen ist, muss im Lichte der Besonderheiten des jeweils betreffenden Verfahrens und im Hinblick auf Ziel und Zweck von Art. 6 (1) EMRK beurteilt werden. Die Veröffentlichung des Urteils eines Höchstgerichts ist dann nicht notwendig, wenn die Entscheidungen der Unterinstanzen bereits öffentlich verkündet worden sind.Durch das Erfordernis der Öffentlichkeit des Verfahrens, welches ein wesentliches Prinzip des Artikel 6, (1) EMRK darstellt, wird die Rechtspflege der Überwachung durch die Allgemeinheit unterzogen und das Vertrauen in die Gerichte erhöht. Dadurch, dass er das Verfahrensgeschehen sichtbar macht, trägt der Grundsatz der Öffentlichkeit dazu bei, den Zweck von Artikel 6, (1) EMRK zu verwirklichen, nämlich ein faires Verfahren sicherzustellen. Die Öffentlichkeit erstreckt sich nach Artikel 6, (1) Satz 2 EMRK auch auf die Urteilsverkündung. Die Form der Veröffentlichung eines "Urteils", wie sie im Rechtssystem des betreffenden Staates vorgesehen ist, muss im Lichte der Besonderheiten des jeweils betreffenden Verfahrens und im Hinblick auf Ziel und Zweck von Artikel 6, (1) EMRK beurteilt werden. Die Veröffentlichung des Urteils eines Höchstgerichts ist dann nicht notwendig, wenn die Entscheidungen der Unterinstanzen bereits öffentlich verkündet worden sind.

Im vorliegenden Fall wurden die Beschlüsse des LG und des OLG über den Ersatzanspruch nach § 2 (1) (b) StEG nicht öffentlich verkündet. Ebensowenig wurde die abweisende Entscheidung des OLG hinsichtlich des beantragten Ersatzanspruchs nach § 2 (1) (a) StEG öffentlich verkündet. Da § 6 (4) StEG ausdrücklich normiert, dass Beschlüsse nicht kundzumachen sind, kann es dem Bf. nicht zum Nachteil gereichen, dass er den Beschluss des OLG als Erstgericht nicht vor dem OGH bekämpft hat.Im vorliegenden Fall wurden die Beschlüsse des LG und des OLG über den Ersatzanspruch nach Paragraph 2, (1) (b) StEG nicht öffentlich verkündet. Ebensowenig wurde die abweisende Entscheidung des OLG hinsichtlich des beantragten Ersatzanspruchs nach Paragraph 2, (1) (a) StEG öffentlich verkündet. Da Paragraph 6, (4) StEG ausdrücklich normiert, dass Beschlüsse nicht kundzumachen sind, kann es dem Bf. nicht zum Nachteil gereichen, dass er den Beschluss des OLG als Erstgericht nicht vor dem OGH bekämpft hat.

Die Reg. wendet ein, dass gemäß § 82 StPO die Einsicht in strafgerichtliche Akten oder die Ausfolgung von Abschriften aus solchen bewilligt werden kann, falls ein legitimes Interesse der beantragenden Person vorliegt. Festgehalten wird, dass die Erteilung einer solchen Bewilligung jedoch rein im Ermessen der Gerichte steht. Der volle Wortlaut der Entscheidungen ist nicht jedermann zugänglich.Die Reg. wendet ein, dass gemäß Paragraph 82, StPO die Einsicht in strafgerichtliche Akten oder die Ausfolgung von Abschriften aus solchen bewilligt werden kann, falls ein legitimes Interesse der beantragenden Person vorliegt. Festgehalten wird, dass die Erteilung einer solchen Bewilligung jedoch rein im Ermessen der Gerichte steht. Der volle Wortlaut der Entscheidungen ist nicht jedermann zugänglich.

In Anbetracht dessen, dass keiner der Beschlüsse öffentlich verkündet und dem Grundsatz der Öffentlichkeit auf keine andere Weise Rechnung getragen worden ist, wird eine Verletzung von Art. 6 (1) EMRK festgestellt (einstimmig).In Anbetracht dessen, dass keiner der Beschlüsse öffentlich verkündet und dem Grundsatz der Öffentlichkeit auf keine andere Weise Rechnung getragen worden ist, wird eine Verletzung von Artikel 6, (1) EMRK festgestellt (einstimmig).

Anm.: Vgl. insb. die vom GH zitierten Fälle Masson & Van Zon/NL, Urteil v. 28.09.1995, A/327-A (= NL 95/5/9) und Georgiadis/GR, Urteil v. 29.5.1997 (= NL 97/4/6).Anmerkung, Vgl. insb. die vom GH zitierten Fälle Masson Van Zon/NL, Urteil v. 28.09.1995, A/327-A (= NL 95/5/9) und Georgiadis/GR, Urteil v. 29.5.1997 (= NL 97/4/6).

Anm.: Die Kms. hatte in ihrem Ber. v. 3.9.1996 (= NL 96/6/1) eine Verletzung von Art. 6 (1) EMRK festgestellt (27:2 Stimmen).Anmerkung, Die Kms. hatte in ihrem Ber. v. 3.9.1996 (= NL 96/6/1) eine Verletzung von Artikel 6, (1) EMRK festgestellt (27:2 Stimmen).

Anm.: Vgl. Fall Werner/A, Urteil v. 24.11.1997 (= NL 97/6/10), in diesem Heft.Anmerkung, Vgl. Fall Werner/A, Urteil v. 24.11.1997 (= NL 97/6/10), in diesem Heft.

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 24.11.1997, Bsw. 20602/92, entstammt der Zeitschrift „ÖIMR-Newsletter" (NL 1997, 274) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format): www.menschenrechte.ac.at/orig/97_6/Szuecs.pdf

Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.

Textnummer

EGM00164

Im RIS seit

19.04.2017

Zuletzt aktualisiert am

19.04.2017
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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