TE OGH 1997/11/25 1Ob356/97b

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Veröffentlicht am 25.11.1997
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Herbert S*****, vertreten durch Dr.Teja H.Kapsch, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1., Singerstraße 17-19, wegen S 120.000,-- sA aus Anlaß der Revision der klagenden Partei (Revisionsstreitwert S 115.500,--) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 22.Juli 1997, GZ 5 R 56/97p-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Leoben vom 22.November 1996, GZ 6 Cg 165/96b-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Die Urteile der Vorinstanzen und das diesen vorangegangene Verfahren einschließlich der Klagszustellung werden als nichtig aufgehoben.

Die Klage wird an das Landesgericht Innsbruck, das gemäß § 9 Abs 4 AHG zur Verhandlung und Entscheidung über diese bestimmt wird, überwiesen.Die Klage wird an das Landesgericht Innsbruck, das gemäß Paragraph 9, Absatz 4, AHG zur Verhandlung und Entscheidung über diese bestimmt wird, überwiesen.

Die Kosten des nichtigen Verfahrens werden gegenseitig aufgehoben.

Text

Begründung:

Am 11.3.1996 wurde vom Landesgericht Leoben gegen den damals 72jährigen Kläger die Voruntersuchung wegen des Verdachts des Verbrechens nach § 3g des Verbotsgesetzes (VerbotsG) eingeleitet und gegen ihn am 18.3.1996 ein Haftbefehl erlassen. Nach der am 19.3.1996 erfolgten Festnahme wurde über ihn am 20.3.1996 wegen Flucht- und Tatbegehungsgefahr (§ 180 Abs 2 Z 1 und 3 lit a und b StPO) die Untersuchungshaft verhängt. Mit Beschluß vom 2.4.1996 ordnete das Landesgericht Leoben die Fortsetzung der Untersuchungshaft wegen Fortbestehens der Haftgründe bis vorläufig 2.5.1996 an. Das Oberlandesgericht Graz stellte mit Beschluß vom 4.4.1996 in Erledigung einer Beschwerde des Klägers gegen den Beschluß auf Verhängung der Untersuchungshaft dessen Gesetzmäßigkeit fest. Mit einem weiteren Beschluß vom 18.4.1996 gab das Oberlandesgericht Graz den Beschwerden des Klägers gegen die Beschlüsse auf Einleitung der Voruntersuchung und auf Fortsetzung der Untersuchungshaft nicht Folge und ordnete die Fortsetzung der Untersuchungshaft bis längstens 18.6.1996 an.Am 11.3.1996 wurde vom Landesgericht Leoben gegen den damals 72jährigen Kläger die Voruntersuchung wegen des Verdachts des Verbrechens nach Paragraph 3 g, des Verbotsgesetzes (VerbotsG) eingeleitet und gegen ihn am 18.3.1996 ein Haftbefehl erlassen. Nach der am 19.3.1996 erfolgten Festnahme wurde über ihn am 20.3.1996 wegen Flucht- und Tatbegehungsgefahr (Paragraph 180, Absatz 2, Ziffer eins, und 3 Litera a, und b StPO) die Untersuchungshaft verhängt. Mit Beschluß vom 2.4.1996 ordnete das Landesgericht Leoben die Fortsetzung der Untersuchungshaft wegen Fortbestehens der Haftgründe bis vorläufig 2.5.1996 an. Das Oberlandesgericht Graz stellte mit Beschluß vom 4.4.1996 in Erledigung einer Beschwerde des Klägers gegen den Beschluß auf Verhängung der Untersuchungshaft dessen Gesetzmäßigkeit fest. Mit einem weiteren Beschluß vom 18.4.1996 gab das Oberlandesgericht Graz den Beschwerden des Klägers gegen die Beschlüsse auf Einleitung der Voruntersuchung und auf Fortsetzung der Untersuchungshaft nicht Folge und ordnete die Fortsetzung der Untersuchungshaft bis längstens 18.6.1996 an.

Mit Urteil vom 31.5.1996 erkannte der Oberste Gerichtshof zu Recht, daß der Kläger im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt worden sei. Das Oberlandesgericht Graz habe die Bestimmung des § 180 Abs 1 letzter Satz StPO, wonach die Untersuchungshaft nicht aufrecht erhalten werden dürfe, soweit ihr Zweck durch gelindere Mittel erreicht werden könne, unrichtig angewendet. Die Fluchtgefahr sei in einem solchen Maß reduziert, daß sie durch die vom Kläger bereits anläßlich seiner ersten Vernehmung durch den Untersuchungsrichter angebotene Sicherheit (§§ 180 Abs 5 Z 7, 190 ff StPO) habe abgewendet werden können. Die damit zwingend verbundenen Gelöbnisse, bis zur rechtskräftigen Beendigung des Strafverfahrens weder zu flüchten, noch sich verborgen zu halten, noch sich ohne Genehmigung des Untersuchungsrichters von seinem Aufenthaltsort zu entfernen und keinen Versuch zu unternehmen, die Untersuchung zu vereiteln (§ 180 Abs 5 Z 1 und 2 StPO), in Verbindung mit einer Weisung, jede Vortragstätigkeit und insoweit einen bestimmten Umgang zu meiden (§ 180 Abs 5 Z 3 StPO), seien auch geeignet, den angenommenen Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 3 lit a und b StPO zu substituieren, d.h. eine dem Verbotsgesetz widersprechende Betätigung des Klägers im In- und Ausland hintanzuhalten. Die Enthaftung des Klägers erfolgte (aufgrund der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs) am 5.6.1996.Mit Urteil vom 31.5.1996 erkannte der Oberste Gerichtshof zu Recht, daß der Kläger im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt worden sei. Das Oberlandesgericht Graz habe die Bestimmung des Paragraph 180, Absatz eins, letzter Satz StPO, wonach die Untersuchungshaft nicht aufrecht erhalten werden dürfe, soweit ihr Zweck durch gelindere Mittel erreicht werden könne, unrichtig angewendet. Die Fluchtgefahr sei in einem solchen Maß reduziert, daß sie durch die vom Kläger bereits anläßlich seiner ersten Vernehmung durch den Untersuchungsrichter angebotene Sicherheit (Paragraphen 180, Absatz 5, Ziffer 7,, 190 ff StPO) habe abgewendet werden können. Die damit zwingend verbundenen Gelöbnisse, bis zur rechtskräftigen Beendigung des Strafverfahrens weder zu flüchten, noch sich verborgen zu halten, noch sich ohne Genehmigung des Untersuchungsrichters von seinem Aufenthaltsort zu entfernen und keinen Versuch zu unternehmen, die Untersuchung zu vereiteln (Paragraph 180, Absatz 5, Ziffer eins, und 2 StPO), in Verbindung mit einer Weisung, jede Vortragstätigkeit und insoweit einen bestimmten Umgang zu meiden (Paragraph 180, Absatz 5, Ziffer 3, StPO), seien auch geeignet, den angenommenen Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach Paragraph 180, Absatz 2, Ziffer 3, Litera a, und b StPO zu substituieren, d.h. eine dem Verbotsgesetz widersprechende Betätigung des Klägers im In- und Ausland hintanzuhalten. Die Enthaftung des Klägers erfolgte (aufgrund der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs) am 5.6.1996.

Der Kläger begehrte aus dem Titel der Amtshaftung für die zu Unrecht verhängte Untersuchungshaft vom 20.3. bis 5.6.1996, also für 77 Tage eine Haftentschädigung von S 120.000,--. Die beklagte Partei habe seinen Anspruch auf Haftentschädigung dem Grunde nach zwar anerkannt, diese Erklärung jedoch eingeschränkt, daß dies nur soweit gelte, als nicht im anhängigen Strafverfahren eine Anrechnung der Untersuchungshaft auf die Strafe erfolgen werde. Die Verhängung der Haft habe den 72jährigen Kläger völlig überraschend getroffen, sodaß der begehrte Entschädigungsbetrag gerechtfertigt sei.

Die beklagte Partei wendete mangelnde Fälligkeit des Klagsanspruchs ein und bestritt das Klagebegehren auch der Höhe nach. Ausdrücklich zugestanden wurde, daß der Kläger die beklagte Partei mit Schreiben vom 11.6.1996 zur Zahlung der mit der Erhebung der Grundrechtsbeschwerde verbundenen Kosten, der haftkausalen Verteidigungskosten und der im nunmehrigen Rechtsstreit begehrten Haftentschädigung aufgefordert und daß das Bundesministerium für Justiz die Beklagtenvertreterin zur Anerkennung des Anspruchs auf Haftentschädigung dem Grunde nach ermächtigt habe, allerdings mit der Einschränkung, soweit nicht im anhängigen Strafverfahren eine Anrechnung der Untersuchungshaft auf die Strafe erfolgen werde. Die Kosten der Verfassung der Grundrechtsbeschwerde und die haftkausalen Verteidigungskosten seien im Betrag von S 64.864,-- anerkannt und dem Klagevertreter überwiesen worden. Die Fälligkeit des (grundsätzlich berechtigten) Anspruchs des Klägers auf Haftentschädigung sei nicht gegeben, weil das gegen den Kläger eingeleitete Strafverfahren noch anhängig sei und derzeit noch nicht feststehe, ob nicht doch noch über den Kläger eine Freiheitsstrafe verhängt werden werde; das hätte zur Folge, daß gemäß § 38 Abs 1 StGB die erlittene Untersuchungshaft, derentwegen der Kläger Schadenersatz begehre, auf die Freiheitsstrafe anzurechnen sei. In diesem Fall wäre der Entschädigungsanspruch ausgeschlossen. Dem Kläger stünde das Recht, zwischen der Entschädigungszahlung für die erlittene Untersuchungshaft und der Anrechnung der Untersuchungshaft auf die allenfalls noch auszusprechende Freiheitsstrafe zu wählen, nicht zu. Der Entschädigungsanspruch sei also von der noch nicht eingetretenen Bedingung abhängig, daß die Anrechnung auf eine Strafe unterbleibe. Der Höhe nach sei das Klagebegehren lediglich im Ausmaß von S 77.000,-- (S 1.000,-- je Tag) berechtigt.Die beklagte Partei wendete mangelnde Fälligkeit des Klagsanspruchs ein und bestritt das Klagebegehren auch der Höhe nach. Ausdrücklich zugestanden wurde, daß der Kläger die beklagte Partei mit Schreiben vom 11.6.1996 zur Zahlung der mit der Erhebung der Grundrechtsbeschwerde verbundenen Kosten, der haftkausalen Verteidigungskosten und der im nunmehrigen Rechtsstreit begehrten Haftentschädigung aufgefordert und daß das Bundesministerium für Justiz die Beklagtenvertreterin zur Anerkennung des Anspruchs auf Haftentschädigung dem Grunde nach ermächtigt habe, allerdings mit der Einschränkung, soweit nicht im anhängigen Strafverfahren eine Anrechnung der Untersuchungshaft auf die Strafe erfolgen werde. Die Kosten der Verfassung der Grundrechtsbeschwerde und die haftkausalen Verteidigungskosten seien im Betrag von S 64.864,-- anerkannt und dem Klagevertreter überwiesen worden. Die Fälligkeit des (grundsätzlich berechtigten) Anspruchs des Klägers auf Haftentschädigung sei nicht gegeben, weil das gegen den Kläger eingeleitete Strafverfahren noch anhängig sei und derzeit noch nicht feststehe, ob nicht doch noch über den Kläger eine Freiheitsstrafe verhängt werden werde; das hätte zur Folge, daß gemäß Paragraph 38, Absatz eins, StGB die erlittene Untersuchungshaft, derentwegen der Kläger Schadenersatz begehre, auf die Freiheitsstrafe anzurechnen sei. In diesem Fall wäre der Entschädigungsanspruch ausgeschlossen. Dem Kläger stünde das Recht, zwischen der Entschädigungszahlung für die erlittene Untersuchungshaft und der Anrechnung der Untersuchungshaft auf die allenfalls noch auszusprechende Freiheitsstrafe zu wählen, nicht zu. Der Entschädigungsanspruch sei also von der noch nicht eingetretenen Bedingung abhängig, daß die Anrechnung auf eine Strafe unterbleibe. Der Höhe nach sei das Klagebegehren lediglich im Ausmaß von S 77.000,-- (S 1.000,-- je Tag) berechtigt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Anspruch auf Haftentschädigung sei von der beklagten Partei dem Grunde nach anerkannt worden, allerdings unter der Bedingung, daß die Untersuchungshaft nicht im anhängigen Strafverfahren auf die dort ausgesprochene Strafe angerechnet werde. Die zu Unrecht verhängte Untersuchungshaft habe 77 Tage gedauert; für jeden Tag sei eine Entschädigung von S 1.500,-- angemessen. Wenngleich die Untersuchungshaft rechtswidrig gewesen sei, sei dessen Anspruch auf Haftentschädigung noch nicht fällig, weil noch nicht feststehe, ob die in § 38 Abs 1 StGB vorgesehene Anrechnung der Haft angeordnet werden werde. Der Kläger habe nicht behauptet, durch eine zeitliche Verlagerung der Haft seien irgendwelche Beeinträchtigungen entstanden, weshalb insoweit ein immaterieller Schaden zu verneinen sei. Durch die Verneinung der Fälligkeit der Haftentschädigung würden Vermutungen über die Lösung der Schuldfrage nicht angestellt werden. Ein Verzögerungsschaden sei durch das Zinsenbegehren abgesichert.Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Anspruch auf Haftentschädigung sei von der beklagten Partei dem Grunde nach anerkannt worden, allerdings unter der Bedingung, daß die Untersuchungshaft nicht im anhängigen Strafverfahren auf die dort ausgesprochene Strafe angerechnet werde. Die zu Unrecht verhängte Untersuchungshaft habe 77 Tage gedauert; für jeden Tag sei eine Entschädigung von S 1.500,-- angemessen. Wenngleich die Untersuchungshaft rechtswidrig gewesen sei, sei dessen Anspruch auf Haftentschädigung noch nicht fällig, weil noch nicht feststehe, ob die in Paragraph 38, Absatz eins, StGB vorgesehene Anrechnung der Haft angeordnet werden werde. Der Kläger habe nicht behauptet, durch eine zeitliche Verlagerung der Haft seien irgendwelche Beeinträchtigungen entstanden, weshalb insoweit ein immaterieller Schaden zu verneinen sei. Durch die Verneinung der Fälligkeit der Haftentschädigung würden Vermutungen über die Lösung der Schuldfrage nicht angestellt werden. Ein Verzögerungsschaden sei durch das Zinsenbegehren abgesichert.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Die Rechtswidrigkeit der Haft sei dadurch manifestiert, daß der Oberste Gerichtshof infolge Grundrechtsbeschwerde des Klägers zu Recht erkannt habe, der Kläger sei im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt worden. Jeder anhaltende Freiheitsentzug bewirke eine erhebliche psychische Belastung des Betroffenen, weshalb bei konventionswidrigem Freiheitsentzug auch ohne Verschulden für immateriellen Schaden Ersatz zu leisten sei. Der Anspruch des Klägers auf Haftentschädigung sei aber im Hinblick auf § 38 Abs 1 StGB tatsächlich nicht fällig. Die genannte Norm „verdränge die Haftentschädigung“ zugunsten der Anrechnung der bereits erlittenen Haft dahin, daß der Haftentschädigungsanspruch bis zum Abschluß des Strafverfahrens als bedingter Anspruch anzusehen sei. Der Vorrang der Anrechnung der Vorhaft auf die Strafe im Anlaßverfahren gehe mit der Bedeutung des Rechtsguts der Freiheit konform. Dem Kläger stehe nicht das Recht zu, zwischen Haftentschädigung und Anrechnung der Vorhaft gemäß § 38 Abs 1 StGB zu wählen. Unter Berücksichtigung der mit einer ungerechtfertigten Haft einhergehenden Belastung sei es geboten, der Anrechnung der bereits erlittenen Haft den Vorrang vor der Gewährung einer Entschädigung einzuräumen. Diese „Vorrangseinräumung“ stehe nicht im Widerspruch zu der im Art 6 Abs 2 EMRK verankerten Unschuldsvermutung. Es widerspräche „einem natürlichen Rechtsgrundsatz“, aber auch „dem durch das Staatsgrundgesetz und die EMRK erheblich geformten und von logischen Denkgesetzen getragenem Rechtsbewußtsein“, daß ein durch eine „bedauerliche ungerechtfertigte Untersuchungshaft Geschädigter vor Beendigung des gegen ihn anhängigen Strafverfahrens, im Zuge dessen er diese Haft erdulden mußte, die Wahl haben“ sollte, „sich eine mögliche Haftanrechnung“ durch eine bereits „vor Beendigung des Strafverfahrens beanspruchte Entschädigung in Geld“ ablösen zu lassen. Die begehrte Entschädigung für die rechtswidrig erlittene Untersuchungshaft sei demnach nicht fällig.Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Die Rechtswidrigkeit der Haft sei dadurch manifestiert, daß der Oberste Gerichtshof infolge Grundrechtsbeschwerde des Klägers zu Recht erkannt habe, der Kläger sei im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt worden. Jeder anhaltende Freiheitsentzug bewirke eine erhebliche psychische Belastung des Betroffenen, weshalb bei konventionswidrigem Freiheitsentzug auch ohne Verschulden für immateriellen Schaden Ersatz zu leisten sei. Der Anspruch des Klägers auf Haftentschädigung sei aber im Hinblick auf Paragraph 38, Absatz eins, StGB tatsächlich nicht fällig. Die genannte Norm „verdränge die Haftentschädigung“ zugunsten der Anrechnung der bereits erlittenen Haft dahin, daß der Haftentschädigungsanspruch bis zum Abschluß des Strafverfahrens als bedingter Anspruch anzusehen sei. Der Vorrang der Anrechnung der Vorhaft auf die Strafe im Anlaßverfahren gehe mit der Bedeutung des Rechtsguts der Freiheit konform. Dem Kläger stehe nicht das Recht zu, zwischen Haftentschädigung und Anrechnung der Vorhaft gemäß Paragraph 38, Absatz eins, StGB zu wählen. Unter Berücksichtigung der mit einer ungerechtfertigten Haft einhergehenden Belastung sei es geboten, der Anrechnung der bereits erlittenen Haft den Vorrang vor der Gewährung einer Entschädigung einzuräumen. Diese „Vorrangseinräumung“ stehe nicht im Widerspruch zu der im Artikel 6, Absatz 2, EMRK verankerten Unschuldsvermutung. Es widerspräche „einem natürlichen Rechtsgrundsatz“, aber auch „dem durch das Staatsgrundgesetz und die EMRK erheblich geformten und von logischen Denkgesetzen getragenem Rechtsbewußtsein“, daß ein durch eine „bedauerliche ungerechtfertigte Untersuchungshaft Geschädigter vor Beendigung des gegen ihn anhängigen Strafverfahrens, im Zuge dessen er diese Haft erdulden mußte, die Wahl haben“ sollte, „sich eine mögliche Haftanrechnung“ durch eine bereits „vor Beendigung des Strafverfahrens beanspruchte Entschädigung in Geld“ ablösen zu lassen. Die begehrte Entschädigung für die rechtswidrig erlittene Untersuchungshaft sei demnach nicht fällig.

Aus Anlaß der Revision des Klägers sind die Entscheidungen der Vorinstanzen und das diesen vorangegangene Verfahren einschließlich der Klagszustellung als nichtig aufzuheben.

Rechtliche Beurteilung

Der Kläger leitet aus einem von ihm behaupteten rechtswidrigen und schuldhaften Verhalten von Richtern des Landesgerichts Leoben und des Oberlandesgerichts Graz Amtshaftungsansprüche ab. Damit wäre zwar die ausschließliche Zuständigkeit des Landesgerichts Leoben - und schließlich des Oberlandesgerichts Graz als Rechtsmittelinstanz - gemäß § 9 Abs 1 AHG begründet. Wird aber der Ersatzanspruch aus Entscheidungen von Richtern dieser Gerichtshöfe abgeleitet, dann ist gemäß § 9 Abs 4 AHG ein anderes Gericht gleicher Gattung zur Verhandlung und Entscheidung der Rechtssache vom übergeordneten Gericht zu bestimmen. § 9 Abs 4 AHG soll gewährleisten, daß auch nur der Anschein der Befangenheit von Richtern nicht entstehen kann; der rechtspolitische Grund dieser Gesetzesstelle liegt darin, daß alle betroffenen Gerichte, aus deren Verhalten ein Amtshaftungsanspruch abgeleitet werden soll, von der Entscheidung über den Anspruch ausgeschlossen sein sollen (Schragel, AHG2 Rz 261 mwN). Richter eines Gerichtshofs sollen nicht über Amtshaftungsansprüche erkennen, die ein Verhalten irgendeines Mitglieds desselben Gerichtshofs zum Gegenstand haben. Das gesamte bisher abgeführte Verfahren erweist sich demnach in sinngemäßer Anwendung des § 477 Abs 1 Z 1 iVm § 503 Z 1 ZPO als nichtig, sodaß mit dessen Aufhebung und damit auch mit der Beseitigung der Entscheidungen der Vorinstanzen vorzugehen und die Klage an das unter einem gemäß § 9 Abs 4 AHG zur Verhandlung und Entscheidung des Rechtsstreits zu bestimmende Gericht zu überweisen ist.Der Kläger leitet aus einem von ihm behaupteten rechtswidrigen und schuldhaften Verhalten von Richtern des Landesgerichts Leoben und des Oberlandesgerichts Graz Amtshaftungsansprüche ab. Damit wäre zwar die ausschließliche Zuständigkeit des Landesgerichts Leoben - und schließlich des Oberlandesgerichts Graz als Rechtsmittelinstanz - gemäß Paragraph 9, Absatz eins, AHG begründet. Wird aber der Ersatzanspruch aus Entscheidungen von Richtern dieser Gerichtshöfe abgeleitet, dann ist gemäß Paragraph 9, Absatz 4, AHG ein anderes Gericht gleicher Gattung zur Verhandlung und Entscheidung der Rechtssache vom übergeordneten Gericht zu bestimmen. Paragraph 9, Absatz 4, AHG soll gewährleisten, daß auch nur der Anschein der Befangenheit von Richtern nicht entstehen kann; der rechtspolitische Grund dieser Gesetzesstelle liegt darin, daß alle betroffenen Gerichte, aus deren Verhalten ein Amtshaftungsanspruch abgeleitet werden soll, von der Entscheidung über den Anspruch ausgeschlossen sein sollen (Schragel, AHG2 Rz 261 mwN). Richter eines Gerichtshofs sollen nicht über Amtshaftungsansprüche erkennen, die ein Verhalten irgendeines Mitglieds desselben Gerichtshofs zum Gegenstand haben. Das gesamte bisher abgeführte Verfahren erweist sich demnach in sinngemäßer Anwendung des Paragraph 477, Absatz eins, Ziffer eins, in Verbindung mit Paragraph 503, Ziffer eins, ZPO als nichtig, sodaß mit dessen Aufhebung und damit auch mit der Beseitigung der Entscheidungen der Vorinstanzen vorzugehen und die Klage an das unter einem gemäß Paragraph 9, Absatz 4, AHG zur Verhandlung und Entscheidung des Rechtsstreits zu bestimmende Gericht zu überweisen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 51 Abs 2 ZPO.Die Kostenentscheidung beruht auf Paragraph 51, Absatz 2, ZPO.

Textnummer

E48151

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1997:0010OB00356.97B.1125.000

Im RIS seit

25.12.1997

Zuletzt aktualisiert am

26.09.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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