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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
BStG 1971 §20a idF 1999/I/182;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Handstanger, Dr. Berger, Dr. Lehofer und Mag. Samm als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Beschwerde des MZ in S, vertreten durch Dr. Robert Eiter, Rechtsanwalt in 6500 Landeck, Malser Straße 13/II, gegen den Bescheid des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie vom 3. März 2003, Zl 825.188/1- II/Sch2/03, betreffend Aufhebung einer Enteignung (mitbeteiligte Partei: Österreichische Bundesbahnen, 6020 Innsbruck, Claudiastraße 2), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Enteignungserkenntnis der k.k. Statthalterei für Tirol und Vorarlberg vom 8. Oktober 1882 wurden für die Zwecke der Herstellung und des Betriebes der k.k. Staatseisenbahn Innsbruck - Bludenz mehrere - näher bezeichnete - Parzellen und Parzellenteile des damaligen k.k. Postwirtes F enteignet.
Mit Schriftsatz vom 9. April 2001 richtete der Beschwerdeführer als Rechtsnachfolger des damals enteigneten Grundeigentümers an den Landeshauptmann von Tirol den Antrag, dieses Enteignungserkenntnis aufzuheben, "nachdem der Zweck der damaligen Enteignung weggefallen ist". Mit Verordnung des Bundesministers für Wissenschaft und Verkehr, BGBl II Nr 28/1998, sei eine Änderung des Trassenverlaufs der Bahnstrecke Innsbruck - Bludenz der Österreichischen Bundesbahnen im Abschnitt St. Jakob am Arlberg bis St. Anton am Arlberg erfolgt, wodurch es - im Zuge der Skiweltmeisterschaft 2001 - zu einer Auflassung der ehemaligen Bahnstrecke bzw des Bahnhofsgebäudes St. Anton am Arlberg und teilweisen Verwertung der nicht mehr benötigten Grundstücke für bahnfremde Zwecke gekommen sei.
Mit Bescheid des Landeshauptmannes für Tirol vom 5. November 2001 wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 9. April 2001 als unbegründet abgewiesen.
Mit Schriftsatz vom 20. November 2001 erhob der Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid Berufung.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Berufung gemäß "Art 5 Staatsgrundgesetz (StGG), RGBl Nr 142/1867 idF BGBl Nr 684/1988, iVm Art 149 Abs 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl Nr 1/1930 idF BGBl. I Nr. 99/2002; § 6 Hochleistungsstreckengesetz, BGBl. Nr. 135/1989 idF BGBl. I Nr. 81/1999 (HlG), iVm § 20 Bundesstraßengesetz, BGBl. Nr. 286/1971 idF BGBl. I Nr. 50/2002 (BStG); Verordnung der Bundesregierung über die Erklärung von Eisenbahnen zu Hochleistungsstrecken (1. Hochleistungsstrecken-Verordnung), BGBl. Nr. 370/1989 idF BGBl. II Nr. 397/1998", als unbegründet abgewiesen.
In der Begründung des angefochtenen Bescheides führt die belangte Behörde aus, nach den nicht bestrittenen Feststellungen des erstinstanzlichen Bescheides seien sämtliche seinerzeit enteigneten Grundstücke für den konkreten Enteignungszweck der Errichtung der Bahnstrecke Innsbruck - Bludenz in Anspruch genommen worden, und zwar zur Dammschüttung und Trassenherstellung, für die Errichtung des Bahnhofsgebäudes, von Bahnhofs- und Streckengleisen und einer für Bahnzwecke benötigten Wasserleitung. Dass die Enteignung über das zur Erfüllung des Enteignungszweckes unbedingt notwendige Ausmaß hinausgegangen wäre, habe der Beschwerdeführer nicht behauptet. Rechtlich folgerte die belangte Behörde unter anderem, für den Fall, dass der Enteignungszweck einmal erreicht worden sei, könne die Enteignung nach Art 5 StGG nicht mehr rückgängig gemacht werden; dies gelte auch dann, wenn der Enteignungszweck später wieder aufgegeben werde.
Gegen diesen Bescheid richtete der Beschwerdeführer zunächst eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der diese nach Ablehnung ihrer Behandlung mit Beschluss vom 11. Juni 2003, B 578/03, gemäß Art 144 Abs 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzte der Beschwerdeführer auftragsgemäß seine Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist dem durch Art 5 Staatsgrundgesetz (StGG) verfassungsgesetzlich gewährleisteten Eigentumsschutz von vornherein die Einschränkung immanent, dass eine Enteignung zu einem vom Gesetz bestimmten öffentlichen Zweck unter den von der Rechtsprechung herausgearbeiteten Voraussetzungen möglich ist; diese Einschränkung ist aber ihrer Natur nach an die Voraussetzung geknüpft, dass der vom Gesetz bestimmte Zweck verwirklicht wird. Wird dieser Zweck nach Ausspruch einer Enteignung nicht verwirklicht oder wird die enteignete Sache zu seiner Verwirklichung nicht benötigt, so fehlt die innere Rechtfertigung für die Aufrechterhaltung der Enteignung und es wird der verfassungsgesetzlich gewährleistete Eigentumsschutz uneingeschränkt voll wirksam. In der Eigentumsgarantie des Art 5 StGG ist somit auch die Rückgängigmachung der Enteignung für den Fall grundgelegt, dass die enteignete Sache dem vom Gesetz als Enteignungsgrund genannten öffentlichen Zweck nicht zugeführt wird, sei es, weil dieser Zweck überhaupt nicht, sei es, weil er nicht in dem ursprünglich beabsichtigten Umfang verwirklicht wird. Jeder bescheidmäßigen Enteignung haftet daher in der Wurzel der Vorbehalt an, dass sie erst endgültig wirksam ist, wenn der vom Gesetz als Enteignungsgrund normierte öffentliche Zweck verwirklicht ist, dass sie aber rückgängig zu machen ist, wenn dieser Zweck nicht verwirklicht wird. Im Falle der Nichtverwirklichung des als Enteignungsgrund normierten Zweckes muss - bei Fehlen besonderer Regelungen - die Verfügung der Enteignung in der Weise rückgängig gemacht werden, dass der Enteignungsbescheid aufgehoben wird. Soweit einfachgesetzliche Enteignungsregelungen eine solche Rückübereignung bei zweckverfehlender Enteignung nicht ermöglichen sollten, sind diese verfassungskonform dahin auszulegen, dass sie die Rückübereignung nicht umfassend regeln. Daher gebietet der - mangels weiterer einfachgesetzlicher Regelung der Rückübereignung - unmittelbar anwendbare Art 5 StGG die rückwirkende Beseitigung des Enteignungsbescheides (vgl aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes etwa die Erkenntnisse vom 30. September 1992, Zl 90/03/0003, vom 23. September 2004, Zl 2003/07/0103, und vom 15. September 2005, Zl 2005/07/0013, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes).
Der Eigentumsschutz des Art 5 StGG kann sich jedoch nur insolange auswirken, als die enteignete Sache dem Enteignungszweck noch nicht zugeführt worden ist; ist der Zweck unter Verwendung der enteigneten Sache einmal verwirklicht, so ist die Enteignung unter dem Gesichtspunkt der Eigentumsgarantie des Art 5 StGG irreversibel, selbst wenn der Zweck in späterer Folge aufgegeben wird (vgl das vom Verfassungsgerichtshof in seinem den Beschwerdefall betreffenden Ablehnungsbeschluss vom 11. Juni 2003 zitierte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 23. Dezember 1980, VfSlg 8981, sowie daran anschließend die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes vom 4. Oktober 1986 VfSlg 11.033, vom 2. Oktober 2002, VfSlg 16.652, und vom 13. März 2003, VfSlg 16.838, sowie des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. November 1988, Zl 86/06/0261, und vom 27. September 2000, Zl 2000/07/0045).
Im vorliegenden Fall wurde der seinerzeitige Zweck der mit Erkenntnis der k.k. Statthalterei für Tirol und Vorarlberg vom 8. Oktober 1882 verfügten Enteignung, nämlich die Herstellung und der Betrieb der k.k. Staatseisenbahn Innsbruck - Bludenz, verwirklicht. Diesen, dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Umstand hat der Beschwerdeführer weder im Verwaltungsverfahren noch im nunmehrigen verwaltungsgerichtlichen Verfahren bestritten. Nach der dargestellten Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes gebietet die Eigentumsgarantie des Art 5 StGG im Falle der Verwirklichung des Enteignungszweckes - selbst wenn dieser Zweck in späterer Folge aufgegeben wird - nicht, die Enteignung wieder rückgängig zu machen. Im vorliegenden Fall lagen zudem zwischen der Enteignung und der Aufgabe der ursprünglichen, dem Enteignungszweck entsprechenden Verwendung der Grundflächen beinahe 120 Jahre. Dass - wie der Beschwerdeführer in seinem verfahrenseinleitenden Antrag vom 9. April 2001 ausgeführt hat -"im Zuge der Weltmeisterschaft 2001 (...) eine Verlegung der Bahn (und des Bahnhofes) in St. Anton am Arlberg", und damit "eine andere, nicht für den damaligen Zweck genannte Benützung der Bahnlinie und insbesondere des Bahnhofsgeländes, also der enteigneten Fläche" stattgefunden habe, ist somit unter dem Blickwinkel des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes unerheblich.
Dass sich aus einfachgesetzlichen Rechtsvorschriften, insbesondere dem 1954 wiederverlautbarten, am 18. Feber 1878, RGBl Nr 30, erlassenen Eisenbahnenteignungsgesetz (nunmehr Eisenbahn- Enteignungsentschädigungsgesetz - EisbEG), BGBl Nr 71/1954 idF BGBl I Nr 191/1999 - dessen die Rückübereignung betreffender § 37 enthielt auch in seiner ursprünglichen Fassung keine bei Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht mehr geltenden Rückübereignungstatbestände -, und § 6 HlG, BGBl Nr 135/1989 idF BGBl I Nr 81/1999, iVm § 20a BStG, BGBl Nr 286/1971 idF BGBl I Nr 182/1999, eine Rückübereignungsverpflichtung für den vorliegenden Fall ableiten ließe, konnte vom Beschwerdeführer nicht dargelegt werden. Eine solche "Befristung" der Enteignung kann auch nicht aus dem Spruch des seinerzeitigen Enteignungsbescheides abgeleitet werden, weil die dort enthaltene Angabe des Zweckes der Enteignung ("für die Zwecke der Herstellung und des Betriebes der k.k. Staatseisenbahn Innsbruck - Bludenz") nicht bewirken kann, dass die Enteignung nur solange aufrecht bliebe, als die enteigneten, dem Enteignungszweck bereits zugeführten Grundflächen zu diesem Zweck verwendet werden.
Ob die von der belangten Behörde im Spruch des angefochtenen Bescheides zitierten Rechtsvorschriften (die Zitierung des "§ 20 Bundesstraßengesetz" bewirkt im Hinblick darauf, dass in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Bestimmung mehrfach (richtig) als § 20a BStG zitiert wurde, keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides; vgl dazu aus der ständigen Rechtsprechung etwa das Erkenntnis vom 3. November 2004, Zl 2001/18/0123) für den Anspruch auf Rückgängigmachung einer zweckverfehlenden Enteignung in ihrer bei Erlassung des angefochtenen Bescheides geltenden Fassung oder in der zum Zeitpunkt der Erlassung des Enteignungsbescheides geltenden Fassung anzuwenden gewesen wären, kann im Beschwerdefall dahingestellt bleiben. Es ergibt sich nämlich auch aus der im Enteignungszeitpunkt (1882) geltenden Fassung des EisbEG, RGBl Nr 30/1878, und der - seither unverändert gebliebenen - Fassung des Staatsgrundgesetzes vom 21. Dezember 1867, RGBl Nr 142 (StGG), kein über die oben dargestellte Rechtslage hinausgehender, den vorliegenden Fall erfassender Rückübereignungsanspruch (siehe zu der auf den Rückübereignungsanspruch anzuwendenden Rechtslage - allerdings in Bezug auf die Änderung der Rechtslage durch das erst nach Erlassung des angefochtenen Bescheides in Kraft getretene Außerstreit-Begleitgesetz, BGBl I Nr 112/2003 - das hg Erkenntnis vom 28. März 2006, Zl 2006/03/0048).
Da somit keine Rechtsgrundlage für die vom Beschwerdeführer beantragte Aufhebung des Enteignungserkenntnisses vom 8. Oktober 1882 bzw Rückübereignung besteht, wurde der Antrag des Beschwerdeführers im Ergebnis zu Recht abgewiesen.
Die vorliegende Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl II Nr 333.
Wien, am 12. September 2006
Schlagworte
Auslegung Gesetzeskonforme Auslegung von Verordnungen Verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen VwRallg3/3Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2003030179.X00Im RIS seit
04.10.2006Zuletzt aktualisiert am
01.08.2017