Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichtes Dr. Hellwagner (Vorsitzender), die Richter des Oberlandesgerichtes Dr. Mayrhofer und DDr. Huberger sowie die fachkundigen Laienrichter Ilse Maurer-Binder (AG) und Laurenz Bodinger (AN) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei *****, vertreten durch Dr. *****, Rechtsanwalt in *****, wider die beklagte Partei PENSIONSVERSICHERUNGSANSTALT DER ARBEITER, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, wegen Invaliditätspension, infolge der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 18.6.1997, 15 Cgs 185/96x-31 nach mündlicher Berufungsverhandlung, den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sozialrechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Mit dem angefochtenen Urteil hat das Erstgericht das auf Weitergewährung der Invaliditätspension in gesetzlicher Höhe ab 1.10.1996 gerichtete Klagebegehren abgewiesen. Es traf die auf den Seiten 2 bis 4 seiner Urteilsausfertigung wiedergegebenen Feststellungen.
Daraus ist hervorzuheben:
Die am 28.1.1947 geborene Klägerin bezog vom 1.6.1995 bis 30.6.1996 eine befristete Invaliditätspension. Die Klägerin hat keinen Beruf erlernt. Sie war in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag als Bedienerin und Hilfsarbeiterin in einer Fleischhauerei beschäftigt.
Nach ihrem medizinischen Leistungskalkül ist die Klägerin imstande leichte Arbeiten in der normalen Arbeitszeit zu leisten und den Arbeitsplatz zu erreichen.
Ein Heben und Tragen von Lasten ist der Klägerin nur gelegentlich und nur bis zu 10 kg zumutbar. Arbeiten unter überwiegendem besonderen Zeitdruck in ständiger Nässe und Kälte, sowie Fabriks-, Akkord- und Bandarbeiten sind nicht möglich. Die Fingerbeweglichkeit zeigt sich erhalten. Die erforderliche Diät kann zum Arbeitsplatz mitgebracht werden. Die Klägerin benötigt über die üblichen Pausen hinaus zweibis dreimal stündlich eine kurze Pause zur Blasenentleerung. Dieser Zustand besteht mit Ausnahme des Blasenleidens jedenfalls seit Antragstellung. Das Blasenleiden der Klägerin besteht seit zumindest 1954. Es ist medikamentös behandelbar, wobei mit einer Besserung binnen zwei bis drei Monaten gerechnet werden kann. Es ist jedoch nicht hervorsehbar, welches Ausmaß die Besserung im Hinblick auf die Miktionsfrequenz erreichen werde. Die Besserung kann zu einer Frequenz der Blasenentleerung von einmal alle zwei Stunden oder auch einmal stündlich führen. Ein Pausenbedarf von zwei- bis dreimal stündlich zur Blasenentleerung wird auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt toleriert.
Die Klägerin kann die Tätigkeit der Bürobotin bei Behörden, Banken oder Versicherung verrichten. In diesem Zusammenhang ist es der Bürobotin ohne Störung des Arbeitsablaufes möglich etwa einmal stündlich die Toilette aufzusuchen. Arbeitsplätze für Bürobotinnen stehen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in ausreichender Zahl zur Verfügung.
Unter der Voraussetzung, daß Toillettenpausen nur alle zwei Stunden anfallen, sind der Klägerin auch einfache Kontrollarbeiten in Fertigungs-, Kontrollabteilungen und Betrieben, die sich mit der Herstellung und dem Vertrieb kleinerer Erzeugnisse befassen, Tischarbeiten in der graphischen Produktion, der Kleinleder-, Plastikwaren- und Kartonagenwarenerzeugung, Sortier- und Verpackungsarbeiten, in der Leder-, Galanteriewaren-, Elektrowaren- und Kunststofferzeugung sowie eine Tätigkeit als Wäschelegerin-Adjustiererin in der Erzeugung zumutbar. Dafür stehen Arbeitsplätze in ausreichender Zahl zur Verfügung.
Der Klägerin wurde im Jänner 1996 anläßlich der Untersuchung in der urologischen Ambulanz des Wilhelminen Spitales die Einnahme der zur Erzielung der festgestellten Besserung geeigneten Medikamente Ditopran und Ortho-Gynest Vag.Supp verordnet. Es kann nicht festgestellt werden, daß die Klägerin die verordnete Therapie durchgeführt hat.
In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus:
DAs Beweisverfahren habe ergeben, daß das Blasenleiden der Klägerin durch eine zumutbare medikamentöse Therapie wesentlich gebessert werden könnte. Jener sei die Notwendigkeit "der Absolvenz der festgestellten Therapie" im Rahmen der Sozialversicherung bestehenden Mitwirkungspflicht seit 29.5.1996 bekannt. Diese Therapie habe sie nicht durchgeführt. Es bestehe daher kein Anspruch auf Weitergewährung der im Hinblick auf die Therapiedauer mit Urteil vom 29.5.1996 bis 30.9.1996 zuerkannten befristeten Invaliditätspension. Nach Durchführung der Therapie wäre der Klägerin nämlich die Berufstätigkeit als Bürobotin zumutbar.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin aus den Berufungsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, der unrichtigen bzw. unvollständigen Tatsachenfeststellung und unrichtigen Beweiswürdigung mit dem Antrag, es im Sinne der Klagestattgebung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist berechtigt.
Unter dem Berufungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen und unvollständigen Tatsachenfeststellung sowie unrichtigen Beweiswürdigung wendet sich die Klägerin im wesentlichen gegen die Feststellung, es könne nicht festgestellt werden, daß die Klägerin die verordnete Therapie durchgeführt habe. Diese Feststellung könne nach Ansicht der Klägerin nicht auf ihre informativen Angaben gestützt werden. Sie sei nicht ausdrücklich nach dem Erfolg der Therapie befragt worden, sondern nur generell zur Therapie. Sie wäre als Partei zu vernehmen gewesen und man hätte sie nach der Befolgung der ärztlichen Therapie zu befragen gehabt. Danach hätte das Erstgericht einen Sachverständigen beizuziehen gehabt, welche Medikamente ihr verordnet worden seien. Es könne von ihr als Laie ebensowenig wie vom Gericht erwartet werden, sich über die Wirkungsweise der einzelnen vorgelegten Medikamente im klaren zu sein.
Dieser Ansicht ist beizupflichten. Wie die Klägerin zutreffend ausführt, unterscheidet sich die informative Befragung einer Partei vom Beweismittel der Parteienvernehmung. Diese ist eine Form des Parteienvorbringens (SV-Slg 33.932). Das Erstgericht hätte daher die Feststellung, es könne nicht festgestellt werden, daß die Klägerin die verordnete Therapie durchgeführt habe, nicht auf die "informative Befragung der Klägerin stützen können, sondern hätte ihre Parteienvernehmung nach den Vorschriften der ZPO im Sinne der §§ 2 ASGG, 371 f ZPO durchführen müssen.Dieser Ansicht ist beizupflichten. Wie die Klägerin zutreffend ausführt, unterscheidet sich die informative Befragung einer Partei vom Beweismittel der Parteienvernehmung. Diese ist eine Form des Parteienvorbringens (SV-Slg 33.932). Das Erstgericht hätte daher die Feststellung, es könne nicht festgestellt werden, daß die Klägerin die verordnete Therapie durchgeführt habe, nicht auf die "informative Befragung der Klägerin stützen können, sondern hätte ihre Parteienvernehmung nach den Vorschriften der ZPO im Sinne der Paragraphen 2, ASGG, 371 f ZPO durchführen müssen.
Wenn auch die Aussagen einer Partei zur Lösung von Fragen, die einen besonderen Sachverstand (etwa medizinische Sachkenntnisse) voraussetzen und daher dem Sachverständigen vorbehalten sind, nicht geeignet sind, stellt es im vorliegenden Fall jedoch einen Verfahrensmangel dar, wenn das Erstgericht eine Feststellung ausschließlich auf die informative Befragung einer Partei stützt, weil die Beantwortung der Frage, welche Medikamente die Klägerin zur Besserung ihrer urologischen Leiden nimmt, keine besonderen medizinischen Fachkenntnisse voraussetzt. Eine derartige Vernehmung der Klägerin scheint auch angebracht zu sein, weil vorliegendenfalls gemäß §§ 2 ASGG, 377 ZPO eine eidliche Vernehmung der Klägerin nicht ausgeschlossen werden kann, wenn das Ergebnis der unbeeideten Befragung nicht ausreicht, um das Gericht von der Wahrheit und Unwahrheit der zu beweisenden Tatsachen, nämlich ob die Klägerin die verordnete Therapie in urologischer Hinsicht durchgeführt hat, zu überzeugen.Wenn auch die Aussagen einer Partei zur Lösung von Fragen, die einen besonderen Sachverstand (etwa medizinische Sachkenntnisse) voraussetzen und daher dem Sachverständigen vorbehalten sind, nicht geeignet sind, stellt es im vorliegenden Fall jedoch einen Verfahrensmangel dar, wenn das Erstgericht eine Feststellung ausschließlich auf die informative Befragung einer Partei stützt, weil die Beantwortung der Frage, welche Medikamente die Klägerin zur Besserung ihrer urologischen Leiden nimmt, keine besonderen medizinischen Fachkenntnisse voraussetzt. Eine derartige Vernehmung der Klägerin scheint auch angebracht zu sein, weil vorliegendenfalls gemäß Paragraphen 2, ASGG, 377 ZPO eine eidliche Vernehmung der Klägerin nicht ausgeschlossen werden kann, wenn das Ergebnis der unbeeideten Befragung nicht ausreicht, um das Gericht von der Wahrheit und Unwahrheit der zu beweisenden Tatsachen, nämlich ob die Klägerin die verordnete Therapie in urologischer Hinsicht durchgeführt hat, zu überzeugen.
Allenfalls wird das Erstgericht neuerlich den urologischen Sachverständigen nach Einvernahme der Klägerin als Partei darüber zu befragen haben, ob die Klägerin die urologische Therapie so befolgt hat, wie dies ihr aufgetragen wurde.
Es war daher der Berufung gemäß §§ 2 ASGG, 496 Abs 2 ZPO spruchgemäß Folge zu geben.Es war daher der Berufung gemäß Paragraphen 2, ASGG, 496 Absatz 2, ZPO spruchgemäß Folge zu geben.
Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht das Verfahren im aufgezeigten Sinne zu ergänzen haben.
Eine Beweisergänzung durch das Berufungsgericht gemäß § 2 ASGG, 496 Abs 3 ZPO kommt nicht in Betracht, weil dies zu einer Verfahrensverzögerung führen würde. Das Erstgericht kann nämlich weitgehend den bisherigen Verhandlungsstoff verwerten, während das Berufungsgericht aufgrund des Unmittelbarkeitsgrundsatzes zu einer weitgehenden Beweiswiederholung genötigt wäre.Eine Beweisergänzung durch das Berufungsgericht gemäß Paragraph 2, ASGG, 496 Absatz 3, ZPO kommt nicht in Betracht, weil dies zu einer Verfahrensverzögerung führen würde. Das Erstgericht kann nämlich weitgehend den bisherigen Verhandlungsstoff verwerten, während das Berufungsgericht aufgrund des Unmittelbarkeitsgrundsatzes zu einer weitgehenden Beweiswiederholung genötigt wäre.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 2 ASGG, 52 ZPO.Die Kostenentscheidung gründet sich auf die Paragraphen 2, ASGG, 52 ZPO.
Anmerkung
EW00230 07S03217European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OLG0009:1997:0070RS00321.97W.1201.000Dokumentnummer
JJT_19971201_OLG0009_0070RS00321_97W0000_000