TE OGH 1997/12/2 10ObS410/97k

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Veröffentlicht am 02.12.1997
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer und Dr.Ehmayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Hermann Weber und OMr Mag.Gustav Liebhart, beide aus dem Kreis der Arbeitgeber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Maria O*****, vertreten durch Brandstetter, Politzer & Pritz Partnerschaft KEG, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, Wiedner Hauptstraße 84-86, 1051 Wien, vertreten durch Dr.Paul Bachmann, Dr.Eva-Maria Bachmann und Dr.Christian Bachmann, Rechtsanwälte in Wien, wegen Pflegegeld, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 3.September 1997, GZ 8 Rs 46/97m-24, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 24.Oktober 1996, GZ 28 Cgs 136/96m-15, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen, die hinsichtlich des Zuspruches von Pflegegeld der Stufe 5 für die Zeit vom 1.1.1996 bis 30.4.1996 und von Pflegegeld der Stufe 6 für die Zeit ab 1.5.1996 sowie der Abweisung eines die Stufe 5 übersteigenden Pflegegeldes für die Zeit vom 1.1.1996 bis 30.4.1996 als unangefochten unberührt bleiben, werden im übrigen (im Umfang der Abweisung eines die Stufe 6 übersteigenden Pflegegeldes ab 1.5.1996) aufgehoben und die Rechtssachen in diesem Umfang zur Ergänzung des Verfahrens und zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die am 27.11.1912 geborene Klägerin leidet an einer chronisch cerebrovaskulären Insuffizienz mit erheblicher Einschränkung der geistigen Leistungsfähigkeit, einer grenzkompensierten sklerotischen Myocardiopathie mit chronischer cardialer Insuffizienz NYHA Stadium III, hochgradigem Marasmus und rezidivierenden Decubital- geschwüren. Sie benimmt sich apathisch, auch wenn ihre nächsten Verwandten anwesend sind und unternimmt keinen Versuch, mit diesen oder anderen Personen Kontakt aufzunehmen. Sie hat den Kontakt zu ihrer Umwelt derartig abgebaut, daß man sie immer wieder fragen muß, ob sie etwas braucht, sie ist nur begrenzt in der Lage, wenn sie etwas benötigt, dies auch zu artikulieren. Die Klägerin benötigt für alle täglich lebensnotwendigen Verrichtungen inklusive Inkontinenzpflege, Essen, Medikamenteneinnahme etc fremde Hilfe; auch die Mobilisierung innerhalb der Wohnung ist nur mit fremder Hilfe möglich. Wegen der rezidivierenden Decubitalgeschwüre ist die dauernde Anwesenheit einer Pflegeperson erforderlich, weil die Klägerin jede Stunde einmal umgebettet wird, wobei, um das Wundliegen zu vermeiden, darauf geachtet werden muß, daß sie nicht wieder in ihre ursprüngliche Lage zurückkehrt. Es ist daher die dauernde Anwesenheit einer Pflegeperson erforderlich. Auch in der Nacht ist es erforderlich, nach der Klägerin zu sehen.Die am 27.11.1912 geborene Klägerin leidet an einer chronisch cerebrovaskulären Insuffizienz mit erheblicher Einschränkung der geistigen Leistungsfähigkeit, einer grenzkompensierten sklerotischen Myocardiopathie mit chronischer cardialer Insuffizienz NYHA Stadium römisch III, hochgradigem Marasmus und rezidivierenden Decubital- geschwüren. Sie benimmt sich apathisch, auch wenn ihre nächsten Verwandten anwesend sind und unternimmt keinen Versuch, mit diesen oder anderen Personen Kontakt aufzunehmen. Sie hat den Kontakt zu ihrer Umwelt derartig abgebaut, daß man sie immer wieder fragen muß, ob sie etwas braucht, sie ist nur begrenzt in der Lage, wenn sie etwas benötigt, dies auch zu artikulieren. Die Klägerin benötigt für alle täglich lebensnotwendigen Verrichtungen inklusive Inkontinenzpflege, Essen, Medikamenteneinnahme etc fremde Hilfe; auch die Mobilisierung innerhalb der Wohnung ist nur mit fremder Hilfe möglich. Wegen der rezidivierenden Decubitalgeschwüre ist die dauernde Anwesenheit einer Pflegeperson erforderlich, weil die Klägerin jede Stunde einmal umgebettet wird, wobei, um das Wundliegen zu vermeiden, darauf geachtet werden muß, daß sie nicht wieder in ihre ursprüngliche Lage zurückkehrt. Es ist daher die dauernde Anwesenheit einer Pflegeperson erforderlich. Auch in der Nacht ist es erforderlich, nach der Klägerin zu sehen.

Die Klägerin lebt in der Wohnung ihrer Kinder und wird von diesen betreut. Sie liegt in einem Spezialbett, über welchem ein Aufrichtgalgen befestigt ist. Zimmer-Toilette und Rollstuhl sind vorhanden.

Mit Bescheid vom 3.6.1996 sprach die beklagte Partei aus, daß der Klägerin zu ihrer Pension ab 1.1.1995 Pflegegeld der Stufe 5 gebühre.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Klage, mit der die Klägerin die Zuerkennung eines Pflegegeldes der Stufe 7 begehrt. Sie bedürfe ständiger Beaufsichtigung und sei bewegungsunfähig.

Die beklagte Partei beantragt die Abweisung der Klage. Der durchschnittliche monatliche Pflegeaufwand betrage 215 Stunden. Dauernde Beaufsichtigung sei nicht erforderlich, Bewegungsunfähigkeit liege nicht vor, Anspruch auf ein die Stufe 5 übersteigendes Pflegegeld bestehe daher nicht.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren teilweise statt und verpflichtete die beklagte Partei, der Klägerin ab 1.5.1996 Pflegegeld der Stufe 7 zu leisten. Daß ein Pflegeaufwand von 215 Stunden bestehe, habe die beklagte Partei zugestanden. Ausgehend von den Feststellungen bedürfe die Klägerin auch dauernder Beaufsichtigung, weil ständige darauf geachtet werden müsse, daß sie nach dem Umbetten nicht wieder ihre frühere Lage einnehme und sie auch psychisch verwahrlosen würde, wenn sie sich alleingelassen fühle, dann schreie und in diesem Fall die Gefahr bestehe, daß die Klägerin irgendetwas anstelle oder sich selbst gefährde. Da sie nicht in der Lage sei, sich selbständig vom Bett in den Rollstuhl zu bewegen und auch im Bett ihre Lage nicht ohne fremde Hilfe verändern könne, sondern immer umgelegt werden müsse, liege auch praktische Bewegungsunfähigkeit vor.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung über Berufung der beklagten Partei, die nur die Gewährung eines die Stufe 6 übersteigenden Pflegegeldes ab 1.5.1996 bekämpft hatte, dahin ab, daß es der Klägerin ab 1.5.1996 Pflegegeld der Stufe 6 zuerkannte und das Mehrbegehren abwies. Einer Auseinandersetzung mit der den Tatsachenbereich betreffenden Rüge der Berufung bedürfe es nicht, weil die Sache bereits ausgehend von den getroffenen Tatsachenfeststellungen im Sinne des Berufungsantrages zu entscheiden sei. Die Gewährung eines Pflegegeldes der Stufe 7 setze praktische Bewegungsunfähigkeit voraus. Ein solcher Zustand liege vor, wenn die funktionelle Auswirkungen jenen einer vollständigen Bewegungsunfähigkeit gleichkommen. Von einem der praktischen Bewegungs- unfähigkeit gleichzuachtenden Zustand könne ausgegangen werden, wenn der Pflegebedürftige an sich noch über eine gewisse Mobilität verfüge, diese aber wegen Angewiesenseins auf bestimmte lebensnotwendige Hilfsmittel, zB ein Beatmungsgerät nicht benützen könne. Wende man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, so ergebe sich, daß bei der Klägerin praktische Bewegungsunfähigkeit nicht vorliege, so daß kein Anspruch auf ein die Stufe 6 übersteigendes Pflegegeld bestehe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt werde.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist im Sinne des Eventualantrages berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Strittig ist im Revisionsverfahren ausschließlich die Frage, ob bei der Klägerin die Voraussetzung "praktische Bewegungsunfähigkeit oder ein gleichzuachtender Zustand" im Sinne des § 4 Abs 2 Stufe 7 BPGG vorliegt.Strittig ist im Revisionsverfahren ausschließlich die Frage, ob bei der Klägerin die Voraussetzung "praktische Bewegungsunfähigkeit oder ein gleichzuachtender Zustand" im Sinne des Paragraph 4, Absatz 2, Stufe 7 BPGG vorliegt.

Die Einordnung in Stufe 7 sollte nach der Regierungsvorlage zum BPGG nur bei Vorliegen der "vollständigen Bewegungsunfähigkeit" zulässig sein (776 BlgNR 18.GP). In den Ausschußberatungen wurde diese Voraussetzung durch den weiteren Begriff "praktische Bewegungsunfähigkeit" ersetzt (908 BlgNR 18.GP). Dies setzt einen Zustand voraus, der in den funktionellen Auswirkungen einer vollständigen Bewegungsunfähigkeit gleichkommt. Dies ist anzunehmen, wenn zielgerichtete Bewegungen mit funktioneller Umsetzung nicht mehr möglich sind. Pflegegeld der Stufe 7 kommt schließlich auch bei einem der praktischen Bewegungsunfähigkeit gleichzuachtenden Zustand in Betracht. Davon wird man sprechen können, wenn der Pflegebedürftige an sich noch über eine gewisse Mobilität verfügt, diese aber, insbesondere aufgrund des Ange- wiesenseins auf bestimmte lebensnotwendige Hilfsmittel nicht nützen kann (SSV-NF 10/135 in Druck).

Für die Entscheidung der Frage, ob bei der Klägerin diese Voraussetzungen vorliegen, fehlen die erforderlichen Feststellungen. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung in diesem Punkt überhaupt nicht begründet. Daraus, daß die Klägerin nicht in der Lage ist, sich selbständig aus dem Bett in den Rollstuhl zu setzen und es erforderlich ist, daß sie im Bett umgelegt werden muß, kann nicht im Sinne der Begründung des Erstgerichtes geschlossen werden, daß praktische Bewegungsunfähigkeit vorliegt. Im Sinne der obigen Ausführungen erfordert die Annahme dieser Voraussetzungen weitergehende Einschränkungen. Zur abschließenden Entscheidung ist eine genaue Prüfung erforderlich, wie weit die Klägerin in ihrer Bewegungs- fähigkeit eingeschränkt ist, insbesondere, wie weit ihr zielgerichtete Bewegungen mit funktioneller Umsetzung möglich sind, also willentliche Bewegungen, die zu einem bestimmten beabsichtigten Zweck dienen und mit denen dieser Zweck auch erreicht werden kann. Dabei fällt auf, daß nach den vom Sachverständigen in seinem Gutachten berichteten Angaben von Angehörigen der Klägerin, diese grundsätzlich in der Lage ist, allein zu essen und zu trinken, nur müsse man ihr etwa in der Hälfte der Zeit helfen und sie füttern. Sollte dies erwiesen werden, so ergäbe sich daraus, daß der Klägerin sehr wohl zielgerichtete Bewegungen mit funktioneller Umsetzung möglich sind. Auch ist nicht geklärt, aus welchem Grund die Klägerin nach dem Umlegen beaufsichtigt werden muß. Bedeutung kommt dabei der Frage zu, ob sie ansonst unwillkürlich in die frühere Lage zurücksinkt, oder ob sie ihre Lage aktiv selbst verändert. Auch die Feststellung, daß die Klägerin, wenn sie sich vernachlässigt fühlt, "etwas anstellt" könnte dafür sprechen, daß sie in der Lage ist, ihre Bewegungen willentlich zu steuern.

Das Erstgericht wird die Feststellungen im aufgezeigten Sinn zu ergänzen und dann über das Begehren der Klägerin neuerlich zu entscheiden haben. Bei dieser Entscheidung wird zu beachten sein, daß eine Entscheidung bloß dem Grunde nach im Sinne des § 89 Abs 2 ASGG nur dann in Frage kommt, wenn das Begehren dem Grunde und der Höhe nach strittig ist. Da die Höhe des Pflegegeldes in den einzelnen Stufen im Gesetz ziffernmäßig festgelegt ist, sind die Voraussetzungen für eine Entscheidung im Sinne des § 89 Abs 2 ASGG in diesen Fällen nicht gegeben. Mit der Stufe des Pflegegeldes, die für berechtigt erkannt wird, steht im Zusammenhang mit den gesetzlichen Bestimmungen über die Höhe des in dieser Stufe gebührenden Pflegegeldes der Anspruch auch der Höhe nach fest. Es ist daher im Urteil der Betrag des Pflegegeldes zuzuerkennen.Das Erstgericht wird die Feststellungen im aufgezeigten Sinn zu ergänzen und dann über das Begehren der Klägerin neuerlich zu entscheiden haben. Bei dieser Entscheidung wird zu beachten sein, daß eine Entscheidung bloß dem Grunde nach im Sinne des Paragraph 89, Absatz 2, ASGG nur dann in Frage kommt, wenn das Begehren dem Grunde und der Höhe nach strittig ist. Da die Höhe des Pflegegeldes in den einzelnen Stufen im Gesetz ziffernmäßig festgelegt ist, sind die Voraussetzungen für eine Entscheidung im Sinne des Paragraph 89, Absatz 2, ASGG in diesen Fällen nicht gegeben. Mit der Stufe des Pflegegeldes, die für berechtigt erkannt wird, steht im Zusammenhang mit den gesetzlichen Bestimmungen über die Höhe des in dieser Stufe gebührenden Pflegegeldes der Anspruch auch der Höhe nach fest. Es ist daher im Urteil der Betrag des Pflegegeldes zuzuerkennen.

Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 52 Abs 1 ZPO.Der Kostenvorbehalt stützt sich auf Paragraph 52, Absatz eins, ZPO.

Anmerkung

E48613 10C04107

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1997:010OBS00410.97K.1202.000

Dokumentnummer

JJT_19971202_OGH0002_010OBS00410_97K0000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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