Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 2.Dezember 1997 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ebner, Dr.Schmucker, Dr.Habl und Dr.Zehetner als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Kubiczek als Schriftführer, in der Strafsache gegen Johann L***** und andere wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und Abs 4 erster Fall StGB über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis vom 25.März 1996, AZ 10 Bl 35/96, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Jerabek, der Verurteilten Johann L*****, Gottfried B*****, Gerhard H*****, Hermann P*****, Jürgen Sch***** und Rudolf W***** sowie des Verteidigers Dr.Brandt zu Recht erkannt:Der Oberste Gerichtshof hat am 2.Dezember 1997 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ebner, Dr.Schmucker, Dr.Habl und Dr.Zehetner als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Kubiczek als Schriftführer, in der Strafsache gegen Johann L***** und andere wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach Paragraph 88, Absatz eins und Absatz 4, erster Fall StGB über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis vom 25.März 1996, AZ 10 Bl 35/96, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Jerabek, der Verurteilten Johann L*****, Gottfried B*****, Gerhard H*****, Hermann P*****, Jürgen Sch***** und Rudolf W***** sowie des Verteidigers Dr.Brandt zu Recht erkannt:
Spruch
Das im Verfahren AZ U 35/95 des Bezirksgerichtes Raab gefällte Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis als Berufungsgericht vom 25.März 1996 (AZ 10 Bl 35/96), mit welchem die Angeklagten Johann L*****, Gottfried B*****, Gerhard H*****, Hermann P*****, Jürgen Sch*****, Helmut Wo*****, Heinz Wo***** und Rudolf W***** des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und Abs 4 erster Fall StGB schuldig erkannt wurden, verletzt das Gesetz in der genannten Bestimmung.Das im Verfahren AZ U 35/95 des Bezirksgerichtes Raab gefällte Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis als Berufungsgericht vom 25.März 1996 (AZ 10 Bl 35/96), mit welchem die Angeklagten Johann L*****, Gottfried B*****, Gerhard H*****, Hermann P*****, Jürgen Sch*****, Helmut Wo*****, Heinz Wo***** und Rudolf W***** des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach Paragraph 88, Absatz eins und Absatz 4, erster Fall StGB schuldig erkannt wurden, verletzt das Gesetz in der genannten Bestimmung.
Dieses Urteil wird (einschließlich des gleichzeitig nach § 494a Abs 1 Z 2 StPO gefaßten Beschlusses) zur Gänze aufgehoben und gemäß § 292 StPO in der Sache selbst erkannt:Dieses Urteil wird (einschließlich des gleichzeitig nach Paragraph 494 a, Absatz eins, Ziffer 2, StPO gefaßten Beschlusses) zur Gänze aufgehoben und gemäß Paragraph 292, StPO in der Sache selbst erkannt:
Der Berufung der Staatsanwaltschaft wird nicht Folge gegeben.
Text
Gründe:
Im Verfahren AZ U 35/95 des Bezirksgerichtes Raab wurden Johann L*****, Gottfried B*****, Gerhard H*****, Hermann P*****, Jürgen Sch*****, Helmut Wo*****, Heinz Wo***** und Rudolf W***** mit - das freisprechende Urteil des Bezirksgerichtes Raab vom 30.November 1995 in Stattgebung der Nichtigkeitsberufung der Staatsanwaltschaft aufhebendem - Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis vom 25.März 1996, AZ 10 Bl 35/96 (= ON 40), des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und Abs 4 erster Fall StGB schuldig erkannt, weil sie andere fahrlässig am Körper verletzt haben, indem sie am 28.Februar 1995 in Andorf bei einer Faschingsveranstaltung als Mitglieder der Leistungsriege des Turnvereines in einverständlichem Zusammenwirken Zusehern die Benützung eines Katapult-Gerätes ohne ausreichende Absicherung gestatteten, wodurch Monika E***** einen Bruch des 12. Brustwirbels, Günther A***** einen Bruch des linken Außenknöchels und Christian St***** den Bruch eines Lendenwirbels erlitten.Im Verfahren AZ U 35/95 des Bezirksgerichtes Raab wurden Johann L*****, Gottfried B*****, Gerhard H*****, Hermann P*****, Jürgen Sch*****, Helmut Wo*****, Heinz Wo***** und Rudolf W***** mit - das freisprechende Urteil des Bezirksgerichtes Raab vom 30.November 1995 in Stattgebung der Nichtigkeitsberufung der Staatsanwaltschaft aufhebendem - Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis vom 25.März 1996, AZ 10 Bl 35/96 (= ON 40), des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach Paragraph 88, Absatz eins und Absatz 4, erster Fall StGB schuldig erkannt, weil sie andere fahrlässig am Körper verletzt haben, indem sie am 28.Februar 1995 in Andorf bei einer Faschingsveranstaltung als Mitglieder der Leistungsriege des Turnvereines in einverständlichem Zusammenwirken Zusehern die Benützung eines Katapult-Gerätes ohne ausreichende Absicherung gestatteten, wodurch Monika E***** einen Bruch des 12. Brustwirbels, Günther A***** einen Bruch des linken Außenknöchels und Christian St***** den Bruch eines Lendenwirbels erlitten.
Nach den diesem Schuldspruch zugrundegelegten Tatsachenfeststellungen waren die Angeklagten Darsteller einer als Attraktion der Faschingsveranstaltung gedachten turnerischen Darbietung, bei welcher sie sich aus einer selbstverfertigten, durch den Einsatz gespannter Stahlfedern eine Art Katapult-Gerät bildenden Holzkonstruktion im Bogen durch die Luft schleudern ließen und sodann etwa zwei bis drei Meter entfernt auf einer mit Schaumstoff gefüllten Aufsprungmatte landeten. Diese Darbietung löste beim Publikum große Begeisterung aus und veranlaßte zahlreiche Zuseher zum Ansinnen, gleichfalls diesen Katapult-Stuhl benützen zu dürfen, was von den Angeklagten an sich nicht vorgesehen gewesen war. Angesichts des Drängens des Publikums willigten sie schließlich in die (unentgeltliche) Benützung ein, wobei sie eine einschränkende Auswahl auf "relativ sportliche" Erwachsene trafen.
Nachdem verschiedene Besucher problemlos gesprungen waren, blieb erstmals gegen 15.00 Uhr Monika E***** nach dem Aufprall auf der Matte "die Luft weg", weshalb sie beim Abgang gestützt werden mußte. Erst später stellte sich heraus, daß sie einen Bruch des 12. Brustwirbels davongetragen hatte. Da die Angeklagten die wahrgenommenen Atembeschwernisse aufgrund ihrer eigenen Erfahrung als Geräteturner als vernachlässigbare Sprungfolge erachteten, fanden sie keinen Grund, die weitere Gerätebenützung zu untersagen. Die etwa zwei Stunden später erfolgte schwere Verletzung des Günther A***** war für niemanden erkennbar, weil dieser sich ohne Anzeichen einer Beeinträchtigung von der Matte entfernt hatte. Als wiederum etwa eine Stunde später Christian St***** beim Aufprall auf die Matte erkennbar eine Verletzung davongetragen hatte, wurde "das Spektakel eingestellt" (US 3 ff). Bezüglich des zuletzt genannten Verletzten wäre anhand des Akteninhaltes ergänzend festzuhalten, daß dieser einen bereits im Vorjahr erlittenen Wirbelbruch verschwiegen hatte (S 55, 196).
Während das Bezirksgericht Raab im Verhalten der Angeklagten keinen objektiven Sorgfaltsverstoß erblickte und schon aus diesem Grunde einen Freispruch vom Anklagevorwurf der fahrlässigen Körperverletzung fällte (ON 34), vertrat das Berufungsgericht in rechtlicher Sicht den Standpunkt, daß die Angeklagten durch die Gestattung der Benützung des Katapult-Gerätes eine Gefahrensituation geschaffen, die zur Abwehr der drohenden Rechtsgutbeeinträchtigung gebotenen Sicherheitsvorkehrungen (insbesondere durch Bereitstellung des vom Sachverständigen Univ.Doz.Dr.Be***** als zweckmäßig erachteten luftgefüllten Sprungpolsters) aber verabsäumt hätten. Die tatsächlich verwendete, beim Turnbetrieb an sich ausreichende (schaumstoffgefüllte) Sprungmatratze wäre für - wenngleich "sportliche", dessen ungeachtet aber - "ungeübte" Personen unzureichend gewesen. Das inkriminierte Tatgeschehen im Zuge einer "Faschingsgaudi", bei welcher die Hemmschwellen erfahrungsgemäß etwas herabgesetzt sind, könne nicht als Realisierung des typischen Risikos anerkannter Sportarten gewertet werden, weshalb den Angeklagten die Mißachtung der objektiv gebotenen Sorgfalt anzulasten wäre (ON 40).
Die gegen das Berufungsurteil gerichtete, vom Generalprokurator gemäß § 33 Abs 2 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde ist im Recht, weil die Annahme eines objektiv sorgfaltswidrigen Verhaltens der Angeklagten im Gesetz keine Deckung findet.Die gegen das Berufungsurteil gerichtete, vom Generalprokurator gemäß Paragraph 33, Absatz 2, StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde ist im Recht, weil die Annahme eines objektiv sorgfaltswidrigen Verhaltens der Angeklagten im Gesetz keine Deckung findet.
Rechtliche Beurteilung
Die objektive Sorgfaltswidrigkeit - als tatbestandsessentielles Unrechtselement jedes Fahrlässigkeitsdeliktes - wird vom Gesetz als Außerachtlassung jener Sorgfalt umschrieben, zu welcher der Täter "nach den Umständen verpflichtet" ist. Das Maß der im konkreten Einzelfall objektiv gebotenen Sorgfalt richtet sich - wenn, wie vorliegend, Rechtsvorschriften oder Verkehrsnormen als Richtschnur sorgfaltsgemäßen Verhaltens fehlen - danach, wie sich ein mit den rechtlich geschützten Werten angemessen verbundener, besonnener und einsichtiger Mensch in der konkreten Tatsituation verhalten würde; maßgebliche Richtlinie ist demnach jene Sorgfalt, die von einem sich seiner Pflichten gegen die Mitwelt bewußten Menschen aus dem Verkehrskreis des Täters billigerweise verlangt werden kann (Leukauf/Steininger Komm3 § 6 RN 12; SSt 56/12).Die objektive Sorgfaltswidrigkeit - als tatbestandsessentielles Unrechtselement jedes Fahrlässigkeitsdeliktes - wird vom Gesetz als Außerachtlassung jener Sorgfalt umschrieben, zu welcher der Täter "nach den Umständen verpflichtet" ist. Das Maß der im konkreten Einzelfall objektiv gebotenen Sorgfalt richtet sich - wenn, wie vorliegend, Rechtsvorschriften oder Verkehrsnormen als Richtschnur sorgfaltsgemäßen Verhaltens fehlen - danach, wie sich ein mit den rechtlich geschützten Werten angemessen verbundener, besonnener und einsichtiger Mensch in der konkreten Tatsituation verhalten würde; maßgebliche Richtlinie ist demnach jene Sorgfalt, die von einem sich seiner Pflichten gegen die Mitwelt bewußten Menschen aus dem Verkehrskreis des Täters billigerweise verlangt werden kann (Leukauf/Steininger Komm3 Paragraph 6, RN 12; SSt 56/12).
Für die strafrechtliche Beurteilung des aktuellen Tatgeschehens ist von Bedeutung, daß es die Opfer selbst waren, die in Kenntnis aller relevanten Umstände aus eigenem Antrieb die unschwer als risikobehaftet erkennbaren, zur Verletzung führenden Handlungen gesetzt haben, während die Angeklagten an dieser freiwilligen Selbstgefährdung anderer nur durch Ermöglichung dieses Verhaltens mitgewirkt haben. Die Eigenverantwortlichkeit der Verletzten, welche den durch die Benützung des Katapult-Stuhls bewirkten Schleudereffekt ebenso wie den - in einem Fall sogar erkennbare Atemnot bewirkenden - Aufprall auf einer notorisch relativ harten Turnmatratze vorgeführt bekommen und sich dessen ungeachtet bewußt der Gefährdung ausgesetzt haben, stellt unzweifelhaft ein wesentliches Kriterium für die Begrenzung der objektiven Sorgfaltspflicht der Angeklagten dar, denen eine spezielle Obhuts- oder Schutzpflicht gegenüber den sich selbst Gefährdenden in der konkreten Tatsituation nicht auferlegt war. Die Angeklagten haben weder für die Benützung des Katapult-Stuhls geworben oder auf andere Weise dazu animiert, noch haben sie Personen den Gebrauch gestattet, die (etwa aufgrund ihres Alters oder der körperlichen Verfassung) eine besondere Schutzbedürftigkeit erkennen ließen. Die Verletzten waren voll handlungs- und einsichtsfähige (und darüber hinaus auch "sportliche") Erwachsene und als solche primär allein für ihre körperliche Integrität verantwortlich. Ein sachkundiger rechtstreuer Beobachter des Geschehens durfte (als "differenzierte Maßfigur" für die Prüfung allfälliger objektiver Sorgfaltswidrigkeit) in der konkreten Tatsituation darauf vertrauen, daß die später Verletzten ihre turnerischen Fähigkeiten einzuschätzen vermochten und demzufolge im Stande waren, körperliche Schäden zu vermeiden.
Die (eingeschränkte) Erlaubnis zur Benützung des Katapult-Stuhls und die Auslösung des Sprungmechanismusses durch die Angeklagten stellt im konkreten Fall kein von der Rechtsordnung mißbilligtes (objektiv sorgfaltswidriges) Verhalten dar; die erlittene Schädigung fällt in den alleinigen Verantwortungsbereich der Opfer (nähere Ausführungen zur aufgeworfenen Problematik: Steininger in ZVR 1985, 97 ff; Lewisch in ÖJZ 1995, 296; Kienapfel AT6 Z 27 RN 8, BT4 § 80 RN 64 f).Die (eingeschränkte) Erlaubnis zur Benützung des Katapult-Stuhls und die Auslösung des Sprungmechanismusses durch die Angeklagten stellt im konkreten Fall kein von der Rechtsordnung mißbilligtes (objektiv sorgfaltswidriges) Verhalten dar; die erlittene Schädigung fällt in den alleinigen Verantwortungsbereich der Opfer (nähere Ausführungen zur aufgeworfenen Problematik: Steininger in ZVR 1985, 97 ff; Lewisch in ÖJZ 1995, 296; Kienapfel AT6 Ziffer 27, RN 8, BT4 Paragraph 80, RN 64 f).
Der vom Landesgericht Ried im Innkreis angenommenen Tatbestandsverwirklichung nach § 88 Abs 1 und Abs 4 erster Fall StGB steht sohin schon die mangelnde objektive Sorgfaltswidrigkeit des den Angeklagten angelasteten Tatverhaltens entgegen.Der vom Landesgericht Ried im Innkreis angenommenen Tatbestandsverwirklichung nach Paragraph 88, Absatz eins und Absatz 4, erster Fall StGB steht sohin schon die mangelnde objektive Sorgfaltswidrigkeit des den Angeklagten angelasteten Tatverhaltens entgegen.
Da die aufgezeigte Gesetzesverletzung den Verurteilten zum Nachteil gereicht, war die eingangs zitierte Berufungsentscheidung aufzuheben und spruchgemäß zu erkennen.
Anmerkung
E48513 11D01677European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1997:0110OS00167.97.1202.000Dokumentnummer
JJT_19971202_OGH0002_0110OS00167_9700000_000