TE OGH 1997/12/19 7Rs288/97t

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Veröffentlicht am 19.12.1997
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Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichtes Dr.Hellwagner (Vorsitzender), die Richter des Oberlandesgerichtes Dr.Blaszczyk und DDr.Huberger sowie die fachkundigen Laienrichter MR Dr.Gottfired Mayer (AG) und ADir.Reinhard Ulrich in der Sozialrechts- sache der klagenden Partei R*****, vertreten durch Dr.H*****, Rechtsanwalt in *****, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, wegen Invaliditätspension, infolge der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 2.6.1997, 17 Cgs 147/96y-26, gemäß §§ 2 ASGG, 496 Abs.1 ZPO, in nichtöffentlicher Sitzung denDas Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichtes Dr.Hellwagner (Vorsitzender), die Richter des Oberlandesgerichtes Dr.Blaszczyk und DDr.Huberger sowie die fachkundigen Laienrichter MR Dr.Gottfired Mayer (AG) und ADir.Reinhard Ulrich in der Sozialrechts- sache der klagenden Partei R*****, vertreten durch Dr.H*****, Rechtsanwalt in *****, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, wegen Invaliditätspension, infolge der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 2.6.1997, 17 Cgs 147/96y-26, gemäß Paragraphen 2, ASGG, 496 Absatz , ZPO, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Berufung wird F o l g e gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sozialrechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Erstgericht das auf Gewährung einer Invaliditätspension ab dem 1.4.1986 im gesetzlichen Ausmaß gerichtete Klagebegehren abgewiesen. Es traf die auf den Seiten 2 bis 3 seiner Urteilsausfertigungen wiedergegebenen Fest- stellungen.

Daraus ist hervorzuheben:

Die am 3.2.1957 geborene Klägerin hat keinen Beruf erlernt, sie war ab Eintritt ins Berufsleben und auch während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag als Hilfsarbeiterin und Bedienerin tätig. Nach ihrem medizinischen Leistungskalkül kann sie alle leichten und mittelschweren Arbeiten ohne Einschränkung der Körperhaltung, bei Einhaltung der üblichen Arbeitspausen durchführen. Nicht möglich sind Arbeiten unter dauerndem besonderen Zeitdruck sowie Arbeiten an höhenexponierten Arbeitsplätzen wie Leitern und Gerüsten. Es besteht keine Einschränkung der Anmarschwege unter städtischen und mittleren ländlichen Verhältnissen.

Nach diesem medizinischen Leistungskalkül kann die Klägerin noch folgende gleichwertige und mit zumindest über 100 Dienstposten ausgestattete Verweisungstätig- keiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten:

Tischarbeiten in der Ledererzeugung, Hilfsarbeiten in der Spielwarenerzeugung oder im Adressenverlag, ferner die Tätigkeiten einer Bürobedienerin, Bürobotin, Sortiererin, Abräumerin in Selbstbedienungsrestaurants oder Packerin in einem Kaufhaus. Sämtliche angeführten Tätigkeiten überschreiten nicht das Leistungskalkül "mittelschwer", Arbeiten unter dauerndem besonderen Zeitdruck sowie an höhenexponierten Arbeitsplätzen kommen nicht vor.

In rechtlicher Hinsicht kam das Erstgericht zum Ergebnis, daß die Klägerin nicht invalide im Sinne des § 255 Abs.3 ASVG sei, weil sie noch die genannten Verweisungstätigkeiten verrichten könne.In rechtlicher Hinsicht kam das Erstgericht zum Ergebnis, daß die Klägerin nicht invalide im Sinne des Paragraph 255, Absatz , ASVG sei, weil sie noch die genannten Verweisungstätigkeiten verrichten könne.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin aus den Berufungsgründen der Mangehaftigkeit des Verfahrens und unrichtigen bzw. unvollständigen Tatsachenfeststellung mit dem Antrag, es im Sinne der Klagestattgebung abzuändern, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat sich am Berufungsverfahren nicht beteiligt.

Die Berufung ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Unter den beiden Berufungsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen und unvollständigen Tatsachenfeststellung rügt die Klägerin, daß das Erstgericht keinen Dolmetscher für die serbokroatische Sprache zu den medizinischen Untersuchungen und Verhandlungen beigezogen habe, obwohl sie bereits in ihrer Protokollarklage am 25.6.1996 darum ersucht habe. Die Beiziehung von Dolmetschern bei der Anamnese durch die vom Erstgericht bestellten Sachverständigen wäre notwendig gewesen, weil sich herausgestellt habe, daß die Anamnesen aufgrund der sprachlichen Verständigkeitsschwierigkeiten teilweise unrichtig und unvollständig seien. Dies gehe daran hervor, daß der Sachverständige für den Fachbereich der Psychiatrie und Neurologie Dr.H***** in seinem Gutachten festhält, die Klägerin gebe an, "sie sei 166cm groß und wiege 57kg", während der Sachverständige für Innere Medizin Primarius Dr.med.W***** in seinem Gutachten vom 4.11.1996 festhalte, sie wäre ein 164 cm groß und 59 kg schwer (ON 10, S.1 = AS 19), während der Sachverständige für Orthopädie und orthopädische Chirurgie Dr.G***** in seiner Anamnese wieder fest halte, sie sei 165cm groß, 58kg schwer (ON 18, S.1 = AS 35).

Wenn es durchaus auch erklärlich sei, daß die Klägerin aufgrund der länger auseinanderliegenden Untersuchungsterminen gewissen Gewichtsschwankungen unterlegen gewesen sei, sei es jedoch medizinisch nicht nachvollziehbar, daß die Größe der Klägerin zwischen 162cm und 166cm schwanke. Eine Größenschwankung einer 39-jährigen Person im Ausmaß von 4cm innerhalb eines so kurzen Beobachtungszeitraumes sei nicht möglich. Die unvertretene Klägerin habe auch in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 2.6.1997 vorgebracht, daß sie die Gutachten nicht ganz verstanden habe. Das Erstgericht hätte die Klägerin darauf hinweisen müssen, daß sie berechtigt wäre, weitere Sachverständigengutachten zu beantragen. Daß die Gutachten unvollständig und unrichtig seien, beweise, daß der Sachverständige für Innere Medizin Dr.S***** in zwei Gutachten nicht auf ein und dasselbe Kalkül komme. Aus diesem Grund hätte das Erstgericht einen anderen Sachverständigen beiziehen müssen. Die vom Sachverständigen Primarius Dr.S***** in der Verhandlung vom 2.6.1997 gemachte Aussage, daß die beide Gutachten kommulativ zu sehen seien, sei keinesfalls ausreichend, um die Widersprüche in den genannten Gutachten aufzuklären. Ferner hätte durch die Beiziehung eines Dolmetschers auch geklärt werden können, daß die zu erwartenden Krankenstände die Klägerin vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausschließen.

Das Berufungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 19.11.1997, 7 Rs 320/97y (1 Cgs 224/96y des Erstgerichtes) ausgesprochen, daß im Zivilprozeß der Richter von amtswegen zur Beiziehung eines Dolmetschers verpflichtet sei, wenn er erkenne, daß der infolge sprachlicher Schwierigkeiten nicht in der Lage sei, sich mit der zu vernehmenden Person zweifelsfrei zu verständigen. Erkenne der Richter dies nicht, so ist es Sache der zu vernehmenden Person, die Beiziehung eines Dolmetschers zu beantragen, wenn sie selbst aus sprachlichen Gründen nicht imstande ist, ihrer Aussagepflich korrekt und in zweifelsfreier Weise nachzukommen. Die Ablehnung eines derartigen Antragen wird - Relevanz der Aussage voraussgesetzt - in der Regel einen Verfahrensmangel begründen. Nur wenn eine Partei nicht geltendmachte, daß sie die Aussagen des Richters in der Verhandlung und auch die ihr zugestellten Gutachten nicht verstehe, bestehe für das Gericht kein Anlaß, von Amtswegen einen Dolmetsch beizuziehen (ÖJZ 1987/84 EvBl. hg 7 Rs 320/97v). Im vorliegenden Fall hat aber die Klägerin bereits in ihrer Protokollarklage vom 25.6.1996 (ON 1, S.2 = AS 2) beantragt, einen Dolmetsch für die serbokroatische Sprache zu den Untersuchungen und zur mündlichen Verhandlung beizuziehen. In der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 2.6.1997 gab die Klägerin informativ befragt an, daß sie die Gutachten "nicht ganz verstanden habe, sie könne nicht arbeiten, sie leide an Herzproblemen, sie kriege keine Luft und sie habe Herzklopfen" (Protokoll vom 2.6.1997, S.1 = AS 59). Angesichts der aufgezeigten Unrichtigkeiten in den ärztlichen Gutachten, was die schwankende Körpergröße betrifft, ist somit in abstrakter Hinsicht nicht auszuschließen, daß die Klägerin nicht in der Lage war, ohne Beiziehung eines Dolmetschers für die serbokroatische Sprache ihre Leiden gegenüber den Sachverständigen richtig und vollständig darzulegen.

Es war daher der Berufung gemäß §§ 2 ASGG, 496 Abs.1 Z 2 ZPO Folge zu geben.Es war daher der Berufung gemäß Paragraphen 2, ASGG, 496 Absatz , Ziffer 2, ZPO Folge zu geben.

Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht neuerlich die Untersuchung der Klägerin durch die genannten Sachverständigen unter Beiziehung eines Dolmetschers für die serbokroatische Sprache anzuordnen haben und hinsichtlich der verschiedenen Größenmaßen zu klären haben, welche Größe nun die Klägerin tatsächlich aufweist, um jeden Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Gutachten auszuschließen.

Da das ergänzende Verfahren zu anderen Feststellungen und somit auch einer anderen rechtlichen Beurteilung führen kann, erübrigt es sich zu den anderen Ausführungen der Berufung derzeit Stellung zu nehmen.

Insofern die Klägerin jedoch als auch mangelhaft rügt, daß das Erstgericht nicht von amtswegen einen berufskundlichen Sachverständigen beigezogen hat, ist ihr allerdings zu erwidern, daß eine derartige Beiziehung nicht erforderlich war, weil der berufsständisch zusammengesetzten Senates des Erstgerichtes in der Lage war, die Anforderungen in den beispielsweise aufgezählten Verweisungsberufen selbst zu beurteilen. Diese Tätigkeiten sind weit verbreitet und spielen sich vor den Augen der Öffentlichkeit ab, sodaß sie keines Beweises bedürfen (SSV-NF 2/109 uva).

Eine Beweisergänzung durch das Berufungsgericht gemäß §§ 2 ASGG, 496 Abs.3 ZPO kommt nicht in Betracht, weil das Erstgericht weitgehend den bisherigen Verhandlungsstoff verwerten kann, während das Berufungsgericht aufgrund des Unmittelbarkeitsgrundsatzes zu einer weitergehenden Beweiswiederholung genötigt werde, was mit höheren Kosten verbunden ist. Darüberhinaus würde die Wiederholung des Beweisverfahrens durch das Berufungsgericht im vorliegenden Fall dazu führen, daß der Klägerin im wesentlichen nur eine Tatsacheninstanz zur Verfügung steht, was mit der funktionellen Zuständigkeit des Berufungsgerichtes als kontrollierendes Rechtsmittelgericht unvereinbar ist.Eine Beweisergänzung durch das Berufungsgericht gemäß Paragraphen 2, ASGG, 496 Absatz , ZPO kommt nicht in Betracht, weil das Erstgericht weitgehend den bisherigen Verhandlungsstoff verwerten kann, während das Berufungsgericht aufgrund des Unmittelbarkeitsgrundsatzes zu einer weitergehenden Beweiswiederholung genötigt werde, was mit höheren Kosten verbunden ist. Darüberhinaus würde die Wiederholung des Beweisverfahrens durch das Berufungsgericht im vorliegenden Fall dazu führen, daß der Klägerin im wesentlichen nur eine Tatsacheninstanz zur Verfügung steht, was mit der funktionellen Zuständigkeit des Berufungsgerichtes als kontrollierendes Rechtsmittelgericht unvereinbar ist.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 2 ASGG, 52 ZPO.Die Kostenentscheidung gründet sich auf die Paragraphen 2, ASGG, 52 ZPO.

Anmerkung

EW00229 07S02887

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0009:1997:0070RS00288.97T.1219.000

Dokumentnummer

JJT_19971219_OLG0009_0070RS00288_97T0000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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