Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ehmayr und Hon.Prof.Dr.Danzl als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter MR Mag Dr.Martha Seböck (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Walter Scheed (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Maria B*****, vertreten durch die Sachwalterin Monika S*****, diese vertreten durch Dr.Andrea Wukovits, Rechtsanwältin in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, vertreten durch Dr.Andreas Grundei, Rechtsanwalt in Wien, wegen Pflegegeld, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 12.September 1997, GZ 8 Rs 182/97m-10, womit das Urteil des Landesgerichtes Korneuburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 26.Februar 1997, GZ 7 Cgs 246/96x-6a, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen, die hinsichtlich des Zuspruches von Pflegegeld der Stufe 5 für die Zeit ab 1.1.1996 in Höhe von monatlich S 11.591 unberührt bleiben, werden im übrigen (im Umfang des Zuspruches eines die Stufe 5 übersteigenden Pflegegeldes, nämlich eines solchen in Höhe der Stufe 7 von monatlich S 21.074 ab 1.1.1996) aufgehoben und die Rechtssache in diesem Umfang zur Ergänzung des Verfahrens und zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Die am 30.11.1899 geborene Klägerin wird in einem Landespensionistenheim in St***** betreut. Sie bezieht seit 1.7.1993 von der beklagten Partei ein Pflegegeld der Stufe 5. Mit Beschluß des Bezirksgerichtes Stockerau vom 20.Juni 1994, Sw 11/92-31, wurde ihr eine Sachwalterin gemäß § 273 ABGB ua mit dem Aufgabenkreis der Vertretung vor Ämtern und Behörden beigestellt.Die am 30.11.1899 geborene Klägerin wird in einem Landespensionistenheim in St***** betreut. Sie bezieht seit 1.7.1993 von der beklagten Partei ein Pflegegeld der Stufe 5. Mit Beschluß des Bezirksgerichtes Stockerau vom 20.Juni 1994, Sw 11/92-31, wurde ihr eine Sachwalterin gemäß Paragraph 273, ABGB ua mit dem Aufgabenkreis der Vertretung vor Ämtern und Behörden beigestellt.
Die Klägerin ist persönlich orientiert, zeitlich und örtlich jedoch nur mangelhaft. Ihr Gedächtnis und die Merkfähigkeit sind deutlich herabgesetzt. Es findet sich eine Perseverationstendenz. Das Denkziel wird nicht erreicht. Sie ist ratlos und findet sich bei ihr ein cerebraler Gefäßprozeß mit erheblicher Beeinträchtigung der Orientierungsfähigkeit und Abbau der Gedächtnisfunktionen.
Die Klägerin ist nicht alleine geh- oder stehfähig. Sie kann Arme und Beine wohl bewegen, aufgrund ihres Verwirrtheitszustandes ist ihr aber eine koordinierte Bewegung im Sinne einer sinnvollen und zielgerichteten Bewegung nicht möglich.
Mit Bescheid vom 2.5.1996 lehnte die beklagte Partei den Antrag der Klägerin vom 15.1.1996 auf Erhöhung des Pflegegeldes ab.
Mit der gegen diesen Bescheid gerichteten und mit Beschluß des Sachwalterschaftsgerichtes vom 16.7.1996 zu 1 P 1818/95z-46 sachwaltergerichtlich genehmigten Klage stellte die Klägerin das Begehren auf Zuerkennung des Pflegegeldes der Stufe 7 ab 1.1.1996, eventualiter Pflegegeld im gesetzlichen Ausmaß.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren, der Klägerin ein die Pflegegeldstufe 5 überschreitendes Pflegegeld ab 1.1.1996 zu gewähren, ab. Es beurteilte den eingangs (zusammengefaßt) wiedergegebenen Sachverhalt, hinsichtlich dessen auch noch die Feststellung getroffen wurde, daß bei der Klägerin eine dauernde Beaufsichtigung nicht, sondern nur eine ständige Observanz erforderlich sei und ihr monatlicher Pflegeaufwand ohne die Notwendigkeit einer dauernden Beaufsichtigung nur 165 Stunden betrage, rechtlich dahingehend, daß Anspruch auf ein die Pflegegeldstufe 5 überschreitendes Pflegegeld erst bestehe, wenn der Pflegebedarf 180 Stunden überschreite und eine dauernde Beaufsichtigung oder ein dieser gleichzuachtender Zustand vorliege. Da dies im vorliegenden Fall nicht gegeben sei, habe es bei der bisherigen Pflegegeldbemessung zu verbleiben.
Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil über Berufung der Klägerin dahin ab, daß es die beklagte Partei schuldig erkannte, ihr anstelle des bisher gewährten Pflegegeldes der Stufe 5 ab 1.1.1996 ein solches der Stufe 7 von S 21.074 monatlich zu zahlen. Bereits ausgehend von den Feststellungen des Erstgerichtes sei das Erfordernis einer praktischen Bewegungsunfähigkeit bei der Klägerin zu bejahen, weil ihr nur noch ein "sinnentleertes Wackeln mit den Extremitäten möglich ist". Die weitere zeitliche Voraussetzung eines monatlichen Pflegebedarfes von mehr als 180 Stunden sei ebenfalls erfüllt (und beruhe die vom Erstgericht unterstellte Stundenzahl von bloß 165 auf einem offenkundigen Additionsfehler). Daß neben die praktische Bewegungsunfähigkeit auch noch das (für die Pflegegeldstufe 6 notwendige) Erfordernis einer dauernden Beaufsichtigung treten müßte, sei im Gesetz nicht vorgesehen. Da schließlich in den Verhältnissen der Klägerin seit der letzten Bemessung eine wesentliche Veränderung eingetreten sei, lägen sämtliche Voraussetzungen für die Neubemessung und damit Anhebung des Pflegegeldes im begehrten Umfange vor.
Gegen dieses Urteil richtet sich die auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Wiederherstellung des Urteiles des Erstgerichtes abzuändern; hilfsweise wird auch ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Klägerin hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.
Die Revision ist gemäß § 46 Abs 3 ASGG auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen des Abs 1 leg cit zulässig und im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrages auch berechtigt.Die Revision ist gemäß Paragraph 46, Absatz 3, ASGG auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen des Absatz eins, leg cit zulässig und im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrages auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Vorauszuschicken ist, daß bei der Klägerin der für ihr Pflegegeldbegehren der Stufe 7 erforderliche Pflegebedarf von mehr als 180 Stunden monatlich nach den Feststellungen des Erstgerichtes (wie bereits vom Berufungsgericht zutreffend ausgeführt) deshalb zu bejahen ist, weil die Summierung der hiezu in Seite 2 und 3 des Ersturteils im einzelnen ausgeworfenen (und auch von der Revisionswerberin nicht bestrittenen) Hilfe- und Betreuungszeiten tatsächlich 195 und nicht bloß 165 Stunden beträgt. Damit ist jedoch nur ein Kriterium für die Erfüllung dieser höchsten Pflegegeldstufe erfüllt, verlangt doch das Gesetz überdies, daß beim Pflegegeldwerber zusätzlich noch praktische Bewegungsunfähigkeit oder ein gleichzuachtender Zustand vorliegen muß. Hiezu ist nun zunächst voranzustellen, daß sich die Behauptung im Rechtsmittel, wonach sich die am 30.11.1899 geborene Klägerin (selbständig, wenngleich unter großen Mühen) "im Heimverband bewegt und zurechtfindet", weder auf die Gutachten des medizinischen Sachverständigen noch sonst eine aktenmäßige Grundlage stützen kann. Geradezu gegenteilig wurde von den Vorinstanzen festgestellt, daß die nunmehr im 99.Lebensjahr stehende Klägerin selbständig weder geh- noch stehfähig ist und ihr auch koordinierte Bewegungen im Sinne einer sinnvollen und zielgerichteten Bewegung weder hinsichtlich der Arme noch der Beine möglich sind, was vom Berufungsgericht als "sinnentleertes Wackeln mit den Extremitäten" bezeichnet wurde. Trotzdem reichen diese Feststellungen derzeit noch nicht aus, um die Sozialrechtssache im Sinne des von der Klägerin begehrten und vom Berufungsgericht zugesprochenen Pflegegeldes der Stufe 7 abschließend zu beurteilen. Eine praktische Bewegungsunfähigkeit oder ein dieser gleichzuachtender Zustand liegt nämlich nach Auffassung des Obersten Gerichtshofes, wie dies erst jüngst in mehreren Entscheidungen zum Ausdruck gebracht wurde, nur dann vor, wenn einer hievon betroffenen Person keinerlei willentliche Steuerung von Bewegungen, die zu einem bestimmten beabsichtigten Zweck dienen und eingesetzt werden können und mit denen dieser Zweck auch erreicht werden kann, mehr möglich wäre. Ist aber - so der erkennende Senat in diesen Entscheidungen - jemand noch in der Lage, zB mit einer Hand Essen oder eine Trinkflüssigkeit (und sei es auch nur unter Zuhilfenahme des Hilfsmittels einer Schnabeltasse) zum Mund zu führen, ein Buch etc zum Lesen umzublättern, eine Rufglocke oder ein Mobiltelefon (Handy) zu ergreifen und (sei es auch bloß etwa mittels Kurzwahltaste) einen Rufkontakt herzustellen, eine Fernbedienung zu benützen, oder einen elektrischen Rollstuhl derart zu steuern, daß er auf willentliche Einflüsse zu reagieren vermag, dann liegt die Voraussetzung praktischer Bewegungsunfähigkeit im Sinne des für die höchste Pflegegeldstufe 7 geforderten Gesetzeserfordernisses nicht vor (10 ObS 377/97g, 10 ObS 385/97h, 10 ObS 33/98w, jeweils mwN). Zu all dem fehlt es jedoch an präzisen und konkreten Feststellungen sowie beweismäßigen Grundlagen. Daß die Klägerin aber (trotz ihrer Behinderungen) unter Umständen zu derartigen Restmobilitäten noch fähig ist, läßt sich schon daraus nicht von vornherein endgültig ausschließen, weil der medizinische Sachverständige sein schriftliches Gutachten vom 3.12.1996 damit einleitete, daß er die Genannte im Rollstuhl sitzend vor dem Mittagstisch antraf. Dazu kommt, daß auch der (wie in der Revision zutreffend hervorgehoben wird) allfälligen Befähigung, im Bett einen selbständigen Lagewechsel vorzunehmen und damit eine allfällige körperlich vorhandene Kraftumsetzung willentlich durchzuführen, bisher gänzlich unerhoben geblieben ist; daß es auch unter Umständen darauf bei der Beurteilung der Pflegegeldstufe 7 ankommen kann, hat jedoch der Oberste Gerichtshof bereits in den Entscheidungen 10 ObS 2434/96f und 10 ObS 2466/96m ausgesprochen. In der Entscheidung 10 ObS 385/97h wurde einer Klägerin die Pflegegeldstufe 7 versagt, obwohl sie praktisch am gesamten Körper gelähmt ist, weil sie immerhin im Bereich der linken Hand Greifbewegungen mit Daumen und Zeigefinger vorzunehmen in der Lage ist, welche es ihr ermöglichen, einen Spezialrollstuhl mit besonderer Sitzposition und einem kleinen Steuerknüppel zu steuern und damit herumzufahren.
Da nach den bisherigen Feststellungen sich jedenfalls nicht abschließend beurteilen läßt, ob bei der Klägerin tatsächlich praktische Bewegungsunfähigkeit oder ein gleichzuachtender Zustand im Sinne der vorstehenden Ausführungen vorliegt und damit Anspruch auf Stufe 7 des Pflegegeldes besteht, waren die Urteile der Vorinstanzen im angefochtenen Umfang aufzuheben und die Sozialrechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Daß dabei für die Klägerin nicht zumindest die Voraussetzungen der Pflegegeldstufe 6 erfüllt sind, folgt daraus, daß es bei ihr (feststellungskonform) zum 180 Stunden im Monatsdurchschnitt übersteigenden zeitlichen Aufwand am Erfordernis einer dauernden Beaufsichtigung oder eines gleichzuachtenden Pflegeaufwandes mangelt. Daß es dieses Elementes allerdings im Falle der Pflegegeldstufe 7 nicht noch zusätzlich bedarf, sondern vielmehr die umfassende Einschränkung der Beweglichkeit als Maßstab für den zu erwartenden Pflegeaufwand allein das ausschlaggebende Kriterium für die Pflegegeldstufe 7 bildet, hat der Oberste Gerichtshof in den Entscheidungen 10 ObS 2324/96d und 10 ObS 2434/96f bereits hervorgehoben.
Abschließend ist dem Einwand der Revisionswerberin, wonach Voraussetzung für eine Neubemessung des Pflegegeldes auch eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen des Anspruchswerbers gegenüber der letzten Bemessung sei, eine solche jedoch im Zustand der Klägerin hier nicht vorliege, entgegenzuhalten, daß bezüglich des der Klägerin bisher gewährten Pflegegeldes der Stufe 5 kein Bescheid, sondern eine bloße Mitteilung ("Verständigung") vom 17.11.1993 (Blatt 70 des Pensionsaktes) vorliegt, sodaß die insoweit von der beklagten Partei relevierte Bestimmung des § 9 Abs 3 BPGG (als Anwendungsfall des § 68 Abs 6 AVG betreffend die Abänderung von Bescheiden: vgl Pfeil, Pflegevorsorge 300; ders, BPGG 128) mangels bescheidmäßiger Zuerkennung hier schon aus dieser Erwägung nicht zur Anwendung kommen kann.Abschließend ist dem Einwand der Revisionswerberin, wonach Voraussetzung für eine Neubemessung des Pflegegeldes auch eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen des Anspruchswerbers gegenüber der letzten Bemessung sei, eine solche jedoch im Zustand der Klägerin hier nicht vorliege, entgegenzuhalten, daß bezüglich des der Klägerin bisher gewährten Pflegegeldes der Stufe 5 kein Bescheid, sondern eine bloße Mitteilung ("Verständigung") vom 17.11.1993 (Blatt 70 des Pensionsaktes) vorliegt, sodaß die insoweit von der beklagten Partei relevierte Bestimmung des Paragraph 9, Absatz 3, BPGG (als Anwendungsfall des Paragraph 68, Absatz 6, AVG betreffend die Abänderung von Bescheiden: vergleiche Pfeil, Pflegevorsorge 300; ders, BPGG 128) mangels bescheidmäßiger Zuerkennung hier schon aus dieser Erwägung nicht zur Anwendung kommen kann.
Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 52 Abs 1 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG.Der Kostenvorbehalt stützt sich auf Paragraph 52, Absatz eins, ZPO in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, ASGG.
Anmerkung
E49313 10C00788European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1998:010OBS00078.98P.0310.000Dokumentnummer
JJT_19980310_OGH0002_010OBS00078_98P0000_000