TE Vfgh Beschluss 2002/6/11 G92/02

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Veröffentlicht am 11.06.2002
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Index

25 Strafprozeß, Strafvollzug
25/01 Strafprozeß

Norm

B-VG Art89 Abs2
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
StPO §74 Abs3

Leitsatz

Zurückweisung des Individualantrags auf Aufhebung des Ausschlusses eines Rechtsmittels gegen die Ablehnung einer Gerichtsperson in der Strafprozeßordnung mangels Legitimation

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1. Die Vorgeschichte dieses Falles ergibt sich aus dem hg. Beschluß vom 15.3.2002, G31/02.

Nachdem der OGH mit Beschluß vom 27.11.2001 (14 Os 126, 131/01) den vom OLG Wien am 30.1.2001 (21 Ns 340/00) gefaßten Beschluß auf Delegierung des Verfahrens an das Landesgericht für Strafsachen Wien aufgehoben hatte - und das gegen den Antragsteller eingeleitete Strafverfahren somit vor dem Landesgericht Eisenstadt hätte geführt werden sollen -, haben sowohl der Präsident des Landesgerichts Eisenstadt als auch sämtliche weitere Richter dieses Gerichts eine Befangenheitsanzeige erstattet, die mit den zum Subsidiarankläger - einem Richter des Landesgerichts Eisenstadt - unterhaltenen kollegialen Beziehungen und dem sich daraus ergebenden Anschein einer voreingenommenen Behandlung der Strafsache begründet wurde.

Mit Beschluß vom 14.2.2002, GZ 21 Ns 32/02, wurde vom OLG Wien die Befangenheit des Präsidenten und sämtlicher weiterer Richter (ausgenommen des gem. §67 StPO von gerichtlichen Handlungen ohnedies ausgeschlossenen Subsidiaranklägers) des Landesgerichts Eisenstadt festgestellt und die Strafsache gem. §74 Abs3 StPO dem Landesgericht für Strafsachen Wien zugewiesen.

2. §74 StPO lautet wie folgt:

"§74. (1) Über die Zulässigkeit der Ablehnung einer Gerichtsperson entscheidet in der Regel der Vorsteher des Gerichtes, dem sie angehört.

(2) Wird der Vorsteher eines Bezirksgerichtes abgelehnt, so entscheidet die Ratskammer des Gerichtshofes erster Instanz; wenn ein ganzes Gericht erster Instanz oder dessen Vorsteher abgelehnt wird, entscheidet der Gerichtshof zweiter Instanz; wenn ein Gerichtshof zweiter Instanz oder dessen Präsident abgelehnt wird, entscheidet der Oberste Gerichtshof.

(3) Gegen diese Entscheidungen ist kein Rechtsmittel zulässig. Der Vorsteher oder der Gerichtshof, der über die Ablehnung entscheidet, hat zugleich, falls ihr stattgegeben wird, den Richter oder das Gericht zu bezeichnen, dem die Sache zu übertragen ist."

3. Der vorliegende, auf Art140 Abs1 letzter Satz B-VG gestützte Antrag des Beschuldigten in dem - nunmehr - vom Landesgericht für Strafsachen Wien geführten Strafverfahren ist auf Aufhebung des ersten Satzes des soeben wiedergegebenen §74 Abs3 StPO gerichtet. Begründend wird dazu im wesentlichen ausgeführt, der Beschluß des OLG Wien vom 14.2.2002 sei gefaßt worden, ohne dem Antragsteller Parteiengehör einzuräumen. Die in §74 Abs3 erster Satz StPO normierte Unzulässigkeit eines Rechtsmittels gegen den genannten Beschluß sei verfassungswidrig.

4. Der Antrag ist unzulässig.

4.1. Gemäß Art140 Abs1 letzter Satz B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch die Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit dem Beschluß VfSlg. 8009/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, daß das Gesetz in die Rechtssphäre der Betroffenen unmittelbar eingreift und diese - im Falle seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt.

Nicht jedem Normadressaten aber kommt diese Antragsbefugnis zu. Es ist (wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Beschluß VfSlg. 8009/1977 ausgeführt und in seiner Rechtsprechung mehrfach, zB in VfSlg. 8148/1977, 8241/1978, 8276/1978 und 8485/1979, bekräftigt hat) für die Antragslegitimation darüber hinaus auch erforderlich, daß dem Antragsteller ein anderer zumutbarer Weg zur Geltendmachung der von ihm behaupteten Verfassungswidrigkeit nicht zur Verfügung steht.

4.2. Die Zulässigkeit des vorliegenden Antrags wird wie folgt begründet:

"Ich könnte frühestens in einem zukünftigen Rechtsmittel gegen einen auf Einleitung der Voruntersuchung lautenden Beschluss der Ratskammer des LG für Strafsachen Wien verfassungsrechtliche Bedenken äußern, dass der Rechtsmittelausschluss des §74 Abs3 erster Satz StPO nicht verfassungskonform ist und dass daher keine rechtliche Überprüfung stattfinden konnte, ob das LG für Strafsachen Wien (anstelle des LG Eisenstadt) überhaupt mein 'gesetzlicher Richter' ist. Bis dahin kann es noch lange dauern und müsste ich mich bis dahin - unzumutbarerweise - dem von einer Privatperson (Subsidiarankläger Dr G) betriebenen Strafverfahren, das geradezu typisch mit enormen Belastungen und Anspannungen verbunden ist, im Vorverfahrensstadium ohne jede Widerwehr stellen. Ein solches späteres Rechtsmittel gegen einen Einleitungsbeschluss des LG für Strafsachen Wien würde jedoch wiederum vom OLG Wien, von dem bereits der Befangenheitsbeschluss stammt, behandelt werden, sodass sich hier die Äußerung verfassungsrechtlicher Bedenken von vorn herein als nicht erfolgversprechend darstellt, denn ansonsten hätte das OLG Wien ja bereits anlässlich seines vorangegangenen Befangenheitsbeschlusses den Rechtsmittelausschluss des §74 Abs3 erster Satz StPO zum Anlass eines amtswegigen Gesetzesprüfungsantrages gemäß Art89 Abs2 B-VG genommen."

4.3. Ein - nach dem vorhin Ausgeführten die Zulässigkeit eines Antrags gem. Art140 Abs1 letzter Satz B-VG ausschließender - zumutbarer Weg ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ua. dann gegeben, wenn bereits ein gerichtliches Verfahren anhängig ist, das dem Betroffenen Gelegenheit gibt, die Stellung eines Antrages auf Gesetzesprüfung nach Art140 B-VG anzuregen (s. zB VfSlg. 13.871/1994 und die dort zitierte Vorjudikatur). Gemäß Art89 Abs2 zweiter Satz B-VG wären die betreffenden Gerichte (nämlich der OGH oder ein zur Entscheidung in zweiter Instanz zuständiges Gericht) zur Anrufung des Verfassungsgerichtshofes verpflichtet, sofern sie - ebenso wie der Antragsteller - gegen die Anwendung des Gesetzes aus dem Grund der Verfassungswidrigkeit Bedenken haben sollten (s. zB VfSlg. 11.480/1987). Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn ein gerichtliches oder verwaltungsbehördliches Verfahren anhängig war, in dem der Antragsteller die Möglichkeit hatte, eine amtswegige Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof anzuregen (s. VfSlg. 8890/1980, 12.810/1991).

Ein Antrag eines einzelnen gem. Art140 Abs1 letzter Satz B-VG wäre in solchen Fällen nur bei Vorliegen besonderer, außergewöhnlicher Umstände zulässig (s. zB VfSlg. 13.871/1994 und die dort zitierte Vorjudikatur). Andernfalls ergäbe sich nämlich eine Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes, die sich mit dem Grundprinzip des Individualantrags als eines bloß subsidiären Rechtsbehelfes nicht vereinbaren ließe (vgl. z.B. VfSlg. 8890/1980, 11.823/1988, 13.659/1993). Die Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgesetzgebers, die Initiative zur Prüfung genereller Normen (vom Standpunkt des Betroffenen aus gesehen) zu mediatisieren, wenn die Rechtsverfolgung vor Gerichten stattfindet, gefährdet auch nicht den Grundrechtsschutz (vgl. VfSlg. 11.889/1988).

Besondere, außergewöhnliche Umstände liegen im konkreten Fall jedoch nicht vor: Daß das gem. Art89 Abs2 B-VG zu einer etwaigen Anrufung des Verfassungsgerichtshofes berufene Gericht - wie der Antragsteller vorbringt - die Bedenken der Verfahrenspartei hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes nicht teilen dürfte, macht für sich allein einen Individualantrag noch nicht zulässig (s. z.B. VfSlg. 8552/1979, VfSlg. 9220/1981, 9394/1982, 9788/1983, 9926/1984, 11.889/1988, 13.659/1993).

5. Der Antrag war daher mangels Legitimation des Antragstellers als unzulässig zurückzuweisen, ohne daß es einer Prüfung aller Prozeßvoraussetzungen bedurft hätte.

Dies konnte ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden (§19 Abs3 Z2 lite VfGG).

Schlagworte

Strafprozeßrecht, VfGH / Individualantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2002:G92.2002

Dokumentnummer

JFT_09979389_02G00092_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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