TE OGH 1998/3/31 10ObS96/98k

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Veröffentlicht am 31.03.1998
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Dr. Hopf als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Carl Hennrich (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Ernst Boran (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Kurt Z*****, vertreten durch Dr. Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, Roßauer Lände 3, 1092 Wien, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Entziehung der Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19. November 1997, GZ 7 Rs 327/97b-26, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 17. Juli 1997, GZ 3 Cgs 88/96v-23, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Mit Bescheid vom 1.12.1992 gewährte die Beklagte dem am 16.7.1948 geborenen Kläger aufgrund des Antrages vom 30.9.1992 eine Invaliditätspension wegen vorübergehender Invalidität für die Zeit vom 1.10.1992 bis 31.3.1994.

Mit Bescheid vom 30.6.1994 gewährte die Beklagte dem Kläger aufgrund des Antrages vom 2.3.1994 die Invaliditätspension unbefristet weiter.

Mit Bescheid vom 25.4.1996 entzog die Beklagte dem Kläger die Invaliditätspension mit Ablauf des Monates Mai 1996. Der Kläger sei nach dem Ergebnis der ärztlichen Begutachtung wieder im Stande, selbst unter der Annahme eines Berufsschutzes einen Beruf auszuüben.

Gegen den letztgenannten Bescheid richtet sich die Klage auf Gewährung einer Invaliditätspension in gesetzlicher Höhe. Der Kläger, der den Beruf eines Mechanikers erlernt und ausgeübt habe, leide nach einer Nierentransplantation vom 28.8.1994 an Diabetes und solle aufgrund der Infektionsgefahr Menschenansammlungen meiden.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, daß beim Kläger aufgrund einer Nierentransplantation gegenüber dem Zeitpunkt der Pensionsgewährung eine wesentliche Besserung des Gesundheitszustandes eingetreten sei. Zuckerkrankheit und Bluthochdruck seien zufriedenstellend eingestellt. Der Kläger könne alle mittelschweren Arbeiten ohne erhöhte Infektionsgefahr ausüben.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Nach den wesentlichen Feststellungen hat der Kläger den Beruf des Mechanikers erlernt und war vom 28.5.1968 bis 30.11.1992 als Mechaniker bei der Firma A***** beschäftigt. Der Gesundheitszustand des Klägers hat sich aufgrund einer Nierentransplantation vom August 1994 gegenüber dem Gewährungsgutachten vom 28.10.1992 und der Weitergewährung der Invaliditätspension mit Bescheid vom 30.6.1994 wesentlich gebessert. Dem Kläger sind im Vergleich zum Gewährungsgutachten nunmehr leichte und halbzeitig mittelschwere Arbeiten im Sitzen, Stehen und Gehen in temperierten Räumen, in normaler Arbeitszeit mit den üblichen Pausen möglich. Die Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes ist gegeben. Ausgeschlossen sind allerdings Arbeiten unter dauerndem besonderen Zeitdruck und mit erhöhter Infektionsgefahr. Der Kläger ist gesundheitlich in der Lage, die Tätigkeit eines Mechanikers in der Qualitäts-, Überprüfungs-, Funktions- sowie Eingangskontrolle zu verrichten. Derartige Arbeitsplätze sind auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt "in ausreichender Anzahl" vorhanden.

Rechtlich folgerte das Erstgericht, daß es dem Kläger gegenüber seinem Gesundheitszustand, der zur Gewährung der Invaliditätspension geführt habe, nunmehr wieder möglich sei, ohne Kalkülsüberschreitung die Arbeiten eines Mechanikers in den genannten Kontrollfunktionen auszuüben. Infolge wesentlicher Besserung seines Gesundheitszustandes sei daher die Entziehung der Invaliditätspension zum 31.5.1996 gemäß § 99 Abs 1 ASVG zu Recht erfolgt.Rechtlich folgerte das Erstgericht, daß es dem Kläger gegenüber seinem Gesundheitszustand, der zur Gewährung der Invaliditätspension geführt habe, nunmehr wieder möglich sei, ohne Kalkülsüberschreitung die Arbeiten eines Mechanikers in den genannten Kontrollfunktionen auszuüben. Infolge wesentlicher Besserung seines Gesundheitszustandes sei daher die Entziehung der Invaliditätspension zum 31.5.1996 gemäß Paragraph 99, Absatz eins, ASVG zu Recht erfolgt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung nicht Folge. Der Kläger gehe selbst davon aus, daß die Tätigkeiten eines Mechanikers in den genannten Kontrollfunktionen nur in Großbetrieben ausgeübt und in Schicht- oder mit Gleitzeit verrichtet würden. Damit falle aber auch die Infektionsgefahr für den Kläger bei Menschenansammlungen in öffentlichen Verkehrsmitteln zu den Stoßzeiten weg, da Schichtbeginn und Schichtende erfahrungsgemäß nicht mit den allgemeinen Arbeitszeiten zusammenfallen. Bei Gleitzeit könne sich der Kläger den Arbeitsbeginn und das Arbeitsende nach dem Gesichtspunkt einer Vermeidung jeglicher Ansteckung durch Menschenansammlungen selbst einteilen.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision des Klägers aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne der Klagestattgebung abzuändern.

Die Beklagte hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Sinne des in jedem Abänderungsantrag enthaltenen Aufhebungsantrages berechtigt (Kodek in Rechberger, ZPO Rz 4 zu § 471).Die Revision ist im Sinne des in jedem Abänderungsantrag enthaltenen Aufhebungsantrages berechtigt (Kodek in Rechberger, ZPO Rz 4 zu Paragraph 471,).

Der Revisionswerber macht geltend, daß er auf das besondere Entgegenkommen eines Arbeitgebers angewiesen wäre, weil die vom Berufungsgericht zugrundegelegten Arbeitszeitmodelle bei Mechanikertätigkeiten nicht durchgehend gegeben seien. Er sei daher vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen.

Fest steht, daß der Revisionswerber von Arbeiten mit erhöhter Infektionsgefahr ausgeschlossen ist. Daß die vom Erstgericht festgestellten Verweisungsberufe eines Mechanikers in der Qualitäts-, Überprüfungs-, Funktions- und Eingangskontrolle grundsätzlich keine Tätigkeiten sind, die mit einer erhöhten Infektionsgefahr verbunden sind, ist unstrittig. Der Revisionswerber zielt jedoch erkennbar darauf ab, daß er zufolge erhöhter Infektionsgefahr nicht in der Lage sei, einen allfälligen Arbeitsplatz mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen, da es in öffentlichen Verkehrsmitteln zu Menschenansammlungen komme, die für ihn eine erhöhte Infektionsgefahr bedeuten. Diese Frage wurde schon in erster Instanz erkannt und erörtert, letztlich aber keine Feststellungen hiezu getroffen; das Erstgericht meinte nur, es wäre dem Kläger zumutbar, Menschenansammlungen in öffentlichen Verkehrsmitteln durch eine frühere Anfahrt zur Arbeit und eine spätere oder frühere Rückfahrt von der Arbeit zu vermeiden.

Dazu ist zunächst festzuhalten, daß die Vorinstanzen richtig erkannten, daß ein Versicherter auch dann vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen ist, wenn er gesundheitlich nicht mehr in der Lage ist, den Weg zur Arbeit in zumutbarer Weise zu bewältigen (vgl SSV-NF 1/20, 2/105, 3/10, 5/39 ua). Nach den getroffenen Feststellungen soll der Kläger solche Tätigkeiten meiden, die mit "erhöhter" Infektionsgefahr verbunden sind. Diese Feststellung beruht auf dem Gutachten des vom Erstgericht bestellten Sachverständigen für Innere Medizin (ON 5, AS 13). Über Erörterung meinte der Sachverständige, er könne auf die Frage, ob in öffentlichen Verkehrsmitteln eine Infektionsgefahr des Klägers bestehe, keine "medizinische Antwort" geben, empfahl aber, der Kläger solle Menschenansammlungen in öffentlichen Verkehrsmitteln durch Verlegung von Arbeitsbeginn und -ende meiden (ON 17, AS 43). Feststellungen hiezu wurden nicht getroffen.Dazu ist zunächst festzuhalten, daß die Vorinstanzen richtig erkannten, daß ein Versicherter auch dann vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen ist, wenn er gesundheitlich nicht mehr in der Lage ist, den Weg zur Arbeit in zumutbarer Weise zu bewältigen vergleiche SSV-NF 1/20, 2/105, 3/10, 5/39 ua). Nach den getroffenen Feststellungen soll der Kläger solche Tätigkeiten meiden, die mit "erhöhter" Infektionsgefahr verbunden sind. Diese Feststellung beruht auf dem Gutachten des vom Erstgericht bestellten Sachverständigen für Innere Medizin (ON 5, AS 13). Über Erörterung meinte der Sachverständige, er könne auf die Frage, ob in öffentlichen Verkehrsmitteln eine Infektionsgefahr des Klägers bestehe, keine "medizinische Antwort" geben, empfahl aber, der Kläger solle Menschenansammlungen in öffentlichen Verkehrsmitteln durch Verlegung von Arbeitsbeginn und -ende meiden (ON 17, AS 43). Feststellungen hiezu wurden nicht getroffen.

Es wäre jedoch von Amts wegen (§§ 75 Abs 2, 87 Abs 1 ASGG iVm § 357 ZPO) zu prüfen gewesen, was unter "erhöhter" Infektionsgefahr in diesem Sinne, von der der Kläger auszuschließen ist zu verstehen ist; dies wäre dann in Relation zur Situation der Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels zu setzen gewesen. Die Frage, ob für den Kläger (wie für jeden Menschen) eine Infektionsgefahr in öffentlichen Verkehrsmitteln besteht, braucht nicht beantwortet zu werden. Zu klären ist jedoch in tatsächlicher Hinsicht, ob für den Kläger bei der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel eine Situation besteht, die mit der Ausübung von Beschäftigungen mit "erhöhter" Infektionsgefahr, von denen der Kläger ausgeschlossen ist, vergleichbar ist. Sollte der Sachverständige zur Beantwortung dieser Frage nicht in der Lage sein, wird vom Erstgericht ein anderer Sachverständiger beizuziehen sein (§ 362 Abs 2 ZPO).Es wäre jedoch von Amts wegen (Paragraphen 75, Absatz 2,, 87 Absatz eins, ASGG in Verbindung mit Paragraph 357, ZPO) zu prüfen gewesen, was unter "erhöhter" Infektionsgefahr in diesem Sinne, von der der Kläger auszuschließen ist zu verstehen ist; dies wäre dann in Relation zur Situation der Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels zu setzen gewesen. Die Frage, ob für den Kläger (wie für jeden Menschen) eine Infektionsgefahr in öffentlichen Verkehrsmitteln besteht, braucht nicht beantwortet zu werden. Zu klären ist jedoch in tatsächlicher Hinsicht, ob für den Kläger bei der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel eine Situation besteht, die mit der Ausübung von Beschäftigungen mit "erhöhter" Infektionsgefahr, von denen der Kläger ausgeschlossen ist, vergleichbar ist. Sollte der Sachverständige zur Beantwortung dieser Frage nicht in der Lage sein, wird vom Erstgericht ein anderer Sachverständiger beizuziehen sein (Paragraph 362, Absatz 2, ZPO).

Der Revisionswerber bestreitet nicht, daß es für den Verweisungsberuf eines Mechanikers in den genannten Kontrollfunktionen grundsätzlich einen "ausreichenden" Arbeitsmarkt gibt. Es schadet daher nicht, daß vom Erstgericht die Zahl der Arbeitsplätze im Bundesgebiet nicht festgestellt wurde. Nach dem vom Revisionswerber eingenommenen Standpunkt kann aber nicht davon ausgegangen werden, daß es offenkundig wäre, daß im Bundesgebiet ein Arbeitsmarkt für die genannten Verweisungsberufe mit der zusätzlichen Ausgestaltung eines Schichtdienstes oder einer Gleitzeit besteht, die es dem Kläger ermöglichen würde, Menschenansammlungen in öffentlichen Verkehrsmitteln aus dem Weg zu gehen. Sollte es darauf ankommen, wird die Zahl der auf dem Arbeitsmarkt vorhandenen Arbeitsplätze mit dieser besonderen Arbeitszeitgestaltung zumindest näherungsweise festzustellen sein (SSV-NF 7/6 mwN).

Da demnach wesentliche, für die Entscheidung relevante Fragen ungeprüft geblieben sind und Feststellungen nicht getroffen wurden, ist die Sache noch nicht reif zur Entscheidung. Um die Sache spruchreif zu machen, bedarf es insoweit einer Verhandlung erster Instanz, weshalb die Entscheidung der Vorinstanzen aufzuheben und die Sozialrechtssache an das Erstgericht spruchgemäß zurückzuverweisen war.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.Der Kostenvorbehalt beruht auf Paragraph 52, ZPO.

Anmerkung

E49801 10C00968

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1998:010OBS00096.98K.0331.000

Dokumentnummer

JJT_19980331_OGH0002_010OBS00096_98K0000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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