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62 Arbeitsmarktverwaltung;Norm
AlVG 1977 §10 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Köller, Dr. Moritz und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Eisner, über die Beschwerde des W in W, vertreten durch Dr. Lothar Schottenhamml, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Karlsgasse 7/7, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 14. März 2005, Zl. LGSW/Abt. 3-AlV/1218/56/2004-6003, betreffend Verlust des Anspruchs auf Notstandshilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Nach der Aktenlage bezieht der Beschwerdeführer seit 1992 mit Unterbrechungen Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung. Mit einem an den Beschwerdeführer gerichteten Schreiben vom 10. September 2004 hielt das Arbeitsmarktservice Wien Schloßhofer Straße unter anderem fest, dass der Beschwerdeführer mit seinem AMS-Betreuer die Teilnahme an der Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt "Intensive Aktivierungsmaßnahme Jobcoaching" mit Beginn am 20. September 2004 vereinbart habe. Unter anderem sollten dem Beschwerdeführer alternative Beschäftigungsmöglichkeiten aufgezeigt werden. Er werde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Nichtteilnahme an dieser Maßnahme ohne triftigen Grund bzw. die Vereitelung des Erfolges dieser Maßnahme gemäß § 10 AlVG den Verlust des Leistungsanspruches für zumindest sechs Wochen nach sich ziehe.
Gemäß einer beim Arbeitsmarktservice Wien Schloßhofer Straße am 21. Oktober 2004 aufgenommenen Niederschrift wurde der Beschwerdeführer am 18. Oktober 2004 von der Teilnahme an der Wiedereingliederungsmaßnahme ausgeschlossen. Die in der Niederschrift wiedergegebene Stellungnahme des Schulungsträgers lautet: "hat die Kursteilnahme für sich als Fehlbesetzung empfunden. Er fühlte sich psychisch nicht in der Lage sich mit dem Kursinhalt auseinander zusetzen. Somit war eine aktive Teilnahme oft nicht gegeben. Nach mehrmaligen Aufforderungen sich an die Kurszeiten zu halten, ist (der Beschwerdeführer) am 18.10.04 wieder erst um 9:30 Uhr erschienen."
Der Beschwerdeführer erklärte dazu: "Stimmt nicht, ich kann mich vor der Gruppe nicht äussern in manchen Punkten" und gab als berücksichtigungswürdige Gründe an "Habe Schlafstörungen und psychische Probleme."
Mit Bescheid vom 27. Oktober 2004 des Arbeitsmarktservice Wien Schloßhofer Straße wurde der Verlust des Anspruchs des Beschwerdeführers auf Notstandshilfe für die Zeit vom 10. Oktober bis zum 29. November 2004 ausgesprochen und festgehalten, dass eine Nachsicht nicht erteilt werde. Nach der Begründung habe der Beschwerdeführer den Erfolg einer Wiedereingliederungsmaßnahme vereitelt. Berücksichtigungswürdige Gründe für eine Nachsicht lägen nicht vor.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, die Wiedereingliederungsmaßnahme sei für ihn weder geeignet noch zumutbar gewesen. Bereits während des Einführungstages hätten sich Bedenken für ihn ergeben, als von "Arbeit in kleinen Gruppen" die Rede gewesen sei. Es sei keine Rücksicht auf die persönliche Situation des Beschwerdeführers genommen worden, am ersten Tag der Gruppenarbeit hätten sich die Befürchtungen des Beschwerdeführers bestätigt. Er sehe sich außer Stande, seinen "Lebensbaum" oder eine "Tasse, in der sich meine positiven Eigenschaften befinden", zu zeichnen. Er habe trotz seiner Schlafstörungen seine schwer kranke alte Mutter zu pflegen, die öfters nachts aufwache und seine Hilfe benötige. Der Kurs löse keineswegs in allen Punkten massive Sozialängste aus; in einigen Fällen sei er anderen Kursteilnehmern gerne behilflich gewesen.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers keine Folge.
In der Begründung gab sie den wesentlichen Inhalt des Verwaltungsverfahrens wieder und stellte folgenden Sachverhalt fest:
"Da Ihre persönlichen Kenntnisse und Fähigkeiten, insbesondere aufgrund Ihrer bisher erfolglosen Bewerbungen eine professionelle Bewerbungsunterstützung erforderlich war, zur Vermittlung am Arbeitsmarkt nicht ausreichen, wurde mit Ihnen die Teilnahme an der Maßnahme Jobcoaching bei Business Coaching am 10.09.2004 vereinbart.
Diese Vereinbarung wurde schriftlich festgehalten.
Folgende Inhalte hätten Ihnen vermittelt werden sollen:
Woche 1-2: Einstiegsphase (4 Stunden)
Einzelcoaching : 2 Stunden pro TN pro Woche
Feststellen der Berufsziele, Abklärung vorhandener Qualifikationen, Vorarbeiten für das Bewerbungstraining in der Gruppe
Woche 3-6: Gruppencoaching pro Woche 16 Stunden (Mo,Di,Do,Fr) Mi Eigenaktivitäten
Herstellung der Arbeitsfähigkeit, Ressourcenarbeit, Bewerbungstraining und Eigenpräsentation, Kommunikationstraining
begleitend pro Woche 1 Stunde Einzelcoaching
laufend zur Verfügung: Bewerbungsbüro online, Hotline Nachbetreuung: max. 6 Wochen im Ausmaß von insgesamt 3 Stunden Beginn der Wiedereingliederungsmaßname war am 20.09.2004.
Mit 19.10.2004 wurden Sie vom Kurs ausgeschlossen, da Sie sich psychisch nicht in der Lage fühlten mit dem Kursinhalten auseinander zusetzen und somit eine aktive Teilnahme oft nicht gegeben war. Nach mehrmaligen Aufforderungen sich an die Kurszeiten zu halten wurden Sie schlussendlich nachdem Sie am 18.10.2004 wieder erst um 9:30 Uhr erschienen, vom Kurs ausgeschlossen.
Berücksichtigungswürdige Umstände liegen nicht vor".
Die Feststellungen gründeten sich auf den Akteninhalt, die Aufzeichnungen des Arbeitsmarktservice, die Stellungnahme des Schulungsträgers, die Bestätigung der Psychoanalytikerin sowie auf die Angaben des Beschwerdeführers.
In der rechtlichen Beurteilung hielt die belangte Behörde nach der Wiedergabe einschlägiger Rechtsvorschriften wörtlich Folgendes fest:
"Sie stehen seit dem Jahr 1992 mit einer Unterbrechung von ca. einem Monat im Bezug einer Leistung aus der Arbeitslosenversicherung und haben die meisten, der von Seiten des Arbeitsmarktservice angebotenen Maßnahmen nicht angetreten bzw. vorzeitig abgebrochen. Aufgrund Ihrer langen Vormerkdauer und der sehr langen Abwesenheit aus dem Berufsleben war die Zuweisung zu einem Kurs in dem Bewerbungsstrategieen und vor allem auch Berufsziele herausgearbeitet werden in Ihrem Interesse gelegen und nach Ansicht der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien unbedingt notwendig. Schon aus dem Kursinhalt geht hervor, dass Ziel des Kurses unter anderem auch gewesen ist, Ihre Arbeitsfähigkeit und Kommunikationsfähigkeit wieder herzustellen, um Sie wieder in den ersten Arbeitsmarkt integrieren zu können. Die zugewiesene Maßnahme hatte gerade den Zweck, eine Lösung für 'berufliche Probleme' aufgrund von Einschränkungen welcher Art auch immer zu erarbeiten, um Ihre Arbeitslosigkeit so schnell als möglich wieder beenden zu können.
Es wäre an Ihnen gelegen, diese Chance wahrzunehmen und im Rahmen dieser Maßname neue berufliche Ziele mit professioneller Hilfe zu erarbeiten. Durch Ihr ständiges Zuspätkommen haben Sie den Ausschluss aus dem Kurs provoziert und nach Ansicht der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien auch bewusst in Kauf genommen.
Sollte es Ihnen tatsächlich aufgrund von psychischen Problemen nicht möglich sein, sich an vereinbarte Termine zu halten, wäre Ihre Arbeitsfähigkeit in einem erheblichen Ausmaß eingeschränkt. Vorrangiges Ziel des Arbeitsmarktservice ist es, Ihre Arbeitslosigkeit durch Aufnahme eines arbeitslosenversicherungspflichtigen Dienstverhältnisses zu beenden. Könnten Sie sich nicht mehr an Arbeitszeiten halten, wäre eine Beschäftigungsaufnahme - weil einem potentiellen Dienstgeber ständiges Zuspätkommen seiner Angestellten nicht zuzumuten ist - unmöglich, und Ihr Leistungsbezug aufgrund dessen einzustellen.
Daran ändert auch die von Ihnen beigebrachte Bestätigung der Psychoanalytikerin nichts, ganz im Gegenteil, diese untermauert noch den der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien entstandenen Eindruck.
Der Tatbestand gem. § 10 AlVG ist daher erfüllt womit die Sanktion zu Recht verhängt worden ist."
Es lägen keine berücksichtigungswürdigen Gründe vor - so die belangte Behörde weiter -, weil psychische Probleme nicht ein Ausmaß annehmen dürften, dass es unmöglich mache, sich an Arbeitszeiten bzw. Kurszeiten zu halten. Eine Berücksichtigung der psychischen Probleme des Beschwerdeführers in Form einer Nachsichtsgewährung würde einen Vorteil gegenüber anderen Vorgemerkten bedeuten, die trotz vorhandener Probleme versuchten, vereinbarte Termine rechtzeitig wahrzunehmen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 9 Abs. 1 AlVG ist arbeitswillig, wer (unter anderem) bereit ist, an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen.
Nach § 10 Abs. 1 AlVG in der hier zeitraumbezogen anzuwendenden Fassung vor der Novelle BGBl. Nr. 77/2004 verliert ein Arbeitsloser, der ohne wichtigen Grund die Teilnahme an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt verweigert oder den Erfolg der Maßnahme vereitelt, für die Dauer der Weigerung, jedenfalls aber für die Dauer der auf die Weigerung folgenden sechs (unter weiteren Voraussetzungen: acht) Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld.
Diese Bestimmungen sind gemäß § 38 AlVG auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass er sich in objektiver Kenntnis des Inhaltes der in Rede stehenden Maßnahme befunden hat. Zum "Vereiteln" des Erfolges der Maßnahme ist ein vorsätzliches Verhalten erforderlich (vgl. das Erkenntnis vom 5. September 1995, Zl. 94/08/0050).
Ausschlaggebend für den Ausschluss des Beschwerdeführers vom Kurs war das mehrfache Zuspätkommen ("Durch Ihr ständiges Zuspätkommen haben Sie den Ausschluss aus dem Kurs provoziert"). Die belangte Behörde hat diesen Umstand als Vereitelung der Wiedereingliederungsmaßnahme gewertet.
Der Beschwerdeführer rügt als Verfahrensmangel unter anderem, dass sich die belangte Behörde mit den Gründen für sein Zuspätkommen nicht auseinander gesetzt habe.
Diese Verfahrensrüge ist im Ergebnis berechtigt. Die belangte Behörde hat zwar ein "mehrmaliges" bzw. "ständiges" Zuspätkommen des Beschwerdeführers festgestellt, ohne allerdings den Sachverhalt dahin zu komplettieren, in welcher Weise die Verspätungen des Beschwerdeführers den Erfolg der Maßnahme vereitelt hätten. Verspätungen beim Kursbesuch und unentschuldigtes Fernbleiben können bei Erreichen einer gewissen Häufigkeit und Intensität durchaus als Verweigerung der Teilnahme an der Maßnahme gewertet werden (vgl. das Erkenntnis vom 3. Juli 2002, Zl. 2002/08/0036). Die Feststellungen reichen jedoch im vorliegenden Fall weder zur Annahme einer Verweigerung noch zur Annahme einer Vereitelung des Erfolges der Maßnahme. Dazu bedarf es weiterer Feststellungen darüber, wie oft der Beschwerdeführer um welchen Zeitraum verspätet zum Kurs gekommen ist und inwiefern durch sein Zuspätkommen der Maßnahmenerfolg vereitelt wurde, etwa durch das Versäumen wesentlicher Kursinhalte. Solange nicht entsprechende Feststellungen getroffen worden sind, kann die Frage der Verweigerung bzw. Vereitelung nicht abschließend beurteilt werden. Die bisher getroffenen Feststellungen lassen jedenfalls die von der belangten Behörde gezogenen Schlussfolgerungen nicht zu.
Da der Sachverhalt somit in einem wesentlichen Punkt einer Ergänzung bedarf, ist der angefochtene Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet.
Im Übrigen setzt die Verfügung einer Sperrfrist nach § 10 Abs. 1 zweiter und dritter Spiegelstrich AlVG - fallbezogen - voraus, dass eine Nach- oder Umschulung oder eine Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt vereitelt wurde. Dass "Coaching" eine solche Maßnahme wäre, ist jedenfalls auf den ersten Blick ebenso wenig erkennbar, wie fraglich ist, ob es - anders als bei Schulungen und sonstigen Lehrgängen - mit den Methoden und Zielsetzung des "Coaching" überhaupt vereinbar wäre, Personen zur Annahme einer solchen Maßnahme unter der Sanktion des § 10 AlVG zu zwingen, also auf das Element der Freiwilligkeit der Inanspruchnahme einer solchen Unterstützung zu verzichten. Der angefochtene Bescheid enthält dazu auch keine Begründung (vgl. das Erkenntnis vom 21. Dezember 2005, Zl. 2004/08/0208).
Der angefochtene Bescheid erweist sich somit auch als inhaltlich rechtswidrig; er war daher aus dem zuletzt genannten Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. 333. Der Antrag auf Ersatz der Gebühr gemäß § 24 Abs. 3 VwGG war abzuweisen, weil dem Beschwerdeführer die Verfahrenshilfe bewilligt worden ist.
Wien, am 20. September 2006
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2005080107.X00Im RIS seit
01.11.2006Zuletzt aktualisiert am
14.07.2011