TE Vfgh Erkenntnis 2002/6/11 B154/00

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Veröffentlicht am 11.06.2002
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Index

82 Gesundheitsrecht
82/03 Ärzte, sonstiges Sanitätspersonal

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in seinen Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2143,68 bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer ist als Arzt Angehöriger der Ärztekammer für Wien und zu deren Wohlfahrtsfonds beitragspflichtig.

2.a) Mit Eingabe vom 4. November 1997 beantragte der Einschreiter beim Wohlfahrtsfonds die Rückzahlung entrichteter Beiträge in Höhe von 60.000 S sowie die zukünftige Befreiung "von der jährlichen Altlast von öS 70.000,-". Der Verwaltungsausschuß des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien wies diesen Antrag mit Bescheid vom 5. Dezember 1997 ab. Das dagegen erhobene Rechtsmittel ("Beschwerde") wurde mit Bescheid des Beschwerdeausschusses des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien vom 5. Februar 1998, B11/98, abgewiesen. Diesen Bescheid bekämpfte der Einschreiter anschließend beim Verfassungsgerichtshof mit einer zu B674/98 protokollierten Beschwerde nach Art144 B-VG.

b) Mit Erkenntnis vom 24. Juni 1999, V15/99, V16/99 und V22/99, (= VfSlg. 15.549/1999), hob der Verfassungsgerichtshof die Beitragsordnungen des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien für die Jahre 1996 und 1997 als gesetzwidrig auf und sprach aus, daß die Satzung dieses Wohlfahrtsfonds, kundgemacht durch Aufnahme und Einarbeitung in eine Loseblattsammlung, bis zum Inkrafttreten der durch Kundmachung im "Wiener Arzt" 2b/1999 erlassenen Fassung gesetzwidrig war.

Der zu B674/98 bekämpfte Bescheid des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien wurde in der Folge mit Erkenntnis des Verfassungsgerichthofes vom 11. Oktober 1999 aufgehoben: Der der Beschwerde zugrundeliegende Fall war einem Anlaßfall zu dem eben genannten Verordnungsprüfungsverfahren gleichzuhalten; die belangte Behörde hatte bei Erlassung des angefochtenen Bescheides die als gesetzwidrig erkannten Verordnungen angewendet; da nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen werden konnte, daß die Anwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers von Nachteil war, war der Beschwerdeführer wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in seinen Rechten verletzt worden.

3. Mit der nunmehrigen Beschwerde nach Art144 B-VG bekämpft der Einschreiter beim Verfassungsgerichtshof den vom Beschwerdeausschuß des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien in der oben geschilderten Rechtssache ergangenen Ersatzbescheid vom 30. November 1999. Mit diesem wird der erstinstanzliche Bescheid des Verwaltungsausschusses des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien vom 5. Dezember 1997 ersatzlos aufgehoben.

Die Aufhebung wird im angefochtenen Bescheid wie folgt begründet:

"Gemäß Artikel 139 Abs6 B-VG wirkt die Aufhebung einer Verordnung auf den Anlaßfall zurück, wobei Beschwerden, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (bzw. zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) im Verordnungsprüfungsverfahren bereits beim Verfassungsgerichtshof anhängig waren, einem Anlaßfall gleichzuhalten sind. Dies trifft auf den gegenständlichen Fall zu, sodaß der Verfassungsgerichtshof in seinem eingangs zitierten Erkenntnis [Anm.: gemeint wohl das Erk. VfGH 11.10.1999, B674/98] ausgesprochen hat, daß der vorliegende Fall einem Anlaßfall gleichzuhalten ist. Da somit für die Rückzahlung angeblich zuviel entrichteter Fondsbeiträge und eine teilweise Befreiung von der Beitragspflicht keine Rechtsgrundlage besteht, war spruchgemäß zu entscheiden."

4.a) In der Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof macht der Einschreiter die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Unverletzlichkeit des Eigentums und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter sowie die Anwendung gesetzwidriger Verordnungsbestimmungen - nämlich von Regelungen der Beitragsordnung für den Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien "vom 27.6.1995/12.12.1995" - geltend. Er beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

b) Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde begehrt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Mit Erkenntnis vom 4. März 2000, V84,85/99, (= VfSlg. 15.741/2000), hat der Verfassungsgerichtshof die Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien in der Fassung der Kundmachung in den Mitteilungen der Wiener Ärztekammer, Heft 2b/1999, als gesetzwidrig aufgehoben.

2. Gemäß Art139 Abs6 B-VG wirkt die Aufhebung einer Verordnung auf den Anlaßfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlaßfalles so vorzugehen, als ob die als gesetzwidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrundeliegenden Tatbestands nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.

Dem in Art139 Abs6 B-VG genannten Anlaßfall (im engeren Sinn), anläßlich dessen das Verordnungsprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Verordnungsprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung: zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (vgl. VfSlg. 10.616/1985, 10.736/1985, 10.954/1986).

Die nichtöffentliche Beratung im Verordnungsprüfungsverfahren V84,85/99 fand am 4. März 2000 statt. Die vorliegende Beschwerde ist beim Verfassungsgerichtshof am 20. Jänner 2000 eingelangt, war also zum Zeitpunkt der Beratung schon anhängig. Der ihr zugrundeliegende Fall ist somit einem Anlaßfall gleichzuhalten, sofern die belangte Behörde bei Erlassung des angefochtenen Bescheides die als gesetzwidrig erkannte Verordnung angewendet hat.

Diese Voraussetzung ist erfüllt:

Der Bescheid läßt zwar jeden Hinweis auf die ihm zugrundeliegenden Rechtsvorschriften vermissen. Auch stützt sich die Begründung auf die Feststellung daß - als Konsequenz des Erkenntnisses VfSlg. 15.549/1999 (s. dazu oben, Pkt. I.2.b) - für die Rückzahlung angeblich zuviel entrichteter Fondsbeiträge und eine teilweise Befreiung von der Beitragspflicht "keine Rechtsgrundlage besteht". Zu einem solchen Ergebnis konnte die belangte Behörde aber nur dadurch gelangen, daß sie die einschlägigen, im Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides in Geltung stehenden Rechtsvorschriften dahingehend geprüft hat, ob eine entsprechende Rechtsgrundlage existiert, und dies nach vorgenommener Prüfung (implizit) verneinte.

Diese Rechtsvorschriften waren die Satzung und die Beitragsordnung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien, jeweils in der Fassung der Kundmachung in den Mitteilungen der Wiener Ärztekammer, Heft 2b/1999 vom Februar 1999. Dies bestätigte auch die belangte Behörde, indem sie dem Verfassungsgerichtshof über dessen Ersuchen die eben genannten Rechtsquellen als "die dem Bescheid zugrunde liegende Satzung sowie Beitragsordnung" übermittelte.

Die belangte Behörde mußte also bei Erlassung des angefochtenen Bescheides u.a. die in der mit Erk. VfSlg. 15.741/2000 als gesetzwidrig aufgehobenen Satzung enthaltenen Organisations- und Verfahrensvorschriften anwenden. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, daß diese Anwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers von Nachteil war. Der Beschwerdeführer wurde somit wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in seinen Rechten verletzt.

Der Bescheid ist daher aufzuheben.

3. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß §19 Abs4 Z3 VfGG abgesehen.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 327,- sowie der Ersatz der - entrichteten - Eingabegebühr in der Höhe von € 181,68 enthalten.

Schlagworte

Ärzte Versorgung, Versorgungsrecht, VfGH / Anlaßfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2002:B154.2000

Dokumentnummer

JFT_09979389_00B00154_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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