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41/01 Sicherheitsrecht;Norm
SPG 1991 §65 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Pelant, Dr. Kleiser und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Thurin, über die Beschwerde der M, vertreten durch Mag. Georg J. Tusek, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Landstraße 12/Arkade, gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Linz vom 11. April 2006, Zl. B1/4522/06 und SPR/225/06, betreffend Verpflichtung zur erkennungsdienstlichen Behandlung und Ladung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Beschwerdeführerin "verpflichtet, an den zur erkennungsdienstlichen Behandlung Ihrerseits erforderlichen Handlungen mitzuwirken" (Spruchpunkt 1.) und aufgefordert, zu einer näher angeführten Zeit beim Polizeianhaltezentrum Nietzschestraße 33 zur Durchführung ihrer erkennungsdienstlichen Behandlung zu erscheinen (Spruchpunkt 2.).
Die belangte Behörde führte als Rechtsgrundlage § 77 iVm § 65 Abs. 1 und 4 SPG (zu 1.) sowie § 77 Abs. 4 SPG und § 19 AVG (zu 2.) an und begründete ihre Entscheidung im Wesentlichen damit, dass gegen die Beschwerdeführerin am 28. Februar 2006 Strafanzeige wegen der Vergehen des Diebstahls, des gewerbsmäßigen Diebstahls und des Betruges (§§ 127, 130 und 146 StGB) erstattet worden sei. Demnach sei sie dringend verdächtig, am 17. Februar 2006 "2 blaue Kindertrollis im Gesamtwert von EUR 7,-- an der Kasse nicht bezahlt" sowie "beim Flohmarktstand insgesamt 16 Spiralblöcke umetikettiert, indem sie 1,-Euro-Etiketten auf die vorhandenen 3,- Euro-Etiketten klebten" sowie am 16. Februar 2006 "eine gelbe Gitterbox mit 121 Duftölen im Wert von je EUR 1,--" und "in mehreren Angriffen im letzten Jahr insgesamt 45 Transportkisten und Körbe (Wert je 10,--Euro)" gestohlen zu haben. Auf Grund der vorgeworfenen strafbaren Handlungen sei zu befürchten, dass die Beschwerdeführerin weitere Vergehen nach dem StGB begehen könnte, zumal "in einem statistisch nicht unerheblichen Maße einmal straffällig gewordene Personen neuerlich auffällig" würden. Die erkennungsdienstliche Behandlung diene zur Vorbeugung gefährlicher Angriffe, "da der Betroffene bei der Behandlung darauf hingewiesen wird, dass diese deshalb erfolgt, um der Begehung gefährlicher Angriffe durch sein Wissen und die Möglichkeit seiner Wiedererkennung entgegenzuwirken".
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Gemäß § 65 Abs. 1 SPG sind die Sicherheitsbehörden ermächtigt, einen Menschen, der im Verdacht steht, eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen zu haben, erkennungsdienstlich zu behandeln, wenn er im Rahmen einer kriminellen Verbindung tätig wurde oder dies sonst auf Grund von Umständen in der Person des Betroffenen oder nach der Art der begangenen mit Strafe bedrohten Handlung zur Vorbeugung gefährlicher Angriffe des Betroffenen erforderlich erscheint.
Zu diesem Zweck hat die Behörde eine konkrete fallbezogene Prognose zu treffen, bei der sie sich mit den Einzelheiten des von ihr im Sinne der ersten Voraussetzung des § 65 Abs. 1 SPG angenommenen Verdachtes, mit der Art des dadurch verwirklichten Deliktes, mit den daraus unter Bedachtnahme auf die Persönlichkeit des Betroffenen zu ziehenden Schlüssen hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit, dass er gefährliche Angriffe begehen werde, und mit der Frage des daraus abzuleitenden Erfordernisses einer "Vorbeugung" durch eine erkennungsdienstliche Behandlung auseinanderzusetzen hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. Juli 2003, Zl. 2002/01/0592, auf dessen Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird; weiters aus jüngerer Zeit das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 2006, Zl. 2005/01/0581).
Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides - abgesehen davon, dass § 65 Abs. 1 SPG nicht in der im Spruch zitierten Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 104/2002, sondern in der Stammfassung BGBl. Nr. 566/1991 wiedergegeben wurde - neben rein abstrakten statistischen und spezialpräventiven Überlegungen nur die der Beschwerdeführerin in der Anzeige vom 28. Februar 2006 zur Last gelegten Tathandlungen angeführt. Eine nach der oben angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erforderliche konkrete fallbezogene Prognose fehlt.
Im Hinblick darauf kann der angefochtene Bescheid keinen Bestand haben, zumal die Nachholung der erforderlichen prognostischen Überlegungen in der Gegenschrift eine der angefochtenen Entscheidung anhaftende Mangelhaftigkeit nicht beheben kann (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 27. Februar 2004, Zl. 2003/11/0088, mwN).
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 20. September 2006
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2006010243.X00Im RIS seit
19.12.2006