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62 Arbeitsmarktverwaltung;Norm
AlVG 1977 §39a Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Köller, Dr. Moritz und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Eisner über die Beschwerde des W in W, vertreten durch Dr. Hans Schwarz, Rechtsanwalt in 1100 Wien, Favoritenstraße 108/3, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 11. März 2005, Zl. LGSW/Abt.3-AlV/1218/56/2004-6015, betreffend Übergangsgeld, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Nach einer Niederschrift des Arbeitsmarktservice Wien Geiselbergstraße vom 6. Oktober 2004 beantragte der am 23. April 1943 geborene Beschwerdeführer die Zuerkennung von Übergangsgeld gemäß § 39a AlVG zum frühest möglichen Anfallszeitpunkt. Die Zeiten der unselbständigen Beschäftigung des Beschwerdeführers seit 1. Jänner 1972 seien wie beim Hauptverband gespeichert heran zu ziehen. Die Frage, ob der Beschwerdeführer Kinder bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres im gemeinsamen Haushalt überwiegend betreut habe, verneinte er durch Ankreuzen in einem formularmäßigen Vordruck.
Mit Bescheid des Arbeitsmarktservice Wien Geiselbergstraße vom 22. Oktober 2004 wurde dem Antrag des Beschwerdeführers auf Zuerkennung des Übergangsgeldes gemäß §§ 14, 15 und 39a iVm § 7 AlVG mangels Erfüllung der Anwartschaft keine Folge gegeben. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Anwartschaft auf Übergangsgeld sei nach §§ 14 und 15 AlVG erfüllt, wenn innerhalb der maximal erstreckbaren Rahmenfrist zumindest 364 Tage oder bei wiederholter Geltendmachung 196 Tage arbeitslosenversicherungspflichtiger Beschäftigung vorlägen. Innerhalb der maximal erstreckbaren Rahmenfrist läge im Fall des Beschwerdeführers kein Tag anrechenbarerer Anwartschaftszeiten vor. Die Anwartschaft auf Übergangsgeld sei nach § 39a Abs. 3 AlVG erfüllt, wenn innerhalb der allenfalls zu erstreckenden letzten 25 Jahre 780 Wochen Anwartschaftszeiten vorlägen. Im Fall des Beschwerdeführers lägen innerhalb dieser Frist lediglich 706 Wochen vor.
Der Beschwerdeführer erhob Berufung. Darin führte er aus, sein Sohn sei am 5. Juli 1988 geboren und habe am 5. Juli 2003 das 15. Lebensjahr vollendet. In die Rahmenfrist der letzten 25 Jahre vor der Antragstellung auf Zuerkennung von Übergangsgeld seien für den Beschwerdeführer arbeitslosenversicherungsfreie Zeiten der Kindererziehung vom 1. Mai 1993 bis zum 5. Juli 2003 (3718 Kalendertage) gefallen. Die Mutter seines Sohnes sei drei Jahre in Karenz gewesen und seither wieder berufstätig. Seit Beginn des Schulbesuches seines Sohnes sei sie mit der Pflege ihrer kranken Mutter sehr belastet gewesen, sodass vorrangig der Beschwerdeführer die Betreuung seines Sohnes übernommen habe. Sei die Rahmenfrist aber um den genannten Zeitraum bis zum 2. August 1969 zu erstrecken, ergäben sich weitere 301,14 Wochen arbeitslosenversicherungspflichtiger Beschäftigungszeiten. Die Anwartschaftszeiten innerhalb der erstreckten Rahmenfrist betrügen daher 1.002,14 Wochen (7.073 Kalendertage).
Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde der Berufung keine Folge gegeben. In der Begründung gab sie das Verwaltungsgeschehen wieder und führte wörtlich aus:
"Ihre Angelegenheit wurde seitens der Berufungsbehörde nochmals überprüft und dabei festgestellt, dass Sie niederschriftlich am 6.10.2004 die Zuerkennung von Übergangsgeld zum frühestmöglichen Zeitpunkt beantragten. Ein möglicher Anspruch war frühestens ab dem 23.10.2004 zu prüfen, da Sie zu diesem Zeitpunkt das 61,5 Lebensjahr vollendet hatten. Davor bezogen Sie jeweils mit kurzen Unterbrechungen ab 1.5.1993 Arbeitslosengeld und ab 22.6.1996 Notstandshilfe. Seit 1.7.1994 sind Sie laut Ihren beim Arbeitsmarktservice aufliegenden Erklärungen auch selbständig tätig.
Aus dem Leistungsakt ist ersichtlich, dass Sie einen Sohn, C.E., geboren am 5.7.1988 haben. In der Niederschrift verneinten Sie die Frage, ob Sie Kinder bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres im gemeinsamen Haushalt überwiegend betreut haben."
In rechtlicher Hinsicht führte die belange Behörde nach Wiedergabe von ihr herangezogener Bestimmungen aus, der Beschwerdeführer habe innerhalb der Rahmenfrist vom 23. Oktober 1979 bis zum 22. Oktober 2004, somit in den letzten 25 Jahren, lediglich 705 Wochen und vier Tage anwartschaftsbegründender Zeiten erworben. Eine Rahmenfristerstreckung wegen arbeitslosenversicherungsfreier Zeiten der Betreuung von Kindern sei nicht möglich, weil der Beschwerdeführer nach der Geburt seines Sohnes einerseits bis 30. April 1993 in einem Dienstverhältnis gestanden sei und anschließend Arbeitslosengeld bezogen habe und selbständig tätig gewesen sei. Die Betreuung von Kindern habe der Beschwerdeführer in der erstinstanzlichen Niederschrift verneint.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.
Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Verwaltungsgerichtshof hat sich mit den Voraussetzungen der Zuerkennung von Übergangsgeld, insbesondere auch der Erstreckung der Rahmenfrist um arbeitslosenversicherungsfreie Zeiten der Betreuung von Kindern bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres, im Erkenntnis vom 17. Mai 2006, Zl. 2005/08/0056, ausführlich auseinander gesetzt. Auf die Begründung dieses Erkenntnisses und die dort dargestellte und auch im vorliegenden Fall anwendbare Rechtslage wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen.
Gemäß § 39a Abs. 3 zweiter Satz letzter Halbsatz AlVG wird die Rahmenfrist von 25 Jahren um arbeitslosenversicherungsfreie Zeiten der Betreuung von Kindern bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres erstreckt.
Der Beschwerdeführer hat nach seinen Behauptungen in der Berufung vom 1. Mai 1993 bis zum 5. Juli 2003 seinen Sohn betreut, in dieser Zeit sei er nicht arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Der Beschwerdeführer rügt in seiner Beschwerde unter anderem, die belangte Behörde habe sich mit diesem Vorbringen nicht auseinander gesetzt.
Ein Eingehen auf dieses Vorbringen hat die belangte Behörde mit der Begründung nicht für erforderlich erachtet, dass der Beschwerdeführer die Frage nach der Kindererziehung im erstinstanzlichen Verfahren verneint habe sowie, - aus rechtlichen Erwägungen - weil der Beschwerdeführer während der Kinderbetreuungszeit Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung bezogen habe, während deren Bezuges nach Ansicht der belangten Behörde eine Erstreckung der Anwartschaftszeiten nicht in Frage komme.
Der behauptete Verfahrensmangel liegt vor, weil sich die belangte Behörde mit dem konkreten Vorbringen des Beschwerdeführers über die Betreuung seines Sohnes in der Berufung nicht beschäftigt hat. Einerseits deckt sich die vom Beschwerdeführer in der Niederschrift vom 6. Oktober 2004 verneinte Frage, ob er Kinder bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres im gemeinsamen Haushalt überwiegend betreut habe, nicht mit der in Rede stehenden gesetzlichen Voraussetzung zur Erstreckung der Rahmenfrist, weil im § 39a Abs. 3 zweiter Satz AlVG ein gemeinsamer Haushalt nicht gefordert wird. Andererseits ist die belangte Behörde bei einem erstinstanzlichen Angaben widersprechenden Vorbringen verhalten, den tatsächlichen Sachverhalt durch ein Ermittlungsverfahren zu klären.
Der Verfahrensmangel ist auch von Relevanz, weil entgegen der von der belangten Behörde noch in der Gegenschrift vertretenen Ansicht der Bezug von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung einer Erstreckung der Anwartschaftszeiten nicht entgegen steht.
§ 39a Abs. 3 zweiter Satz letzter Halbsatz AlVG verlangt das Vorliegen arbeitslosenversicherungsfreier Zeiten der Betreuung von Kindern, worunter auch Zeiten des Bezuges von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung fallen. Insoweit ist die belangte Behörde einem Rechtsirrtum unterlegen.
Im Besonderen besteht auch insofern kein Widerspruch, als der Bezug von Geldleistungen aus der Arbeitslosenversicherung im fraglichen Zeitraum u.a. die Verfügbarkeit des Arbeitslosen im Sinne des § 7 Abs. 3 Z. 1 AlVG vorausgesetzt hat, und die Inanspruchnahme des Arbeitslosen durch notwendige Pflegetätigkeiten die Verfügbarkeit allenfalls ausgeschlossen hätte (vgl. die Erkenntnisse vom 22. Dezember 1998, Zl. 96/08/0398 und vom 23. April 2003, Zl. 2002/08/0275): § 39a Abs. 3 zweiter Satz AlVG setzt nämlich nicht voraus, dass eine andere Person zur Betreuung des Kindes nicht zur Verfügung gestanden wäre, sondern lässt die faktische Betreuung genügen.
Der angefochtene Bescheid war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen - als Aufhebungsgrund vorgehender - Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung, BGBl. II Nr. 333/2003. Das vom Beschwerdeführer über den in dieser Verordnung festgesetzten pauschalierten Aufwandersatz hinausgehende Kostenbegehren war ebenso abzuweisen, wie das Begehren auf Ersatz der Umsatzsteuer, da letztere im pauschalierten Aufwandersatz bereits enthalten ist.
Wien, am 20. September 2006
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2005080064.X00Im RIS seit
31.10.2006Zuletzt aktualisiert am
07.10.2008