TE Vwgh Erkenntnis 2006/9/20 2003/08/0106

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Veröffentlicht am 20.09.2006
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
19/05 Menschenrechte;
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §7 Abs1 Z1;
AlVG 1977 §7 Abs2;
AlVG 1977 §7 Abs3 Z2;
AlVG 1977 §7 Abs3 Z3;
AlVG 1977;
B-VG Art7;
MRK Art14;
MRK Art6;
VwGG §41 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Köller, Dr. Moritz und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Eisner, über die Beschwerde der T in W, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/II/23, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 27. Jänner 2003, Zl. LGSW/Abt. 10-AlV/1218/56/2002-9474, betreffend Zuerkennung von Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin, einer slowakischen Staatsangehörigen, vom 2. Oktober 2002 auf Gewährung von Arbeitslosengeld wegen fehlender Verfügbarkeit gemäß § 7 Abs. 3 Z. 2 AlVG abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin habe am 9. September 2002 einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "unselbständige Erwerbstätigkeit" gestellt. Dieser Antrag sei mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 21. November 2002 abgewiesen worden. Die Beschwerdeführerin besitze daher keinen Aufenthaltstitel. Sie sei am Arbeitsmarkt nicht verfügbar.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach § 7 Abs. 1 Z. 1 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 (AlVG), hat Anspruch auf Arbeitslosengeld, wer der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht. Gemäß § 7 Abs. 2 AlVG steht der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, wer eine Beschäftigung aufnehmen kann und darf. § 7 Abs. 3 Z. 2 und 3 AlVG in der hier zeitraumbezogen anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 103/2001 bestimmt:

"Eine Beschäftigung aufnehmen kann und darf eine Person,

...

2. der die Ausübung einer unselbständigen Beschäftigung auf Grund der gesetzlichen Vorschriften nicht verwehrt ist und

3. die nicht den Tatbestand des § 34 Abs. 3 Z 2 des Fremdengesetzes 1997 (FrG), BGBl. I Nr. 75, unter Berücksichtigung des § 34 Abs. 4 FrG erfüllt."

Die Beschwerdeführerin macht geltend, die belangte Behörde hätte selbst die fremdenrechtliche Vorfrage beantworten müssen, ob ihr Verlängerungsantrag berechtigt sei und ihr ein Aufenthaltsrecht zukomme.

Wie sich aus dem im Verwaltungsakt erliegenden Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 21. November 2002 ergibt, wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom 9. September 2002 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 14 Abs. 2 Fremdengesetz 1997 mangels einer Antragstellung vor der Einreise vom Ausland aus abgewiesen. (Der Bundesminister für Inneres hat die dagegen erhobene Berufung mit Bescheid vom 12. Februar 2003 abgewiesen. Die dagegen erhobene Verwaltungsgerichtshofbeschwerde wurde mit Erkenntnis vom 10. September 2003, Zl. 2003/18/0163, als unbegründet abgewiesen). Der belangten Behörde kann nicht entgegen getreten werden, wenn sie den den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels abweisenden fremdenrechtlichen Bescheid, der mittlerweile in Rechtskraft erwachsen ist, ihrer Entscheidung zugrunde gelegt und daraus den Schluss gezogen hat, dass die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Gewährung von Arbeitslosengeld am 2. Oktober 2002 und danach über kein Aufenthaltsrecht in Österreich verfügt hat. Dass zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Gewährung von Arbeitslosengeld ein Ausweisungsbescheid noch nicht erlassen worden war, ändert nichts daran, dass die Beschwerdeführerin über keinen Aufenthaltstitel verfügte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 4. August 2004, Zl. 2003/08/0048). Ebenso ist der Einwand der Beschwerdeführerin ohne rechtliche Bedeutung, dass die Abweisung ihres Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels vom 9. September 2002 letztlich darauf zurückzuführen sei, dass sie nach dem Auslaufen des Bezuges des Arbeitslosengeldes am 16. März 1998 vom Arbeitsmarktservice die unrichtige Rechtsauskunft erhalten hätte, dass sie keinen Anspruch auf Notstandshilfe hätte, weshalb sie in der Folge Österreich habe verlassen und ihre Niederlassung in Österreich habe unterbrechen müssen.

Die Beschwerdeführerin bringt weiters vor, dass die Verneinung eines Anspruches auf Arbeitslosengeld "auf Grund des Fremdenrechts" eine ausschließlich gegen Menschen ausländischer Staatsbürgerschaft in dieser ihrer Eigenschaft gerichtete Maßnahme sei. Dies stelle einen Verstoß gegen Art. 14 EMRK dar. Ausländer würden ihres versicherungsrechtlichen Anspruches, der den Schutz nach dem ersten Zusatzprotokoll zur EMRK genieße, beraubt werden. Diese Diskriminierung würde "eine Bereicherung der Republik Österreich auf Kosten von Ausländern, die Leistungen in die Arbeitslosenversicherung erbringen, diese aber nicht herausbekommen können, bedeuten".

Dem ist zu erwidern, dass unter der Voraussetzung der Durchsetzbarkeit des "Auslandsaufenthaltes" - gegenteilige Anhaltspunkte liegen nicht vor - keine im Sinn der Entscheidung des EGMR vom 16. September 1996 (Gaygusuz gegen Österreich JBl 1997, 364 = ÖJZ 1996/37) unsachliche Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit, sondern eine sachliche Anknüpfung am zulässigen Inlandsaufenthalt als einer unmittelbaren Bedingung für die Möglichkeit einer Vermittlung auf dem inländischen Arbeitsmarkt vorgenommen wird (vgl. das Erkenntnis vom 29. März 2000, Zl. 98/08/0203).

Die Beschwerdeführerin bringt weiters vor, das AlVG sehe zur Entscheidung über Ansprüche wie dem gegenständlichen in § 44 AlVG die Zuständigkeit des Arbeitsmarktservice, sohin von Verwaltungsbehörden, und ein Verfahren nach dem AVG vor. Dies verletze das Grundrecht nach Art. 6 Abs. 1 EMRK auf eine Entscheidung durch ein unabhängiges und unparteiisches auf Gesetz beruhendes Gericht. Über Ansprüche nach dem AlVG als "civil right" sei die Beschwerdeführerin in ihren von Art. 6 Abs. 1 EMRK genannten Rechten auf Anhörung in einer öffentlichen Verhandlung und auf öffentliche Urteilsverkündung verletzt.

Dem ist zu entgegnen, dass es sich bei dem vorliegenden Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht um eine Angelegenheit des Kernbereiches der "civil rights" handelt (vgl. das die Berufsunfähigkeitspension eines Rechtsanwalts betreffende Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 25. September 1995, VfSlg. 14.210). Daher genügt die nachprüfende Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes - auch in Ansehung der Beweiswürdigung - den verfassungsrechtlichen Gewährleistungen, die Art. 6 EMRK verbürgt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. Mai 2005, Zl. 2003/17/0257, und das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 16. Juni 1990, VfSlg. 12.384).

Die Beschwerdeführerin hat schließlich die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof beantragt. Im vorliegenden Fall ist die Durchführung einer mündlichen Verhandlung aus folgenden Gründen nicht erforderlich:

Gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof ungeachtet eines Parteienantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und wenn Art. 6 Abs. 1 EMRK dem nicht entgegensteht. Der EGMR hat in seiner Entscheidung vom 2. September 2004, Zl. 68087/01 (Hofbauer/Österreich), unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung dargelegt, dass die Anforderungen von Art. 6 EMRK auch bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung oder überhaupt jeglicher Anhörung erfüllt sind, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder "technische" Fragen betrifft. Der Gerichtshof verwies im erwähnten Zusammenhang auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise, das angesichts der sonstigen Umstände des Falles zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung berechtigte.

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist hier geklärt. Es steht nämlich fest, dass die Beschwerdeführerin im maßgebenden Zeitraum nicht zum Aufenthalt in Österreich berechtigt und daher im Grunde des § 7 Abs. 3 Z. 2 AlVG für die Arbeitsvermittlung auch nicht verfügbar gewesen ist. Dies wird auch in der Beschwerde nicht in Zweifel gezogen. Die Erwartung der Beschwerdeführerin, der die Aufenthaltsberechtigung versagende Bescheid werde vom Verwaltungsgerichtshof als rechtswidrig aufgehoben werden, hat sich nicht erfüllt (vgl. das dazu ergangene hg. Erkenntnis vom 10. September 2003, Zl. 2003/18/0163). Auf die in der Beschwerde bereits behandelte Frage, ob die Dauer des Aufenthaltes der Beschwerdeführerin im Ausland zu berücksichtigen ist (zB durch Nichteinrechnung in die Antragsfrist des § 34 Abs. 3 AlVG) kommt es daher ebenso wenig an, wie auf jene Beschwerdeausführungen einzugehen ist, die sich gegen die Versagung der Aufenthaltsberechtigung wenden, weil diese Frage rechtskräftig entschieden und daher auch nicht vorfrageweise Gegenstand dieses Verfahrens ist. In der vorliegenden Beschwerde wurden aber im Übrigen keine weiteren Rechts- oder Tatfragen aufgeworfen, zu deren Lösung eine mündliche Verhandlung zweckmäßig oder gar erforderlich erschiene. Art. 6 EMRK steht daher dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung nicht entgegen. Die Entscheidung konnte daher im Sinn des § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Der Zuspruch von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 20. September 2006

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2003080106.X00

Im RIS seit

30.11.2006
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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