TE OGH 1998/5/20 2Ob124/98v

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Veröffentlicht am 20.05.1998
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schinko, Dr.Rohrer und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Elisabeth K*****, vertreten durch Dr.Christoph Brenner und Dr.Alexander Riel, Rechtsanwälte in Krems an der Donau, wider die beklagten Parteien 1.) Dr.Heinz W*****, und 2.) Landeshauptstadt *****, beide vertreten durch Dr.Stefan Gloß und Dr.Hans Pucher, Rechtsanwälte in St.Pölten, wegen S 90.000,-- sA und Feststellung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes St.Pölten als Berufungsgericht vom 16.Dezember 1997, GZ 29 R 339/97p-81, womit das Urteil des Bezirksgerichtes St.Pölten vom 21.August 1997, GZ 3 C 427/94w-70, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 25.953,65 (darin S 3.222,27 USt und S 6.620,-- Barauslagen) bestimmten Kosten der Rechtsmittelverfahren binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin begehrte die Zahlung von S 90.000,-- sA sowie die Feststellung, daß ihr die Beklagten für alle künftigen Folgen aus der am 12.2.1991 vom Erstbeklagten im Krankenhaus der Landeshauptstadt ***** durchgeführten Operation (Exstirpation eines Lymphknotens links cervikal) zur ungeteilten Hand zu haften hätten, mit folgendem Vorbringen:

Nach der Operation sei bei ihr eine Vergrößerung des linken Trapezmuskels und daraus resultierend eine Fehlhaltung bzw Schiefstellung der linken Schulter aufgetreten, was darauf zurückzuführen sei, daß bei der Operation Nervenstränge, allenfalls auch Muskeläste, verletzt worden seien. Die Verletzung von Nervensträngen oder Muskelästen beruhe auf einem ärztlichen Kunstfehler. Überdies sei sie vor der Operation in keiner Weise über mögliche Operationsrisken aufgeklärt worden; ebensowenig habe sie eine schriftliche Zustimmungserklärung zur Durchführung dieser Operation unterfertigt. Hätte sie gewußt, daß die Operation derartige Folgen nach sich ziehen werde, hätte sie dazu niemals eingewilligt. Außerdem sei die vom Erstbeklagten verordnete bzw empfohlene und im Krankenhaus der Zweitbeklagten durchgeführte physikalische Therapie fachlich unrichtig gewesen, wobei der heute bestehende Zustand des linken Trapezmuskels auf diese Fehlbehandlung zurückzuführen sei.

Die Beklagten wandten im wesentlichen ein: Die Operation sei mit der Klägerin bis ins Detail vorbereitet gewesen (Aufklärung über alle Risken der Operation) und habe mit ihrer Einwilligung stattgefunden. Der Eingriff sei lege artis erfolgt. Nervenstränge seien nicht durchtrennt worden. Möglicherweise habe ein unbedeutender Muskel geringfügige Verletzungen erlitten, was jedoch ein normales Operationsrisiko darstelle. Aus einer möglichen Verletzung seien der Klägerin auch weder erhöhte Beschwerden noch ein funktioneller Ausfall entstanden. Der nachträglich erhobene Anspruch aus dem Titel der Fehlbehandlung (physikalische Therapie) sei verjährt. Außerdem habe der Erstbeklagte die nachfolgende Therapie nicht zu verantworten. Es bestehe auch keine Aufklärungspflicht für einen Operateur, der nur für einen anderen verhinderten Operateur einspringen müsse. Weiters habe für den Erstbeklagten keine Aufklärungspflicht in Richtung der im Gutachten ON 57 aufgezeigten Operationsfolge bestanden, zumal sogar die Vorgutachter diese Operationsfolge nicht erörtert (offensichtlich nicht erkannt) hätten.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es ging hiebei von folgenden Feststellungen aus:

Seit etwa Oktober 1990 war bei der Klägerin ein kleiner Knoten an der linken Halsseite feststellbar. Um die Sache abklären zu lassen, begab sie sich in das Allgemeine öffentliche Krankenhaus der Landeshauptstadt *****, dessen Rechtsträger die zweitbeklagte Partei ist. Dort wurde sie von Dr.F*****, welcher als Chirurg im Krankenhaus tätig war, am 8.2.1991 untersucht. Dr.F***** teilte der Klägerin mit, daß es sich lediglich um "eine Kleinigkeit" handle, den Knoten herauszunehmen, und bestellte sie zu einem Operationstermin in der darauffolgenden Woche. Eine Aufklärung über die mit der Operation verbundenen Risiken und deren Ablauf erfolgte durch Dr.F***** nicht. Die Klägerin unterfertigte auch keine schriftliche Zustimmungserklärung bzw einen Revers.

Als die Klägerin am 12.2.1991 in das Krankenhaus kam, um sich der Operation zu unterziehen, traf sie lediglich auf eine Krankenschwester, welche ihr sagte, daß sie sich beeilen und schnell umziehen solle, weil sie schon drankomme. Ein Arzt sprach vor der Operation nicht mit ihr. Ebensowenig wurde vor der Operation eine Anamnese durchgeführt. Auch am 12.2.1991 wurde sie vor der Operation weder über die Risiken und den Ablauf der Operation aufgeklärt noch unterfertigte sie irgendeine schriftliche Erklärung.

Nachdem sich die Klägerin umgezogen hatte, wurde sie in den Operationssaal gebracht und erhielt eine Vollnarkose.

Auch der Erstbeklagte, welcher die Operation vornahm, sprach vor der Exstirpation nicht mit der Klägerin. Auch vor ihm unterzeichnete sie keinerlei Revers. Der Erstbeklagte kontrollierte auch nicht vor der Operation, ob in der Krankengeschichte ein Revers der Klägerin vorhanden war.

Die Operation sollte ursprünglich von Dr.F***** durchgeführt werden. Der Erstbeklagte wurde jedoch von Dr.F***** am Tag der Operation gebeten, an seiner Stelle die Operation durchzuführen. Auch darüber wurde die Klägerin im vorhinein nicht informiert. Es wurde ihr vielmehr vor der Operation die Person des Operateurs nicht mitgeteilt. Auch über die Narkose und die Art der Narkose wurde mit ihr vor der Operation nicht gesprochen. Aus ihrer Krankengeschichte ist auch eine Aufklärung über die Risiken der Narkose nicht ersichtlich. Die Operation selbst wurde vom Erstbeklagten entsprechend den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt. Die operative Entfernung des Lymphknotens war medizinisch indiziert, um die Diagnose, insbesondere im Hinblick auf das Vorliegen eines malignen Geschehens, zu klären.

Die Klägerin blieb noch bis zum 13.2.1991 in stationärem Aufenthalt im Krankenhaus und wurde dann entlassen. Sie litt von Anfang an unter Schmerzen im Halsbereich sowie im ganzen Bereich des linken Armes und der linken Schulter.

Die gegenständliche Operationsnarbe der Klägerin liegt am vorderen Rand des Musculus trapezius. Bei der Operation wurde hier der Lymphknoten entfernt. Diese Operation führt in ein Gebiet, in welchem zahlreiche Nerven verlaufen. Bei der Operation entstand ein Atrophie des Musculus levator scapulae, welche nur durch eine Läsion des Nervus dorsalis scapulae entstanden sein kann. Ferner entstand eine Atrophie des Musculus pectoralis major, die wiederum auf eine Läsion des einen oder anderen Nervus pectoralis zurückgeht. Der mediale Rand des Schulterblattes der Klägerin kann nicht einwandfrei fixiert werden und steht fallweise von der Brustwand ab. Dies spricht für eine Läsion der Musculi rhomboidei, die ebenfalls vom Nervus dorsalis scapulae versorgt werden. Wie sich aus einer elektrophysiologischen Untersuchung ergibt, haben auch der vom Nervus accessorius bzw vom Ramus trapezius des Plexus cervicalis versorgte Musculus trapezius (pars ascendens) und der vom Nervus thoracicus longus versorgte Musculus serratus anterior eine passagere Schädigung erlitten. Weiters wurden Nervenäste geschädigt, die die Musculi scaleni versorgen, wodurch ein vorübergehender Schaden an diesen Muskeln entstand. Zumindest noch 4 Jahre nach der Operation bestanden Sensibilitätsstörungen der Haut, woraus sich schließen läßt, daß zumindest zwei der Nervi supraclaviculares dauerhaft verletzt wurden. Eine Läsion eines zum Arm führenden Hautnerven kann ausgeschlossen werden.

Bei der Operation wurde keiner dieser Nerven vollständig durchtrennt, wenn man von den beiden Hautnerven absieht. Die überwiegende Mehrzahl der betroffenen Nerven erlitt lediglich einen Schaden 1. bzw 2. Grades. Zwischenzeitig ist es zu einer weitgehenden Regeneration gekommen. Am stärksten gelitten haben die vom Nervus dorsalis scapulae versorgten Muskel, wobei die Musculi rhomboidei ebenfalls gut regeneriert sind, jedoch immer noch eine deutliche Schwäche zeigen, während der Musculus levator scapulae eine sehr starke Atrophie aufweist. Auch die Läsion des Nervus accessorius bzw des Ramus trapezius des Plexus cervicalis ist nur eine Teilläsion und betrifft den Teil des Nervs nach Abgang der ersten Äste. Aus diesem Grund ist bei der Klägerin der obere Teil des Musculus trapezius intakt, der untere Anteil hat eine vorübergehende diskrete Läsion erlitten, wurde aber nicht vollständig deinnerviert und zeigt im Elektromyogramm eine deutliche Regeneration.

Die zweifache Innervation des Musculus trapezius durch den Nervus accessorius und teilweise auch durch den Ramus trapezius des Plexus cervicalis läßt die Möglichkeit offen, daß eine Läsion oder Teilläsion des einen Anteiles durch verstärktes Aussprossen des anderen Anteiles kompensiert wird.

Zwischen den Nervenausfällen und der am 12.2.1991 durchgeführten Operation besteht ein zeitlicher und ursächlicher Zusammenhang. Die Nervenläsionen sind durch die Operation entstanden. Es ist allerdings - wie ausgeführt - zu keiner kompletten Durchtrennung von Nerven gekommen, wenn man von den Hautästen absieht. Alle Nerven haben weitgehende Regeneration gezeigt, wodurch die unterschiedlichen elektromyographischen Befunde zustandegekommen sind. Während der Zeit der Deinnervation wurde der obere Anteil des Musculus trapezius verstärkt beansprucht. Seine Antagonisten in bezug auf die Drehung des Schulterblattes waren geschwächt. Die Doppelinnervierung führte zu einer Hyperneurotisation. Die Folge davon ist die Hypertrophie des oberen Anteiles des Musculus trapezius.

Bei einer Operation wie der gegenständlichen, die nicht in das subcutane Gewebe, sondern in tiefere Gewebsschichten führte, können solche Nervenschäden durch Haken zustande kommen, wobei darin kein ärztlicher Kunstfehler zu sehen ist. Die gleichzeitige Läsion so vieler Nerven ist außerordentlich selten. Läsionen des Nervus accessorius und/oder des Ramus trapezius kommen dagegen so häufig vor, daß es erforderlich ist, Patienten darauf aufmerksam zu machen.

Die bei der Klägerin aufgetretenen Beschwerden sind also Folgen einer Druckschädigung peripherer Nerven, die im Rahmen der Operation am 12.2.1991 entstanden sind. Die Druckschädigung der Nerven entstand durch Operationshaken, mit denen das benachbarte Gewebe bei dem relativ komplizierten, in tiefere Gewebsschichten führenden Eingriff weggehalten werden mußte. In der Regel bilden sich solche Läsionen wieder zurück, was auch bei der Klägerin weitgehend der Fall war. Problematisch wurde der Fall der Klägerin durch die doppelte Innervation des Musculus trapezius.

Derzeit besteht bei der Klägerin nach wie vor die Hypertrophie des oberen Anteiles des Musculus trapezius, die zum einen äußerlich stört, da sie eine Asymmetrie der Körpersilhouette der Klägerin bedingt, und auch glaubhafte Beschwerden verursacht. Nach Regeneration aller Nerven besteht die Möglichkeit, daß eine Besserung eintreten kann.

In neurologischer Hinsicht ist auszuführen, daß die Rotation im Schultergelenk der Klägerin deutlich beeinträchtigt ist. Der obere Trapeziusrand zeigt eine massive Muskelwulst, welcher der Hypertrophie entspricht. Diese Hypertrophie der Schulterblattmuskulatur ist links gegenüber rechts deutlich erkennbar. Die Armmuskulatur ist ebenso intakt wie auch die Muskeleigenreflexe. Es treten keine umschriebenen Sensibilitätsstörungen auf. Gegeben sind jedoch deutliche Kraftabschwächungen der Funktionen, welche den Arm in der Schulter nach rückwärts führen. Auch aus neurologischer Sicht ist bei der gegenständlichen Operation der Entfernung des Lymphknotens aus dem seitlichen Halsdreieck links eine neurologische Komplikation durch Läsion oberer Plexusanteile des linken Armnervengeflechtes entstanden. Am vorliegenden Zustandsbild ist ein anterocollis spasticus bzw eine Depression oder eine Aggression der Klägerin nicht beteiligt. Ebensowenig besteht ein Zusammenhang zwischen dem psychischen Gesamtzustand der Klägerin und der Verstärkung des linken Trapezmuskels. Aus neurologischer Sicht ist mit Dauerfolgen mit großer Wahrscheinlichkeit zu rechnen. Diese bestehen im Sinne der Hypertrophie des oberen Anteiles des Musculus trapezius.

Die Klägerin versuchte in der Zwischenzeit, auf verschiedene Weise eine Besserung bzw vollständige Heilung ihres Zustandes herbeizuführen. So suchte sie ihren Hausarzt auf, begab sich etwa 14 Tage nach der Operation wieder ins Krankenhaus zu Dr.F***** und es wurden ihr in weiterer Folge verschiedenste Therapien empfohlen und verschrieben, wie beispielsweise Strombehandlungen, Ultraschall, Heublumenwickel und ähnliches. Die Therapien führten zwar zu einer fallweisen Linderung, jedoch nicht zu einer vollständigen Heilung. Bei dem genannten Gespräch mit Dr.F***** 14 Tage nach der Operation erfuhr die Klägerin erstmals, daß sie der Erstbeklagte operiert hatte. Im Mai 1992 suchte die Klägerin auch den Erstbeklagten auf und nahm bei dieser Gelegenheit Einsichtnahme in ihre Krankengeschichte.

Die empfohlene physikalische Therapie war grundsätzlich richtig und wurde den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechend durchgeführt. Die Hypertrophie des oberen Anteiles des Musculus trapezius ist vielmehr - wie bereits ausgeführt - durch die zweifache Innervation dieses Muskels zustande gekommen. Noch in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 7.7.1997 war festzustellen, daß die linke Schulter der Klägerin infolge eines tatsächlich vorhandenen übermäßigen Muskelaufwandes weit höher steht als die rechte.

Hätte die Klägerin gewußt, daß nur eine ganz geringe Chance besteht, daß sie diese Komplikationen nach der Operation hat, wäre sie also ausreichend aufgeklärt worden, hätte sie die Operation nicht durchführen lassen. Die Klägerin hat auch vor der Operation nicht mit derartigen Folgen gerechnet.

In seiner rechtlichen Beurteilung vertrat das Erstgericht den Standpunkt, daß im vorliegenden Fall die aus dem Behandlungsvertrag resultierende Aufklärungspflicht verletzt worden sei, wobei die Klägerin bei ausreichender Kenntnis der Risiken der Operation sicher nicht zugestimmt hätte.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge, änderte das erstgerichtliche Urteil im klagsabweisenden Sinn ab und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Es führte folgendes aus:

Nach den insoweit unbekämpft gebliebenen Tatsachenfeststellungen sei der Klägerin der ihr obliegende Beweis des Vorliegens eines kausalen Behandlungsfehlers (RdM 1997/4 mwN) nicht gelungen, und zwar weder hinsichtlich der Operation an sich noch in Ansehung der späteren physikalischen Therapie.

Unter den spezifischen Besonderheiten des vorliegenden Falles sei auch eine Verletzung der Aufklärungspflicht zu verneinen, wobei sowohl der Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht als auch die Typizität eines Risikos für eine bestimmte Operation Rechtsfragen bildeten, die jeweils an Hand der zu den konkreten Umständen des Einzelfalles getroffenen Feststellungen zu beurteilen seien (RdM 1996/12). Zunächst sei davon auszugehen, daß prinzipiell eine Zustimmung der Klägerin zur Vornahme der gegenständlichen Operation gegeben gewesen sei, zumal ihr das Ziel der Operation bekannt gewesen sei und sie sich freiwillig zu diesem Zweck in das Spital begeben habe (§ 863 ABGB). Die Abgabe der Zustimmungserklärung in schriftlicher Form sei nach § 8 Abs 3 KAG nicht erforderlich. Die Zustimmung setze allerdings zu ihrer Rechtswirksamkeit eine vorangegangene entsprechende Aufklärung voraus (JBl 1995, 453 = RdM 1995/15; RdM 1997/4). Der Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht stelle grundsätzlich eine Frage des Einzelfalles dar (RdM 1996/25 mwN). Es könnten keine Prozent(Promille)sätze dafür angegeben werden, bei welcher Wahrscheinlichkeit von Schädigungen eine Aufklärungspflicht nicht mehr bestehe. Auf typische Risiken einer Operation sei jedenfalls ganz unabhängig von der prozentmäßigen statistischen Wahrscheinlichkeit, also auch bei einer allfälligen Seltenheit ihres Eintrittes, hinzuweisen; insoweit sei die Aufklärungspflicht bei Vorliegen einer typischen Gefahr also verschärft. Die Typizität ergebe sich nicht aus der Komplikationshäufigkeit, sondern daraus, daß das Risiko speziell dem geplanten Eingriff anhafte und auch bei Anwendung allergrößter Sorgfalt und fehlerfreier Durchführung nicht sicher zu vermeiden sei und den nichtinformierten Patienten überrasche, weil er mit dieser Folge überhaupt nicht rechne. Auch das typische Risiko müsse allerdings von einiger Erheblichkeit und dadurch geeignet sein, die Entscheidung des Patienten zu beeinflussen (RdM 1997/4). Die bei der Klägerin aufgetretenen Beschwerden beruhten nun auf einer atypischen Folgewirkung einer Druckschädigung peripherer Nerven im Rahmen der Operation, nämlich auf der "doppelten Innervation" des Musculus trapezius; diese doppelte Innervation liegt außerhalb des (hinweispflichtigen) Risikos von bloßen Läsionen des Nervus accessorius oder des Ramus trapezius, die sich ja in der Regel - wie auch weitgehend bei der Klägerin - wieder zurückbildeten. Im Sinne der Argumentation der Berufungswerber sehe sich das Berufungsgericht zu der vorgenommenen Differenzierung vor allem auch deshalb veranlaßt, weil zunächst nicht einmal zwei im Verfahren als Sachverständige beigezogene Experten die konkrete Ursache der klägerischen Beschwerden (doppelte Innervation) erkannt hätten, weshalb auch von einem Facharzt für Chirurgie (Oberarzt) keine Aufklärung eines Patienten in der erst vom dritten Sachverständigen aufgezeigten Richtung verlangt werden könne.Unter den spezifischen Besonderheiten des vorliegenden Falles sei auch eine Verletzung der Aufklärungspflicht zu verneinen, wobei sowohl der Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht als auch die Typizität eines Risikos für eine bestimmte Operation Rechtsfragen bildeten, die jeweils an Hand der zu den konkreten Umständen des Einzelfalles getroffenen Feststellungen zu beurteilen seien (RdM 1996/12). Zunächst sei davon auszugehen, daß prinzipiell eine Zustimmung der Klägerin zur Vornahme der gegenständlichen Operation gegeben gewesen sei, zumal ihr das Ziel der Operation bekannt gewesen sei und sie sich freiwillig zu diesem Zweck in das Spital begeben habe (Paragraph 863, ABGB). Die Abgabe der Zustimmungserklärung in schriftlicher Form sei nach Paragraph 8, Absatz 3, KAG nicht erforderlich. Die Zustimmung setze allerdings zu ihrer Rechtswirksamkeit eine vorangegangene entsprechende Aufklärung voraus (JBl 1995, 453 = RdM 1995/15; RdM 1997/4). Der Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht stelle grundsätzlich eine Frage des Einzelfalles dar (RdM 1996/25 mwN). Es könnten keine Prozent(Promille)sätze dafür angegeben werden, bei welcher Wahrscheinlichkeit von Schädigungen eine Aufklärungspflicht nicht mehr bestehe. Auf typische Risiken einer Operation sei jedenfalls ganz unabhängig von der prozentmäßigen statistischen Wahrscheinlichkeit, also auch bei einer allfälligen Seltenheit ihres Eintrittes, hinzuweisen; insoweit sei die Aufklärungspflicht bei Vorliegen einer typischen Gefahr also verschärft. Die Typizität ergebe sich nicht aus der Komplikationshäufigkeit, sondern daraus, daß das Risiko speziell dem geplanten Eingriff anhafte und auch bei Anwendung allergrößter Sorgfalt und fehlerfreier Durchführung nicht sicher zu vermeiden sei und den nichtinformierten Patienten überrasche, weil er mit dieser Folge überhaupt nicht rechne. Auch das typische Risiko müsse allerdings von einiger Erheblichkeit und dadurch geeignet sein, die Entscheidung des Patienten zu beeinflussen (RdM 1997/4). Die bei der Klägerin aufgetretenen Beschwerden beruhten nun auf einer atypischen Folgewirkung einer Druckschädigung peripherer Nerven im Rahmen der Operation, nämlich auf der "doppelten Innervation" des Musculus trapezius; diese doppelte Innervation liegt außerhalb des (hinweispflichtigen) Risikos von bloßen Läsionen des Nervus accessorius oder des Ramus trapezius, die sich ja in der Regel - wie auch weitgehend bei der Klägerin - wieder zurückbildeten. Im Sinne der Argumentation der Berufungswerber sehe sich das Berufungsgericht zu der vorgenommenen Differenzierung vor allem auch deshalb veranlaßt, weil zunächst nicht einmal zwei im Verfahren als Sachverständige beigezogene Experten die konkrete Ursache der klägerischen Beschwerden (doppelte Innervation) erkannt hätten, weshalb auch von einem Facharzt für Chirurgie (Oberarzt) keine Aufklärung eines Patienten in der erst vom dritten Sachverständigen aufgezeigten Richtung verlangt werden könne.

Die ordentliche Revision sei im Hinblick auf folgende wesentliche Rechtsfrage zulässig:

Der Oberste Gerichtshof habe in den Fällen der Entscheidungen JBl 1990, 459 und JBl 1995, 453 = RdM 1995/15 an sich ausgesprochen, daß mangels jeglicher Aufklärung der Klägerin (Fehlen eines ärztlichen Aufklärungsgesprächs) diese keine wirksame Einwilligung zur Vornahme der Operation geben habe können, der Eingriff somit als eigenmächtige Heilbehandlung rechtswidrig gewesen sei. Würde man strikt nur auf diese rechtliche Konsequenz abstellen, so müßte hier die Haftung der Beklagten bejaht werden, weil auch im vorliegenden Fall kein Aufklärungsgespräch über Risiken und Ablauf der Operation stattgefunden habe und der Klägerin nicht einmal ein "Revers" zur Unterfertigung vorgelegt worden sei. Da jedoch der Oberste Gerichtshof in den zitierten Fällen ungeachtet des zitierten Rechtssatzes den Umfang der Aufklärungspflicht sowie die "Typizität" jeweils hinsichtlich des im Einzelfall gerade eingetretenen Risikos erörtert habe, scheine es für die Rechtswirksamkeit der Zustimmungserklärung eines Patienten im Ergebnis lediglich darauf anzukommen, ob die konkret aufgetretene Komplikation aufklärungsbedürftig gewesen wäre. Andernfalls hätte es nämlich ein ganz oder teilweise unaufgeklärt gebliebener Patient in der Hand, eine Haftung des Arztes bzw des Krankenanstaltenträgers wegen Verletzung der Aufklärungspflicht auch in Fällen atypischer, nicht aufklärungsbedürftiger Folgen zu begründen, sofern er nur über irgend ein anderes typisches (dh aufklärungsbedürftiges), in concreto aber gar nicht gegebenes Risiko uninformiert geblieben wäre. Eine solche Überspannung der Aufklärungsanforderung solle aber nicht stattfinden (vgl RdM 1996/25).Der Oberste Gerichtshof habe in den Fällen der Entscheidungen JBl 1990, 459 und JBl 1995, 453 = RdM 1995/15 an sich ausgesprochen, daß mangels jeglicher Aufklärung der Klägerin (Fehlen eines ärztlichen Aufklärungsgesprächs) diese keine wirksame Einwilligung zur Vornahme der Operation geben habe können, der Eingriff somit als eigenmächtige Heilbehandlung rechtswidrig gewesen sei. Würde man strikt nur auf diese rechtliche Konsequenz abstellen, so müßte hier die Haftung der Beklagten bejaht werden, weil auch im vorliegenden Fall kein Aufklärungsgespräch über Risiken und Ablauf der Operation stattgefunden habe und der Klägerin nicht einmal ein "Revers" zur Unterfertigung vorgelegt worden sei. Da jedoch der Oberste Gerichtshof in den zitierten Fällen ungeachtet des zitierten Rechtssatzes den Umfang der Aufklärungspflicht sowie die "Typizität" jeweils hinsichtlich des im Einzelfall gerade eingetretenen Risikos erörtert habe, scheine es für die Rechtswirksamkeit der Zustimmungserklärung eines Patienten im Ergebnis lediglich darauf anzukommen, ob die konkret aufgetretene Komplikation aufklärungsbedürftig gewesen wäre. Andernfalls hätte es nämlich ein ganz oder teilweise unaufgeklärt gebliebener Patient in der Hand, eine Haftung des Arztes bzw des Krankenanstaltenträgers wegen Verletzung der Aufklärungspflicht auch in Fällen atypischer, nicht aufklärungsbedürftiger Folgen zu begründen, sofern er nur über irgend ein anderes typisches (dh aufklärungsbedürftiges), in concreto aber gar nicht gegebenes Risiko uninformiert geblieben wäre. Eine solche Überspannung der Aufklärungsanforderung solle aber nicht stattfinden vergleiche RdM 1996/25).

Gegen diese Berufungsentscheidung richtet sich die Revision der Klägerin wegen Aktenwidrigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagsstattgebenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagten beantragen in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, sie abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Interesse der Rechtssicherheit zulässig; sie ist auch berechtigt.

Durch die Ausführungen zum Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit wird allerdings eine Aktenwidrigkeit nicht dargetan, was nicht weiter begründet werden muß (§ 510 Abs 3 ZPO).Durch die Ausführungen zum Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit wird allerdings eine Aktenwidrigkeit nicht dargetan, was nicht weiter begründet werden muß (Paragraph 510, Absatz 3, ZPO).

In ihrer Rechtsrüge macht die Klägerin zusammengefaßt geltend, Läsionen des Ramus trapezius bzw Nervus accessorius lägen im Rahmen von Lymphknoten-Exstirpationen am Hals sehr wohl innerhalb des typischen Risikobereichs. Der vorgenommene Eingriff sei keinesfalls dringlich gewesen, weshalb sie detailliert und umfassend aufgeklärt werden hätte müssen. Mangels jeglicher Aufklärung habe sie keine wirksame Einwilligung zur Vornahme der Operation geben können. Die Beklagten hätten nicht einmal behauptet, daß sie bei ausreichender Aufklärung die Zustimmung zu Operationen erteilt hätte. Bei einem gänzlichen Fehlen jeglicher Aufklärung sei die vom Berufungsgericht vorgenommene Fiktion jedenfalls unzulässig.

Hiezu wurde erwogen:

Im drittinstanzlichen Verfahren ist nur mehr zu prüfen, ob eine Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht stattgefunden hat. Hiezu ist das Berufungsgericht von den in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes entwickelten Rechtssätzen ausgegangen (vgl etwa SZ 69/199 = RdM 1997/4 mwN; Harrer in Schwimann2 § 1300 Rz 33 ff, 50 mwN). Hinzuzufügen ist noch, daß besonders strenge Anforderungen in bezug auf die Aufklärung über mögliche Gefahren zu stellen sind, wenn der Eingriff nicht unmittelbar der Heilung oder Rettung des Patienten dient, sondern - wie hier - (nur) der Diagnose (SZ 59/18; Harrer aaO Rz 36).Im drittinstanzlichen Verfahren ist nur mehr zu prüfen, ob eine Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht stattgefunden hat. Hiezu ist das Berufungsgericht von den in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes entwickelten Rechtssätzen ausgegangen vergleiche etwa SZ 69/199 = RdM 1997/4 mwN; Harrer in Schwimann2 Paragraph 1300, Rz 33 ff, 50 mwN). Hinzuzufügen ist noch, daß besonders strenge Anforderungen in bezug auf die Aufklärung über mögliche Gefahren zu stellen sind, wenn der Eingriff nicht unmittelbar der Heilung oder Rettung des Patienten dient, sondern - wie hier - (nur) der Diagnose (SZ 59/18; Harrer aaO Rz 36).

Im vorliegenden Fall hat keinerlei Aufklärung über Operationsrisken stattgefunden, obwohl Läsionen des Nervus accessorius und des Ramus trapezius so häufig vorkommen, daß es erforderlich ist, Patienten darauf aufmerksam zu machen. Die Verletzung eines dieser Nerven oder beider zählt daher zum typischen Risiko einer Operation, wie sie an der Klägerin vorgenommen wurde. Beide Nerven versorgen den Musculus trapezius. Diese doppelte Nervenversorgung (Innervation) ist entgegen dem Verständnis des Berufungsgerichtes keine selbständige Folgewirkung einer Druckschädigung, sondern eine anatomische Gegebenheit, die nach den vom Erstgericht in seine Feststellungen übernommenen Ausführungen des dritten medizinischen Sachverständigen den Fall der Klägerin problematisch werden ließ.

Die zweifache Innervation des Musculus trapezius stellt demnach kein eigenständiges - atypisches - Operationsrisiko dar. Vielmehr hat sich im vorliegenden Fall das typische Risiko der Verletzung bestimmter Nervenstränge verwirklicht, was insbesondere wegen der beschriebenen Doppelinnervation des Musculus trapezius, der von diesen Nervensträngen versorgt wird, zu Problemen führte. Selten ist die gleichzeitige Verletzung so vieler - auch weiterer - Nerven, nicht hingegen die Verletzung der beiden genannten.

Somit ist im Sinne der vom Berufungsgericht zitierten Rechtsprechung eine Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht anzunehmen. Daß die Klägerin die Zustimmung zur Operation auch bei Aufklärung über die Möglichkeit von Nervenverletzungen erteilt hätte, wurde von den Beklagten nicht behauptet und noch weniger nachgewiesen (vgl zur Beweislast SZ 69/199 mwN). Mangels rechtswirksamer Zustimmung der Klägerin hat das Erstgericht die Schadenshaftung der Beklagten zutreffend bejaht. Sein Urteil war daher wiederherzustellen.Somit ist im Sinne der vom Berufungsgericht zitierten Rechtsprechung eine Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht anzunehmen. Daß die Klägerin die Zustimmung zur Operation auch bei Aufklärung über die Möglichkeit von Nervenverletzungen erteilt hätte, wurde von den Beklagten nicht behauptet und noch weniger nachgewiesen vergleiche zur Beweislast SZ 69/199 mwN). Mangels rechtswirksamer Zustimmung der Klägerin hat das Erstgericht die Schadenshaftung der Beklagten zutreffend bejaht. Sein Urteil war daher wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.Die Kostenentscheidung beruht auf den Paragraphen 41,, 50 ZPO.

Anmerkung

E50454 02A01248

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1998:0020OB00124.98V.0520.000

Dokumentnummer

JJT_19980520_OGH0002_0020OB00124_98V0000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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