TE Vwgh Erkenntnis 2006/9/21 2006/19/0242

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Veröffentlicht am 21.09.2006
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §7;
AVG §37;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß sowie die Hofräte Dr. Nowakowski und Mag. Nedwed, die Hofrätin Dr. Pollak und den Hofrat Dr. N. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Trefil, über die Beschwerde des S in N, geboren 1964, vertreten durch Mag. Dr. Bernhard Rosenkranz, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Plainstraße 23, gegen den in Bezug auf Spruchpunkt I. am 24. Oktober 2003 verkündeten und insgesamt am 3. August 2004 schriftlich ausgefertigten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 226.431/0-VII/43/02, betreffend §§ 7 und 8 Abs. 1 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich seines Ausspruchs gemäß § 7 Asylgesetz 1997 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und in seinem Ausspruch gemäß § 8 Abs. 1 Asylgesetz 1997 wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Afghanistans, gelangte im Juli 2001 in das Bundesgebiet und stellte einen Asylantrag, zu dem er am 13. August 2001 und am 19. September 2001 vor dem Bundesasylamt einvernommen wurde. Dabei gab er an, er stamme aus einer der wenigen afghanischen Hindu-Familien und habe von 1983 bis 1988 in der UdSSR studiert, wo er auch seine spätere Ehefrau, eine Ukrainerin, kennen gelernt habe. Nach dem Studium sei der Beschwerdeführer nach Afghanistan zurückgekehrt und habe in Kandahar bis 1992 seinen Militärdienst absolviert. Wenige Tage danach sei er von Mudjaheddin inhaftiert, gefoltert und zwangsbeschnitten worden, da man ihn habe zwingen wollen, zum Islam überzutreten. Als seine Frau nach Afghanistan gekommen sei, habe man ihm vorgeworfen, eine nichtmuslimische Braut zu haben. 1993 sei sein Vater von konservativen Moslems getötet worden. Da auch seine Frau gefährdet gewesen sei, habe er sie 1994 in die Ukraine zurückgebracht, wo sie in der Folge mit der 1995 geborenen Tochter gelebt habe. Der Beschwerdeführer sei jedoch nach Afghanistan zurückgekehrt, wo er in Kabul und Kandahar als Händler tätig gewesen sei. Da er auch durch die Taliban wegen seiner hinduistischen Religionszugehörigkeit immer wieder Anfeindungen bis hin zu Misshandlungen ausgesetzt gewesen sei, habe er Afghanistan im Juni 2001 verlassen.

Mit Bescheid vom 28. Jänner 2002 wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan nicht zulässig sei. Das Bundesasylamt legte seinen Feststellungen das Vorbringen des Beschwerdeführers zugrunde, ging jedoch davon aus, seit dem Sturz der Taliban sei eine asylrelevante Gefährdung des Beschwerdeführers "nicht mehr gegeben".

In der gegen den Ausspruch gemäß § 7 AsylG dieses Bescheides erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, die "alten Mudjaheddingruppierungen" seien in Afghanistan wieder an der Macht und er fürchte sich vor neuen Verfolgungen.

Am 24. Oktober 2003 führte die belangte Behörde eine mündliche Berufungsverhandlung durch, bei der der Beschwerdeführer vor dem Hintergrund der geänderten politischen Lage in Afghanistan im Wesentlichen ausführte, die Haltung der Bevölkerung, von der die Diskriminierungen und die Gefahr ausgingen, sei auch durch einen Regierungswechsel nicht zu ändern. Bereits als er während seines Militärdienstes unter Nadjibullah als Arzt Verwundete versorgt habe, sei er als "Gottloser" und als "Russe" bezeichnet worden, dessen "Hand einen Muslimen nicht berühren dürfe". Aus Furcht, umgebracht zu werden, habe er in der Folge verheimlicht, dass er Arzt sei und eine "russische Frau" habe. Die Situation habe sich für ihn seit seiner Flucht auch insofern nicht geändert, als nun wieder die Mudjaheddin an der Macht seien, von denen er bereits vor der Taliban-Herrschaft wegen seiner Religionszugehörigkeit, seines Studiums in der UdSSR und seiner Heirat mit einer nichtmuslimischen Ukrainerin diskriminiert und verfolgt worden sei.

Nach der Aktenlage wies die belangte Behörde die Berufung nach Schluss der Berufungsverhandlung mit mündlich verkündetem Bescheid gemäß § 7 AsylG ab. Der am 3. August 2004 schriftlich ausgefertigte Bescheid enthielt darüber hinaus die Feststellung gemäß § 8 Abs. 1 AsylG (idF BGBl. I Nr. 101/2003), dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan zulässig sei.

Aufgrund der in der mündlichen Berufungsverhandlung erörterten Länderberichte traf die belangte Behörde Feststellungen zur Menschenrechts- und Sicherheitslage in Afghanistan sowie zur Situation ehemaliger Kommunisten und religiöser Minderheiten, insbesondere der afghanischen Hindus. Sie leitete daraus ab, dass sich die Lage in Afghanistan insofern geändert habe, als die Gefahr einer Verfolgung, wie sie der Beschwerdeführer vor der Flucht 2001 erlitten habe, nicht mehr bestehe. Er gehöre weder einer dem kommunistischen Regime nahestehenden und daher gefährdeten Personengruppe an noch vermöge der "bloße Auslandsaufenthalt", die hinduistische Religionszugehörigkeit oder die "Heirat eines Hindu mit einer nicht muslimischen Ukrainerin" in Afghanistan "heute" eine asylrelevante Bedrohung hervorzurufen. Die Feststellung gemäß § 8 Abs. 1 AsylG begründete die belangte Behörde mit dem Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 57 FrG.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

1. Zur Abweisung des Asylantrags:

Der Beschwerdeführer stützte sein - von der belangten Behörde geglaubtes - Vorbringen in wesentlichen Teilen auf Verfolgung nicht erst unter den Taliban, sondern schon zur Zeit der Mudjaheddin. Damals sei er inhaftiert, gefoltert und zwangsweise beschnitten worden. Der Beschwerdeführer brachte sowohl in der Berufung als auch in der Berufungsverhandlung vor, sich vor neuerlicher Verfolgung durch die wieder an der Macht befindlichen Mudjaheddin zu fürchten. Damit hat sich die belangte Behörde insofern nicht ausreichend auseinander gesetzt, als sie zu den tatsächlichen Machtstrukturen in Afghanistan nach dem Sturz der Taliban keine Feststellungen traf, die sie mit dem Vorbringen des Berufungswerbers in Beziehung setzen hätte können.

Dies wäre auch deshalb erforderlich gewesen, weil die von der belangten Behörde verwerteten Berichte kein eindeutiges Bild zur Lage der Hindus oder von Personen, die mit dem kommunistischen Regime in Verbindung gebracht werden, ergeben. So geht etwa aus dem (unter anderem) zitierten Bericht des UNHCR vom Juli 2003 hervor, dass Hindus immer noch verschiedensten Formen von Einschüchterungen in der Öffentlichkeit ausgesetzt seien und Rückkehrer behauptet hätten, es sei ihnen nicht möglich gewesen, ihren Grundbesitz zurückzuerlangen. Der im Bescheid angeführte Bericht der Schweizer Flüchtlingshilfe vom 3. März 2003 spricht davon, dass Hindus und Sikhs vor 1992 unterstellt worden sei, mit den Kommunisten und Indien, welches das kommunistische Regime unterstützt habe, zu kollaborieren. Nach der Eroberung Kabuls von 1992 habe es Pogrome gegen Hindus und Sikhs gegeben und deren Zahl sei aufgrund massiver Flucht auf wenige tausend zurückgegangen. Zwar sei in jüngster Zeit keine Verfolgung von Hindus bekannt geworden, doch hätten sie durch den Verlust ihrer Familien- und Gemeindestrukturen sowie ihrer ökonomischen Grundlagen auch keine relative Sicherheit mehr. Ländliche Gebiete kämen für sie aufgrund der Intoleranz der dortigen, ausschließlich muslimischen Bevölkerung auch als vorübergehender Aufenthaltsort nicht in Frage. Es gebe Hinweise darauf, dass Personen, die mit dem kommunistischen Regime in Verbindung gebracht werden, besonders gefährdet seien, Gewalt, Schikanen oder Diskriminierungen ausgesetzt zu sein. Unter anderem spielten dabei erweiterte familiäre Beziehungen sowie der Bildungsgrad und Auslandsaufenthalt eine entscheidende Rolle.

Diese Berichtslage ließ nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes schon den Schluss der belangten Behörde, dem Beschwerdeführer drohe als Hindu oder wegen seiner Anknüpfungspunkte zum kommunistischen Regime keine asylrelevante Verfolgung, nicht mit der erforderlichen Gewissheit zu. Dazu kommt aber noch, dass die belangte Behörde das Vorbringen des Beschwerdeführers, der die Verfolgungsgefahr sowohl auf seine Religionszugehörigkeit als auch auf sein langjähriges Studium in der UdSSR und seine Ehe mit einer von dort stammenden nichtmuslimischen Frau zurückführte, nicht ganzheitlich gewürdigt, sondern lediglich eine auf die Einzelteile dieses Vorbringens bezogene Einschätzung vorgenommen hat. Zur Beurteilung der für den Beschwerdeführer durch das Zusammentreffen mehrerer risikobegründender Faktoren (einschließlich der bereits vor der Flucht stattgefundenen Ereignisse) bestehenden Verfolgungswahrscheinlichkeit hätte es jedoch einer Gesamtbetrachtung aller Vorbringensteile (vgl. dazu zuletzt etwa das hg. Erkenntnis vom 27. April 2006, Zl. 2003/20/0181, mwN) und -

wenn die allgemeine Länderdokumentation dafür keine ausreichende Grundlage bot - allenfalls der konkreten Gefahrenbeurteilung durch einen länderkundlichen Sachverständigen bedurft (s. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 22. Juni 2006, Zlen. 2006/19/0057, 0058).

Aus diesen Gründen war der angefochtene Bescheid in seinem § 7 AsylG betreffenden Ausspruch gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

2. Zum Ausspruch gemäß § 8 Abs. 1 AsylG:

Der nach Schluss der Berufungsverhandlung am 24. Oktober 2003 verkündete Bescheid enthielt keinen Ausspruch gemäß § 8 Abs. 1 AsylG. Dieser Ausspruch wurde erst in die schriftliche Ausfertigung vom 3. August 2004 aufgenommen. Diese Vorgangsweise entsprach schon deshalb nicht dem Gesetz, weil das Bundesasylamt über die Gewährung von Refoulementschutz - mangels Anfechtung des diesbezüglichen Spruchpunktes - bereits rechtskräftig entschieden hatte. Da der belangten Behörde in diesem Umfang somit die Zuständigkeit fehlte (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 24. Februar 2004, Zl. 2003/01/0017, und vom 18. Oktober 2005, Zl. 2003/01/0020), war der angefochtene Bescheid in seinem § 8 Abs. 1 AsylG betreffenden Ausspruch gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG aufzuheben.

3. Der Ausspruch über den im beantragten Umfang gewährten Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 21. September 2006

Schlagworte

Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel Sachverständigenbeweis

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2006190242.X00

Im RIS seit

20.10.2006
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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