TE OGH 1998/6/10 6Ob148/98b

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Veröffentlicht am 10.06.1998
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kellner, Dr.Schiemer, Dr.Prückner und Dr.Schenk als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Cäcilia F*****, geboren 30.Mai 1983, Peter F*****, geboren 20.Juni 1987, und Susanne F*****, geboren 13.Juli 1988, in Obsorge der Eltern Ing Eduard und Elfriede F*****, infolge Revisionsrekurses der Antragsteller Magdalena F*****, Stefan F*****, Bruno F*****, Aja B*****, Johannes F*****, Anna F*****, Monika F***** und Klaus F*****, alle vertreten durch Dr.Andrea Wukovits, Rechtsanwältin in Wien, gegen den Beschluß des Jugendgerichtshofes Wien als Rekursgerichtes vom 13.März 1998, GZ 1 RM 15/98s-321, womit der Beschluß des Jugendgerichtshofes Wien vom 19.Jänner 1998, GZ 13 P 1143/95i-299, teilweise abgeändert und teilweise bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben; die Beschlüsse der Vorinstanzen werden ersatzlos behoben.

Text

Begründung:

Zwischen den Eltern der Minderjährigen und deren bereits volljährigen antragstellenden Geschwistern ist seit langem ein mit großen Emotionen geführter Streit um die Obsorge der drei noch minderjährigen Kinder anhängig, der auch mit Hilfe der Medien geführt wird. Nachdem in Zeitungen und im Fernsehen Details aus dem Privat- und Familienleben der Eltern und der noch in ihrer Obsorge verbliebenen drei minderjährigen Kinder in die Öffentlichkeit gelangt waren, insbesondere in der Zeitschrift Profil ein Artikel erschienen war, in dem nahezu wörtlich aus einem Sachverständigengutachten über die Erziehungsfähigkeit der Eltern und deren Geisteszustand zitiert worden war, hat das Erstgericht sowohl den antragstellenden großjährigen Kindern als auch den Eltern der Minderjährigen und deren jeweiligen Rechtsvertretern das Recht auf alleinige, persönliche Akteneinsicht und Entnahme von Aktenabschriften oder Aktenablichtungen aus dem Pflegschaftsakt entzogen und angeordnet, daß sämtliche Informationen aus dem Akt über sämtliche Beweisaufnahmen, Beweisergebnisse und sämtliche Erhebungen fürderhin ausschließlich im Rahmen von anzuberaumenden Tagsatzungen und in diesen entweder nur mündlich durch den mit der Pflegschaftssache befaßten Richter oder durch Akteneinsicht in dessen Anwesenheit erfolgen dürfen, wobei auch im letzteren Fall Aktenablichtungen oder Aktenabschriften nicht gestattet werden. Der Beschluß, der sogleich in Vollzug gesetzt wurde, ist im wesentlichen damit begründet, daß immer wieder Aktenbestandteile an die Medien gelangten und durch die mediale Berichterstattung über das Pflegschaftsverfahren durch die Preisgabe intimer Details über das Familienleben und den Geisteszustand der Eltern das Wohl der Minderjährigen in hohem Maß gefährdet sei.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragsteller insoweit Folge, als es die Anordnung, daß die nur mündlichen Auskünfte "ausschließlich im Rahmen von anzuberaumenden Tagsatzungen und in diesen" zu erfolgen hätten, beseitigte, im übrigen den erstgerichtlichen Beschluß aber bestätigte.

Nach ständiger Rechtsprechung sei für die Akteneinsicht der Parteien im Außerstreitverfahren § 219 ZPO sinngemäß anzuwenden. Weil aber in dem vom Amtswegigkeitsprinzip beherrschten Außerstreitverfahren auch Erhebungsergebnisse, die nicht durch Parteienvorbringen zum Verfahrensgegenstand würden, Akteninhalt seien, müsse es möglich sein, unter bestimmten Voraussetzungen die Beteiligten zumindest für eine gewisse Zeit von der Akteneinsicht auszunehmen und im Interesse des Kindeswohles eng umschriebene Ausnahmen von § 219 ZPO zu verfügen. Obwohl Bedenken im Hinblick auf den aus Art 6 MRK abzuleitenden Grundsatz des fair trial unangebracht seien, weil der Erstrichter allen Parteien die Akteneinsicht beschränkt habe, sei doch die Anordnung, daß eine Einsichtnahme nur im Rahmen anzuberaumender Tagsatzungen möglich sein solle, bedenklich. Die Verfügung treffe vor allem die Rekurswerber, die eine Änderung der Obsorge anstrebten und daher in ungleich höherem Ausmaß zur Durchsetzung ihrer Ansprüche auf die Akteneinsicht angewiesen seien als die derzeit obsorgeberechtigten Eltern. Die vom Erstgericht getroffene Verfügung ermögliche es, durch Nichtanberaumung einer Tagsatzung die Akteneinsicht faktisch zu blockieren, dieser Mangel sei daher zu beseitigen. Im übrigen habe das Erstgericht ausreichend begründet, warum im Interesse des Kindeswohles § 219 ZPO ausnahmsweise nicht angewendet werden könne.Nach ständiger Rechtsprechung sei für die Akteneinsicht der Parteien im Außerstreitverfahren Paragraph 219, ZPO sinngemäß anzuwenden. Weil aber in dem vom Amtswegigkeitsprinzip beherrschten Außerstreitverfahren auch Erhebungsergebnisse, die nicht durch Parteienvorbringen zum Verfahrensgegenstand würden, Akteninhalt seien, müsse es möglich sein, unter bestimmten Voraussetzungen die Beteiligten zumindest für eine gewisse Zeit von der Akteneinsicht auszunehmen und im Interesse des Kindeswohles eng umschriebene Ausnahmen von Paragraph 219, ZPO zu verfügen. Obwohl Bedenken im Hinblick auf den aus Artikel 6, MRK abzuleitenden Grundsatz des fair trial unangebracht seien, weil der Erstrichter allen Parteien die Akteneinsicht beschränkt habe, sei doch die Anordnung, daß eine Einsichtnahme nur im Rahmen anzuberaumender Tagsatzungen möglich sein solle, bedenklich. Die Verfügung treffe vor allem die Rekurswerber, die eine Änderung der Obsorge anstrebten und daher in ungleich höherem Ausmaß zur Durchsetzung ihrer Ansprüche auf die Akteneinsicht angewiesen seien als die derzeit obsorgeberechtigten Eltern. Die vom Erstgericht getroffene Verfügung ermögliche es, durch Nichtanberaumung einer Tagsatzung die Akteneinsicht faktisch zu blockieren, dieser Mangel sei daher zu beseitigen. Im übrigen habe das Erstgericht ausreichend begründet, warum im Interesse des Kindeswohles Paragraph 219, ZPO ausnahmsweise nicht angewendet werden könne.

Mangels einer höchstgerichtlichen Judikatur zu der behandelten Frage sprach das Rekursgericht aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der volljährigen Geschwister der Pflegebefohlenen ist zulässig und im Sinne einer ersatzlosen Behebung der Beschlüsse der Vorinstanzen auch berechtigt.

Die Gewährung von Akteneinsicht und Abschriften ist in bürgerlichen Rechtssachen in § 170 Geo und in § 219 ZPO, der nach ständiger Rechtsprechung auch für das Außerstreitverfahren sinngemäß anzuwenden ist, geregelt. Das Recht auf Akteneinsicht zählt als besondere Form des Parteiengehöres zu den wesentlichen und anerkannten Einrichtungen des Rechtsstaates. Nur eine über den Stand und Inhalt eines Verfahrens informierte Partei kann auch die ihr zustehenden Rechte geltend machen, Aktenwidrigkeiten als solche erkennen und allfällige Vermutungen behördlicher Willkür auf diese Weise beseitigen helfen. Die Transparenz der behördlichen Entscheidung trägt damit nicht unmaßgeblich zu deren Akzeptanz bei (Ritz in JBl 1992, 87). Das durch Art 6 MRK geschützte Grundrecht des fair trial macht für die am Verfahren Beteiligten eine generelle Verweigerung des Rechtes auf Akteneinsicht und Entnahme von Aktenabschriften, die für die wirksame Rechtsdurchsetzung, insbesondere für die Erhebung von Rechtsmitteln unerläßlich sind, unzulässig. Beschränkungen dieses Rechtes sind daher nur in sehr geringem Umfang möglich und bedürfen einer besonderen gesetzlichen Regelung. Die in § 219 ZPO normierten Ausnahmen sind daher, soweit nicht sondergesetzliche Regelungen bestehen, wie durch das Datenschutzgesetz oder bei der Inkognitoadoption, als taxative Aufzählung zu verstehen. Gerade die Amtswegigkeit des außerstreitigen Verfahrens mit den umfangreichen, dem Richter in § 2 AußStrG eingeräumten Befugnissen und Ermessensspielräumen gebietet es, die am Verfahren Beteiligten in ihren Verfahrensrechten nicht zu beschneiden. Es kann daher nicht in das Belieben des Richters gestellt sein, ob und in welchem Umfang er die Parteien über ein anhängiges Verfahren informiert. Daß die verfügten Beschränkungen beide Parteien (und deren jeweilige Rechtsvertreter) treffen, macht sie nicht weniger rechtswidrig. Den Vorinstanzen ist zwar beizupflichten, daß Veröffentlichungen über das Privat- und Familienleben in Medien dem Kindeswohl abträglich sein können, ohne gesetzliche Grundlage ist aber eine Einschränkung der fundamentalen Verfahrensrechte der Beteiligten, noch dazu hier nur zur Verhütung befürchteter künftiger Veröffentlichungen, nicht möglich. Eine gesetzliche Grundlage kann auch nicht aus § 176 ABGB abgeleitet werden. Abgesehen davon, daß die dort "zur Sicherung des Wohles des Kindes nötigen Verfügungen" nur möglich sind, wenn die Eltern (dh wegen der Verweisung von § 145 Abs 1 generell die Obsorgeberechtigten) das Kindeswohl gefährden, handelt es sich hier um eine materiellrechtliche Bestimmung, die Maßnahmen innerhalb der rechtlichen Grenzen und unter Bedachtnahmen der Rechte der Eltern und Dritter umfaßt (Pichler in Rummel, ABGB Rz 4 zu § 176), nicht aber zu einer Einschränkung der Verfahrensrechte der Beteiligten ermächtigt. Eine solche Gefährdung ist, soweit nicht ohnedies eine Ahndung durch medienrechtliche Bestimmungen vorgesehen ist, vielmehr im Rahmen der zu treffenden Obsorgeentscheidung zu berücksichtigen.Die Gewährung von Akteneinsicht und Abschriften ist in bürgerlichen Rechtssachen in Paragraph 170, Geo und in Paragraph 219, ZPO, der nach ständiger Rechtsprechung auch für das Außerstreitverfahren sinngemäß anzuwenden ist, geregelt. Das Recht auf Akteneinsicht zählt als besondere Form des Parteiengehöres zu den wesentlichen und anerkannten Einrichtungen des Rechtsstaates. Nur eine über den Stand und Inhalt eines Verfahrens informierte Partei kann auch die ihr zustehenden Rechte geltend machen, Aktenwidrigkeiten als solche erkennen und allfällige Vermutungen behördlicher Willkür auf diese Weise beseitigen helfen. Die Transparenz der behördlichen Entscheidung trägt damit nicht unmaßgeblich zu deren Akzeptanz bei (Ritz in JBl 1992, 87). Das durch Artikel 6, MRK geschützte Grundrecht des fair trial macht für die am Verfahren Beteiligten eine generelle Verweigerung des Rechtes auf Akteneinsicht und Entnahme von Aktenabschriften, die für die wirksame Rechtsdurchsetzung, insbesondere für die Erhebung von Rechtsmitteln unerläßlich sind, unzulässig. Beschränkungen dieses Rechtes sind daher nur in sehr geringem Umfang möglich und bedürfen einer besonderen gesetzlichen Regelung. Die in Paragraph 219, ZPO normierten Ausnahmen sind daher, soweit nicht sondergesetzliche Regelungen bestehen, wie durch das Datenschutzgesetz oder bei der Inkognitoadoption, als taxative Aufzählung zu verstehen. Gerade die Amtswegigkeit des außerstreitigen Verfahrens mit den umfangreichen, dem Richter in Paragraph 2, AußStrG eingeräumten Befugnissen und Ermessensspielräumen gebietet es, die am Verfahren Beteiligten in ihren Verfahrensrechten nicht zu beschneiden. Es kann daher nicht in das Belieben des Richters gestellt sein, ob und in welchem Umfang er die Parteien über ein anhängiges Verfahren informiert. Daß die verfügten Beschränkungen beide Parteien (und deren jeweilige Rechtsvertreter) treffen, macht sie nicht weniger rechtswidrig. Den Vorinstanzen ist zwar beizupflichten, daß Veröffentlichungen über das Privat- und Familienleben in Medien dem Kindeswohl abträglich sein können, ohne gesetzliche Grundlage ist aber eine Einschränkung der fundamentalen Verfahrensrechte der Beteiligten, noch dazu hier nur zur Verhütung befürchteter künftiger Veröffentlichungen, nicht möglich. Eine gesetzliche Grundlage kann auch nicht aus Paragraph 176, ABGB abgeleitet werden. Abgesehen davon, daß die dort "zur Sicherung des Wohles des Kindes nötigen Verfügungen" nur möglich sind, wenn die Eltern (dh wegen der Verweisung von Paragraph 145, Absatz eins, generell die Obsorgeberechtigten) das Kindeswohl gefährden, handelt es sich hier um eine materiellrechtliche Bestimmung, die Maßnahmen innerhalb der rechtlichen Grenzen und unter Bedachtnahmen der Rechte der Eltern und Dritter umfaßt (Pichler in Rummel, ABGB Rz 4 zu Paragraph 176,), nicht aber zu einer Einschränkung der Verfahrensrechte der Beteiligten ermächtigt. Eine solche Gefährdung ist, soweit nicht ohnedies eine Ahndung durch medienrechtliche Bestimmungen vorgesehen ist, vielmehr im Rahmen der zu treffenden Obsorgeentscheidung zu berücksichtigen.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen waren mangels einer gesetzlichen Grundlage daher ersatzlos zu beheben.

Anmerkung

E50411 06A01488

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1998:0060OB00148.98B.0610.000

Dokumentnummer

JJT_19980610_OGH0002_0060OB00148_98B0000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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