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27 RechtspflegeNorm
B-VG Art144 Abs1 / LegitimationLeitsatz
Teilweise Zurückweisung der auch gegen den Freispruch in einem Spruchpunkt eines Ersatzbescheides der OBDK gerichteten Beschwerde mangels Beschwer; keine Verletzung im Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit durch die Bestätigung der Disziplinarstrafe für einen Rechtsanwalt wegen einer unsachlichen UnterstellungSpruch
I. Die Beschwerde wird, soweit sie sich gegen Spruchpunkt a des bekämpften Bescheides richtet, zurückgewiesen.
II. Soweit sich die Beschwerde gegen Spruchpunkt b des bekämpften Bescheides richtet, ist der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird insofern abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.1. Der Disziplinarrat der Tiroler Rechtsanwaltskammer (im folgenden: Disziplinarrat) erkannte mit Bescheid vom 5. Dezember 1996 den Beschwerdeführer im Spruchpunkt a für schuldig, er habe aufgrund einer von ihm leichtfertig erhobenen Strafanzeige gegen Mag.Dr. D gegen §2 der Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes, für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes und für die Ausbildung der Rechtsanwaltsanwärter (RL-BA 1977) verstoßen. Darüber hinaus erblickte der Disziplinarrat in der vom Beschwerdeführer in einer beim Landesgericht Innsbruck eingebrachten Klage verwendeten Formulierung, "es muß verhindert werden, daß sich nun auch der neue Bürgermeister [der Gemeinde L] rechtswidriger Praktiken bedient, um Gemeindegünstlinge zu bevorzugen", einen Verstoß gegen §9 Abs1 RAO (Spruchpunkt b) und verhängte über ihn gemäß §16 Abs1 Z2 Disziplinarstatut 1990, BGBl. Nr. 474/1990 (im folgenden: DSt 1990), eine Geldbuße in der Höhe von S 15.000,-. Die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: OBDK) gab der dagegen erhobenen Berufung hinsichtlich des Spruchpunktes a mit Erkenntnis vom 17. November 1997 Folge und sprach den Beschwerdeführer bezüglich dieses Faktums frei. Hinsichtlich des Spruchpunktes b bestätigte die OBDK die Entscheidung des Disziplinarrates. Unter Berücksichtigung des "teilweisen Freispruches" wurde die über den Beschwerdeführer verhängte Geldbuße auf S 10.000,- herabgesetzt.
1.2. Mit Erkenntnis vom 21. Juni 2000, VfSlg. 15840/2000, behob der Verfassungsgerichtshof das erwähnte Straferkenntnis der OBDK, weil dieses unter Verletzung des dem Beschwerdeführer gemäß Art6 EMRK gewährleisteten Rechtes auf Waffengleichheit im Verfahren vor der OBDK zustandegekommen war.
2. Mit Erkenntnis vom 30. April 2001 sprach die OBDK den Beschwerdeführer zwar erneut vom Vorwurf der leichtfertig erhobenen Strafanzeige frei, verhängte jedoch unter dem Titel der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes neuerlich für die vom Beschwerdeführer getätigte Aussage im Verfahren vor dem Landesgericht Innsbruck eine Geldbuße in der Höhe von S 10.000,-.
3. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der ua. die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und auf Freiheit der Meinungsäußerung geltend gemacht wird.
Unter dem Titel der Verletzung des Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter bringt der Beschwerdeführer vor, die belangte Behörde sei zu Unrecht davon ausgegangen, daß der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg. 15840/2000 auch den freisprechenden Teil des Bescheides der OBDK vom 17. November 1997 aufgehoben habe. Indem die belangte Behörde im Spruchpunkt a des angefochtenen Bescheides den Beschwerdeführer formell nochmals freigesprochen habe, habe sie eine Zuständigkeit in Anspruch genommen, die ihr nicht zustehe.
Die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung begründet der Beschwerdeführer im wesentlichen wie folgt:
"Die belangte Behörde stellt fest, daß ich durch meine Äußerung, 'Es muß verhindert werden, daß sich nun auch der neue Bürgermeister rechtswidriger Praktiken bedient, um Gemeindegünstlinge zu bevorzugen', unsachliche, von der Information meines Mandanten nicht gedeckte Vorwürfe erhoben und dadurch gegen §9 Abs1 RAO verstoßen habe.
Die Möglichkeit zur sachlichen Kritik ist ein unverzichtbares, aus der Meinungsäußerungsfreiheit des Art10 EMRK erfließendes, jedermann zustehendes Recht in einem demokratischen Gemeinwesen. Sie muß auch einem Rechtsanwalt, der in Vertretung seines Mandanten eine Eingabe verfaßt, offen stehen.
Gemäß §9 Abs1 RAO bin ich befugt, alles, was ich nach dem Gesetz zur Vertretung meiner Partei für dienlich erachte, unumwunden vorzubringen. Meine Angriffs- und Verteidigungsmittel in jeder Weise zu gebrauchen, welche meinem Auftrag, meinem Gewissen und den Gesetzen nicht widerstreiten.
Gerade im Hinblick auf die Vorgänge in der Gemeinde L in der Vergangenheit war die inkriminierte Äußerung noch ein zulässiges Angriffs- bzw. Verteidigungsmittel, das zu gebrauchen ich berechtigt war. Ausgehend von den genannten Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe von Humus durch den Altbürgermeister erscheint meine Äußerung durchaus zulässig. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde wurde dadurch dem Bürgermeister der Gemeinde L kein strafrechtlich relevantes Verhalten vorgeworfen. Gegenstand der Klage war der Vorwurf einer rechtswidrigen Vergabe durch den Bürgermeister.
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Eine verfassungskonforme Auslegung des §9 Abs1 RAO muß zum Ergebnis führen, daß die Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und eines die Ehre und das Ansehen des Standes beeinträchtigenden Verhaltens nicht stattgefunden haben. Dies insbesondere im Hinblick auf die vom Verfassungsgerichtshof gebotene besondere Zurückhaltung bei der Beurteilung einer Äußerung als strafbares Disziplinarvergehen.
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Überdies widersprechen nach der Rechtsprechung des VfGH (B1222/93) nur solche Äusserungen §9 RAO, die der Anspruchsdurchsetzung nicht dienlich und beleidigend und unsachlich sind. Diese kumulativen Voraussetzungen liegen im konkreten Fall nicht vor und ist bei einer Beurteilung als disziplinär deshalb Zurückhaltung geboten, weil der Rechtsanwalt durch §9 RAO verpflichtet wird, alle Umstände des Sachverhaltes vorzubringen, die den Standpunkt des Mandanten stützen. Genau das ist in der beanstandeten Klagsschrift geschehen."
4. Die OBDK als belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie ua. beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen. Zum Vorwurf der Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung führt sie aus:
"Ein Verwaltungsakt, der sich gegen die Freiheit der Meinungsäußerung richtet, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes unter anderem dann verfassungswidrig, wenn ein verfassungsmäßiges Gesetz denkunmöglich angewendet wurde. Eine denkunmögliche Gesetzesanwendung liegt auch dann vor, wenn die Behörde dem Gesetz fälschlich einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt (vgl. VfSlg. 10700/1985, 12086/1989 und 13612/1993). Im letztgenannten Erkenntnis hat der Verfassungsgerichtshof die Meinung vertreten, dass das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung eine 'besondere Zurückhaltung bei der Beurteilung einer Äußerung als strafbares Disziplinarvergehen' erfordere.
Gleichzeitig hat der VfGH aber auch ausgesprochen, dass ein den Interessen der vertretenen Partei dienliches Verhalten den Rahmen dessen, was durch das Recht auf freie Meinungsäußerung noch geschützt ist, überschreiten kann. In dem vom Beschwerdeführer zitierten Erkenntnis vom 27.02.1995 (VfSlg 14006) wird zu Recht ein großzügiger Maßstab angelegt, da diesem Erkenntnis ein Ablehnungsantrag zugrunde lag, in dem gemäß §72 Abs1 StPO all jene Gründe anzugeben sind, die geeignet sind, die volle Unbefangenheit des Abzulehnenden in Zweifel zu ziehen. Im gegenständlichen Fall wurde die dem Beschwerdeführer vorgeworfene Äußerung aber in einem Verfahren zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche getätigt. Zu dem kommt, dass die dem amtierenden Bürgermeister vorgeworfenen rechtswidrigen Praktiken aus einer angeblich rechtswidrigen Vergabe seines Amtsvorgängers abgeleitet wird. Die Grenzen dessen, was noch als der Verteidigung dienlich gelten kann, wurden damit eindeutig überschritten.
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Die damit festgelegten Grenzen dessen, was noch als der Verteidigung dienlich gelten kann, wurden hier aber klar überschritten, da dem Bürgermeister vorgeworfen wird, dass er sich rechtswidriger Praktiken bedienen wolle, um Gemeindegünstlinge unsachgemäß zu bevorzugen. Aus dem geschilderten Ablauf des Ausschreibungsverfahrens ist dies aber nicht abzuleiten. Es gab daher für den Beschwerdeführer keinen Grund, diesen Vorwurf gegen den Bürgermeister der Gemeinde L zu erheben.
Unsachliche und - bei einer Gesamtbetrachtung - in erkennbar beleidigender Absicht vorgenommene Äußerungen genießen aber nicht den Schutz der freien Meinungsäußerung, da - wie aus Art10 Abs2 EMRK hervorgeht - in einer demokratischen Gesellschaft ein dringendes soziales Bedürfnis besteht, den guten Ruf und die Rechte anderer zu schützen. Die OBDK hat dem Gesetz somit keinen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt."
II. A. Zur Zulässigkeit:
Die Beschwerde ist, soweit sie sich gegen den Freispruch im angefochtenen Bescheid (Spruchpunkt a) wendet, nicht zulässig, denn insofern wurde der Berufung voll Rechnung getragen. Der Beschwerdeführer ist somit nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfSlg. 12044/1989, 12088/1989, 13435/1993, VfGH 25.2.1997, B174/96) nicht beschwert, weshalb insoweit die Beschwerde mangels Legitimation zurückzuweisen war.
Soweit die Beschwerde den übrigen Teil des angefochtenen Bescheides betrifft, erweist sie sich als zulässig.
B. Mit seinem Vorbringen ist der Beschwerdeführer jedoch nicht im Recht:
1.1. Nach Art13 Abs1 StGG hat jedermann das Recht, durch Wort, Schrift, Druck oder bildliche Darstellung seine Meinung innerhalb der gesetzlichen Schranken frei zu äußern. Das Recht der freien Meinungsäußerung ist zwar nur innerhalb der gesetzlichen Schranken gewährleistet, doch darf auch ein solches Gesetz keinen Inhalt haben, der den Wesensgehalt des Grundrechtes einschränkt (vgl. VfSlg. 6166/1970, 10700/1985).
Nach Art10 Abs1 EMRK hat jedermann Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Vom Schutzumfang dieser Bestimmung, die das Recht der Freiheit der Meinung und der Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten und Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden einschließt, werden sowohl reine Meinungskundgaben als auch Tatsachenäußerungen, aber auch Werbemaßnahmen erfaßt. Art10 Abs2 EMRK sieht allerdings im Hinblick darauf, daß die Ausübung dieser Freiheit Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, die Möglichkeit von Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen vor, wie sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, der territorialen Unversehrtheit oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufes und der Rechte anderer, zur Verhinderung der Verbreitung von vertraulichen Nachrichten oder zur Gewährleistung des Ansehens und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung notwendig sind. Ein verfassungsrechtlich zulässiger Eingriff in die Freiheit der Meinungsäußerung muß sohin, wie auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ausgesprochen hat (Fall Sunday Times v. 26.4.1979, EuGRZ 1979, 390; Fall Barthold v. 25.3.1985, EuGRZ 1985, 173),
a) gesetzlich vorgesehen sein,
b) einen oder mehrere der in Art10 Abs2 EMRK genannten rechtfertigenden Zwecke verfolgen und
c) zur Erreichung dieses Zweckes oder dieser Zwecke "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" sein (vgl. VfSlg. 12886/1991).
Ein Verwaltungsakt, der in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung eingreift, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ua. dann verfassungswidrig, wenn ein verfassungsmäßiges Gesetz denkunmöglich angewendet wurde (VfSlg. 3762/1960, 6166/1970, 6465/1971). Eine denkunmögliche Gesetzesanwendung liegt auch dann vor, wenn die Behörde dem Gesetz fälschlich einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt (vgl. VfSlg. 10700/1985, 12086/1989, 13612/1993, 14233/1995).
1.2. Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes fordert das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf freie Meinungsäußerung eine besondere Zurückhaltung bei der Beurteilung einer Äußerung eines Rechtsanwaltes als strafbares Disziplinarvergehen (vgl. VfSlg. 13122/1992, 13612/1993, 14006/1995, 14233/1995). Konkret ist aber die Ansicht der belangten Behörde, daß die inkriminierte Formulierung den Rahmen dessen, was durch das Recht auf freie Meinungsäußerung noch geschützt ist, überschreitet, aus verfassungsrechtlicher Sicht jedenfalls vertretbar: Unsachliche Unterstellungen genießen - ebenso wie beleidigende Äußerungen - nicht den Schutz der freien Meinungsäußerung, da wie aus Art10 Abs2 EMRK hervorgeht, in einer demokratischen Gesellschaft ein dringendes soziales Bedürfnis besteht, das Ansehen der Rechtsprechung zu wahren. Die belangte Behörde hat dem Gesetz somit keinen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt. Ob von der belangten Behörde das Gesetz richtig angewendet wurde, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen die Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. etwa VfSlg. 13419/1993, 14408/1996, 15323/1998).
In dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Meinungsfreiheit ist der Beschwerdeführer sohin nicht verletzt.
2. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat nicht stattgefunden.
3. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde.
Die Beschwerde war daher, soweit sie sich gegen Spruchpunkt b des angefochtenen Bescheides richtet, abzuweisen.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite und §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Meinungsäußerungsfreiheit, Disziplinarrecht, Rechtsanwälte, VfGH / Legitimation, Bescheid TrennbarkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2002:B1116.2001Dokumentnummer
JFT_09979389_01B01116_00