TE OGH 1998/7/30 Bsw25711/94

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Veröffentlicht am 30.07.1998
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Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer, Beschwerdesache Oliveira gegen die Schweiz, Urteil vom 30.7.1998, Bsw. 25711/94.

Spruch

Art. 4 7. ZP EMRK - Grundsatz ne bis in idem im Straf- und Verwaltungsverfahren.Artikel 4, 7. ZP EMRK - Grundsatz ne bis in idem im Straf- und Verwaltungsverfahren.

Keine Verletzung von Art. 4 7. ZP EMRK (8:1 Stimmen).Keine Verletzung von Artikel 4, 7. ZP EMRK (8:1 Stimmen).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

1990 verursachte die Bf. einen Verkehrsunfall. Ihr Wagen war auf glatter Schneefahrbahn ins Schleudern geraten und mit einem PKW zusammengestoßen, dessen Fahrer durch den Aufprall schwer verletzt wurde. Sie wurde hierauf mit polizeirichterlicher Verfügung wegen Nichtbeherrschens des Fahrzeugs infolge Nichtanpassens der Geschwindigkeit an die Straßenverhältnisse zu einer Geldstrafe von CHF 200,-- verurteilt. 1993 wurde gegen die Bf. wegen fahrlässiger Körperverletzung ein Strafbefehl in der Höhe von CHF 2.000,-- erlassen. Sie erhob dagegen Einspruch, worauf das ordentliche Verfahren eingeleitet wurde. Das Bezirksgericht Zürich verurteilte die Bf. wegen fahrlässiger Körperverletzung und setzte den Bußenbetrag auf CHF 1.500,-- herab. Im Urteil wurde festgehalten, dass die im Verwaltungsstrafverfahren festgesetzte Geldstrafe aufgehoben und - sofern bereits bezahlt - auf den vorliegenden Bußenbetrag angerechnet werde, sodass sich dieser auf CHF 1.300,-- reduziere. Das an das Obergericht erhobene Rechtsmittel wurde abgewiesen: Zwar sei das Vorgehen des Polizeirichters insofern fehlerhaft gewesen, als er den Sachverhalt nur hinsichtlich des Nichtbeherrschens des Fahrzeugs, nicht aber in bezug auf die dadurch verursachte Körperverletzung geprüft habe. Dass er trotz vorliegender fahrlässiger schweren Körperverletzung die Überweisung der Akten verabsäumt hatte, führe aber noch nicht zur Aufhebung der polizeirichterlichen Verfügung. Die Bf. brachte daraufhin Nichtigkeitsbeschwerden an das Kassationsgericht des Kantons Zürich sowie an das Bundesgericht ein. Gegen die Zurückweisung ihrer Nichtigkeitsbeschwerde durch das Kassationsgericht erhob die Bf. staatsrechtliche Beschwerde an das Bundesgericht. Dieses wies beide Rechtsmittel ab: Dem Polizeirichter war die Körperverletzung nicht bekannt, er wäre sonst zur Verhängung einer Geldstrafe nicht befugt, sondern verpflichtet gewesen, die Akten sofort an die Bezirksanwaltschaft weiterzuleiten. Die Wirkungen einer Doppelbestrafung wurden von der Unterinstanz dadurch vermieden, dass sie den vom Polizeirichter ausgesprochenen Bußenbetrag von CHF 200,- bei der Bemessung der neuen Busse berücksichtigt hatte.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Die Bf. behauptet eine Verletzung von Art. 4 7.ZP EMRK (ne bis in idem), da sie wegen desselben Verhaltens sowohl von einem Strafgericht als auch von einer Verwaltungsbehörde verurteilt worden sei.Die Bf. behauptet eine Verletzung von Artikel 4, 7.ZP EMRK (ne bis in idem), da sie wegen desselben Verhaltens sowohl von einem Strafgericht als auch von einer Verwaltungsbehörde verurteilt worden sei.

Es liegt ein eintätiges Zusammentreffen strafbarer Handlungen vor (Idealkonkurrenz - concours idéal d'infractions). Art. 4 7.ZP EMRK schützt nur vor einer neuerlichen Verfolgung und Bestrafung für ein und dasselbe Delikt. Im vorliegenden Fall wurden jedoch durch eine Handlung zwei verschiedene Delikte verwirklicht. Auch die Verfahrensmängel vor den innerstaatlichen Instanzen vermögen nicht eine Verletzung von Art. 4 7.ZP EMRK zu begründen, da diese Bestimmung die Verfolgung unterschiedlicher Delikte nicht ausschließt, selbst wenn sie alle aus derselben Handlung resultieren und vor verschiedenen Gerichten (courts) verhandelt werden, va. dann, wenn, wie im vorliegenden Fall, die Strafen nicht kumulativ waren, sondern die geringere Strafe auf die höhere angerechnet wurde. Keine Verletzung von Art. 4 7.ZP EMRK (8:1 Stimmen, Sondervotum von Richter Repik).Es liegt ein eintätiges Zusammentreffen strafbarer Handlungen vor (Idealkonkurrenz - concours idéal d'infractions). Artikel 4, 7.ZP EMRK schützt nur vor einer neuerlichen Verfolgung und Bestrafung für ein und dasselbe Delikt. Im vorliegenden Fall wurden jedoch durch eine Handlung zwei verschiedene Delikte verwirklicht. Auch die Verfahrensmängel vor den innerstaatlichen Instanzen vermögen nicht eine Verletzung von Artikel 4, 7.ZP EMRK zu begründen, da diese Bestimmung die Verfolgung unterschiedlicher Delikte nicht ausschließt, selbst wenn sie alle aus derselben Handlung resultieren und vor verschiedenen Gerichten (courts) verhandelt werden, va. dann, wenn, wie im vorliegenden Fall, die Strafen nicht kumulativ waren, sondern die geringere Strafe auf die höhere angerechnet wurde. Keine Verletzung von Artikel 4, 7.ZP EMRK (8:1 Stimmen, Sondervotum von Richter Repik).

Anm.: Vgl. insb. den vom GH zitierten Fall Gradinger/A, Urteil v. 23.10.1995, A/328-C (= NL 95/5/10).Anmerkung, Vgl. insb. den vom GH zitierten Fall Gradinger/A, Urteil v. 23.10.1995, A/328-C (= NL 95/5/10).

Anm.: Die Kms. hatte in ihrem Ber. v. 1.7.1997 (= NL 97/6/4) eine Verletzung von Art. 4 7.ZP EMRK festgestellt (24:8 Stimmen).Anmerkung, Die Kms. hatte in ihrem Ber. v. 1.7.1997 (= NL 97/6/4) eine Verletzung von Artikel 4, 7.ZP EMRK festgestellt (24:8 Stimmen).

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 30.7.1998, Bsw. 25711/94, entstammt der Zeitschrift „ÖIMR-Newsletter" (NL 1998, 142) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/98_4/Oliveira.pdf

Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.

Textnummer

EGM00201

Im RIS seit

19.04.2017

Zuletzt aktualisiert am

19.04.2017
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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