Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ehmayr und Dr.Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Fritz Miklau (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Johann Scharinger (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Cem C*****, vertreten durch Dr.Stefan Gloß und Dr.Hans Pucher, Rechtsanwälte in St.Pölten, wider die beklagte Partei Niederösterreichische Gebietskrankenkasse, Dr.Karl Renner Promenade 14-16, 3100 St.Pölten, im Revisionsrekursverfahren nicht vertreten, wegen Krankengeldes, infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 10.November 1997, GZ 7 Rs 285/97a-25, womit infolge Rekurses der klagenden Partei der Beschluß des Landesgerichtes St.Pölten als Arbeits- und Sozialgericht vom 7.April 1997, GZ 5 Cgs 154/95m-22, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben.
Dem Erstgericht wird die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Am 31.12.1993 war der Kläger im Lokal "Seitensprung" in St.Pölten in eine tätliche Auseinandersetzung verwickelt, bei der er am Kopf und rechten Zeigefinger verletzt wurde, so daß er sich anschließend vom 1.1. bis 8.3.1994 im Krankenstand befand. Der Kläger begehrte von der Beklagten im Jahre 1994 zunächst nur mündlich ein Krankengeld und wurde darauf verwiesen, daß der Ausgang des Strafverfahrens gegen ihn abgewartet werde. Erstmals am 9.6.1995 beantragte der Kläger schriftlich die Erlassung eines Bescheides.
Mit der am 28.7.1995 eingebrachten Klage begehrte der Kläger - noch vor Erlassung eines Bescheides der Beklagten - die Gewährung eines Krankengeldes aus dem Anlaß seiner Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit im Zeitraum 1.1. bis 8.3.1994.
Die Beklagte beantragte die Zurückweisung der Klage, weil einerseits noch kein Bescheid vorliege und sie andererseits aufgrund der erst am 9.6.1995 erfolgten Antragstellung des Klägers auch nicht mit der Bescheiderlassung säumig sei. In der Sache wendete sie Leistungsfreiheit ein, weil sich der Kläger schuldhaft an einem Raufhandel beteiligt habe (§ 142 Abs 1 ASVG).Die Beklagte beantragte die Zurückweisung der Klage, weil einerseits noch kein Bescheid vorliege und sie andererseits aufgrund der erst am 9.6.1995 erfolgten Antragstellung des Klägers auch nicht mit der Bescheiderlassung säumig sei. In der Sache wendete sie Leistungsfreiheit ein, weil sich der Kläger schuldhaft an einem Raufhandel beteiligt habe (Paragraph 142, Absatz eins, ASVG).
Mit Bescheid vom 3.8.1995 versagte die Beklagte dem Kläger das Krankengeld aus dem Anlaß seiner Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit vom 1.1. bis 8.3.1994, sprach jedoch aus, daß den bedürftigen Angehörigen des Klägers im genannten Zeitraum das halbe Krankengeld gebühre.
Mit Schriftsatz vom 11.9.1995 wies der Kläger auf den nunmehr erlassenen Bescheid hin und "korrigierte" sein Klagebegehren dahin, daß die Beklagte ein "Krankengeld zu 100 % im gesetzlichen Ausmaß" zu bezahlen habe (ON 4).
Die Beklagte zog zunächst den Antrag auf Klagszurückweisung zurück (ON 6), beantragte jedoch im weiteren Verfahrensverlauf erneut die Klagszurückweisung (ON 13).
Das Erstgericht erklärte mit Beschluß das bisherige Verfahren für nichtig und wies die Klage zurück. Unter Zugrundelegung des dargestellten Verfahrensganges verneinte es in rechtlicher Hinsicht das Vorliegen der Voraussetzungen für die Säumnisklage des Klägers gemäß § 67 Abs 1 Z 2 lit a ASVG. Ausgehend von der allein maßgebenden, erstmals am 9.6.1995 erfolgten schriftlichen Geltendmachung des Leistungsanspruches wäre eine Säumnisklage frühestens nach Ablauf von drei Monaten zulässig gewesen. Die Klage sei jedoch unzulässigerweise bereits am 29.7.1995 (richtig: 28.7.1995) eingebracht worden. Die zulässige nachträgliche Bescheiderlassung durch die Beklagte habe keine Heilung der Nichtigkeit bewirkt, weil die Prozeßvoraussetzungen im Zeitpunkt der Klageeinbringung vorliegen müssen.Das Erstgericht erklärte mit Beschluß das bisherige Verfahren für nichtig und wies die Klage zurück. Unter Zugrundelegung des dargestellten Verfahrensganges verneinte es in rechtlicher Hinsicht das Vorliegen der Voraussetzungen für die Säumnisklage des Klägers gemäß Paragraph 67, Absatz eins, Ziffer 2, Litera a, ASVG. Ausgehend von der allein maßgebenden, erstmals am 9.6.1995 erfolgten schriftlichen Geltendmachung des Leistungsanspruches wäre eine Säumnisklage frühestens nach Ablauf von drei Monaten zulässig gewesen. Die Klage sei jedoch unzulässigerweise bereits am 29.7.1995 (richtig: 28.7.1995) eingebracht worden. Die zulässige nachträgliche Bescheiderlassung durch die Beklagte habe keine Heilung der Nichtigkeit bewirkt, weil die Prozeßvoraussetzungen im Zeitpunkt der Klageeinbringung vorliegen müssen.
Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs des Klägers nicht Folge. Wenn es grundsätzlich auch ausreiche, daß die Prozeßvoraussetzungen bei Schluß der Verhandlung vorliegen, sei hier maßgebend, daß die Voraussetzungen für eine Säumnisklage weder bei Einbringung der Klage noch - zufolge zulässiger Bescheiderlassung am 3.8.1995 - bei Schluß der Verhandlung vorgelegen seien.
Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Beschlüsse der Vorinstanzen ersatzlos zu beheben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Nichtigkeits- und Zurückweisungsgrund aufzutragen, hilfsweise dem Erstgericht eine neue Entscheidung aufzutragen.
Die Beklagte erstattete keine Revisionsrekursbeantwortung.
Der Revisionsrekurs ist berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Auszugehen ist zunächst davon, daß der den Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens bildende Versicherungsfall nicht gegen einen anderen ausgetauscht werden darf (Kuderna, ASGG2 525; RIS-Justiz RS0042066). Der Versicherungsfall blieb hier stets gleich; es erfolgte auch keine Klageänderung. Eine solche läge dann vor, wenn das Klagebegehren oder die Tatsachen, auf die sich der Anspruch des Klägers gründet, geändert würden (Rechberger in Rechberger, ZPO Rz 1 ff zu § 235). Beide Elemente des Streitgegenstandes blieben jedoch stets gleich. Der Kläger begehrte von der Beklagten von Anfang an Krankengeld aufgrund des Vorfalles vom 31.12.1993. Wenn weder das Klagebegehren noch der Klagegrund geändert wird, liegt keine Klageänderung vor (Kuderna aaO 525; SSV-NF 3/134).Auszugehen ist zunächst davon, daß der den Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens bildende Versicherungsfall nicht gegen einen anderen ausgetauscht werden darf (Kuderna, ASGG2 525; RIS-Justiz RS0042066). Der Versicherungsfall blieb hier stets gleich; es erfolgte auch keine Klageänderung. Eine solche läge dann vor, wenn das Klagebegehren oder die Tatsachen, auf die sich der Anspruch des Klägers gründet, geändert würden (Rechberger in Rechberger, ZPO Rz 1 ff zu Paragraph 235,). Beide Elemente des Streitgegenstandes blieben jedoch stets gleich. Der Kläger begehrte von der Beklagten von Anfang an Krankengeld aufgrund des Vorfalles vom 31.12.1993. Wenn weder das Klagebegehren noch der Klagegrund geändert wird, liegt keine Klageänderung vor (Kuderna aaO 525; SSV-NF 3/134).
Zu SSV-NF 5/24 bejahte der erkennende Senat die Möglichkeit der Heilung der zunächst gegebenen Unzulässigkeit des Rechtsweges. Dort wurde eine Säumnisklage verfrüht erhoben; die Frist zur Bescheiderlassung lief allerdings während des Verfahrens ungenützt ab, und zwar noch bevor die Klage vom Gericht zurückgewiesen wurde. Der Rechtsweg war demnach zumindest bei Schluß der Verhandlung gegeben und somit zulässig; die Klage durfte vom Gericht nicht mehr zurückgewiesen werden.
Zu SSV-NF 4/152 wurde der Fall behandelt, daß während des Verfahrens (allerdings aufgrund einer Bescheidklage) ein neuer Bescheid erging. In diesem Fall war aufgrund einer zweiten Klage gegen den zweiten Bescheid nur mehr über dieses Begehren zu entscheiden; an der Entscheidung über die erste Klage verlor der Kläger das Rechtsschutzinteresse. Die Frage, ob die zweite Klage erforderlich war, oder ob es genügt hätte, daß sich der Kläger im Verfahren aufgrund der ersten Klage auf den zweiten Bescheid beruft (Kuderna, ASGG2 464; SSV 6/43), konnte dort offen bleiben, weil eine zweite Klage bereits erhoben worden war.
Hier ist die Frage zu bejahen. Die Situation ist nämlich vergleichbar, wenn nach Erhebung einer Säumnisklage (gleichgültig, ob die Voraussetzungen hiefür vorlagen oder nicht) ein Bescheid erlassen wird. Vom Versicherten, der zunächst verfrüht seine Säumnisklage einbrachte, zu verlangen, daß er trotz Bescheiderlassung während des Verfahrens eine neue Klage einzubringen hat, wäre ein nutzloser, übertriebener und sachlich nicht gerechtfertigter Formalismus (vgl EvBl 1991/20). Es muß vielmehr genügen, wenn der Versicherte im bereits anhängigen Verfahren durch eine prozessuale Erklärung zum Ausdruck bringt, daß das Klagebegehren auch im Hinblick auf den neuen Bescheid aufrecht bleibt (Kuderna aaO 464; SSV 6/43). Dies ist hier geschehen. Der Kläger nahm mit dem in ON 4 erstatteteten, in der mündlichen Streitverhandlung vom 16.11.1995 vorgetragenen Schriftsatz ausdrücklich auf den neuen Bescheid Bezug und brachte zum Ausdruck, daß er diesen bekämpft. Einer Behandlung der Frage, ob bei Einbringung der Klage Säumnis der Beklagten im Sinne des § 67 Abs 1 Z 2 ASGG bestand, bedarf es unter diesen Umständen nicht. Seit dem Vorbringen ON 4 ist davon auszugehen, daß ab diesem Zeitpunkt nur mehr die Klage gegen diesen Bescheid Gegenstand des Verfahrens war und damit die Voraussetzungen des § 67 Abs 1 Z 1 ASGG erfüllt sind.Hier ist die Frage zu bejahen. Die Situation ist nämlich vergleichbar, wenn nach Erhebung einer Säumnisklage (gleichgültig, ob die Voraussetzungen hiefür vorlagen oder nicht) ein Bescheid erlassen wird. Vom Versicherten, der zunächst verfrüht seine Säumnisklage einbrachte, zu verlangen, daß er trotz Bescheiderlassung während des Verfahrens eine neue Klage einzubringen hat, wäre ein nutzloser, übertriebener und sachlich nicht gerechtfertigter Formalismus vergleiche EvBl 1991/20). Es muß vielmehr genügen, wenn der Versicherte im bereits anhängigen Verfahren durch eine prozessuale Erklärung zum Ausdruck bringt, daß das Klagebegehren auch im Hinblick auf den neuen Bescheid aufrecht bleibt (Kuderna aaO 464; SSV 6/43). Dies ist hier geschehen. Der Kläger nahm mit dem in ON 4 erstatteteten, in der mündlichen Streitverhandlung vom 16.11.1995 vorgetragenen Schriftsatz ausdrücklich auf den neuen Bescheid Bezug und brachte zum Ausdruck, daß er diesen bekämpft. Einer Behandlung der Frage, ob bei Einbringung der Klage Säumnis der Beklagten im Sinne des Paragraph 67, Absatz eins, Ziffer 2, ASGG bestand, bedarf es unter diesen Umständen nicht. Seit dem Vorbringen ON 4 ist davon auszugehen, daß ab diesem Zeitpunkt nur mehr die Klage gegen diesen Bescheid Gegenstand des Verfahrens war und damit die Voraussetzungen des Paragraph 67, Absatz eins, Ziffer eins, ASGG erfüllt sind.
Anders läge der Fall nur, wenn der Versicherungsträger nach verfrüht erhobener Klage einen dem Begehren des Versicherten stattgebenden Bescheid erließe, diesen sohin klaglos stellte. Nur in diesem Fall könnte der Versicherungsträger - erfolgreich - die Zurückweisung der Klage beantragen (Kuderna aaO 464; SSV-NF 5/24). Dies war hier jedoch nicht der Fall. Die Voraussetzungen einer Bescheidklage gemäß § 67 Abs 1 Z 1 ASGG lagen bei Schluß der Verhandlung vor; eine Nichtigerklärung des Verfahrens war daher nicht geboten, die Klagezurückweisung war nicht mehr zulässig.Anders läge der Fall nur, wenn der Versicherungsträger nach verfrüht erhobener Klage einen dem Begehren des Versicherten stattgebenden Bescheid erließe, diesen sohin klaglos stellte. Nur in diesem Fall könnte der Versicherungsträger - erfolgreich - die Zurückweisung der Klage beantragen (Kuderna aaO 464; SSV-NF 5/24). Dies war hier jedoch nicht der Fall. Die Voraussetzungen einer Bescheidklage gemäß Paragraph 67, Absatz eins, Ziffer eins, ASGG lagen bei Schluß der Verhandlung vor; eine Nichtigerklärung des Verfahrens war daher nicht geboten, die Klagezurückweisung war nicht mehr zulässig.
Dem Revisionsrekurs war daher Folge zu geben.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.Der Kostenvorbehalt beruht auf Paragraph 52, Absatz eins, ZPO.
Anmerkung
E51144 10C01308European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1998:010OBS00130.98K.0818.000Dokumentnummer
JJT_19980818_OGH0002_010OBS00130_98K0000_000