TE OGH 1998/8/18 10ObS139/98h

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Veröffentlicht am 18.08.1998
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ehmayr und Dr.Hopf als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr.Fritz Miklau (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Johann Scharinger (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Regina B*****, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, Roßauer Lände 3, 1092 Wien, vertreten durch Dr.Andreas Grundei, Rechtsanwalt in Wien, wegen Entziehung der Invaliditätspension, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19.Dezember 1997, GZ 7 Rs 364/97v-23, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 4.September 1997, GZ 14 Cgs 152/96m-18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur Verhandlung und Entscheidung an das Prozeßgericht erster Instanz zurückverwiesen.

Text

Begründung:

Die Beklagte verpflichtete sich in einem Vorprozeß mit gerichtlichem Vergleich vom 1.3.1994, der Klägerin ab 1.7.1993 eine Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren. Mit Bescheid vom 28.8.1996 entzog die Beklagte der Klägerin die Invaliditätspension mit Ablauf des Monates September 1996.

Das Erstgericht gab der dagegen erhobenen Klage statt und verpflichtete die Beklagte, der Klägerin die Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß über den September 1996 hinaus weiter zu gewähren und eine vorläufige Leistung von S 7.000,- monatlich zu bezahlen. Das Erstgericht ging in tatsächlicher Hinsicht davon aus, daß dem Vergleich vom 1.3.1994 das Gutachten des chirurgischen Sachverständigen zugrundelag, wonach bei der Klägerin mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein fortschreitendes Krebsleiden (Prankreaskopfkarzinom) anzunehmen und die Klägerin wegen der tumorbedingten Herabsetzung des Allgemeinbefindens als arbeitsunfähig anzusehen ist. Zum Zeitpunkt der Entziehung ist hingegen davon auszugehen, daß die seinerzeitige Annahme eines Prankreaskopfkarzinoms auf einem Irrtum beruhte; tatsächlich lag ein solches Karzinom im Gewährungszeitpunkt nicht vor.

In rechtlicher Hinsicht folgerte das Erstgericht, daß das Klagebegehren berechtigt sei, weil keine wesentliche Besserung des Gesundheitszustandes der Klägerin eingetreten sei. Das angenommene Karzinom samt Kalkül der Arbeitsunfähigkeit habe auf einer Fehldiagnose beruht. Eine Leistung dürfe nur dann entzogen werden, wenn sich die Verhältnisse gegenüber dem Zeitpunkt der Gewährung wesentlich geändert haben. Sie könne jedoch nicht entzogen werden, wenn die Voraussetzungen schon zum Zeitpunkt der Zuerkennung der Leistung nicht gegeben gewesen seien.

Das Berufungsgericht gab der von der Beklagten erhobenen Berufung nicht Folge und trat der Begründung des Erstgerichtes bei. Der von der Beklagten relevierte, vom Obersten Gerichtshof zu 10 ObS 123/90 entschiedene Fall sei mit dem vorliegenden nicht vergleichbar. Ein schlechter Allgemeinzustand der Klägerin sei weder bei der Gewährung der Leistung vorgelegen, noch liege er jetzt vor.

Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Die Revision ist im Sinne des gestellten Eventualantrages berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 99 ASVG ist eine laufende Leistung zu entziehen, wenn die Voraussetzungen des Anspruches auf sie nicht mehr vorhanden sind und der Anspruch nicht bereits ohne weiteres Verfahren erlischt. Der Leistungsentzug nach § 99 Abs 1 ASVG setzt eine wesentliche, entscheidende Veränderung in den Verhältnissen voraus (Schrammel in ZAS 1990, 73 ff [79 f] und in Tomandl, SV-System 181 f; SSV-NF 1/27, 1/43, 1/44, 2/43 ua), wobei für den anzustellenden Vergleich die Verhältnisse im Zeitpunkt der Leistungszuerkennung mit den Verhältnissen im Zeitpunkt des Leistungsentzuges in Beziehung zu setzen sind. Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse kann unter anderem in der Wiederherstellung oder Besserung des körperlichen oder geistigen Zustandes oder in einer Besserung der Arbeitsfähigkeit infolge Gewöhnung und Anpassung an den Leidenszustand liegen. Ist der Leistungsbezieher durch diese Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt wieder einsetzbar, ist auch ein Leistungsentzug sachlich gerechtfertigt. Nicht gerechtfertigt ist ein Leistungsentzug, wenn nachträglich festgestellt wird, daß Leistungsvoraussetzungen von vornherein gefehlt haben (SSV-NF 1/27, 1/43, 1/44, 2/43, 2/96, 4/149, 5/5, 6/17, 7/2, 8/87 ua). Haben die objektiven Grundlagen für eine Leistungszuerkennung keine wesentliche Änderung erfahren, so steht die Rechtskraft der Gewährungsentscheidung der Entziehung entgegen. An dieser Änderung fehlt es regelmäßig dann, wenn bestimmte Leistungsvoraussetzungen nie vorhanden waren. Hier ist Rechtssicherheit vor Rechtmäßigkeit zu reihen (Schrammel in ZAS 1990, 73 ff [80]; Tomandl, Grundriß Sozialrecht4 Rz 222; Jabornegg in DRdA 1983, 1 ff [4 f]; Rechberger/ Oberhammer in ZAS 1993, 85 ff [88 f]).Gemäß Paragraph 99, ASVG ist eine laufende Leistung zu entziehen, wenn die Voraussetzungen des Anspruches auf sie nicht mehr vorhanden sind und der Anspruch nicht bereits ohne weiteres Verfahren erlischt. Der Leistungsentzug nach Paragraph 99, Absatz eins, ASVG setzt eine wesentliche, entscheidende Veränderung in den Verhältnissen voraus (Schrammel in ZAS 1990, 73 ff [79 f] und in Tomandl, SV-System 181 f; SSV-NF 1/27, 1/43, 1/44, 2/43 ua), wobei für den anzustellenden Vergleich die Verhältnisse im Zeitpunkt der Leistungszuerkennung mit den Verhältnissen im Zeitpunkt des Leistungsentzuges in Beziehung zu setzen sind. Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse kann unter anderem in der Wiederherstellung oder Besserung des körperlichen oder geistigen Zustandes oder in einer Besserung der Arbeitsfähigkeit infolge Gewöhnung und Anpassung an den Leidenszustand liegen. Ist der Leistungsbezieher durch diese Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt wieder einsetzbar, ist auch ein Leistungsentzug sachlich gerechtfertigt. Nicht gerechtfertigt ist ein Leistungsentzug, wenn nachträglich festgestellt wird, daß Leistungsvoraussetzungen von vornherein gefehlt haben (SSV-NF 1/27, 1/43, 1/44, 2/43, 2/96, 4/149, 5/5, 6/17, 7/2, 8/87 ua). Haben die objektiven Grundlagen für eine Leistungszuerkennung keine wesentliche Änderung erfahren, so steht die Rechtskraft der Gewährungsentscheidung der Entziehung entgegen. An dieser Änderung fehlt es regelmäßig dann, wenn bestimmte Leistungsvoraussetzungen nie vorhanden waren. Hier ist Rechtssicherheit vor Rechtmäßigkeit zu reihen (Schrammel in ZAS 1990, 73 ff [80]; Tomandl, Grundriß Sozialrecht4 Rz 222; Jabornegg in DRdA 1983, 1 ff [4 f]; Rechberger/ Oberhammer in ZAS 1993, 85 ff [88 f]).

Im vorliegenden Fall lag der Zuerkennung der Invaliditätspension ab 1.7.1993 mit gerichtlichem Vergleich vom 1.4.1994 die unrichtige medizinische Beurteilung zugrunde, daß die Klägerin arbeitsunfähig sei, weil bei ihr ein fortschreitendes Krebsleiden (Prankreaskopfkarzinom) mit tumorbedingter Herabsetzung des Allgemeinbefindens bestehe. Tatsächlich lag zwar ein Tumor, jedoch kein fortschreitendes Krebsleiden vor. Ob nun der abgeschlossene gerichtliche Vergleich auf einer "Fehldiagnose" oder einer bloßen "Fehlbeurteilung" im Hinblick auf die medizinischen Schwierigkeiten, einen Pankreaskopftumor eindeutig als Karzinom zu diagnostizieren, beruhte, wie die Revisionswerberin zu unterscheiden versucht, kann dahingestellt bleiben. Zutreffend releviert jedenfalls die Revisionswerberin die damit im Zusammenhang stehende Frage der Herabsetzung des Allgemeinbefindens der Klägerin, die mit dem tatsächlichen Fehlen eines fortschreitenden Krebsleidens nicht denknotwendig ausscheidet.

Die Leistungsentziehung ist, wie schon erwähnt, nicht gerechtfertigt, wenn nachträglich festgestellt wird, daß die Leistungsvoraussetzungen von vornherein gefehlt haben. Für eine derartige Beurteilung reichen jedoch die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen - entgegen der Ansicht der Vorinstanzen - noch nicht aus. Es genügt nicht einfach, den Inhalt der Sachverständigengutachten wiederzugeben; es sind vielmehr jene Tatsachen wiederzugeben, die für die Entscheidung wesentlich sind (SSV-NF 5/5 ua). Hinsichtlich der Frage der die Arbeitsunfähigkeit bewirkenden Herabsetzung des Allgemeinbefindens der Klägerin im Gewährungszeitpunkt reicht daher nicht die bloße Wiedergabe der damaligen Ansicht des chirurgischen Sachverständigen. Es ist vielmehr für die Beurteilung der Berechtigung der Entziehung einer Leistung die Feststellung erforderlich, ob bei der Klägerin im Zeitpunkt der Leistungsgewährung das Allgemeinbefinden tatsächlich derartig herabgesetzt war, daß sie zu keinen Arbeiten mehr in der Lage war, wie dies etwa durch die Eröffnung, die Klägerin leide an einem fortschreitenden inoperablen Prankreaskopfkarzinom, vorstellbar erscheint, mag diese Eröffnung damals richtig oder falsch gewesen sein; durch die spätere Erkenntnis, daß ein Krebsleiden tatsächlich nicht vorliegt, könnte durchaus auch eine Besserung des (häufig auch durch psychische Komponenten bedingten) Allgemeinbefindens eingetreten sein. In diesem Zusammenhang verweist die Revisionswerberin zutreffend auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 24.4.1990, 10 ObS 123/90 (teilweise veröffentlicht in SVSlg 34.488). Dort ging es um die jahrelange Rezidivfreiheit eines Versicherten nach Entfernung einer Lymphknotenmetastase und damit einhergehend um eine positive Änderung des Allgemeinzustandes, wobei ein ursprünglich angenommener Primärtumor nicht entdeckt werden konnte. Darin lag letztlich eine wesentliche Änderung der objektiven Grundlage der seinerzeitigen Leistungszuerkennung und nicht nur der subjektiven Beurteilung durch die jeweiligen ärztlichen Sachverständigen. Auf die vom Berufungsgericht relevierte Frage der bloß vorübergehenden Invalidität kam es in 10 ObS 123/90 nicht entscheidend an. Ob auch bei der Klägerin durch die geänderte Diagnose eine derartige objektive Änderung des Allgemeinzustandes eintrat und wie (und wodurch) der Allgemeinzustand der Klägerin bei der Leistungszuerkennung tatsächlich beschaffen war, kann derzeit aufgrund der Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes nicht beurteilt werden. Damit blieb aber eine für die abschließende Erledigung der Sache wesentliche Frage ungeklärt, weshalb der Revision Folge zu geben und die Rechtssache mangels Spruchreife an das Erstgericht zurückzuverweisen war.

Anmerkung

E51203 10C01398

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1998:010OBS00139.98H.0818.000

Dokumentnummer

JJT_19980818_OGH0002_010OBS00139_98H0000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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