TE Vwgh Erkenntnis 2006/10/4 2003/18/0353

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Veröffentlicht am 04.10.2006
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrG 1997 §47 Abs3 Z2;
FrG 1997 §49 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ströbl, über die Beschwerde des LR, geboren 1977, vertreten durch Dr. Walter Rosenkranz, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rotenturmstraße 12/17, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 15. Juli 2003, Zl. SD 173/03, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 15. Juli 2003 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen indischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Z. 1, Z. 5 und Z. 6 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein für die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Der Beschwerdeführer sei am 4. Dezember 2000 unter Umgehung der Grenzkontrolle in das Bundesgebiet gelangt und habe am 6. Dezember 2000 einen Asylantrag gestellt, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 9. April 2001 unter gleichzeitiger Feststellung, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Indien gemäß § 8 Asylgesetz zulässig sei, abgewiesen worden sei. Dagegen habe der Beschwerdeführer Berufung an den unabhängigen Bundesasylsenat erhoben, über die noch nicht entschieden worden sei. Der Beschwerdeführer verfüge seit dem 4. Juli 2001 über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz. Er habe gegenüber der Asylbehörde angegeben, 1983 geboren zu sein.

Mit Urteil des Jugendgerichtshofes Wien (vom 15. April 2002) sei der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens der teils vollendeten, teils versuchten Schlepperei nach den § 104 Abs. 1 und 3 (1. und 2. Fall) FrG, § 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 15 Monaten, davon 5 Monate unbedingt, verurteilt worden. Er habe als Mitglied einer aus insgesamt 18 namentlich bekannten sowie weiteren unbekannten Tätern bestehenden Bande gewerbsmäßig die rechtswidrige Einreise von Fremden in Mitgliedstaaten der Europäischen Union gefördert, wobei die Bandenmitglieder zwischen 450,-- und 1.000,-- US-Dollar pro geschleppter Person erhalten hätten. Es habe sich dabei um eine auf internationaler Ebene professionell agierende Schleppervereinigung gehandelt, welche ihren Sitz in Pakistan gehabt habe. Wichtige Zwischenschlepper hätten ihre Sitze in Moskau, Kiew und in der Slowakei. Dem Beschwerdeführer selbst hätten im Zeitraum von Juli 2001 bis September 2001 - in Unterstützung der anderen Schlepper - Schleppungen von insgesamt 60 bis 70 Fremden nachgewiesen werden können. Er habe dabei u. a. Transporttätigkeiten zum Flughafen, die Manipulation am Flughafen und das Einchecken der Geschleppten übernommen. Zum Teil habe er die Geschleppten zu diversen Bahnhöfen geleitet, damit diese mittels Zug bzw. mit einem zur Verfügung gestellten Taxi zu verschiedenen Zielen in Italien, Belgien, Frankreich oder Dänemark hätten überstellt werden können.

Mit Adoptionsvertrag vom 18. Juli 2002 sei der Beschwerdeführer von der österreichischen Staatsbürgerin Christine Sch., geboren 1953, an Kindesstatt angenommen worden. Die Adoption sei mit rechtskräftigem Beschluss des Bezirksgerichtes Fünfhaus vom 9. Dezember 2002 pflegschaftsbehördlich genehmigt worden. Die Adoptivmutter des Beschwerdeführers beziehe eine (monatliche) Witwenpension in Höhe von EUR 600,-- und habe eine (monatliche) Miete für ihre Wohnung von EUR 400,-- zu bezahlen. An der gemeinsamen Meldeadresse des Beschwerdeführers und seiner Adoptivmutter sei der Beschwerdeführer laut Auskunft der Hausparteien nicht bekannt. Bei einer nachfolgenden Vernehmung durch die Kriminaldirektion 1 habe sich der Beschwerdeführer mit einem am 4. August 1998 ausgestellten und bis 3. August 2008 gültigen indischen Reisepass ausgewiesen, in dem als sein Geburtsdatum 1977 aufscheine. Im Asylantrag, auf der Asylkarte und auf der polizeilichen Meldung, welche unter Zuhilfenahme der Bescheinigung über die vorläufige Aufenthaltsberechtigung gemäß § 19 AsylG vorgenommen worden sei, scheine das falsche Geburtsdatum des Beschwerdeführers, nämlich 1983, auf. Er habe in der Berufung eingestanden, auf Anraten der Schlepper ein falsches Geburtsdatum angeführt zu haben. Er habe sohin gegenüber österreichischen Behörden, nämlich den Asylbehörden, unrichtige Angaben über seine Person bzw. seine persönlichen Verhältnisse gemacht, um sich eine aussichtsreiche Stellung im Asylverfahren zu verschaffen, wobei es ihm auch gelungen sei, eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz zu erlangen.

Die Adoptivmutter habe keine Willenserklärung hinsichtlich einer Unterhaltsgewährung für ihren Adoptivsohn abgegeben. Der Beschwerdeführer sei nicht als begünstigter Drittstaatsangehöriger im Sinn des § 47 Abs. 3 Z. 2 FrG anzusehen.

In Anbetracht der gerichtlichen Verurteilung seien die Tatbestände des § 36 Abs. 2 Z. 1 und Z. 5 FrG verwirklicht. Der Beschwerdeführer habe durch das dargestellte qualifizierte Täuschungsverhalten auch den Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 6 FrG verwirklicht.

Das vor allem der strafgerichtlichen Verurteilung zu Grunde liegende Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers beeinträchtige die öffentliche Ordnung und Sicherheit in höchstem Maß, sodass die Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Grund des § 36 Abs. 1 FrG - vorbehaltlich der Bestimmungen des §§ 37 und 38 FrG - gerechtfertigt sei.

Weitere familiäre Bindungen als zur Adoptivmutter und deren beiden leiblichen Kindern seien nicht geltend gemacht worden. Das in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers eingreifende Aufenthaltsverbot sei zur Verhinderung strafbarer Handlungen sowie zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens dringend geboten und somit im Grund des § 37 Abs. 1 FrG zulässig. Die aus der Dauer des inländischen Aufenthalts des Beschwerdeführers ableitbare Integration sei nicht besonders ausgeprägt und durch sein strafbares Verhalten in ihrer sozialen Komponente entsprechend gemindert. Die Bindung zu seiner Adoptivmutter werde durch seine Volljährigkeit relativiert. Diesen geschmälerten privaten und familiären Interessen stünden die hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interessen insbesondere an der Bekämpfung der Schlepperei gegenüber. Die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie wögen nicht schwerer als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung. Im Hinblick auf die Art und Schwere der dem Beschwerdeführer zur Last liegenden Straftaten und die damit verbundene Wiederholungsgefahr könne ein weiterer Aufenthalt des Beschwerdeführers auch nicht im Rahmen des der Behörde zukommenden Ermessens in Kauf genommen werden.

Wenngleich der Beschwerdeführer durch sein Gesamtfehlverhalten die öffentliche Ordnung und Sicherheit massiv beeinträchtigt habe, so würden sich durch die bewilligte Adoption seine privaten Interessen doch anders darstellen als im erstinstanzlichen Bescheid (mit dem ein unbefristetes Aufenthaltsverbot verhängt worden war). Das Aufenthaltsverbot sei daher (nur) für die Dauer von zehn Jahren zu erlassen. Ein Wegfall der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit könne nicht vor Verstreichen dieser Frist erwartet werden.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Mit dem Vorbringen, er sei begünstigter Drittstaatsangehöriger, ist der Beschwerdeführer nicht im Recht. Gemäß § 49 Abs. 1 erster Satz FrG genießen Angehörige von Österreichern gemäß § 47 Abs. 3 FrG, die Staatsangehörige eines Drittstaates sind, Niederlassungsfreiheit; für sie gelten, sofern im Folgenden nicht anderes gesagt wird, die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach dem ersten Abschnitt.

Gemäß § 47 Abs. 3 FrG sind begünstigte Drittstaatsangehörige u. a. folgende Angehörige eines EWR-Bürgers: (Z. 2) Verwandte in absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres, darüber hinaus sofern ihnen Unterhalt gewährt wird. Da der Beschwerdeführer das 21. Lebensjahr bereits vollendet hat, würde er die Voraussetzungen des § 47 Abs. 3 FrG nur erfüllen, wenn er von seiner Adoptivmutter Unterhalt erhielte. Diese Bestimmung stellt auf den Umstand der tatsächlichen Gewährung von Unterhalt ab (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 27. April 2004, Zl. 2003/18/0281, und vom 13. Juni 2006, Zl. 2005/18/0028). Dass dem Beschwerdeführer von seiner Adoptivmutter, die eine monatliche Witwenpension von EUR 600,-- erhält, wovon sie EUR 400,-- für die Miete zu begleichen hat, Unterhalt bekäme, hat der Beschwerdeführer weder im Verwaltungsverfahren noch in der Beschwerde behauptet, und auch aus dem Akteninhalt ergeben sich dafür keine Anhaltspunkte. Die Auffassung der belangten Behörde, dass es sich beim Beschwerdeführer nicht um einen begünstigten Angehörigen einer Österreicherin handelt, ist daher unbedenklich. Das Urteil des EuGH vom 2. Juni 2005, Rs C-136/03 (Dörr und Ünal) ist demnach für den vorliegenden Fall ohne Bedeutung.

2. Auf dem Boden der im angefochtenen Bescheid getroffenen, insoweit unbestrittenen Feststellungen begegnet die - unbekämpfte -

Auffassung der belangten Behörde, dass die Tatbestände des § 36 Abs. 2 Z. 1, 5 und 6 FrG verwirklicht seien, keinem Einwand.

3.1. Die Beschwerde bestreitet nicht die im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen betreffend die vom Beschwerdeführer verübten Straftaten und seine deswegen erfolgte Verurteilung, sie bringt jedoch im Grund des § 36 Abs. 1 FrG vor, die "Gefährlichkeitsprognose" sei nicht haltbar. Er habe für seine strafbare Tat nur ein geringes Entgelt erhalten.

3.2. Mit dem genannten, im Verwaltungsakt erliegenden und im vorliegenden Verfahren bindenden Urteil des Jugendgerichtshofes Wien vom 15. April 2002 wurde der Beschwerdeführer für schuldig erkannt, gewerbsmäßig als Mitglied einer Bande die rechtswidrige Einreise von Fremden in Mitgliedstaaten der Europäischen Union mit dem Vorsatz gefördert zu haben, dass dies gegen einen nicht bloß geringfügigen Vermögensvorteil geschehen sei, indem er ausreisewillige Asylwerber (Inder, Pakistani, Afghanen, Bangladeshi und andere) im Flüchtlingslager Traiskirchen angeworben bzw. bereits nach Österreich geschleppte Personen übernommen habe und deren Ausreise aus Österreich in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union per Flugzeug, Bahn oder Kraftfahrzeug organisiert und durchgeführt oder dies versucht habe, wofür der Beschwerdeführer bzw. die Mitbeteiligten von den geschleppten Personen Beträge zwischen 450,-- und 1.000,--US-Dollar, teilweise auch nur Anzahlungen dazu, erhalten hätten, und zwar im Zeitraum zwischen Juli 2001 und September 2001 in einer Vielzahl von Angriffen in verschiedener Zusammensetzung. Der Begründung des Strafurteils zufolge habe der Beschwerdeführer im angegebenen Zeitraum zwei- bis dreimal wöchentlich je drei Personen geschleppt.

Das dargestellte Fehlverhalten des Beschwerdeführers stellt eine gravierende Beeinträchtigung des überaus großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung der international organisierten Schlepperkriminalität dar (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. Juni 2005, Zl. 2005/18/0158). Das Fehlverhalten des Beschwerdeführers lag bei Erlassung des angefochtenen Bescheides auch nicht so lange zurück, um auf Grund des seither verstrichenen Zeitraums einen Wegfall der von ihm ausgehenden Gefahr annehmen zu können. Die Ansicht der belangten Behörde, dass die im § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, begegnet daher keinem Einwand.

4. Bei der Interessenabwägung gemäß § 37 Abs. 1 und 2 FrG hat die belangte Behörde die Dauer des auf Grund einer vorläufigen Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz rechtmäßigen inländischen Aufenthaltes des Beschwerdeführers seit Dezember 2000 und den Umstand, dass er von einer Österreicherin (die zwei leibliche Kinder hat) adoptiert worden ist, berücksichtigt. Sie hat zutreffend einen mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen relevanten Eingriff im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG angenommen. Ebenso zutreffend hat die belangte Behörde aber auch die Ansicht vertreten, dass diese Maßnahme, weil zur Erreichung von in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen (Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen, Aufrechterhaltung der Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens) dringend geboten, nach § 37 Abs. 1 FrG zulässig sei.

Den aus den oben genannten Umständen ableitbaren persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet steht die aus der gewerbsmäßigen Schlepperei im Rahmen einer international agierenden Schlepperorganisation und aus der unrichtigen Angabe seines Geburtsdatums gegenüber einer österreichischen Behörde resultierende große Gefährdung öffentlicher Interessen gegenüber. Bei Abwägung der genannten gegenläufigen Interessen begegnet die Auffassung der belangten Behörde, dass die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes jedenfalls nicht geringer wögen als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf seine Lebenssituation und dass das Aufenthaltsverbot daher auch im Sinn des § 37 Abs. 2 FrG zulässig sei, keinem Einwand. Dies auch unter Berücksichtigung des in der Beschwerde hervorgehobenen Umstandes, dass es der Adoptivmutter des Beschwerdeführers aus finanziellen Gründen nicht leicht fallen werde, den Beschwerdeführer in seinem Heimatland zu besuchen, weil der Beschwerdeführer und seine Adoptivmutter solche nachteiligen Folgen des im öffentlichen Interesse notwendigen Aufenthaltsverbots in Kauf nehmen müssen.

5. Die Beschwerde war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

6. Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Wien, am 4. Oktober 2006

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2003180353.X00

Im RIS seit

26.10.2006
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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