TE OGH 1998/10/13 10ObS293/98f

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Veröffentlicht am 13.10.1998
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Dr. Hopf als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes Schenk und Dr. Erwin Blazek (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Friedl F***** Kaufmann, *****, vertreten durch Dr. Heinz Edelmann, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, Wiedner Hauptstraße 84-86, 1051 Wien, vertreten durch Dr. Paul Bachmann ua, Rechtsanwälte in Wien, wegen Erwerbsunfähigkeitspension, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. Mai 1998, GZ 10 Rs 106/98a, 107/98y-32, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 13. Jänner 1998, GZ 9 Cgs 31/96f-24, in der Hauptsache bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie zu lauten haben:

"Das Klagebegehren des Inhalts, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei eine Erwerbsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1. 7. 1995 zu gewähren, wird abgewiesen.

Die klagende Partei hat die Prozeßkosten erster und zweiter Instanz selbst zu tragen."

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 17. 7. 1942 geborene Kläger war in den Jahren 1980 bis 1995 als Einzel- und Großhändler mit Bettwaren tätig, und zwar seit 1990 nur mehr mit einer Mitarbeiterin. Er kann aufgrund verschiedener gesundheitlicher Leiden nur mehr leichte, gelegentlich auch mittelschwere Arbeiten in wechselnder Körperhaltung verrichten. Ausgeschlossen sind Zwangshaltung, überwiegend gebückte Haltung, Arbeiten in Kälte, besonderer Zeitdruck und Arbeiten, bei denen mehr als zehnmal pro Arbeitsstunde mit dem linken Fuß Pedale betätigt werden müssen.

Mit Bescheid vom 21. 11. 1995 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers vom 26. 6. 1995 auf Zuerkennung einer Erwerbsunfähigkeitspension ab.

Das Erstgericht verurteilte die Beklagte, dem Kläger eine Erwerbsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1. 7. 1995 zu gewähren. Ausgehend von den vorstehend wiedergegebenen wesentlichen Feststellungen bejahte es die Erwerbsunfähigkeit des Klägers gemäß § 133 Abs 2 GSVG, weil grundsätzlich mit jeder selbständigen Einzel- und Großhandelstätigkeit zumindest phasenhaft, insbesondere durch die Notwendigkeit, nicht delegierbare ad hoc-Entscheidungen treffen zu müssen, ein besonderer Zeitdruck verbunden sei.Das Erstgericht verurteilte die Beklagte, dem Kläger eine Erwerbsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1. 7. 1995 zu gewähren. Ausgehend von den vorstehend wiedergegebenen wesentlichen Feststellungen bejahte es die Erwerbsunfähigkeit des Klägers gemäß Paragraph 133, Absatz 2, GSVG, weil grundsätzlich mit jeder selbständigen Einzel- und Großhandelstätigkeit zumindest phasenhaft, insbesondere durch die Notwendigkeit, nicht delegierbare ad hoc-Entscheidungen treffen zu müssen, ein besonderer Zeitdruck verbunden sei.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und trat der Begründung des Erstgerichtes bei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beklagten aus dem Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Nach § 133 Abs 2 GSVG (idF der 19. Novelle BGBl 1993/336) wird das Verweisungsfeld durch die selbständigen Erwerbstätigkeiten gebildet, die eine ähnliche Ausbildung sowie gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten wie die vom Versicherten zuletzt ausgeübten erfordern. Die Verweisungstätigkeit muß keineswegs der bisher ausgeübten Tätigkeit in allen Punkten entsprechen. Das Gesetz stellt nicht auf die konkret ausgeübte selbständige Tätigkeit und die bisherige Betriebsstruktur ab (dies sind Umstände, die im Falle des § 131c GSVG von Bedeutung wären), sondern nur auf die Kenntnisse und Fähigkeiten, die für die durch 60 Monate ausgeübte selbständige Tätigkeit erforderlich waren. Dem Versicherten soll bei Vorliegen der üblichen Voraussetzungen des § 133 Abs 2 GSVG nicht zugemutet werden, völlig neue Kenntnisse zu erwerben oder nunmehr einer unselbständigen Tätigkeit nachzugehen (SSV-NF 9/22, 9/56). Der Gesetzgeber verfolgteNach Paragraph 133, Absatz 2, GSVG in der Fassung der 19. Novelle BGBl 1993/336) wird das Verweisungsfeld durch die selbständigen Erwerbstätigkeiten gebildet, die eine ähnliche Ausbildung sowie gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten wie die vom Versicherten zuletzt ausgeübten erfordern. Die Verweisungstätigkeit muß keineswegs der bisher ausgeübten Tätigkeit in allen Punkten entsprechen. Das Gesetz stellt nicht auf die konkret ausgeübte selbständige Tätigkeit und die bisherige Betriebsstruktur ab (dies sind Umstände, die im Falle des Paragraph 131 c, GSVG von Bedeutung wären), sondern nur auf die Kenntnisse und Fähigkeiten, die für die durch 60 Monate ausgeübte selbständige Tätigkeit erforderlich waren. Dem Versicherten soll bei Vorliegen der üblichen Voraussetzungen des Paragraph 133, Absatz 2, GSVG nicht zugemutet werden, völlig neue Kenntnisse zu erwerben oder nunmehr einer unselbständigen Tätigkeit nachzugehen (SSV-NF 9/22, 9/56). Der Gesetzgeber verfolgte

  • -Strichaufzählung
    wie den Materialien in der RV 933 BlgNR 18. GP, 25 zu entnehmen ist
  • -Strichaufzählung
    mit der Novelle dieser Bestimmung die Absicht, daß "ab dem 50. Lebensjahr für Kleingewerbetreibende zur Beurteilung der dauernden Erwerbsunfähigkeit nur mehr eine qualifizierte Verweisung zulässig sein (soll), so wie das auch bei erlernten oder angelernten Berufen unselbständig Erwerbstätiger schon vor dem 50. Lebensjahr der Fall ist. Ein Tätigkeitsschutz soll (hingegen) zwischen dem 50. und dem 55. Lebensjahr weiterhin nicht bestehen."

Im vorliegenden Fall geht es um einen Einzel- und Großhändler mit Bettwaren. Die Frage, ob der Kläger die bisherige Tätigkeit weiter ausüben kann, ist davon abhängig, ob derartige Handelsbetriebe auch ohne besonderen Zeitdruck geführt werden können, von dem der Kläger aus gesundheitlichen Gründen ausgeschlossen ist.

Wie dieser Senat schon zu 10 ObS 112/93 (teilweise veröffentlicht in ARD 4.506/20/30 = SVSlg 40.818) ausgesprochen hat, ist grundsätzlich mit jeder beruflichen Tätigkeit ein gewisser Zeitdruck verbunden. Ist eine Person nicht in der Lage, Tätigkeiten unter Zeitdruck auszuüben, kann dies im Zusammenhang mit der Beurteilung der Verweisungstätigkeit einer Person nur dahin verstanden werden, daß Tätigkeiten ausscheiden, bei denen eine Belastung durch Zeitdruck gegeben ist, die über dieses übliche Maß hinausgeht. Es mag durchaus sein, daß vom Unternehmer etwa im Rahmen der Kundenbetreuung, Personalwesen etc mitunter auch nicht vorhersehbare und nicht delegierbare ad hoc-Entscheidungen zu treffen sind; dies allein macht aber den dabei auftretenden Zeitdruck noch nicht zu einem solchen, der nicht mit jeder beruflichen Tätigkeit verbunden wäre. Selbständige Erwerbstätige unterscheiden sich von unselbständig beschäftigten Personen eben gerade dadurch wesentlich, daß sie ihr Unternehmen selbständig und eigenverantwortlich leiten, dessen Aufgaben planen und durchführen und deshalb ihren Betrieb selbständig organisieren können (10 ObS 257/89; 10 ObS 272/90; 10 ObS 107/98b ua). Der Kläger kann demzufolge als selbständiger Unternehmer dem Aspekt des Zeitdrucks auch besser Rechnung tragen als ein Arbeiter oder Angestellter, weil er beispielsweise unter Inkaufnahme eines gewissen Kundenverlustes nur die Menge pro Zeiteinheit erledigen müßte, welche im leistungskalkülmäßig zumutbar ist (10 ObS 135/98w), worauf die Revisionswerberin zutreffend hinweist.

Von einem Bettwarenhändler fallweise zu treffende ad hoc-Entscheidungen machen den damit verbundenen Zeitdruck noch nicht zu einem besonderen, also einen solchen, der über das übliche Ausmaß hinausgeht. Daß gerade mit dem Bettwarenhandel ein über das übliche Ausmaß hinausgehender, besonderer Zeitdruck verbunden sein soll, widerspräche auch der Lebenserfahrung, will man nicht die über das übliche Ausmaß hinausgehende Ausnahme zur Regel machen. Dem Ersturteil können - abgesehen von fallweise zu treffenden ad hoc-Entscheidungen - auch keine sonstigen Gründe entnommen werden, weshalb das Auftreten eines besonderen Zeitdrucks gerade beim Einzel- und Großhändler mit Bettwaren typisch ist. Dem insoweit nicht näher differenzierenden, bereits der rechtlichen Beurteilung zuzurechnenden Pauschalurteil der Vorinstanzen, wonach bei allen Einzel- und Großhändlern ein besonderer Zeitdruck auftritt, kann daher nicht beigetreten werden. Da der Kläger seine bisherige Tätigkeit ohne - besonderen - Zeitdruck weiter ausüben kann, braucht eine Verweisbarkeit auf andere Einzel- und Großhandelstätigkeiten (10 ObS 256/97p; 10 ObS 10/98p ua) nicht näher geprüft werden.

Der Revision der Beklagten war daher Folge zu geben und spruchgemäß zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Besondere Billigkeitsgründe, die trotz gänzlichem Unterlegens des Klägers einen Kostenzuspruch gerechtfertigt hätten, sind nicht hervorgekommen.Die Kostenentscheidung beruht auf Paragraph 77, Absatz eins, Ziffer 2, Litera b, ASGG. Besondere Billigkeitsgründe, die trotz gänzlichem Unterlegens des Klägers einen Kostenzuspruch gerechtfertigt hätten, sind nicht hervorgekommen.

Anmerkung

E51623 10C02938

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1998:010OBS00293.98F.1013.000

Dokumentnummer

JJT_19981013_OGH0002_010OBS00293_98F0000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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