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L37153 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag InteressentenbeitragNorm
BauO NÖ 1883 §19;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Kail, Dr. Pallitsch, Dr. Hinterwirth und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gubesch, über die Beschwerde des Peter Steffan in Schwarzach im Pongau, vertreten durch Dr. Hans-Jörg Haftner, Rechtsanwalt in 3100 St. Pölten, Wienerstraße 12, gegen den Bescheid des Stadtsenates der Stadt Krems vom 28. September 2005, Zl. MD-C-2/2005/Mag.L/R, betreffend Erteilung eines Bauauftrages (mitbeteiligte Partei: Dr. Günther Chaloupek, 1140 Wien, Linzer Straße 277 RH 8), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ist Eigentümer der Liegenschaft EZ 868 Grundbuch KG Stein mit dem darauf errichteten Haus in Krems, Alauntalstraße 98. Dieses Haus ist in gekuppelter Bauweise an das Haus des Mitbeteiligten (Alauntalstraße 100) angebaut.
In dem am 14. August 2003 beim Magistrat der Stadt Krems an der Donau eingelangten Schriftsatz vom 13. August 2003 führte der Beschwerdeführer aus, dass vom Hause Alauntalstraße 100 des Mitbeteiligten ein Stahlträger in die straßenseitigen Außenmauerwerksteile seines Hauses Alauntalstraße 98 hineinrage. Diese Auflagerausbildung der Stahlträger des Nachbargebäudes sei eindeutig bauordnungswidrig. Der Beschwerdeführer beantragte, es wolle die aufgezeigte Bauordnungswidrigkeit festgestellt und dem Eigentümer des Gebäudes Alauntalstraße 100 die Herstellung des bauordnungskonformen Zustandes aufgetragen werden.
Mit Devolutionsantrag vom 8. November 2004 begehrte der Beschwerdeführer den Übergang der Entscheidungspflicht an die "zuständige Oberbehörde".
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 13. August 2003 als unbegründet abgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde aus, die beiden Einfamilienwohnhäuser Alauntalstraße 98 und 100 seien in gekuppelter Bauweise an der gemeinsamen Grundgrenze aneinander gebaut; es könne nicht mehr eindeutig geklärt werden, welches der beiden Häuser zuerst errichtet worden sei. Das Haus Alauntalstraße 100 sei um das Jahr 1910 errichtet worden. Unterlagen über das damalige Bauverfahren seien während des zweiten Weltkrieges verloren gegangen. Die vom Beschwerdeführer beanstandeten I-Träger, die über die gemeinsame Grundgrenze ragten und in der Außenmauer des Hauses Alauntalstraße 98 auflägen, seien bereits im Zeitpunkt der Errichtung des Hauses Alauntalstraße 100 eingebaut worden. Da es erst im Jahre 1989 zu einer Beanstandung dieser I-Träger durch den Rechtsvorgänger des Beschwerdeführers gekommen sei, könne von einem vermuteten Konsens ausgegangen werden. Die Bauakten aus der Zeit um 1910 seien nicht mehr vorhanden. Dem Beschwerdeführer sei es zu keiner Zeit gelungen, die Vermutung der Konsensmäßigkeit des Hauses Alauntalstraße 100 in Bezug auf die beiden I-Träger durch Erbringung des Gegenbeweises zu entkräften. Es hätte nachgewiesen werden müssen, dass diese Träger konsenswidrig am Nachbarhaus aufliegen. Die Verankerung der I-Träger auf dem Nachbargrundstück sei jedoch grundsätzlich mit Zustimmung des Grundeigentümers möglich gewesen. Der Beschwerdeführer hätte die nicht erteilte Zustimmung nicht beweisen können.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde. Der Beschwerdeführer macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Mit seinem Antrag vom 13. August 2003 begehrte der Beschwerdeführer die Entfernung von Stahlträgerteilen, die ausgehend vom Haus des Mitbeteiligten in das Außenmauerwerk seines Hauses ragen, weil hiefür keine erforderliche Baubewilligung vorliege.
Die belangte Behörde geht im angefochtenen Bescheid davon aus, dass die vom Beschwerdeführer als bauordnungswidrig bezeichnete Bauführung konsensgemäß sei. Es liege ein "vermuteter Konsens" vor. Die belangte Behörde geht weiters davon aus, dass die Stahlträger im Rahmen der Errichtung des nunmehr dem Mitbeteiligten gehörigen Gebäudes im Jahre 1910 eingebaut worden sind.
Im Zeitpunkt der Errichtung dieses Gebäudes war die Bauordnung für das Erzherzogtum Österreich unter der Enns mit Ausschluss der Reichshaupt- und Residenzstadt Wien vom 17. Jänner 1883 (NÖ BauO 1883) in Geltung. Das Gebäude des Mitbeteiligten war nach dieser Bauordnung bewilligungspflichtig. Die baubehördliche Bewilligungspflicht bestand für solche Bauvorhaben auch im Geltungsbereich der NÖ Bauordnung 1976. Deren Bewilligungspflicht ist nunmehr in § 14 NÖ Bauordnung 1996 normiert (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 23. Mai 2002, Zl. 2001/05/0835).
Gemäß § 33 Abs. 1 NÖ Bauordnung 1996 hat der Eigentümer eines Bauwerks dafür zu sorgen, dass dieses in einem der Bewilligung (§ 23) oder der Anzeige (§ 15) entsprechenden Zustand ausgeführt oder erhalten wird. Er hat Baugebrechen, durch welche die Standsicherheit, die äußere Gestaltung, der Brandschutz, die Sicherheit von Personen und Sachen beeinträchtigt werden oder die zu unzumutbaren Belästigungen (§ 48) führen können, zu beheben. Gemäß Abs. 2 dieser Bestimmung hat die Baubehörde nach Überprüfung des Bauwerks unter Gewährung einer angemessenen Frist die Behebung des Baugebrechens zu verfügen, wenn der Eigentümer eines Bauwerkes seiner Verpflichtung nach Abs. 1 nicht nachkommt.
Im Falle eines baubewilligungspflichtigen Vorhabens kann demnach ein Baugebrechen im Sinne des § 33 NÖ Bauordnung 1996 auch dann vorliegen, wenn durch eine bewilligungsbedürftige aber nicht bewilligte oder anzeigepflichtige aber nicht angezeigte Abänderung oder das Fehlen eines unentbehrlichen Bauteils oder Zubehörs ein Zustand eines Bauwerkes verursacht wurde, der seine Standfestigkeit, sein Aussehen, den Brandschutz oder die Sicherheit von Personen und Sachen beeinträchtigt oder zu einer örtlich unzumutbaren Belästigung der Nachbarschaft im Sinne des § 48 führen kann. Sind diese nicht genehmigten bzw. nicht nichtuntersagten Abweichungen vom bewilligten Projekt nachträglich nicht bewilligbar, sind diese Konsenswidrigkeiten auf Grund eines Auftrages nach § 33 NÖ Bauordnung 1996 zu beheben. Für die Erlassung eines Bauauftrages nach § 33 NÖ Bauordnung 1996 muss somit feststehen, ob und bejahendenfalls in welcher Form das vom Bauauftrag betroffene Bauwerk baubehördlich bewilligt worden ist, ob und bejahendenfalls wann und inwiefern von dieser Bewilligung abgewichen worden ist, ob für diese festgestellten Abweichungen ebenfalls die erforderlichen baubehördlichen Bewilligungen bzw. Genehmigungen vorliegen, ob der tatsächlich festgestellte Zustand diesen Bewilligungen bzw. Genehmigungen entspricht und ob im Fall einer Abweichung diese Konsenswidrigkeiten die Standsicherheit, die äußere Gestaltung, den Brandschutz, die Sicherheit von Personen und Sachen beeinträchtigen oder diese zu unzumutbaren Belästigungen führen können. Eine Baubewilligung im Sinne des § 33 Abs. 1 NÖ Bauordnung 1996 ist nicht nur eine solche nach diesem Gesetz, vielmehr sind darunter auch Baubewilligungen nach den Vorgängerbestimmungen der NÖ Bauordnung 1996 zu subsumieren (vgl. hiezu das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 23. Mai 2002).
Der von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid abgewiesene Antrag des Beschwerdeführers richtet sich auf Erlassung eines Auftrages gemäß § 33 Bauordnung 1996.
Gemäß § 6 Abs. 1 NÖ Bauordnung 1996 haben im Baubewilligungsverfahren und baupolizeilichen Verfahren nach § 32, § 33 Abs. 2, § 34 Abs. 2 und § 35 auch die Nachbarn Parteistellung (§ 6 Abs. 1 Z. 3). Die Nachbarn sind nach dieser Gesetzesstelle jedoch nur dann Parteien, wenn sie durch das Bauwerk und dessen Benützung in den in Abs. 2 erschöpfend festgelegten subjektivöffentlichen Rechten berührt sind. Gemäß § 6 Abs. 2 Z. 1 leg. cit. werden subjektiv-öffentliche Rechte durch jene Bestimmungen dieses Gesetzes, des NÖ Raumordnungsgesetzes 1976, der NÖ Aufzugsordnung sowie der Durchführungsverordnungen zu diesen Gesetzen berührt, die u.a. die Standsicherheit der Bauwerke der Nachbarn gewährleisten. Der Beschwerdeführer hatte daher im gegenständlichen Verfahren nach § 33 Abs. 2 NÖ Bauordnung 1996 Parteistellung, weil durch die Benützung seines Gebäudes als Stütze für Träger des Nachbargebäudes die Standsicherheit seines Bauwerkes berührt wird.
Zulässig wäre eine solche Inanspruchnahme von Fremdgrund nur, wenn - von einer Zustimmung des Grundeigentümers abgesehen - die festgestellte Ausführung der Baubewilligung entspräche. Bei Prüfung des konsensgemäßen Zustandes eines Bauwerks kann auch die Rechtskonstruktion des "vermuteten Konsenses" von Bedeutung sein, welche auf Altbauten, für die - abgesehen von anderen Voraussetzungen - keine Baubewilligung existiert oder eine solche nicht mehr auffindbar ist, Anwendung findet (zu den Voraussetzungen der Annahme eines vermuteten Konsens siehe das bereits mehrfach zitierte hg. Erkenntnis vom 23. Mai 2002).
Die Rechtsvermutung der Konsensmäßigkeit kommt einem Bauzustand, der nach der zur Zeit seiner Herstellung geltenden Bauordnung gesetzwidrig war, jedoch nicht zustatten, weil nicht angenommen werden kann, dass die Baubehörde die gesetzwidrige Herstellung bewilligt hätte. In einem solchen Fall müsste vielmehr von der Partei, die den Konsens behauptet, der Nachweis erbracht werden, dass dieser tatsächlich erteilt worden ist.
Schon nach der NÖ BauO 1883 durfte sich ein Bauplatz nur auf ein Grundstück beziehen und sich nicht über mehrere Grundstücke erstrecken (vgl. die §§ 6 ff und §§ 19 f NÖ BauO 1883). Die Überbauung einer Grundstücksgrenze war daher grundsätzlich nicht zulässig (vgl. hiezu die hg. Erkenntnisse vom 7. Juli 2000, Zl. 2000/05/0044, zur vergleichbaren Rechtslage der NÖ BauO 1976, und vom 17. Juni 2003, Zl. 2002/05/1503, zur NÖ BauO 1996). Daher kann abgesehen davon, dass der Mitbeteiligte einen solchen vermuteten Konsens nicht behauptet hat, entsprechend den obigen Ausführungen zum vermuteten Konsens im Beschwerdefall entgegen der von der belangten Behörde vertretenen Rechtsauffassung nicht davon ausgegangen werden, dass die Baubehörde im Zeitpunkt der Errichtung des Gebäudes der mitbeteiligten Partei eine Baubewilligung erteilt hat, die nicht nur eine Mitbenützung von Nachbargrund beinhaltet, sondern auch eine Verbindung mit dem Nachbargebäude derart vorgesehen hat, dass Mauerteile dieses Nachbargebäudes wesentliche tragende Funktionen für das Gebäude des Mitbeteiligten übernehmen, obwohl auch für das Gebäude der mitbeteiligten Partei - wie sich aus den Plänen betreffend den Umbau im Jahre 1961 ergibt - eine die beschwerdegegenständlichen Stahlträger tragende Gebäudemauer vorgesehen war und diese Gebäudemauer auch tatsächlich errichtet worden ist.
Die im Mauerwerk des Hauses des Beschwerdeführers befindlichen Teile der I-Träger des Gebäudes des Mitbeteiligten können daher nicht als baubewilligt im Sinne eines vermuteten Konsenses beurteilt werden.
Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 10. Oktober 2006
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteBaubewilligung BauRallg6Baupolizei Baupolizeiliche Aufträge Baustrafrecht Kosten Konsenslosigkeit und Konsenswidrigkeit unbefugtes Bauen BauRallg9/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2005050324.X00Im RIS seit
08.11.2006Zuletzt aktualisiert am
10.08.2009