TE OGH 1998/10/30 Bsw27916/95

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Veröffentlicht am 30.10.1998
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Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer, Beschwerdesache Podbielski gegen Polen, Urteil vom 30.10.1998, Bsw. 27916/95.

Spruch

Art. 6 Abs. 1 EMRK - Dauer eines Zivilverfahrens.Artikel 6, Absatz eins, EMRK - Dauer eines Zivilverfahrens.

Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK (einstimmig).Verletzung von Artikel 6, Absatz eins, EMRK (einstimmig).

Entschädigung nach Art. 50 EMRK: PLN 20.000,- für immateriellen Schaden. Der Antrag des Bf. auf Erstattung von Kosten und Auslagen wird mangels Kostenaufstellung zurückgewiesen (einstimmig).Entschädigung nach Artikel 50, EMRK: PLN 20.000,- für immateriellen Schaden. Der Antrag des Bf. auf Erstattung von Kosten und Auslagen wird mangels Kostenaufstellung zurückgewiesen (einstimmig).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

1992 klagte der Bf. die Gemeinde von Swidnica (Polen) auf Bezahlung von Bauarbeiten, die seine Firma in vertraglicher Vereinbarung mit ihr durchgeführt hatte sowie auf Zahlung von Konventionalstrafen wegen nicht gehöriger Vertragserfüllung. In der Folge erklärte das zuständige Gericht bestimmte vertragliche Vereinbarungen wegen Verstoßes gegen zivilrechtliche Bestimmungen für nichtig. Dagegen erhob der Bf. ein Rechtsmittel. Das Urteil wurde aufgehoben und zur neuerlichen Entscheidung an die 1. Instanz zurückverwiesen. Der Klage auf Bezahlung der Bauarbeiten wurde stattgegeben, hingegen eine Vertragsklausel betreffend die Zahlung einer Konventionalstrafe wegen Zahlungsverzugs für ungültig erklärt. Ein dagegen gerichtetes Rechtsmittel blieb erfolglos.

Daraufhin legte der polnische Ombudsmann ein außerordentliches Rechtsmittel ein und behauptete, letztgenanntes Urteil stelle einen massiven Verstoß gegen grundlegende zivilrechtliche Bestimmungen dar, weiters habe es die Vertragsfreiheit der Parteien unangemessen eingeschränkt. Das Rechtsmittel wurde vom Höchstgericht mit der Begründung abgewiesen, die Höhe der vertraglich festgelegten Konventionalstrafe sei exzessiv gewesen. In der Folge ordnete es - auf Antrag des Bf. - die Wiederaufnahme des Verfahrens an, berichtigte sein Urteil und hob die ergangenen Urteile teilweise auf. Die Rechtssache wurde - mit Ausnahme des für rechtsgültig anerkannten Anspruchs auf Bezahlung der Bauarbeiten - zur neuerlichen Entscheidung an die 1. Instanz zurückverwiesen. Letztere erklärte die vertraglich festgelegte Konventionalstrafe für verbindlich, setzte aber deren Betrag herab. Eine - zusätzlich eingebrachte - Schadenersatzklage des Bf. wurde abgewiesen.

Dagegen legte der Bf. ein Rechtsmittel ein. Das Gericht 2. Instanz hob das Urteil hinsichtlich seiner Schadenersatzklage auf und ordnete eine neuerliche Prüfung der Rechtssache an. Die Klage wurde abgewiesen. Dagegen erhob der Bf. ein Rechtsmittel, außerdem begehrte er eine Befreiung von den Gerichtsgebühren. Das Gericht gab letzterem Antrag teilweise statt und wies das restliche Begehren ab. Dagegen gerichtete Rechtsmittel blieben erfolglos. Der Bf. begehrte eine weitere Befreiung von den Gerichtsgebühren im Rechtsmittelverfahren, dies mit dem Hinweis auf seine durch die Dauer des Gerichtsverfahrens bedingte verschlechterte finanzielle Lage. Seinem Begehren wurde teilweise stattgegeben. Neuerliche Anträge des Bf. auf Befreiung von den Gerichtsgebühren wurden abgewiesen, die dagegen gerichteten Rechtsmittel blieben erfolglos. Die Rechtsmittel gegen die Abweisung der Schadenersatzklage wurden wegen Nichtentrichtung fälliger Gerichtsgebühren abgewiesen. Der Bf. rief daraufhin das Höchstgericht an. Das Verfahren ist zur Zeit noch anhängig.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Der Bf. behauptet, die Dauer des Zivilverfahrens habe Art. 6 (1) EMRK (Recht auf angemessene Verfahrensdauer) verletzt.Der Bf. behauptet, die Dauer des Zivilverfahrens habe Artikel 6, (1) EMRK (Recht auf angemessene Verfahrensdauer) verletzt.

Der für die Beurteilung der Angemessenheit relevante Zeitraum ist in diesem Fall nicht ab Einbringung der Klage durch den Bf. zu rechnen, sondern ab 1.5.1993, dem Tag, an dem Polen das Recht auf Individualbsw. anerkannt hat. Das Verfahren ist noch immer nicht abgeschlossen. Es dauerte bis jetzt über sechs Jahre und fünf Monate, davon sind fünf Jahre und beinahe sechs Monate in die Prüfung miteinzubeziehen. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer ist anhand der Umstände des Einzelfalles zu prüfen:

1. Komplexität des Falles: Die Auslegung der vertraglich vereinbarten Konventionalstrafe wurde insofern erschwert, als zum maßgeblichen Zeitpunkt einerseits eine Umgestaltung der innerstaatlichen Rechtsordnung erfolgte, andererseits sich die Gerichte über einen einheitlichen Rechtsstandpunkt nicht einig waren. Allerdings waren alle wesentlichen Rechtsfragen vom polnischen Höchstgericht - das die Wiederaufnahme des Verfahrens angeordnet und sein Urteil berichtigt hatte - vorab geklärt worden. Die Dauer des Verfahrens kann daher durch die Komplexität des Falles nicht gerechtfertigt werden.

2. Verhalten des Bf.: Zwar mag der Bf. durch sein eigenes Verhalten zu Verfahrensverzögerungen beigetragen haben - so zB. durch die beharrliche Verfolgung seiner Anträge auf Befreiung von den Gerichtsgebühren -, dies vermag aber - für sich alleine gesehen - nicht die Dauer des Verfahrens zu begründen.

3. Behandlung des Falles durch die Gerichte: Über die Rechtssache des Bf. wurde noch immer nicht rechtskräftig abgesprochen. Zwar ist die Verzögerung zu einem Großteil durch die Gesetzesänderungen im Rahmen des Überganges von einem System des staatlich kontrollierten Marktes zu jenem der freien Marktwirtschaft zu erklären, weiters durch die Komplexität der zu klärenden Rechtsfragen, die eine zügige Entscheidung über die Rechtssache des Bf. erschwerten. Allerdings sind die Konventionsstaaten gemäß Art. 6 (1) EMRK verpflichtet, ihr Rechtssystem so zu gestalten, dass die Gerichte in der Lage sind, die Angemessenheit der Dauer eines Verfahrens zu gewährleisten.3. Behandlung des Falles durch die Gerichte: Über die Rechtssache des Bf. wurde noch immer nicht rechtskräftig abgesprochen. Zwar ist die Verzögerung zu einem Großteil durch die Gesetzesänderungen im Rahmen des Überganges von einem System des staatlich kontrollierten Marktes zu jenem der freien Marktwirtschaft zu erklären, weiters durch die Komplexität der zu klärenden Rechtsfragen, die eine zügige Entscheidung über die Rechtssache des Bf. erschwerten. Allerdings sind die Konventionsstaaten gemäß Artikel 6, (1) EMRK verpflichtet, ihr Rechtssystem so zu gestalten, dass die Gerichte in der Lage sind, die Angemessenheit der Dauer eines Verfahrens zu gewährleisten.

4. Abschließende Bewertung: Die Verfahrensverzögerungen sind hauptsächlich den nationalen Behörden anzulasten. Unter diesen Umständen war die Verfahrensdauer nicht mehr angemessen. Verletzung von Art. 6 (1) EMRK (einstimmig).4. Abschließende Bewertung: Die Verfahrensverzögerungen sind hauptsächlich den nationalen Behörden anzulasten. Unter diesen Umständen war die Verfahrensdauer nicht mehr angemessen. Verletzung von Artikel 6, (1) EMRK (einstimmig).

Entschädigung nach Art. 50 EMRK: PLN 20.000,-- für immateriellen Schaden. Der Antrag des Bf. auf Erstattung von Kosten und Auslagen wird mangels Kostenaufstellung zurückgewiesen (einstimmig).Entschädigung nach Artikel 50, EMRK: PLN 20.000,-- für immateriellen Schaden. Der Antrag des Bf. auf Erstattung von Kosten und Auslagen wird mangels Kostenaufstellung zurückgewiesen (einstimmig).

Anm.: Vgl. die vom GH zitierten Fälle Süßmann/D, Urteil v. 16.9.1996 (= NL 96/5/9 = EuGRZ 1996, 514 = ÖJZ 1997, 274); Duclos/F, Urteil v. 17.12.1996; Proszak/PL, Urteil v. 16.12.1997; Belziuk/PL, Urteil v. 25.3.1998 (= NL 98/2/10).Anmerkung, Vgl. die vom GH zitierten Fälle Süßmann/D, Urteil v. 16.9.1996 (= NL 96/5/9 = EuGRZ 1996, 514 = ÖJZ 1997, 274); Duclos/F, Urteil v. 17.12.1996; Proszak/PL, Urteil v. 16.12.1997; Belziuk/PL, Urteil v. 25.3.1998 (= NL 98/2/10).

Anm.: Die Kms. hatte in ihrem Ber. v. 22.10.1997 eine Verletzung vonAnmerkung, Die Kms. hatte in ihrem Ber. v. 22.10.1997 eine Verletzung von

Art. 6 (1) EMRK festgestellt (13:2 Stimmen).Artikel 6, (1) EMRK festgestellt (13:2 Stimmen).

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 30.10.1998, Bsw. 27916/95, entstammt der Zeitschrift „ÖIMR-Newsletter" (NL 1998, 224) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/98_6/Podbielski.pdf

Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.

Anmerkung

EGM00224 Bsw27916.95-U

Dokumentnummer

JJT_19981030_AUSL000_000BSW27916_9500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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