TE OGH 1998/11/10 4Ob132/98k

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Veröffentlicht am 10.11.1998
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kodek als Vorsitzenden und durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Griß und Dr. Schenk sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Rosa Maria M*****, vertreten durch Dr. Hans Kröppel, Rechtsanwalt in Kindberg, wider die beklagte Partei Helmut E*****, vertreten durch Dr. Michael Zsizsik, Rechtsanwalt in Bruck an der Mur, wegen S 184.000,-- sA, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes Leoben als Berufungsgericht vom 4. Dezember 1997, GZ 1 R 276/97y-21, mit dem infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Kindberg vom 12. September 1997, GZ 1 C 29/96k-16, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und in der Sache selbst zu Recht erkannt, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 42.398,60 (darin S 4.858,10 USt und S 13.250,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des gesamten Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin schloß mit dem Beklagten am 29. 3. 1995 einen Mietvertrag über Geschäftsräume und Kellerräumlichkeiten in K*****, S*****gasse *****; im Vertrag erklärten beide Teile einen Kündigungsverzicht bis 30. 9. 2001, außerdem wurde ein monatlicher Bruttomietzins von S 11.500,-- vereinbart und bei Überschreitung jedweder (Zahlungs-)Frist die Anrechnung ortsüblicher Bankverzugszinsen festgelegt. Letztere betragen im Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz 11 bis 15 % pa.

Im vorliegenden Verfahren begehrt die Klägerin die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung des ab Oktober 1995 bis einschließlich Jänner 1997 angelaufenen Mietzinsrückstandes von S 184.000,-- samt 12 % monatlich abgestufter Zinsen.

Der Beklagte setzte der Klage die Einwendung entgegen, er sei zur Mietzinszahlung nicht verpflichtet, weil er den Mietvertrag im Juni 1995 aus gerechtfertigten Gründen ("das Bestandobjekt habe aufgrund von Feuchtigkeit nicht dem ihm zugesagten und bedungenen Gebrauch für den Betrieb einer Boutique entsprochen") aufgelöst (und offenbar auch das Bestandobjekt geräumt) habe. Er verwies auf den von ihm (als Kläger) gegen die Klägerin (als Beklagte) bereits am 8. 9. 1995 zu 1 C 40/95a des Erstgerichtes anhängig gemachten Rechtsstreit, der für das gegenständliche Verfahren insofern präjudiziell sei, als Gegenstand des Verfahrens die Rechtmäßigkeit der Aufkündigung des streitgegenständlichen Bestandobjektes (wohl auch gemeint: der Auflösung des Bestandvertrages) sei, und beantragte die Unterbrechung des Prozesses bis zur rechtskräftigen Erledigung des von ihm erwähnten Verfahrens. Die Klägerin sprach sich nicht gegen den Unterbrechungsantrag aus; das Erstgericht entsprach dem Antrag mit Beschluß vom 4. 6. 1996 (ON 6).

Bereits am 5. 9. 1995 hatte die Klägerin zu 1 C 39/95d des Erstgerichtes eine Mietzinsklage über S 34.500,-- (die Monatsmieten Juli, August und September 1995) gegen den Beklagten eingebracht. Auch in diesem Verfahren wandte der Beklagte ein, er habe den Mietvertrag im Juni 1995 aus gerechtfertigten Gründen aufgelöst und daher ab Juli 1995 keinen Mietzins mehr zu zahlen, und verwies im übrigen auf seine bereits erwähnte Klage. Die beiden Verfahren wurden vom Erstgericht zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Im Verfahren 1 C 40/95a des Erstgerichtes stützte der Beklagte (als Kläger) sein Zahlungsbegehren von S 92.100,-- (S 23.000,-- Rückersatz für die gezahlten Mieten Mai und Juni 1995; S 12.000,-- Rückersatz des Vermittlungshonorars; S 9.500,-- frustrierte Aufwendungen auf das Mietobjekt; S 34.500,-- Rückersatz der Mietkaution; S 13.100,-- Ersatz von Rechtsgeschäftsgebühren) auf eine berechtigte Vertragsauflösung (gerechtfertigten [offenbar im Hinblick auf den erklärten Kündigungsverzicht] vorzeitigen Rücktritt vom Mietvertrag), weil das Mietobjekt wegen seiner Feuchtigkeit nicht dem zugesagten und bedungenen Gebrauch als Boutique entsprochen habe und er vom Hausverwalter der Vermieterin beim Vertragsabschluß in Irrtum geführt worden sei. Das Erstgericht führte in diesen verbundenen Verfahren ein umfangreiches Beweisverfahren durch Vernehmung von Zeugen, Parteien und Sachverständigen durch und erkannte mit Urteil vom 7. 3. 1996, GZ 1 C 40/95a-12, dahin zu Recht, daß es das Klagebegehren zu 1 C 40/95a abwies und dem Klagebegehren zu 1 C 39/95d stattgab. Die Urteilsfeststellungen ergaben zusammengefaßt, daß zwar im Geschäftslokal, bedingt durch die Bauart des Hauses und die vorherige Nutzung als Blumengeschäft, eine gewisse "Feuchtigkeit(sgefahr)" gegeben sei, diese jedoch durch entsprechende Beheizung (allenfalls durch Einsatz von Heizkanonen vor dem Bezug des Geschäftslokales) und Belüftung hätte beseitigt werden können. Der Beklagte habe diese Umstände vor dem Vertragsabschluß bereits gekannt und sei daher auch nicht über die Eignung des Mietobjektes für den von ihm geplanten Gebrauch in Irrtum geführt worden.

Dieses Urteil wurde vom Landesgericht Leoben als Berufungsgericht am 24. 10. 1996 bestätigt (GZ 1 R 325/96b-17). Die hinsichtlich des Klagebegehrens (Entscheidungsgegenstandes) zu 1 C 40/95a erhobene außerordentliche Revision des Beklagten wurde mit Beschluß des erkennenden Senates vom 25. 2. 1997, 4 Ob 44/97t (GZ 4 Ob 44/97t-20) zurückgewiesen; der Begründung des Zurückweisungsbeschlusses ist zu entnehmen, daß der Beklagte angesichts der festgestelltermaßen leicht durch verstärktes Heizen und Lüften behebbaren Feuchtigkeit des Mietobjektes weder zur vorgenommenen Vertragsauflösung noch - wegen der ihm bekannten äußeren Umstände - zur Irrtumsanfechtung berechtigt war.

In dem auf Antrag der Klägerin fortgesetzten vorliegenden Verfahren trugen die Parteien vor wie bisher. Das Erstgericht verlas ua seinen Akt 1 C 40/95a und gab dem ausgedehnten Mietzinszahlungsbegehren zur Gänze statt. Es erachtete sich in der Beurteilung der vom Beklagten dem Klagebegehren allein entgegengesetzten Einwendung, er habe den Mietvertrag berechtigt im Juni 1995 aufgelöst, an seine rechtskräftige Entscheidung im Verfahren 1 C 40/95a gebunden. Die vom Beklagten vorgenommene Vertragsauflösung sei daher nicht berechtigt gewesen, es sei weiterhin von einem aufrechten Mietvertrag auszugehen. Da der Beklagte etwaige andere anspruchsvernichtende Einwendungen gegen den Klageanspruch nicht erhoben habe, sei der schlüssigen Klageforderung stattzugeben.

Das Gericht zweiter Instanz hob dieses Urteil auf, verwies die Sache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurück und sprach aus, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Es verneinte die Bindungswirkung der rechtskräftigen Entscheidung(en) des Vorprozesses, weil dort das Zahlungsbegehren Hauptfrage, die Berechtigung des (hierigen) Beklagten zur Vertragsauflösung aber nur Vorfrage gewesen sei, die nicht zum Gegenstand eines Zwischenfeststellungsantrags gemacht worden sei, sodaß der Lösung dieser Frage keine Bindungswirkung für das vorliegende Folgeverfahren zukomme. Dieselben Überlegungen gälten auch für die Mietzinsklage 1 C 39/95d des Erstgerichtes. Dieses werde sich daher im fortgesetzten Verfahren mit dem Einwand des Beklagten, das Mietverhältnis aus gerechtfertigten Gründen im Juni 1995 wegen mangelnder Eignung des Mietobjektes zum bedungenen Gebrauch aufgrund von Feuchtigkeit aufgelöst zu haben, auseinanderzusetzen, darüber Beweise aufzunehmen und Feststellungen zu treffen haben.

Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei für zulässig zu erklären, weil die beiden Prozesse in so engem inhaltlichem Zusammenhang stünden, daß im Interesse der Rechtssicherheit einander widersprechende Entscheidungen vermieden werden sollten; auch wäre zu prüfen, ob die Bindungswirkung nicht auf die streitgegenständliche Vorfrage auszudehnen sei, wenn der Beklagte selbst unter Hinweis auf den Vorprozeß wegen dessen Präjudizialität die Unterbrechung erwirkt und im Vorprozeß den Instanzenzug voll ausgeschöpft habe.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen die zweitinstanzliche Entscheidung gerichtete Rekurs der Klägerin ist zulässig und berechtigt.

Eine Bindungswirkung an die Vorentscheidung ist nach der Rechtsprechung dann anzunehmen, wenn sowohl die Identität der Parteien als auch des rechtserzeugenden Sachverhaltes (verbunden mit notwendig gleicher Qualifikation) gegeben sind, aber anstelle der inhaltlichen und wörtlichen Identität der Begehren ein im Gesetz gegründeter Sachzusammenhang zwischen beiden Begehren besteht. Ein solcher ist anzunehmen, wenn die Entscheidung über den neuen Anspruch vom Inhalt der bereits rechtskräftig entschiedenen Streitsache abhängig ist (Präjudizialität der rechtskräftigen Entscheidung) oder wenn das Begehren das begriffliche Gegenteil des rechtskräftig entschieden Anspruchs darstellt (SZ 68/103; SZ 68/2 = JBl 1995, 458 [Oberhammer]; 1 Ob 576/92 ua; vgl Fasching, Lehrbuch2 Rz 1518). War im früheren Verfahren ein bestimmtes Rechtsverhältnis zwischen den Streitteilen "als Ganzes" Entscheidungsgegenstand - dies waren hier der vom Beklagten bestrittene, von der Klägerin aber behauptete Bestand des Mietvertrages sowie die jeweils daraus abgeleiteten Zahlungsbegehren -, dann sind im Folgeverfahren ohne Sachverhaltsänderungen abgeleitete (andere oder weitere) Folgerungen durch die Bindungswirkung ausgeschlossen (SZ 68/103; 1 Ob 576/92 ua). Die Präjudizialität der zu 1 C 40/95a des Erstgerichtes erflossenen rechtskräftigen Abweisung der auf eine gerechtfertige Vertragsauflösung gegründeten Ansprüche des Beklagten für den vorliegenden Mietzinszahlungsstreit ist (selbst unter Vernachlässigung jener des stattgebenden Urteils im verbundenen Mietzinszahlungsprozeß 1 C 39/95d des Erstgerichtes) gegeben, weil die zur Abweisung des Zahlungsbegehrens führenden Gründe (Feststellungen und rechtliche Beurteilung über die fehlende Berechtigung der bzw zur Vertragsauflösung) zur Individualisierung des Anspruchs herangezogen werden müssen und insoweit mit dem Spruch in Rechtskraft erwachsen und den Richter im Folgeprozeß auch dann binden, wenn dort die im Vorprozeß festgestellte Hauptfrage als Vorfrage auftaucht (Fasching aaO Rz 1514; Rechberger in Rechberger, ZPO Rz 10 zu § 411; Frauenberger in JBl 1994, 483). Die vom Beklagten als Klagegrund im Vorprozeß 1 C 40/95a des Erstgerichtes behauptete "berechtigte Vertragsauflösung" - welche entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes dort die Hauptfrage gebildet hat - wurde dort verneint. Dies führte - mangels anderer gegen die dort verbundene Mietzinsklage erhobener anspruchsvernichtender Einwendungen - zugleich zur Stattgebung der Mietzinsklage.Eine Bindungswirkung an die Vorentscheidung ist nach der Rechtsprechung dann anzunehmen, wenn sowohl die Identität der Parteien als auch des rechtserzeugenden Sachverhaltes (verbunden mit notwendig gleicher Qualifikation) gegeben sind, aber anstelle der inhaltlichen und wörtlichen Identität der Begehren ein im Gesetz gegründeter Sachzusammenhang zwischen beiden Begehren besteht. Ein solcher ist anzunehmen, wenn die Entscheidung über den neuen Anspruch vom Inhalt der bereits rechtskräftig entschiedenen Streitsache abhängig ist (Präjudizialität der rechtskräftigen Entscheidung) oder wenn das Begehren das begriffliche Gegenteil des rechtskräftig entschieden Anspruchs darstellt (SZ 68/103; SZ 68/2 = JBl 1995, 458 [Oberhammer]; 1 Ob 576/92 ua; vergleiche Fasching, Lehrbuch2 Rz 1518). War im früheren Verfahren ein bestimmtes Rechtsverhältnis zwischen den Streitteilen "als Ganzes" Entscheidungsgegenstand - dies waren hier der vom Beklagten bestrittene, von der Klägerin aber behauptete Bestand des Mietvertrages sowie die jeweils daraus abgeleiteten Zahlungsbegehren -, dann sind im Folgeverfahren ohne Sachverhaltsänderungen abgeleitete (andere oder weitere) Folgerungen durch die Bindungswirkung ausgeschlossen (SZ 68/103; 1 Ob 576/92 ua). Die Präjudizialität der zu 1 C 40/95a des Erstgerichtes erflossenen rechtskräftigen Abweisung der auf eine gerechtfertige Vertragsauflösung gegründeten Ansprüche des Beklagten für den vorliegenden Mietzinszahlungsstreit ist (selbst unter Vernachlässigung jener des stattgebenden Urteils im verbundenen Mietzinszahlungsprozeß 1 C 39/95d des Erstgerichtes) gegeben, weil die zur Abweisung des Zahlungsbegehrens führenden Gründe (Feststellungen und rechtliche Beurteilung über die fehlende Berechtigung der bzw zur Vertragsauflösung) zur Individualisierung des Anspruchs herangezogen werden müssen und insoweit mit dem Spruch in Rechtskraft erwachsen und den Richter im Folgeprozeß auch dann binden, wenn dort die im Vorprozeß festgestellte Hauptfrage als Vorfrage auftaucht (Fasching aaO Rz 1514; Rechberger in Rechberger, ZPO Rz 10 zu Paragraph 411 ;, Frauenberger in JBl 1994, 483). Die vom Beklagten als Klagegrund im Vorprozeß 1 C 40/95a des Erstgerichtes behauptete "berechtigte Vertragsauflösung" - welche entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes dort die Hauptfrage gebildet hat - wurde dort verneint. Dies führte - mangels anderer gegen die dort verbundene Mietzinsklage erhobener anspruchsvernichtender Einwendungen - zugleich zur Stattgebung der Mietzinsklage.

Zutreffend ist daher der Erstrichter der im vorliegenden Mietzinsrechtsstreit erhobenen einzigen Einwendung des Beklagten unter Hinweis auf die Bindung an das dargestellte Ergebnis des Vorprozesses nicht gefolgt und ohne weiteres Verfahren über diese Einwendung, allein aufgrund der Verlesung des Voraktes zur Klagestattgebung gelangt. In Stattgebung des Rekurses der Klägerin war daher gemäß § 519 Abs 2 Satz 3 ZPO das Ersturteil wiederherzustellen.Zutreffend ist daher der Erstrichter der im vorliegenden Mietzinsrechtsstreit erhobenen einzigen Einwendung des Beklagten unter Hinweis auf die Bindung an das dargestellte Ergebnis des Vorprozesses nicht gefolgt und ohne weiteres Verfahren über diese Einwendung, allein aufgrund der Verlesung des Voraktes zur Klagestattgebung gelangt. In Stattgebung des Rekurses der Klägerin war daher gemäß Paragraph 519, Absatz 2, Satz 3 ZPO das Ersturteil wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.Die Kostenentscheidung beruht auf den Paragraphen 41,, 50 ZPO.

Anmerkung

E51988 04A01328

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1998:0040OB00132.98K.1110.000

Dokumentnummer

JJT_19981110_OGH0002_0040OB00132_98K0000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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