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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §71 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Pelant, Dr. Kleiser und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des L H in S, geboren 1981, vertreten durch Mag. Dr. Bernhard Rosenkranz, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Plainstraße 23, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 23. Juli 2003, Zl. 232.888/10-IX/25/03, betreffend Zurückweisung eines Wiedereinsetzungsantrages und einer Berufung in einer Asylangelegenheit (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom 11. Oktober 2002 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab (Spruchpunkt I.) und erklärte gemäß § 8 AsylG seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Bundesrepublik Jugoslawien, Provinz Kosovo, für zulässig (Spruchpunkt II.). Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 23. Oktober 2002 zugestellt.
Der Beschwerdeführer übergab am 6. November 2002 beim Bundesasylamt ein von ihm selbst verfasstes Schreiben in albanischer Sprache.
Nach Vorlage des erstinstanzlichen Aktes samt Übersetzung des Schreibens vom 6. November 2002 hielt die belangte Behörde in einem Aktenvermerk vom 25. November 2002 fest, dass in dem vom Beschwerdeführer abgegebenen Schreiben jeglicher Hinweis auf eine Berufung fehle, daher nicht mit einem Verbesserungsauftrag vorzugehen sei, sondern der Akt an das Bundesasylamt zurückzustellen sei.
Die Fremdenpolizei (Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung) teilte dem Beschwerdeführer mit einem Schreiben vom 18. Februar 2003 mit, dass beabsichtigt sei, ihn aus dem österreichischen Bundesgebiet auszuweisen; in diesem Schreiben wurde u.a. festgehalten, dass der Asylantrag des Beschwerdeführers rechtskräftig abgewiesen worden sei. Dieses Schreiben wurde dem Beschwerdeführer am 20. Februar 2003 vom Gendarmerieposten S übergeben.
Mit einem an das Bundesasylamt (Außenstelle Salzburg) gerichteten Schreiben vom 28. Februar 2003 gab der rechtsfreundliche Beschwerdeführervertreter bekannt, dass er den Beschwerdeführer anwaltlich vertrete; gleichzeitig ersuchte er, ihm die "Berufung" des Beschwerdeführers und die "Antwort des UBAS zu dieser Berufung" per Fax zukommen zu lassen, bzw. um Mitteilung darüber, wie diese "Berufung" zustande gekommen sei. Dieses Schreiben wurde am 2. März 2003 (Sonntag) per Fax übermittelt; es langte (nach dem Eingangsstempel) am 3. März 2003 (Montag) beim Bundesasylamt ein; der Beschwerdeführervertreter nahm - einem am genannten Schreiben befindlichen Vermerk zufolge - beim Bundesasylamt (Außenstelle Salzburg) am 5. März 2003 (Mittwoch) Akteneinsicht.
Mit einem am 18. März 2003 zur Post gegebenen Schriftsatz vom 17. März 2003 stellte der Beschwerdeführer (durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter) einen Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist und erhob gleichzeitig Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid vom 11. Oktober 2002. Zur Rechtzeitigkeit des Wiedereinsetzungsantrages brachte der Beschwerdeführer vor, erst durch die Akteneinsicht seines rechtsfreundlichen Vertreters habe er am 5. März 2003 davon erfahren, dass die Berufungsbehörde sein Schreiben vom 6. November 2002 nicht als Berufung ansehe. Das Hindernis, welches ihn an der Erhebung einer Berufung gehindert habe, sei erst am 5. März 2003 weggefallen.
Mit Bescheid vom 24. März 2003 wies das Bundesasylamt den Wiedereinsetzungsantrag des Beschwerdeführers gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG ab.
Im Verfahren über die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung brachte die belangte Behörde mit einem Schreiben vom 27. Juni 2003 dem Beschwerdeführer zur Kenntnis, dass nach der Aktenlage (und auf Grund des beigeschafften fremdenpolizeilichen Aktes) von der Verspätung des Wiedereinsetzungsantrages auszugehen sei, weil die Frist des § 71 Abs. 2 AVG spätestens am 28. Feber 2003 in Lauf gesetzt worden sei.
Der Beschwerdeführer beantwortete (durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter) diesen Vorhalt mit Stellungnahme vom 16. Juli 2003 dahingehend, "allein aus der bruchstückhaften Schilderung der Vorgänge im Zusammenhang mit der Erhebung der Berufung vom 6.11.2002 und über den Verlauf des Asylverfahrens durch Herrn H I konnte nicht beurteilt werden, ob ein Hindernis zur Erhebung einer Berufung im Sinne des § 71 AVG vorgelegen hat". Wichtige Tatsachensubstrate (wie die "Berufung" und die Aktenvermerke der Behörde erster Instanz und der Berufungsbehörde) hätten gefehlt. Die im Wiedereinsetzungsantrag dargelegten Vorgänge hätten erst durch die Vornahme der Akteneinsicht rekonstruiert werden können.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 23. Juli 2003 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 24. März 2003 mit der Maßgabe ab, dass der Wiedereinsetzungsantrag vom 17. März 2003 gemäß § 71 Abs. 2 AVG als unzulässig zurückgewiesen wird (Spruchpunkt I.). Außerdem wurde die Berufung des Beschwerdeführers vom 17. März 2003 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 11. Oktober 2002 gemäß § 63 Abs. 5 AVG als verspätet zurückgewiesen (Spruchpunkt II.).
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Nach § 71 Abs. 2 AVG muss der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses oder nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Berufung Kenntnis erlangt hat, gestellt werden.
Die belangte Behörde hat sich mit der inhaltlichen Berechtigung des Wiedereinsetzungsantrages nicht auseinander gesetzt, sondern in Erledigung der Berufung des Beschwerdeführers gegen den bezughabenden erstinstanzlichen Bescheid eine ihrer Ansicht nach vorliegende Fristversäumung gemäß § 71 Abs. 2 AVG wahrgenommen. Dabei legte sie zugrunde, dass der Beschwerdeführer bei zumutbarer gehöriger Aufmerksamkeit bereits am 20. Februar 2003 hätte erkennen können, dass "die Asylbehörden davon ausgehen, dass eine seiner Person zurechenbare Berufung nicht vorliegt". Aber selbst wenn man dem Beschwerdeführer zur Kontaktaufnahme mit seinem Rechtsberater eine Fristerstreckung zubillige - so die Begründung der belangten Behörde - sei davon auszugehen, dass sein Vertreter spätestens am 28. Februar 2003 "von der Rechtskraft des Verfahrens in Kenntnis war". Selbst für den Fall eines Fristbeginns mit 28. Februar 2003 sei aber der erst am 18. März 2003 zur Post gegebene Wiedereinsetzungsantrag nach der Aktenlage verspätet.
Dieser Begründung der belangten Behörde ist zu erwidern, dass die bloße "Kenntnis der Rechtskraft" der erstinstanzlichen Entscheidung über den Asylantrag den Wegfall des Hindernisses im Sinne des § 71 Abs. 2 AVG nicht bewirkte, bestand dieses ("Hindernis") doch im vorliegenden Fall in einem Irrtum des Beschwerdeführers darüber, dass die Berufungsbehörde sein Schreiben vom 6. November 2002 nicht als Berufung angesehen (beurteilt) hatte. Darüber, wann dieses "Hindernis" weggefallen ist bzw., wann dieser Tatsachenirrtum aufgeklärt wurde, hat die belangte Behörde keine Feststellungen getroffen. Dass "die Asylbehörden davon ausgehen, dass eine seiner Person (gemeint: dem Beschwerdeführer) zurechenbare Berufung nicht vorliegt", kann dem Schreiben der fremdenpolizeilichen Behörde vom 20. Februar 2003 nicht entnommen werden.
Auch hinsichtlich des hilfsweise herangezogenen (weiteren) Arguments, die Frist des § 71 Abs. 2 AVG sei (spätestens) am 28. Februar 2003 in Lauf gesetzt worden, geht die belangte Behörde nur davon aus, der rechtsfreundliche Vertreter des Beschwerdeführers sei am 28. Februar 2003 "von der Rechtskraft des Verfahrens" in Kenntnis gewesen. "Für die entscheidende Frage, ob der oben genannte Tatsachenirrtum zu diesem Zeitpunkt oder jedenfalls vor der Akteneinsicht am 5. März 2003 aufgeklärt worden ist oder bekannt sein hätte müssen, lässt sich daraus aber nichts gewinnen.
Erwägungen darüber, ob der Beschwerdeführer oder sein Rechtsvertreter allenfalls die Aufklärung des Irrtums schuldhaft verzögert haben, enthält der angefochtene Bescheid im Übrigen nicht.
Insgesamt kann deshalb nach dem Vorgesagten nicht ausgeschlossen werden, dass die belangte Behörde, hätte sie sich in diesem Sinne mit der Rechtzeitigkeit des Wiedereinsetzungsantrages auseinandergesetzt, zum Ergebnis gelangt wäre, dass über diesen inhaltlich hätte entschieden werden müssen.
Die belangte Behörde hat dem Wiedereinsetzungsantrag - dessen letztinstanzliche Zurückweisung durch das vorliegende Erkenntnis rückwirkend aus dem Rechtsbestand beseitigt wird - mit Bescheid vom 7. April 2003, Zl. 202.888/4-IX/25/03, aufschiebende Wirkung zuerkannt. Die (mit Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides erfolgte) Zurückweisung der verspäteten Berufung vor der Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag durch die belangte Behörde entspricht unter diesen Umständen nicht dem Gesetz (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 22. August 2006, Zlen. 2005/01/0643, 0644).
Der angefochtene Bescheid war daher in seinem gesamten Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 13. Oktober 2006
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2003010411.X00Im RIS seit
17.11.2006