Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Dr. Steinbauer sowie durch die fachkundigen Laienrichter KAD Mag. Dr. Jörg Krainhöfner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Helmut Stockinger (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Max D*****, Pensionist, ***** vertreten durch Dr. Peter Gatternig, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, vertreten durch Dr. Anton Paul Schaffer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Pflegegeld, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19. August 1998, GZ 7 Rs 203/98v-23, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 18. März 1998, GZ 18 Cgs 209/96y-17, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Die Beklagte gewährte dem Kläger seit 1. 5. 1994 Pflegegeld der Stufe
5. Mit Bescheid vom 14. 10. 1996 hat sie das Pflegegeld mit der Stufe 3 neu bemessen.
Der Kläger erlitt am 29. 1. 1994 einen subtotalen Infarkt. Seit 20. 5. 1994 befand er sich im Krankenhaus R*****, mußte wegen einer Hemiparese rechts den Rollstuhl benützen und konnte den rechten Arm kaum bewegen; ebenso war das rechte Bein teilweise gelähmt. Er war allgemein entkräftet und konnte nicht reden. Damals bestand die Notwendigkeit einer Betreuung "rund um die Uhr". Demgegenüber hat sich der Zustand des Klägers ab dem Stichtag insoweit gebessert, daß die Entkräftung nicht mehr vorliegt und seit 1. 2. 1995 die Notwendigkeit eines Rollstuhles nicht mehr gegeben ist. Auch eine intensive Betreuung ist nicht mehr notwendig. Der Kläger hat sich an den Zustand insoweit gewöhnt, als er sich gleichsam "umgepolt" hat und die nicht beeinträchtigte Körperhälfte substituiert. Der Kläger kann innerhalb seiner Wohneinheit nicht immer das Bett oder die Sitzgelegenheiten selbständig verlassen. Er erhält von der Heimhilfe Medikamente, die im Durchschnitt dreimal täglich 7,5 Minuten Manipulation erfordern. Eine Psychotherapeutin macht mit dem Kläger Übungen, die darauf abzielen, die gelähmte rechte Körperhälfte zu aktivieren und die nicht gelähmte Hälfte zu entkrampfen und zu lockern. Der Kläger kann keine Stiegen mehr steigen. Er kann in der Wohnung aber mit Stockhilfe gehen, dabei keine Gegenstände von größerem Gewicht tragen. Es muß eine Person anwesend sein, die den Kläger beobachtet, ob er beim Gehen unsicher wird. Weiters benötigt er eine Observanz (Kontrolle auf Zwischenfälle ohne ständige Bereitschaft). Beim Kläger besteht unter Berücksichtigung dieses Zustandes folgender Pflegebedarf: An- und Auskleiden 20 Stunden, tägliche Körperpflege 25 Stunden, Zubereiten von Mahlzeiten 30 Stunden, Verrichtung der Notdurft 30 Stunden, Mobilitätshilfe im engeren Sinn 15 Stunden, Herbeischaffen von Nahrungsmitteln u dgl 10 Stunden, Wohnungsreinigung 10 Stunden, Wäschepflege 10 Stunden, Medikamentenverabreichung (dreimal 7,5 Minuten/Tag) 11,25 Stunden, Observanz 5 Stunden, Mobilitätshilfe im weiteren Sinn 10 Stunden, sohin insgesamt 176,25 Stunden.
Der Kläger begehrt Pflegegeld der Pflegestufe 5 oder zumindest der Pflegestufe 4.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens.
Das Erstgericht sprach dem Kläger im Einklang mit dem Bescheid der Beklagten Pflegegeld der Stufe 3 zu und wies das Mehrbegehren ab.
Das Erstgericht begründete seine Entscheidung damit, daß eine wesentliche Verbesserung schon durch den Wegfall eines Rollstuhles eingetreten sei. Der ursprünglichen Einstufung nach § 8 Z 3 EinstV habe offenbar ein Pflegeaufwand von mehr als 180 Stunden monatlich und ein außergewöhnlicher Pflegeaufwand, wenn ein deutlicher Funktionsausfall der oberen Extremitäten gegeben ist, vorgelegen. Nunmehr liege der Pflegeaufwand knapp aber doch unter 180 Stunden. Daraus ergebe sich aber, daß nur mehr Pflegegeld der Stufe 3 zustehe.Das Erstgericht begründete seine Entscheidung damit, daß eine wesentliche Verbesserung schon durch den Wegfall eines Rollstuhles eingetreten sei. Der ursprünglichen Einstufung nach Paragraph 8, Ziffer 3, EinstV habe offenbar ein Pflegeaufwand von mehr als 180 Stunden monatlich und ein außergewöhnlicher Pflegeaufwand, wenn ein deutlicher Funktionsausfall der oberen Extremitäten gegeben ist, vorgelegen. Nunmehr liege der Pflegeaufwand knapp aber doch unter 180 Stunden. Daraus ergebe sich aber, daß nur mehr Pflegegeld der Stufe 3 zustehe.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge, hob unter Ausspruch, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei, das Ersturteil auf und verwies die Sozialrechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es war der Ansicht, daß das Erstgericht zwar festgestellt habe, daß der Zustand des Klägers sich insoweit gebessert habe, daß die Entkräftung nicht mehr vorliege und auch die Notwendigkeit eines Rollstuhles nicht mehr gegeben sei. Es fehlten aber Feststellungen, aus welchem Grunde seinerzeit Pflegegeld der Stufe 5 gewährt worden sei. Es könnten daher die Verhältnisse zum Gewährungszeitpunkt und zum Zeitpunkt der Neubemessung nicht gegenübergestellt und die rechtliche Beurteilung einer wesentlichen Besserung vorgenommen werden. Demgemäß seien die Gründe und medizinischen Erwägungen, die seinerzeit für die "Verschreibung" des Rollstuhles maßgeblich gewesen seien, festzustellen. Sollte der Rollstuhl von Beginn an nicht gerechtfertigt gewesen sein, dann rechtfertige die nachträgliche Erkenntnis, daß die Voraussetzungen hiefür nicht gegeben waren, nicht die Neubemessung des Pflegegeldes.
Gegen diesen Beschluß richtet sich der Rekurs der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache und dem Antrag, in Abänderung des Aufhebungsbeschlusses in der Sache selbst zu entscheiden und die abweisende Entscheidung des Erstgerichtes wiederherzustellen; hilfsweise sei dem Berufungsgericht die sachliche Entscheidung über die Berufung aufzutragen.
Die klagende Partei stellt den Antrag, in der Sache selbst zu erkennen und der Klage stattzugeben; hilfsweise beantragt sie, dem Rekurs der beklagten Partei keine Folge zu geben.
Der Rekurs ist nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Das Berufungsgericht hat § 9 Abs 2 BPGG mit § 99 Abs 1 ASVG lediglich insoweit verglichen, als in beiden Fällen eine wesentliche Änderung der Verhältnisse Voraussetzung für die Entziehung des Anspruches ist. Es hat aber eindeutig zum Ausdruck gebracht, daß die Entziehung oder Neubemessung des Pflegegeldes sich ausschließlich nach § 9 Abs 2 BPGG richtet. Daß nach den Ausführungen des Berufungsgerichtes § 9 Abs 2 BPGG dem § 99 Abs 1 ASVG inhaltlich entspricht, ist daher in diesem Zusammenhang nicht mißverständlich.Das Berufungsgericht hat Paragraph 9, Absatz 2, BPGG mit Paragraph 99, Absatz eins, ASVG lediglich insoweit verglichen, als in beiden Fällen eine wesentliche Änderung der Verhältnisse Voraussetzung für die Entziehung des Anspruches ist. Es hat aber eindeutig zum Ausdruck gebracht, daß die Entziehung oder Neubemessung des Pflegegeldes sich ausschließlich nach Paragraph 9, Absatz 2, BPGG richtet. Daß nach den Ausführungen des Berufungsgerichtes Paragraph 9, Absatz 2, BPGG dem Paragraph 99, Absatz eins, ASVG inhaltlich entspricht, ist daher in diesem Zusammenhang nicht mißverständlich.
Dem Ergänzungsauftrag des Berufungsgerichtes kann nicht entgegengetreten werden.
Der der Gewährung von Pflegegeld der Stufe 5 zugrundeliegende Pflegeaufwand als Grundlage für die Höhe des Pflegegeldes, der bei einer wesentlichen Änderung zu einer Neubemessung des Pflegegeldes führt, steht in ausreichendem Umfang tatsächlich nicht fest. Da die Verhältnisse im Zeitpunkt der Leistungszuerkennung und nicht die Rechtsgrundlage der seinerzeitigen Gewährung mit denen im Zeitpunkt der Entziehung oder Neubemessung für den anzustellenden Vergleich in Beziehung zu setzen sind, bedarf es neuerlich der Feststellung der für die Zuerkennung wesentlichen Tatsachen (SSV-NF 5/5, 7/2; 10/110). Demgemäß genügt es nicht, nur den körperlichen Zustand zum Zeitpunkt der Gewährung zu dem zum Zeitpunkt der Neubemessung des Pflegegeldes vorliegenden in Beziehung zu setzen, wie dies das Erstgericht tat, sondern es sind die Änderungen im Pflegebedarf, der für das Ausmaß der Pflegegeldstufe maßgeblich ist, zueinander in Beziehung zu setzen, um daraus ableiten zu können, ob eine wesentliche Besserung eingetreten ist.
Die Feststellung, daß zum Gewährungszeitpunkt ein Rollstuhl benützt werden mußte, der Kläger den rechten Arm kaum bewegen konnte, das rechte Bein teilweise gelähmt, der Kläger allgemein entkräftet war, nicht reden konnte und daß die Notwendigkeit einer Betreuung "rund um die Uhr" bestand, drängte dem Erstgericht offenbar die diagnosebezogene Einstufung nach § 8 Z 3 EinstV auf ("offenbar" Seite 5 Urteil des Erstgerichtes). Das Erstgericht hat aber nicht die dafür weiter erforderliche Voraussetzung, ob der selbständige Transfer in und aus dem Rollstuhl wegen eines deutlichen Ausfalles von Funktionen der oberen Extremitäten nicht mehr möglich war, festgestellt (SZ 70/83 = SSV-NF 11/54; 10 ObS 241/97g). Es steht daher gar nicht fest, ob der Kläger überhaupt zum Gewährungszeitpunkt auf die Hilfe des Rollstuhles zur Erweiterung seines Bewegungsradius angewiesen war (ZAS 1998/4).Die Feststellung, daß zum Gewährungszeitpunkt ein Rollstuhl benützt werden mußte, der Kläger den rechten Arm kaum bewegen konnte, das rechte Bein teilweise gelähmt, der Kläger allgemein entkräftet war, nicht reden konnte und daß die Notwendigkeit einer Betreuung "rund um die Uhr" bestand, drängte dem Erstgericht offenbar die diagnosebezogene Einstufung nach Paragraph 8, Ziffer 3, EinstV auf ("offenbar" Seite 5 Urteil des Erstgerichtes). Das Erstgericht hat aber nicht die dafür weiter erforderliche Voraussetzung, ob der selbständige Transfer in und aus dem Rollstuhl wegen eines deutlichen Ausfalles von Funktionen der oberen Extremitäten nicht mehr möglich war, festgestellt (SZ 70/83 = SSV-NF 11/54; 10 ObS 241/97g). Es steht daher gar nicht fest, ob der Kläger überhaupt zum Gewährungszeitpunkt auf die Hilfe des Rollstuhles zur Erweiterung seines Bewegungsradius angewiesen war (ZAS 1998/4).
Entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes könnte aber auch das Fehlen der Voraussetzungen einer diagnosebezogenen Einstufung eines Rollstuhlfahrers nach § 8 Z 3 EinstV im Gewährungszeitpunkt noch nicht die Anwendung der Rechtsprechung rechtfertigen, daß bei Fehlen einer diagnosebezogenen Einstufung das nachträgliche Erkenntnis, daß die Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch aus diesem Grunde nicht vorhanden waren, die Entziehung nicht rechtfertigt, weil keine entscheidende Veränderung in den Verhältnissen eingetreten ist (SSV-NF 5/5, 7/2, 10/110).Entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes könnte aber auch das Fehlen der Voraussetzungen einer diagnosebezogenen Einstufung eines Rollstuhlfahrers nach Paragraph 8, Ziffer 3, EinstV im Gewährungszeitpunkt noch nicht die Anwendung der Rechtsprechung rechtfertigen, daß bei Fehlen einer diagnosebezogenen Einstufung das nachträgliche Erkenntnis, daß die Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch aus diesem Grunde nicht vorhanden waren, die Entziehung nicht rechtfertigt, weil keine entscheidende Veränderung in den Verhältnissen eingetreten ist (SSV-NF 5/5, 7/2, 10/110).
Es kommt nämlich gar nicht darauf an, ob die Gewährung der Leistung diagnosebezogen erfolgte. Im Rahmen der Entscheidung über die Herabsetzung einer Pflegegeldleistung sind nur die objektiven Grundlagen im Tatsächlichen für den seinerzeitigen Anspruch selbständig zu prüfen und die für die Zuerkennung wesentlichen Tatsachen festzustellen (SSV-NF 10/110 ua). Ob daraus in rechtlicher Hinsicht ein diagnosebezogener Anspruch nach §§ 7, 8 EinstVO oder ein funktionsbezogener nach §§ 1, 2 EinstVO abzuleiten ist, ist nicht entscheidend. Ausgehend von den Tatsachengrundlagen ist dann selbständig zu beurteilen, ob die objektiven Grundlagen für die seinerzeitige Leistungszuerkennung sich so wesentlich verbessert haben (SSV-NF 9/52, ZAS B 1998, 29 ua), daß sich eine Veränderung im Anspruch auf eine andere Pflegegeldstufe ergeben hat (Gruber/Pallinger, BPGG Rz 8 zu § 9; Pfeil BPGG 129).Es kommt nämlich gar nicht darauf an, ob die Gewährung der Leistung diagnosebezogen erfolgte. Im Rahmen der Entscheidung über die Herabsetzung einer Pflegegeldleistung sind nur die objektiven Grundlagen im Tatsächlichen für den seinerzeitigen Anspruch selbständig zu prüfen und die für die Zuerkennung wesentlichen Tatsachen festzustellen (SSV-NF 10/110 ua). Ob daraus in rechtlicher Hinsicht ein diagnosebezogener Anspruch nach Paragraphen 7,, 8 EinstVO oder ein funktionsbezogener nach Paragraphen eins,, 2 EinstVO abzuleiten ist, ist nicht entscheidend. Ausgehend von den Tatsachengrundlagen ist dann selbständig zu beurteilen, ob die objektiven Grundlagen für die seinerzeitige Leistungszuerkennung sich so wesentlich verbessert haben (SSV-NF 9/52, ZAS B 1998, 29 ua), daß sich eine Veränderung im Anspruch auf eine andere Pflegegeldstufe ergeben hat (Gruber/Pallinger, BPGG Rz 8 zu Paragraph 9 ;, Pfeil BPGG 129).
Die Rekursausführungen, daß der Pflegeaufwand von 180 Stunden zuzüglich eines außergewöhnlichen Pflegeaufwandes zum Zeitpunkt der Gewährung vorlag und der Gewährung von Pflegegeld der Stufe 5 nach § 4 Abs 2 BPGG zugrundelag, sind allerdings durch die Feststellungen der Tatsacheninstanzen nicht gedeckt.Die Rekursausführungen, daß der Pflegeaufwand von 180 Stunden zuzüglich eines außergewöhnlichen Pflegeaufwandes zum Zeitpunkt der Gewährung vorlag und der Gewährung von Pflegegeld der Stufe 5 nach Paragraph 4, Absatz 2, BPGG zugrundelag, sind allerdings durch die Feststellungen der Tatsacheninstanzen nicht gedeckt.
Der Beschluß des Berufungsgerichtes war daher zu bestätigen. Es schadet mangels Vorliegens einer vollständigen Feststellungsgrundlage auch nicht, daß das Berufungsgericht die Tatsachenrüge der Berufung noch nicht erledigt hat.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.Der Kostenvorbehalt beruht auf Paragraph 52, Absatz eins, ZPO.
Anmerkung
E52591 10C03878European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1998:010OBS00387.98D.1215.000Dokumentnummer
JJT_19981215_OGH0002_010OBS00387_98D0000_000