TE Vfgh Beschluss 2002/6/17 KV1/01

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Veröffentlicht am 17.06.2002
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Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art148a
B-VG Art148i
Stmk L-VG §35

Leitsatz

Zurückweisung des über den konkreten Anlaßfall hinausgehenden sowie undifferenzierten allgemeinen Antrags auf Feststellung der Zuständigkeit der Volksanwaltschaft zur uneingeschränkten Kontrolle des Vollzugsbereichs des UVS Steiermark; Unzulässigkeit einer abstrakten Zuständigkeitsfeststellung; keine reduzierende Auslegung des Antrags möglich

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. 1. Aufgrund einer bei der Volksanwaltschaft am 6. Juli 2000 eingelangten Eingabe leitete diese gemäß Art148a Abs1 B-VG ein Verfahren zur Prüfung der Frage ein, ob die Abweisung einer Berufung gegen einen Strafbescheid einer Bezirkshauptmannschaft wegen Verletzung des Abfallwirtschaftsgesetzes durch den Unabhängigen Verwaltungssenat für die Steiermark (im folgenden: UVS) vom 8. Februar 2000 einen Mißstand in der Verwaltung darstelle und forderte mit Schreiben vom 3. November 2000 den UVS zur Aktenvorlage auf. In seiner Antwort vom 9. November 2000 führte der Vorsitzende des UVS unter anderem aus:

"Zunächst möchte ich grundsätzlich festhalten, dass nach Ansicht des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark eine Zuständigkeit der Volksanwaltschaft für eine Nachprüfung von Entscheidungen Unabhängiger Verwaltungsssenate nicht gegeben ist. Dazu kommt im ggst. Fall zusätzlich, dass der nunmehrige Beschwerdeführer im seinerzeitigen Berufungsverfahren anwaltlich vertreten war und ihm die Möglichkeit offen gestanden wäre, eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben."

Über erneutes Ersuchen um Zurverfügungstellung des Verwaltungsaktes übermittelte der UVS sodann am 27. November 2000 den Akt zur Einsichtnahme; der Akt wurde nach Herstellung einer Kopie durch die Volksanwaltschaft dem UVS rückübermittelt.

Wie sich aus dem Akt der Volksanwaltschaft ergibt, erachtete diese die Erledigung des UVS für rechtswidrig und plante eine Mißstandsfeststellung und Empfehlung auf Aufhebung des Bescheides durch den UVS. Im Hinblick auf die vom UVS im erwähnten Schreiben vom 9. November 2000 vertretene Ansicht und die der Volksanwaltschaft aus einem früheren Verfahren bekannte Auffassung der Steiermärkischen Landesregierung, derzufolge Akte der Rechtsprechung des UVS nicht der Prüfungskompetenz der Volksanwaltschaft unterliegen (wiedergegeben in VfSlg. 14.697/1996, S 677 f.), wandte sich die Volksanwaltschaft an die Steiermärkische Landesregierung und ersuchte diese um Darlegung ihres Rechtsstandpunktes; für den Fall, daß die Landesregierung an ihrer seinerzeit vertretenen Auffassung festhalten sollte, wurde unter Hinweis auf Art148f B-VG gebeten, eine Entscheidung der Steiermärkischen Landesregierung in Beschlußform herbeizuführen.

Am 5. März 2001 langte bei der Volksanwaltschaft nachstehende Stellungnahme der Steiermärkischen Landesregierung vom 28. Februar 2001 ein:

"In Beantwortung Ihres an Frau Landeshauptmann Waltraud Klasnic ergangenen Schreibens vom 18. Jänner 2001, obige Zahl, darf auf Grund des Beschlusses der Steiermärkischen Landesregierung vom 26.02.2001 in der gegenständlichen Beschwerdeangelegenheit wie folgt Stellung genommen werden:

Die Steiermärkische Landesregierung vertritt nach wie vor die Auffassung, dass der Volksanwaltschaft keine Prüfungskompetenz bezüglich der Rechtsprechung der Unabhängigen Verwaltungssenate zukommt, wohl aber bezüglich des Umfeldes der Entscheidungstätigkeit, z. B. in organisatorischen Angelegenheiten.

Zur Begründung darf auf die Ausführungen im Schreiben der Steiermärkischen Landesregierung vom 16. April 1996, GZ VD - 21.08-1/93-12, verwiesen werden. Die darin enthaltene Rechtsauffassung der Steiermärkischen Landesregierung ist unverändert: Es ist weiterhin anzunehmen, dass die Zurechnung der Unabhängigen Verwaltungssenate zur Verwaltung anhand rein formeller Kriterien im gegebenen Zusammenhang problematisch ist."

2. Am 7. Mai 2001 stellte sodann die Volksanwaltschaft aufgrund eines am 26. April 2001 gefaßten Kollegialbeschlusses den Antrag,

"der Verfassungsgerichtshof möge feststellen, dass der Vollzugsbereich des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark uneingeschränkt in die Zuständigkeit zur Kontrolle gemäß Art148a Abs1 und 2 iVm Art148i Abs1 B-VG und §35 des Landes-Verfassungsgesetzes Steiermark durch die Volksanwaltschaft fällt".

Sie begründete diesen Antrag folgendermaßen:

"Gemäß §35 des Landes-Verfassungsgesetzes in der Fassung des ArtI Z9 des Landesverfassungsgesetzes vom 29. Juni 1982, LGBl. Nr. 58, iVm Art148i Abs1 B-VG erklärte das Land Steiermark die Volksanwaltschaft für den Bereich der Verwaltung des Landes Steiermark für zuständig.

Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark ist eine weisungsfreie Verwaltungsbehörde gemäß Art129a B-VG des Landes Steiermark, die der Kontrolle der Volksanwaltschaft gemäß Art148a B-VG unterliegt (vgl Muhr, Die Zuständigkeit der Volksanwaltschaft zur Prüfung der Unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern, JRP 1993, 85 [85 f]), der die Volksanwaltschaft gemäß Art148c 2. Satz B-VG Empfehlungen für die in einem bestimmten Fall oder aus Anlass eines bestimmten Falles zu treffenden Maßnahmen erteilen kann (Mayer, B-VG² [1997] Art148c B-VG II; Kucsko-Stadlmayer, Die Volksanwaltschaft als Rechtsschutzeinrichtung, in: 75 Jahre Bundesverfassung [1995] 558 [564]).

Die von der Steiermärkischen Landesregierung am 16. April 1996 geäußerte, und mit Beschluss vom 26. Februar 2001 bekräftigte Rechtsansicht, dass einer umfassenden Prüfungskompetenz der Volksanwaltschaft 'inhaltliche Kriterien' entgegenstünden, findet keine Deckung in der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes. Wie dieser in seinem Beschluss vom 19. März 1993, B19/93, Ki-1/93, festhielt, sind Unabhängige Verwaltungssenate als 'Verwaltungsbehörden' eingerichtet. Ausdrücklich hält der Verfassungsgerichtshof auch in seinem Beschluss vom 14. Juni 1993, G68/92, fest, dass 'die Unabhängigen Verwaltungssenate nicht Gerichte, sondern Verwaltungsbehörden im Sinne des B-VG' sind (vgl dazu auch Beschluss des VfGH vom 28.11.1994, Ki-5/[9]4; vom 13.6.1995, B1669/95; vom 7.3.1994, B115/93; vom 19.6.1995, G183/94, G212/94 sowie die Erkenntnisse VfSlg 14.555 und 14.985).

Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Kompetenzfeststellungserkenntnis vom 18. Dezember 1992, KV 1/91, zum Begriff Verwaltung im Sinne des Art148a B-VG festgehalten, dass 'gewichtigere Gründe für die organisatorische Deutung sprechen', womit ebenfalls klargestellt wurde, dass sich die Zuständigkeit der Volksanwaltschaft auf die gesamte Verwaltungstätigkeit des Bundes erstreckt. Auf Grund des §35 Landes-Verfassungsgesetz Steiermark muss dies nach Ansicht der Volksanwaltschaft auch für die Steiermärkische Landesverwaltung und deren Landesbehörden gelten, ..."

3. Die Steiermärkische Landesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie zunächst darlegte, daß der UVS im Anlaßfall funktionell als Landesorgan tätig wurde und daß die Steiermark durch §35 ihres Landes-Verfassungsgesetzes (Stmk. L-VG) von der Ermächtigung des Art148i B-VG Gebrauch gemacht und die Volksanwaltschaft für den Bereich der Verwaltung des Landes für zuständig erklärt habe. Sie legte sodann - mit umfassender Begründung - dar, daß ihrer Ansicht nach die Inhalte von Entscheidungen eines UVS nicht als "Verwaltung" im Sinn des Art148a Abs1 B-VG und des §35 Stmk. L-VG zu qualifizieren seien, was sich aus der historischen Entwicklung, der verfassungsrechtlichen Sonderstellung der UVS im Bereich der Verwaltung und aus den Anforderungen des Art6 EMRK ergebe.

II. Der Antrag ist unzulässig.

1. Der Verfassungsgerichtshof ist gemäß Art148f iVm Art148i B-VG und §35 Stmk. L-VG zur Entscheidung über Meinungsverschiedenheiten zwischen der Volksanwaltschaft und der Steiermärkischen Landesregierung über die Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen berufen, die die Zuständigkeit der Volksanwaltschaft regeln. Die näheren Regelungen darüber (Art148j B-VG) trifft das VfGG: Nach dessen §36g sind auf solche Verfahren die Bestimmungen über die Entscheidung von Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung von gesetzlichen Regelungen über die Zuständigkeit des Rechnungshofes (§§36a bis 36e VfGG) anzuwenden.

Aus diesen Bestimmungen geht - wie der Verfassungsgerichtshof in seiner Entscheidung VfSlg. 14.697/1996 unter Bezugnahme auf Literatur und Vorjudikatur ausführlich dargelegt hat - hervor, daß der Verfassungsgerichtshof nicht berufen ist, über abstrakte Meinungsverschiedenheiten zwischen der Volksanwaltschaft und einem obersten Organ der ihrer Kontrolle unterliegenden Gebietskörperschaft zu entscheiden und daß eine Meinungsverschiedenheit über die Auslegung einer gesetzlichen Vorschrift, die die Zuständigkeit der Volksanwaltschaft regelt, an den Verfassungsgerichtshof nur aus Anlaß eines anhängigen Kontrollverfahrens herangetragen werden kann. Anders als in dem mit dem eben zitierten Beschluß des Verfassungsgerichtshofes entschiedenen Verfahren hat die Volksanwaltschaft vorliegend ihr Prüfungsverfahren unterbrochen und aus dessen Anlaß den Antrag auf Entscheidung einer Meinungsverschiedenheit an den Verfassungsgerichtshof herangetragen. Der Antrag geht jedoch weit über den Anlaßfall hinaus und ist überdies allgemein und undifferenziert formuliert.

Im konkreten Fall besteht offenbar eine Meinungsverschiedenheit (bloß) hinsichtlich der Frage, ob die Volksanwaltschaft zuständig ist, einen Bescheid des UVS, der vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts nicht bekämpft wurde, nach Ablauf der Beschwerdefrist auf seine Rechtmäßigkeit zu überprüfen, ob also die Volksanwaltschaft nach Ablauf der Beschwerdefrist eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes insofern gewissermaßen substituieren darf. Indem die Volksanwaltschaft dies zum Anlaß nimmt, generell den Antrag zu stellen, der Verfassungsgerichtshof möge erkennen, "dass der Vollzugsbereich des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark uneingeschränkt in die Zuständigkeit zur Kontrolle ... durch die Volksanwaltschaft fällt", begehrt sie - anders als etwa in jenem Antrag, der zur Entscheidung VfSlg. 14.139/1995 geführt hat - nicht bloß die Klärung der Meinungsverschiedenheit über ihre Zuständigkeit im den mit dem Anlaßfall zusammenhängenden Umfang. Vielmehr begehrt sie - zwar aus einem konkreten Anlaßfall heraus, aber mit der Intention einer darüber hinausgehenden Klärung der Zuständigkeit - insofern einen Abspruch über eine abstrakte Meinungsverschiedenheit.

Dem Verfassungsgerichtshof ist es nicht möglich, auf den umfassenden und nicht auf die Klärung der konkreten Meinungsverschiedenheit eingeschränkten Antrag eine inhaltliche Antwort zu geben, da ganz unterschiedliche Konstellationen möglich sind, in denen sich die Frage der Zuständigkeit der Volksanwaltschaft zur Kontrolle der Tätigkeit eines UVS stellen kann, auf die möglicherweise unterschiedlich zu antworten ist. Gerade der Hintergrund des dem Verfahren zugrundeliegenden Falles, in dem es um die konkrete Frage der Zulässigkeit der Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Bescheides des UVS durch die Volksanwaltschaft geht, der mit Beschwerde an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts anfechtbar war, aber nicht angefochten wurde, belegt dies anschaulich. Selbst wenn man mit der antragstellenden Volksanwaltschaft davon ausgeht, daß auch im Falle der Anrufbarkeit des Verwaltungsgerichtshofes eine Kontrolle durch die Volksanwaltschaft in Betracht kommt, könnte die Frage nach der Zuständigkeit zur Kontrolle anders zu beantworten sein, wenn (wie in jenem Kontrollverfahren, das der Volksanwaltschaft Anlaß zur Antragstellung gab) ein derartiger Rechtsbehelf nicht ergriffen wurde, als etwa nach erfolgter Anfechtung oder auch nur während des Laufes der Anfechtungsfrist. Die Volksanwaltschaft strebt aber eine (einheitliche) Antwort auf eine umfassend formulierte Frage an, die nicht nur die oben genannten unterschiedlichen Konstellationen außer Betracht läßt, sondern auch - um nur Beispiele zu nennen - so unterschiedliche Probleme betrifft, wie etwa jene, ob eine bestimmte Ablauforganisation des UVS als Mißstand gedeutet werden kann, ob die Geschäftsverteilung des UVS für eine effektive Geschäftsabwicklung und gleichmäßige Belastung der Mitglieder geeignet ist oder ob der UVS in einer konkreten Sache rechtmäßig, zeitgerecht oder mit ausreichender Begründung entschieden hat.

Da der umfassend formulierte Antrag daher nicht nur die Klärung einer Meinungsverschiedenheit über die Zuständigkeit der Volksanwaltschaft in einem konkreten Anlaßfall, sondern darüber hinaus die Klärung ganz unterschiedlicher Fragen begehrt und damit auch Elemente einer abstrakten Feststellung der Zuständigkeit enthält, konnte der Verfassungsgerichtshof den Antrag, so wie er gestellt wurde, nicht meritorisch erledigen.

Dem Verfassungsgerichtshof ist es aber auch verwehrt, den Antrag der Volksanwaltschaft aus dem Anlaßfall heraus in bestimmter Weise reduzierend zu deuten und - den Antragsteller insofern substituierend - die Zuständigkeit der Volksanwaltschaft bloß im Hinblick auf jene konkrete Meinungsverschiedenheit zu klären, die im Anlaßverfahren für die Volksanwaltschaft möglicherweise in Betracht kommt. Denn der Verfassungsgerichtshof ist insoweit an den Antrag zur Feststellung einer Meinungsverschiedenheit über die Zuständigkeit gebunden.

Der Antrag der Volksanwaltschaft war daher als unzulässig zurückzuweisen.

2. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lita VfGG in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Auslegung eines Antrages, Unabhängiger Verwaltungssenat, VfGH / Antrag, VfGH / Kompetenzfeststellung, Volksanwaltschaft, Bindung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2002:KV1.2001

Dokumentnummer

JFT_09979383_01KV0001_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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