TE Vwgh Erkenntnis 2006/10/17 2005/20/0210

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Veröffentlicht am 17.10.2006
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §45 Abs3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl sowie die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher und Dr. Berger und die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde der Bundesministerin für Inneres gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 23. Februar 2005, Zl. 245.409/6- III/09/04, betreffend Behebung eines zurückweisenden Bescheides gemäß § 66 Abs. 2 AVG in einem Wiedereinsetzungsverfahren (mitbeteiligte Partei: E, geboren 1975, W) zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Das Aufwandersatzbegehren der mitbeteiligten Partei wird abgewiesen.

Begründung

Der Asylantrag des Mitbeteiligten, eines nigerianischen Staatsangehörigen, wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 6. Oktober 2003 gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997 (AsylG) abgewiesen und gemäß § 8 AsylG die Zulässigkeit seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria festgestellt. Der Bescheid wurde dem Mitbeteiligten an der aktenkundigen Abgabestelle in 1150 Wien, Kannegasse 1/13, zweimal erfolglos zuzustellen versucht und danach beim Postamt (Beginn der Abholfrist: 17. November 2003) hinterlegt. Die Sendung ist am 5. Dezember 2003 an das Bundesasylamt mit dem Vermerk "nicht behoben" rückgelangt.

Der Bescheid (samt Übersetzung des Spruches und der Rechtsmittelbelehrung) wurde dem Mitbeteiligten am 9. Dezember 2003 beim Bundesasylamt ausgefolgt. Dazu wurde (unterhalb der Unterschrift des Mitbeteiligten) in einem von einer Bediensteten des Bundesasylamtes unterfertigten Aktenvermerk ergänzend festgehalten:

"AW-Bescheid wurde mit folgendem Vermerk ausgefolgt:

'Bescheid durch Hinterlegung am 02.12.2003 rechtskräftig.'

"

Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte die am 11. Dezember 2003 per Telefax eingebrachte Berufung, in der unter Hinweis auf die Ausfolgung des Bescheides an den Mitbeteiligten am 9. Dezember 2003 von deren Einbringung "in offener Frist" ausgegangen wurde. Diese Berufung wurde in der Folge - ausgehend von der Wirksamkeit der Bescheidzustellung an den Mitbeteiligten durch Hinterlegung mit 17. November 2003 - mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 13. September 2004 als verspätet zurückgewiesen.

Bereits am 29. Juni 2004 hatte der Mitbeteiligte mit dem per Telefax an das Bundesasylamt übermittelten Schriftsatz einen näher begründeten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist gestellt, den er mit dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung verband. Unter dem Gesichtspunkt der Rechtzeitigkeit brachte er vor, die ihm übergebene Bescheidausfertigung sei (nur) mit dem Vermerk "persönlich ausgefolgt am 9.12.2003" versehen worden. Der Mitbeteiligte sei daher - weil kein anderes Datum vermerkt gewesen sei - vom Beginn der Rechtsmittelfrist mit diesem Zeitpunkt ausgegangen. In diesem Glauben habe er sich zwei Tage später zu "Asyl in Not" begeben, mit deren Hilfe er noch am gleichen Tag Berufung erhoben habe. Erst als sich der Mitbeteiligte im Wege der Caritas am 25. Juni 2004 nach dem Verfahrensstand erkundigt habe, sei ihm mitgeteilt worden, dass sein Verfahren "mit 2.12.2003 rechtskräftig negativ abgeschlossen sei". Darüber sei er angesichts der sofortigen Erhebung einer Berufung nach Ausfolgung des Bescheides sehr verwundert gewesen. Er habe sich bis dahin im Glauben befunden, dass sein Asylverfahren noch anhängig sei. Das Hindernis im Sinne des § 71 Abs. 2 AVG sei erst mit der Information am 25. Juni 2004 weggefallen und der Antrag daher rechtzeitig.

Das Bundesasylamt wies diesen Wiedereinsetzungsantrag mit Bescheid vom 12. Oktober 2004 gemäß § 71 Abs. 2 AVG als verspätet zurück (Spruchpunkt I.) und erkannte dem Antrag gemäß § 71 Abs. 6 AVG die aufschiebende Wirkung zu. (Spruchpunkt II.) Den - hier interessierenden - Spruchpunkt I. begründete die Erstbehörde nur damit, der Übernahmsbestätigung vom 9. Dezember 2003 sei zu entnehmen, dass der Bescheid mit dem Vermerk "Bescheid durch Hinterlegung am 02.12.2003 rechtskräftig" versehen worden sei. Der Mitbeteiligte sei somit nachweislich ab 9. Dezember 2003 über den rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens in Kenntnis gewesen, weshalb an diesem Tag die zweiwöchige Frist zur Einbringung eines Wiedereinsetzungsantrages begonnen und am 23. Dezember 2003 geendet habe.

In der dagegen erhobenen Berufung bestritt der Mitbeteiligte erneut, dass auf dem Bescheid ein solcher Vermerk vorhanden gewesen sei. Es sei lediglich das Datum der Ausfolgung vermerkt gewesen. Auch den Beratern bei "Asyl in Not" sei der Vermerk nicht aufgefallen, andernfalls wäre - weil ihnen die Bestimmungen über Berufungsfristen und Fristenlauf bekannt seien - sofort ein Wiedereinsetzungsantrag (und nicht nur eine Berufung) eingebracht worden. Dem Mitbeteiligten sei daher erst am 25. Juni 2004 bekannt geworden, dass das Asylverfahren rechtskräftig negativ entschieden sei. Den Antrag auf Wiedereinsetzung vom 29. Juni 2004 habe er daher fristgerecht gestellt.

Mit dem angefochten Bescheid der belangten Behörde vom 23. Februar 2005 wurde in Erledigung der Berufung Spruchpunkt I. dieses Bescheides gemäß § 66 Abs. 2 AVG behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen. Die belangte Behörde begründete dies - neben Ausführungen zur Ermessensübung nach § 66 Abs. 3 AVG - im Wesentlichen damit, dass die Erstbehörde jeglichen Versuch unterlassen habe, die Behauptungen des Mitbeteiligten zu verifizieren, wonach sich auf dem ausgefolgten Bescheid tatsächlich kein Vermerk über die bereits am 2. Dezember 2003 eingetretene Rechtskraft befunden habe, wobei eine Einvernahme des Mitbeteiligten "unter gleichzeitiger Vorlage des ausgefolgten Bescheides" mit "eingehender Auseinandersetzung hinsichtlich des Zeitpunktes der Kenntnis der Verspätung der eingebrachten Berufung erforderlich" sei.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde der Bundesministerin für Inneres, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde und Erstattung einer Gegenschrift durch den Mitbeteiligten, in der er die Abweisung der Amtsbeschwerde und den Zuspruch von Aufwandersatz beantragte, erwogen hat:

Gemäß § 71 Abs. 2 AVG muss der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen zwei Wochen - soweit fallbezogen relevant - "nach dem Wegfall des Hindernisses" gestellt werden. Unter diesem Gesichtspunkt erachteten es sowohl die Asylbehörden als auch die beschwerdeführende Bundesministerin für entscheidungswesentlich, ob sich auf der dem Mitbeteiligten ausgefolgten Bescheidausfertigung ein Vermerk befand, aus dem sich die mit 2. Dezember 2003 eingetretene Rechtskraft des Bescheides ergab, oder nicht. Dafür spricht der Inhalt des wiedergegebenen Aktenvermerkes, dessen Richtigkeit allerdings vom Mitbeteiligten im Wiedereinsetzungsantrag und in der Berufung gegen den erstinstanzlichen zurückweisenden Bescheid ausdrücklich bestritten wurde.

Dem von der belangten Behörde zur Begründung der Bescheidbehebung erhobenen Vorwurf, die Erstbehörde habe sich mit diesen Behauptungen des Mitbeteiligten überhaupt nicht auseinander gesetzt, hält die Amtsbeschwerde im Wesentlichen Folgendes entgegen:

Der Aktenvermerk über die Anbringung des strittigen "Rechtskraftvermerkes" sei von einer "seit Jahrzehnten" beim Bundesasylamt tätigen Beamtin verfasst worden. Dem stehe die davon abweichende Behauptung des Mitbeteiligten, die er durch kein Beweisanbot (etwa durch Vorlage des Bescheides) untermauert habe, gegenüber, die "zumindest eine Anschuldigung einer nicht korrekten Amtsausübung der Beamtin indiziert". Die Beamtin habe aber einen Diensteid abgelegt und würde sich durch einen vorsätzlich falschen Vermerk dem Verdacht eines strafrechtlichen Verhaltens aussetzen. Für ein derartiges Vorgehen sei kein Grund ersichtlich, während es beim Mitbeteiligten um die Weiterführung des Asylverfahrens und damit um seinen Verbleib in Österreich gehe, "er also sehr wohl Vorteile zu verzeichnen hat, wenn er sich nicht an die Wahrheit hält." Angesichts dieser Beweislage sei eine Beweiswürdigung dahingehend, dass den Ausführungen der eigenen Beamtin mehr Glauben geschenkt werde als dem Mitbeteiligten schlüssig und bedürfe keiner weiteren Einvernahme.

Diesen Ausführungen ist zunächst entgegen zu halten, dass das Bundesasylamt in seinem zurückweisenden Bescheid derartige beweiswürdigende Überlegungen nicht angestellt, sondern sich mit dem Vorbringen des Mitbeteiligten - wie die belangte Behörde zu Recht bemängelte - überhaupt nicht auseinander gesetzt hat. Aus welchen Gründen das Bundesasylamt das die inhaltliche Richtigkeit des Aktenvermerkes ausreichend konkret bestreitende Vorbringen des Mitbeteiligten für irrelevant angesehen hat, lässt sich dem erstinstanzlichen Bescheid nicht entnehmen und war daher für die belangte Behörde nicht nachvollziehbar.

Dass dieses Parteienvorbringen aber einer beweiswürdigenden Beurteilung zu unterziehen gewesen wäre, scheint nunmehr auch die Amtsbeschwerde nicht in Frage zu stellen. Dem diesbezüglichen Beschwerdevorbringen ist aber zu entgegnen, dass die zum Wahrheitsgehalt von Angaben eines Beamten im Verhältnis zu jenen eines Asylwerbers vorgetragenen typisierenden Plausibilitätserwägungen eine Beweiswürdigung unter Bedachtnahme auf die konkreten Umstände des Einzelfalles nicht entbehrlich machen. Demnach wären - selbst wenn die belangte Behörde solche oder ähnliche Überlegungen wie in der Amtsbeschwerde angestellt hätte - Ermittlungen zur Prüfung der Richtigkeit des Vorbringens zur Rechtzeitigkeit des Wiedereinsetzungsantrages anzustellen gewesen (vgl. zum Ganzen auch das ein ähnliches Amtsbeschwerdevorbringen zur bestrittenen Richtigkeit der Eintragungen in einem Rückschein behandelnde Erkenntnis vom 25. April 2006, Zlen. 2006/19/0393 bis 0395).

Dem Aktenvermerk kommt - entgegen der Beschwerdemeinung - nämlich nicht schon allein deshalb die "erforderliche Beweiskraft" zu, weil der Mitbeteiligte den ihm ausgefolgten Bescheid nicht von sich aus vorgelegt hat. Das wurde dem Mitbeteiligten vom Bundesasylamt nämlich weder vorgehalten, noch wurde er - was naheliegend gewesen wäre - dazu von der Erstbehörde aufgefordert, sodass bislang unklar ist, ob der Mitbeteiligte dem überhaupt (noch) nachkommen könnte und welche Glaubwürdigkeit allfälligen Rechtfertigungsgründen für eine Nichtvorlage zuzubilligen wäre. Von daher ist es nicht zu beanstanden, wenn die belangte Behörde aus ihrer Sicht die bisherige Sachverhaltsermittlung als so mangelhaft angesehen hat, dass ihr zur Klärung dieser Fragen auch eine Vernehmung des Mitbeteiligten, und wie hinzuzufügen ist, allenfalls auch eines Mitarbeiters von "Asyl in Not" und der den Aktenvermerk verfassenden Beamtin, unvermeidlich erschienen ist, und sie deshalb die Voraussetzungen für eine Bescheidbehebung gemäß § 66 Abs. 2 AVG für gegeben erachtete.

Davon ausgehend ist aber auch nicht zu erkennen, dass die bekämpfte Bescheidaufhebung im Verhältnis zur Verfahrensführung vor der belangten Behörde - wie die beschwerdeführende Bundesministerin meint - "zu erheblichen Verfahrensverzögerungen und Mehrkosten" führen werde.

Die Amtsbeschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Dem Begehren des (unvertretenen) Mitbeteiligten, ihm für die Gegenschrift "den pauschalierten Kostenersatzanspruch" zuzuerkennen, kommt - trotz seines Obsiegens (vgl. § 47 Abs. 3 VwGG) - keine Berechtigung zu, weil nach § 49 Abs. 1 letzter Satz VwGG Schriftsatzaufwand nur dann gebührt, wenn der Beschwerdeführer tatsächlich durch einen Rechtsanwalt vertreten war. Das gilt nach

der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sinngemäß auch für den Mitbeteiligten (vgl. etwa das Erkenntnis vom 23. September 2005, Zl. 2003/15/0104).

Wien, am 17. Oktober 2006

Schlagworte

Beweismittel Zeugenbeweis Beweismittel Zeugenbeweis Zeugenaussagen von Amtspersonen Parteiengehör Erhebungen Ermittlungsverfahren Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Freie Beweiswürdigung freie Beweiswürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2005200210.X00

Im RIS seit

22.11.2006
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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