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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl sowie die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher und Dr. Berger und die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des J in W, geboren 1986, vertreten durch Dr. Stefan Schermaier, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rotenturmstraße 29/9, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 9. März 2005, Zl. 258.248/0-VIII/23/05, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird insoweit, als damit Spruchpunkt III. des erstinstanzlichen Bescheides (Ausweisung des Beschwerdeführers "aus dem österreichischen Bundesgebiet") bestätigt wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein aus Warri im Delta-State stammender nigerianischer Staatsangehöriger, reiste gemäß seinen Angaben am 19. Februar 2004 in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag unter handschriftlicher Ergänzung eines Formulars einen Asylantrag. Darin führte der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen (in englischer Sprache) sinngemäß aus, im Zuge der gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Volksgruppen der Urhobo, Itsekiri und Ijaw in Warri sei im Februar 2003 das Haus seiner Familie in Brand gesetzt und dabei seien sein Vater, sein Bruder und seine Schwester getötet worden. Im Jänner 2004 seien "die Feinde" gekommen, um den Beschwerdeführer und seine Mutter zu töten. Nachdem sie die Mutter ermordet hätten, sei der Beschwerdeführer davongerannt und habe sich mehrere Tage versteckt, bis ihn "ein Mann" gesehen und ihm zur Flucht aus Nigeria (per Schiff) verholfen habe.
Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 1. Februar 2005 gab der Beschwerdeführer zunächst bei der Erfassung seiner persönlichen Daten an, sein Vater, seine Mutter und seine Schwester seien 2003 verstorben, Brüder habe er keine gehabt. Bei der einleitenden Befragung "zur Person" präzisierte der Beschwerdeführer das dahin, dass sein Vater im Juni 2003 und seine Mutter und Schwester im November 2003 verstorben seien. Er habe sich Anfang Dezember 2003 zwei Wochen bei seinem Onkel versteckt, der ihn dann zum Meer und auf ein Schiff gebracht habe. Bei der Darstellung seiner Fluchtgründe bezog sich der Beschwerdeführer zunächst auf den seit 1999 zwischen den erwähnten Volksgruppen bestehenden Konflikt im Delta-State. Der Beschwerdeführer sei Itsekiri und sein Vater sei "Mitglied einer Gruppe" gewesen, die für die Itsekiri gekämpft habe. Im Juni 2003 sei der Vater des Beschwerdeführers entführt worden; später habe der Beschwerdeführer erfahren, dass sein Vater von Urhobos umgebracht worden sei. Der Beschwerdeführer, seine Mutter und Schwester seien "immer wieder" von den Urhobos bedroht worden. Im November 2003 sei - als sich der Beschwerdeführer bei seinem Onkel befunden habe - ihr Haus von Urhobos niedergebrannt worden, wobei die Mutter und Schwester in dem brennenden Haus ums Leben gekommen seien. Für den Fall der Rückkehr fürchte der Beschwerdeführer, wie seine Angehörigen von den "militanten Urhobos" umgebracht zu werden. Auf Vorhalt der von dieser Schilderung abweichenden schriftlichen Angaben im Asylantragsformular erklärte der Beschwerdeführer die Widersprüche nur damit, dass er "im Gefängnis" sei und "unter Druck" stehe.
Mit Bescheid vom 1. Februar 2005 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997 (AsylG) ab (Spruchpunkt I.). Weiters stellte es gemäß § 8 Abs. 1 AsylG die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria fest (Spruchpunkt II.) und wies den Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 AsylG "aus dem österreichischen Bundesgebiet" aus (Spruchpunkt III.).
Das Bundesasylamt ging aufgrund der - seiner Ansicht nach nicht nachvollziehbar erklärten - Widersprüche in den Angaben des Beschwerdeführers zu den fluchtauslösenden Ereignissen im Asylantrag und bei seiner Vernehmung vor dem Bundesasylamt von der mangelnden Glaubwürdigkeit seines Vorbringens aus und kam deshalb rechtlich zur Abweisung des Asylantrages und zur Versagung von Refoulement-Schutz. Mangels familiärer Bindungen in Österreich hielt das Bundesasylamt auch die Ausweisung des Beschwerdeführers für gerechtfertigt.
In der gegen diesen Bescheid durch den anwaltlich vertretenen Beschwerdeführer erhobenen Berufung wurde das Vorbringen zu den Fluchtgründen nur kurz wiederholt und darauf verwiesen, der Beschwerdeführer habe widersprüchliche Angaben "damit versucht zu erklären", dass er "derzeit inhaftiert" sei und "sehr unter Druck stehe." Der Beschwerdeführer habe klar zu machen versucht, dass ihm in Nigeria "aus politischen Gründen" Verfolgung drohe und ihm der Staat nicht genügend Schutz gewähre, weil sich zwar nicht er, aber seine Familie an den (Stammes)Kämpfen beteiligt habe. Ein Antrag auf Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung wurde nicht gestellt.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 9. März 2005 wies die belangte Behörde die Berufung "gemäß §§ 7, 8 AsylG" ab, wobei sie zur Begründung nur auf die für zutreffend erachteten Ausführungen des Bundesasylamtes verwies. Auch die Berufung habe keine Umstände aufzeigen können, welche die belangte Behörde zu einem Abgehen von der erstinstanzlichen Beweiswürdigung bewegen hätten können oder aus denen sich die Unrichtigkeit der rechtlichen Beurteilung der Erstbehörde ergeben hätte. Aufgrund des hinreichend geklärten Sachverhaltes habe eine mündliche Verhandlung entfallen können.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage erwogen hat:
Die Beschwerde tritt der (von der belangten Behörde übernommenen) Beweiswürdigung des Bundesasylamtes konkret nur mit dem Argument entgegen, die "Verwechslung einzelner Daten" sei auf die "physische und psychische Verfassung des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt zurückzuführen". Die unterschiedlichen Zeitangaben des Beschwerdeführers seien nur auf den Umstand zurückzuführen, dass er bei seiner Einvernahme "aufgrund der verhängten Schubhaft unter psychischen Druck" gestanden sei.
Zunächst ist diesen Ausführungen zu erwidern, dass von nur "geringfügig divergierenden Angaben" - wie die Beschwerde an anderer Stelle meint - keine Rede sein kann und sie nicht nur die zeitliche Einordnung der Geschehnisse betreffen. Entscheidend ist aber, dass das (in diesem Sinn schon in der Berufung vorgetragene) Argument mit dem - allerdings nicht konkret beschriebenen - Zustand des Beschwerdeführers bei der erstinstanzlichen Befragung schon vom Ansatz her nicht geeignet ist, eine Unrichtigkeit - und umso weniger eine Unschlüssigkeit - der Beweiswürdigung aufzuzeigen. Den weiteren Beschwerdeausführungen ist nämlich zu entnehmen, dass die vom Beschwerdeführer bei dieser Vernehmung geschilderte Version der fluchtauslösenden Ereignisse ohnehin den Tatsachen entsprechen soll. Von daher hätte nur eine plausible Erklärung für die davon abweichenden Angaben bei der Asylantragstellung die beweiswürdigende Einschätzung des Bundesasylamtes überhaupt in Frage stellen können.
Vor diesem Hintergrund bestand für die belangte Behörde kein ausreichender - im Rahmen der Ermessensübung nach § 67d Abs. 1 AVG wahrzunehmender - Anlass, um eine (vom Beschwerdeführer im Berufungsverfahren nicht beantragte) mündliche Verhandlung von Amts wegen durchzuführen (vgl. dazu grundlegend das hg. Erkenntnis vom 12. Juni 2003, Zl. 2002/20/0336). Die diesbezügliche Rüge in der Beschwerde ist daher nicht berechtigt. An dieser Beurteilung ändert nichts, dass in der Berufung auch die bei der Befragung vor dem Bundesasylamt geprüften Itsekiri-Sprachkenntnisse des Beschwerdeführers angesprochen wurden. Auf die während der Vernehmung durch das Organ des Bundesasylamtes im Hinblick auf diesbezügliche Lücken - vor allem konnte der Beschwerdeführer die Zahlen von eins bis zehn in dieser Sprache nicht angeben - geäußerten Zweifel an der Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zum Stamm der Itsekiris wurde die Beweiswürdigung im erstinstanzlichen Bescheid nämlich nicht gestützt.
Die Beschwerde vermag daher insoweit, als sie sich gegen die Bestätigung der ersten beiden Spruchpunkte des Bescheides des Bundesasylamtes richtet, keine Rechtswidrigkeit aufzuzeigen und kann somit in Bezug auf die Asyl- und Refoulement-Entscheidung nicht erfolgreich sein.
Mit Rechtswidrigkeit belastet ist hingegen der im Bescheid des Bundesasylamtes vorgenommene Ausspruch nach § 8 Abs. 2 AsylG über die Ausweisung des Beschwerdeführers "aus dem österreichischen Bundesgebiet". Diesbezüglich wurde nämlich verkannt, dass die Asylbehörden in einem Fall wie dem vorliegenden nicht berechtigt sind, die Ausweisung eines Asylwerbers ohne Einschränkung auf den Herkunftsstaat auszusprechen. Hiezu kann gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das hg. Erkenntnis vom 13. Dezember 2005, Zl. 2005/01/0625, und die dort angeführte Vorjudikatur verwiesen werden.
Es war daher die unveränderte Bestätigung von Spruchpunkt III. des erstinstanzlichen Bescheides gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben, während die Beschwerde im Übrigen gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere unter Bedachtnahme auf § 50 VwGG, in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 17. Oktober 2006
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2005200330.X00Im RIS seit
22.11.2006