TE Vwgh Erkenntnis 2006/10/17 2005/20/0246

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Veröffentlicht am 17.10.2006
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Melderecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §63 Abs5;
MeldeG 1991 §1 Abs9;
MeldeG 1991 §19a Abs1 idF 2001/I/028;
MeldeG 1991 §19a Abs2 idF 2001/I/028;
MeldeG 1991 §19a;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
ZustG §13 Abs1;
ZustG §17;
ZustG §4;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl sowie die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher und Dr. Berger und die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des C (auch E) E, geboren 1986, vertreten durch Dr. Elke Napokoj, Rechtsanwältin in 1014 Wien, Tuchlauben 17, gegen den am 9. Dezember 2004 verkündeten und am 12. Jänner 2005 schriftlich ausgefertigten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 244.025/0-IV/44/05, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der 1986 geborene Beschwerdeführer, ein aus Agbor im Delta-State stammender nigerianischer Staatsangehöriger, reiste am 12. März 2003 in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Asylantrag. Bei seiner Einvernahme am 17. März 2004 gab er zu seinen Fluchtgründen - im Wesentlichen - an, Mitglieder der PDP (People's Democratic Party) hätten im Zuge des Wahlkampfes im Frühjahr 2003 seinen Vater, ein Mitglied der ANPP (All Nigeria People's Party), töten wollen. Da der Vater nicht gefunden worden sei, hätten sie statt dessen beabsichtigt, den Beschwerdeführer und dessen jüngeren Bruder zu töten. Das habe dem Beschwerdeführer ein Freund des Vaters, der dann die Flucht organisiert habe, mitgeteilt.

Mit Bescheid vom 17. Oktober 2003 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997 (AsylG) ab und stellte gemäß § 8 AsylG die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria fest. Das Bundesasylamt unterzog das Vorbringen des Beschwerdeführers keiner Beweiswürdigung, sondern begründete seine Entscheidung nur damit, dass die befürchteten Übergriffe auch in Nigeria geahndete strafbare Handlungen darstellten und dem Beschwerdeführer daher vor der behaupteten Verfolgungsgefahr staatlicher Schutz gewährt würde.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer eine (ausschließlich nicht mehr relevante Verfahrensfragen behandelnde) Berufung. In einer Berufungsergänzung wiederholte und ergänzte der Beschwerdeführer dann sein erstinstanzliches Vorbringen. Insbesondere führte er aus, dass sich der Vater vor den Verfolgern versteckt habe, als "die Anfeindungen zu viel" geworden seien. Offenbar habe er seine beiden jungen Söhne in Sicherheit geglaubt. Tatsächlich seien aber nun der Beschwerdeführer und sein Bruder "verstärkt Zielscheibe der Repressionen der PDP-Anhänger" geworden. Als der Freund des Vaters keine Möglichkeit mehr gesehen habe, den Beschwerdeführer "gegen die Übergriffe" zu verteidigen, habe er - weil das Leben des Beschwerdeführers "in höchster Gefahr" gewesen sei - erkannt, dass es für ihn das Beste sei, Nigeria zu verlassen. Im Falle seiner Rückkehr befürchte der Beschwerdeführer eine "Fortsetzung der Repressionen der PDP, bei gleichzeitigem Ausbleiben der Hilfestellung durch nigerianische Behörden".

Der unabhängige Bundesasylsenat (die belangte Behörde) führte am 9. Dezember 2004 in Abwesenheit des Beschwerdeführers eine Berufungsverhandlung durch, bei der umfangreiches Berichtsmaterial zur Situation in Nigeria dargetan und an deren Ende der angefochtene, die Berufung gemäß "§§ 7, 8 AsylG" abweisende Bescheid verkündet wurde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die nach Zustellung der schriftlichen Ausfertigung vom 12. Jänner 2005 eingebrachte Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Die belangte Behörde führte im Zuge der Darstellung des Verfahrensganges im angefochten Bescheid unter anderem aus, am 9. Dezember 2004 habe eine mündliche Verhandlung mit ergänzender Beweisaufnahme stattgefunden, an welcher der Beschwerdeführer "ohne Rechtfertigung" nicht teilgenommen habe. Zur Situation in Nigeria stellte die belangte Behörde gestützt auf einen in der Verhandlung verlesenen Berichtsteil auch fest, im Vorfeld und während der Wahlen des Jahres 2003 sei unter anderem im Gliedstaat Delta von gewaltsamen Zwischenfällen ("erhöhter politischer Gewalt" im März 2003) berichtet worden, wobei die meisten der "unrechtmäßigen Handlungen" auf das Konto der Anhänger der Regierungspartei PDP gegangen seien. Daran anknüpfend führte die belangte Behörde im Rahmen der Beweiswürdigung aus, es sei nicht ersichtlich, weshalb der Beschwerdeführer Verfolgungshandlungen von Seiten der Anhänger der PDP ausgesetzt gewesen sein sollte. Das ergebe sich aus dem Umstand, dass zum Zeitpunkt der vom Beschwerdeführer beschriebenen Abläufe (Jänner, Februar 2003) in dessen Herkunftsregion aus Anlass der abgehaltenen Wahlgänge Fälle politischer Gewalt, die meistens von den Anhängern der PDP verübt worden seien, eingetreten seien. Da der Beschwerdeführer nach seiner eigenen Darstellung an solchen Vorfällen aber nicht beteiligt gewesen sei und auch keine Beteiligung seines Vaters an solchen gewaltsamen Vorfällen behauptet habe, könne nicht erkannt werden, dass der Beschwerdeführer durch Anhänger der PDP gefährdet wäre. Die in der Berufungsergänzung enthaltene Behauptung, der Beschwerdeführer und sein Bruder seien nach dem Verschwinden des Vaters Zielscheibe der Repressionen der PDP-Anhänger geworden, stehe mit der Darstellung des Beschwerdeführers vor dem Bundesasylamt nicht in Einklang, wonach er keine Kontakte mit ihn bedrohenden PDP-Anhängern gehabt habe. Aus diesem Widerspruch ergebe sich, dass in der Berufungsergänzung nichts tatsächlich Erlebtes vorgebracht worden sei. Da der Beschwerdeführer "trotz ordnungsgemäßer Ladung" an der Verhandlung nicht teilgenommen habe, habe er es damit auch unterlassen, den sich aus dem bisherigen Vorbringen ergebenden Mangel an Wahrscheinlichkeit eines Eintrittes der behaupteten Verfolgungsgefahr durch eine entsprechend fundierte und schlüssige Darlegung dafür bestehender Anhaltspunkte auszuräumen. Rechtlich folgerte die belangte Behörde daraus, der Beschwerdeführer habe keine asylrelevante Verfolgungsgefahr glaubhaft gemacht. Im Übrigen ging die belangte Behörde - gestützt auf die Berichtslage und die darauf gegründeten Feststellungen zur Situation in Nigeria - auch von staatlicher Schutzgewährung vor der befürchteten Verfolgung und vom Bestehen einer internen Fluchtalternative aus.

Der dagegen in der Beschwerde vorgetragenen - vor allem eine Unvollständigkeit der verwerteten Berichtsteile monierenden - Argumentation erwiderte die belangte Behörde in der Gegenschrift (unter anderem), der Beschwerdeführer hätte in der Berufungsverhandlung Gelegenheit gehabt, Lücken oder unzutreffende Inhalte der dort verlesenen Berichte aufzuzeigen und entgegenstehendes oder ergänzendes Vorbringen zu erstatten. Er habe diese Möglichkeit aber wegen Unterlassung der Teilnahme an der mündlichen Verhandlung nicht wahrgenommen. Weiters wiederholte die belangte Behörde auch in der Gegenschrift, dass die in der Berufungsergänzung vorgetragene Behauptung, der Beschwerdeführer sei "nun verstärkt" persönlich Repressionen durch Mitglieder der PDP ausgesetzt gewesen, im Widerspruch zur erstinstanzlichen Aussage stehe und dieser Widerspruch wegen der unterlassenen Teilnahme an der Berufungsverhandlung nicht ausgeräumt worden sei.

Die wiedergegebene Begründung des angefochtenen Bescheides zeigt, dass die belangte Behörde dem von ihr unterstellten Umstand, der Beschwerdeführer sei trotz ordnungsgemäßer Ladung zur Berufungsverhandlung unentschuldigt nicht gekommen, entscheidungswesentliche Bedeutung zugemessen hat. Das bestätigt sich in den dargestellten Ausführungen in der Gegenschrift. Der angefochtene Bescheid kann daher nur Bestand haben, wenn diese Annahme zutrifft.

Nach dem Inhalt einer von der belangten Behörde am 18. November 2004 eingeholten Meldeauskunft war der Beschwerdeführer seit 8. November 2004 an der Adresse 1070 Wien, Zollergasse 15, mit der "Wohnsitzqualität Obdachlos" aufrecht gemeldet. Die belangte Behörde verfügte demnach die Zustellung der mit 19. November 2004 datierten Ladung des Beschwerdeführers für die Verhandlung am 9. Dezember 2004 an diese Anschrift. Nach dem Inhalt des Rückscheines wurde die Sendung nach zwei erfolglosen Zustellversuchen an der genannten Adresse beim Zustellpostamt (Beginn der Abholfrist: 25. November 2004) hinterlegt, wobei die Ankündigung des zweiten Zustellversuches und die Verständigung über die Hinterlegung jeweils "in das Hausbrieffach" eingelegt worden seien. Die Sendung langte am 20. Dezember 2004 mit dem Vermerk "nicht behoben" wieder bei der belangten Behörde ein.

Angesichts dessen hätte die belangte Behörde für die Frage der von Amts wegen zu prüfenden Wirksamkeit dieses Zustellvorganges aber dem Umstand Bedeutung zumessen müssen, dass der Beschwerdeführer - wie erwähnt - der Auskunft aus dem zentralen Melderegister zufolge an der Zustellanschrift als "obdachlos" gemeldet war (vgl. § 19a  iVm § 1 Abs. 9 MeldeG). Davon ausgehend hätte die belangte Behörde Überlegungen dahin anzustellen gehabt, ob die Hinterlegung der Sendung bei dem für die Zustellanschrift zuständigen Postamt Zustellwirkung im Sinne des § 17 ZustG entfalten konnte. Da die Aktenlage lediglich auf das Vorhandensein einer "Kontaktstelle" im Sinne des § 19a Abs. 1 Z 2 Meldegesetz hindeutete, hätte es zur Klärung der Frage, ob es sich dabei auch um eine Abgabestelle iSd ZustG handelt, daher zunächst einer Überprüfung der Voraussetzungen des § 19a Abs. 2 MeldeG bedurft, die nicht vorgenommen wurde. Insofern (und hinsichtlich der je nach Beantwortung dieser Frage anzustellenden weiteren Erwägungen) gleicht der vorliegende Beschwerdefall jenem, der mit dem hg. Erkenntnis vom 24. Mai 2005, Zl. 2003/01/0621, entschieden worden ist. Auf dessen Entscheidungsgründe wird deshalb gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen (vgl. dazu auch das Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2005/20/0346, mit weiteren Nachweisen).

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 17. Oktober 2006

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Verfahrensbestimmungen Berufungsbehörde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2005200246.X00

Im RIS seit

29.11.2006
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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