TE Vwgh Erkenntnis 2006/10/17 2006/20/0120

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Veröffentlicht am 17.10.2006
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
19/05 Menschenrechte;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §8;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
FrG 1997 §57 Abs1;
MRK Art3;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl sowie die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher und Dr. Berger und die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des A in B, geboren 1979, vertreten durch Dr. Stefan Denifl, Rechtsanwalt in 6850 Dornbirn, Marktplatz 10, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 27. April 2006, Zl. 255.417/0-XIV/39/04, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird insoweit, als die Berufung des Beschwerdeführers gegen den erstinstanzlichen Bescheid gemäß § 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 abgewiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Nigeria, reiste am 24. Oktober 2004 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 25. Oktober 2004 Asyl. In seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt gab er zu seinen Fluchtgründen an, er sei am 3. September 2004 auf dem Weg zur Bank von vier bewaffneten Räubern überfallen und beraubt worden. Neun Tage später habe er einen der Räuber auf der Straße gesehen und diesen festgehalten, wobei ihm Passanten geholfen und auf den Mann eingeschlagen hätten. Dabei sei dieser unglücklicherweise gestorben. Der Beschwerdeführer sei zur Polizei gegangen, die ihm geraten habe, bei ihnen zu bleiben, weil er dort sicher sei. Am 15. September 2004 sei sein Geschäft zerstört und niedergebrannt worden und es sei seine Verlobte in seinem Haus attackiert und verletzt worden. Er sei von 13. bis 25. September 2004 in polizeilicher "Schutzhaft" gewesen. Die Angehörigen des getöteten Räubers hätten ihm Rache geschworen und seien hinter ihm her. Auch die anderen drei Räuber, die er auch kenne, würden ihm etwas antun wollen.

Mit Bescheid vom 23. November 2004 wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab (Spruchpunkt I.), stellte gemäß § 8 Abs. 1 AsylG die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria fest (Spruchpunkt II.) und wies den Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet aus (Spruchpunkt III.). Das Bundesasylamt traf Feststellungen zur allgemeinen Situation in Nigeria und hielt fest, dass "auf die Glaubwürdigkeit des Vorbringens ... mangels Asylrelevanz nicht eingegangen" werde; der behauptete Sachverhalt werde somit "einer rechtlichen Überprüfung im Sinne dieses Bundesgesetzes unterzogen". Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention müsse vom Staat ausgehen oder von diesem geduldet (bzw. "zumindest gebilligt") werden. Die vom Beschwerdeführer behaupteten Verfolgungshandlungen gingen nicht von staatlichen Stellen aus und seien rein krimineller Natur. Keinesfalls könne davon gesprochen werden, dass der Staat diese Verfolgungshandlungen dulde, vielmehr habe die Polizei dem Beschwerdeführer den höchstmöglichen Schutz gewährt, indem er in Schutzhaft genommen worden sei. Die Polizei habe auch Ermittlungen durchgeführt, um der Täter habhaft zu werden. Es liege jedoch außerhalb der Möglichkeiten eines Staates, jeden denkbaren Übergriff Dritter "präventiv zu verhindern". In den Nigeria im Allgemeinen betreffenden Feststellungen wird schließlich noch darauf hingewiesen, dass die nigerianische Bundespolizei "schlecht ausgestattet und verschiedentlich auch mangelhaft ausgebildet sei". Im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit des Refoulement führte das Bundesasylamt u.a. aus, der Beschwerdeführer habe nicht vorgebracht, dass der Staat die behaupteten Bedrohungen durch Privatpersonen "gebilligt hat", sodass "von einer Bedrohungssituation im Sinne des § 578 FrG nicht ausgegangen werden" könne. Auch in diesem Zusammenhang führte die Erstbehörde noch aus, es könne nicht verlangt werden, dass ein Staat in jedem Fall in der Lage sein müsse, "alle möglichen Angriffe Dritter präventiv zu verhindern".

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er seine Fluchtgründe wiederholte und dahingehend präzisierte, dass er am 25. September 2004 aus der Schutzhaft entlassen und mit der Polizei ein "agreement" getroffen worden sei, dass er das Land verlassen solle, weil sein Leben in Nigeria nicht mehr sicher sei.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde - ohne Durchführung einer Berufungsverhandlung - die Berufung des Beschwerdeführers gegen die Spruchpunkte I. und II. des erstinstanzlichen Bescheides gemäß §§ 7 und 8 Abs. 1 AsylG abgewiesen. Die Berufung gegen Spruchpunkt III. wurde gemäß § 8 Abs. 2 AsylG mit der Maßgabe abgewiesen, dass der Spruch zu lauten habe, dass der Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nigeria ausgewiesen werde. Das Bundesasylamt habe ein ordnungsgemäßes, mängelfreies Ermittlungsverfahren durchgeführt und in der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides den Sachverhalt, die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens einschließlich einer Darstellung der allgemeinen Situation in Nigeria, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfragen klar und übersichtlich festgestellt. Die belangte Behörde beziehe sich "zustimmend" auf diese Ausführungen und erhebe sie zum Inhalt des angefochtenen Bescheides. Der Beschwerdeführer sei in seiner Berufung dem erstinstanzlichen Bescheid nicht konkret entgegengetreten, insbesondere hätten sich keine Hinweise dafür ergeben, dass der Staat nicht in der Lage bzw. nicht gewillt sei, ihn zu schützen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

1. Die vom Beschwerdeführer im Asylverfahren geltend gemachte Verfolgungsgefahr weist keine Bezüge zu einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Verfolgungsgründe auf. Soweit in der Beschwerde auch von einem politischen Engagement des Beschwerdeführers in Nigeria die Rede ist, handelt es sich um eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unbeachtliche Neuerung. Ausgehend von dem im Asylverfahren erstatteten Vorbringen hat die belangte Behörde den Asylantrag daher zu Recht abgewiesen.

2. Der angefochtene Bescheid ist jedoch hinsichtlich der Entscheidung nach § 8 AsylG mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet.

Die belangte Behörde hat die die allgemeine Situation in Nigeria betreffenden Feststellungen und die Begründung des erstinstanzlichen Bescheides übernommen, wonach eine Berücksichtigung der von privater Seite ausgehenden Bedrohung des Beschwerdeführers für die Entscheidung über die Zulässigkeit des Refoulement nur dann in Betracht komme, wenn "der Staat diese Maßnahmen gebilligt hat" und es außerhalb der Möglichkeiten eines Staates liege, jeden denkbaren Übergriff Dritter "präventiv zu verhindern".

Damit verkennt die belangte Behörde die Rechtslage: Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in diesem Zusammenhang maßgeblich, ob staatliche Maßnahmen im Ergebnis dazu führen, dass der Eintritt eines - im Rahmen von § 8 AsylG relevante Intensität erreichenden - Nachteils aus der von dritter Seite ausgehenden Verfolgung nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl. näher die Erkenntnisse vom 1. September 2005, Zl. 2005/20/0357, und vom 30. Juni 2005, Zl. 2002/20/0205, jeweils mwN).

Es wäre daher konkret zu prüfen gewesen, ob der Beschwerdeführer in Nigeria bei Wahrunterstellung seines Vorbringens (Verfolgung durch Familienangehörige und Komplizen des getöteten Räubers) mit ausreichenden Chancen einer "präventiven Verhinderung" - allenfalls durch eine innerstaatliche Schutzalternative - oder nur mit der nachträglichen Ahndung seiner (im Sinne eines "real risk" zu erwartenden) Ermordung zu rechnen hätte. Auf Letzteres dürfte er, im Gegensatz zu der von der belangten Behörde übernommenen Betrachtungsweise des Bundesasylamtes, nicht verwiesen werden (vgl. dazu nochmals das Erkenntnis vom 30. Juni 2005).

Dass das Bundesasylamt im Rahmen seiner zur Lage in Nigeria allgemein getroffenen Feststellungen ausführte, dass Verfolgungsmaßnahmen lokaler Gruppen grundsätzlich durch Umzug in einen anderen Teil Nigerias ausgewichen werden könne, vermag an der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nichts zu ändern, weil dieser Feststellung das - von den Asylbehörden nicht als unzutreffend gewürdigte - Vorbringen des Beschwerdeführers bei seiner Einvernahme durch das Bundesasylamt (er habe sich nicht in einem anderen Landesteil Nigerias niedergelassen, weil Informationen weitergegeben würden und diese sogar bei der Polizei "durchsickern" würden) entgegensteht. Angesichts dieses Vorbringens und der Feststellungen des Bundesasylamtes in Bezug auf das schlechte Funktionieren der Polizei kann auch die Annahme der belangten Behörde, es hätten sich keine Hinweise auf eine mangelnde Schutzfähigkeit des Staates ergeben, nicht nachvollzogen werden.

Auf Grund der dargestellten Mängel des von der belangten Behörde übernommenen erstinstanzlichen Bescheides kam dessen Bestätigung ohne Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung - und ohne beweiswürdigende Auseinandersetzung mit den Behauptungen des Beschwerdeführers - in Bezug auf die Aussprüche gemäß § 8 AsylG nicht in Betracht, zumal der Beschwerdeführer sein Vorbringen in der Berufung auch dahin ergänzt hatte, dass er bei seiner Entlassung aus der "Schutzhaft" mit der Polizei vereinbart habe, das Land zu verlassen, weil sein Leben in Nigeria nicht mehr sicher sei.

3. Der angefochtene Bescheid war daher insoweit, als die Berufung des Beschwerdeführers gegen den erstinstanzlichen Bescheid gemäß § 8 Abs. 1 und 2 AsylG abgewiesen wurde, wegen der vorrangig wahrzunehmenden Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben. Im Übrigen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

4. Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 17. Oktober 2006

Schlagworte

Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2006200120.X00

Im RIS seit

07.12.2006
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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