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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher und Dr. Berger und die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des A in V, geboren 1975, vertreten durch Dr. Max Kapferer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen den am 5. Februar 2004 verkündeten und am 30. Mai 2005 ausgefertigten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 226.419/0-VI/18/02, betreffend §§ 7, 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Iran, der der kurdischen Volksgruppe angehört, reiste am 3. September 2000 in das Bundesgebiet ein und beantragte am selben Tag Asyl.
Nachdem er in seinen Einvernahmen vor dem Bundesasylamt am 8. September 2000 und am 10. November 2000 zunächst zum Fluchtweg befragt worden war - der Beschwerdeführer war in einem aus Italien kommenden Zug aufgegriffen worden -, gab er bei seiner Einvernahme am 25. Jänner 2001 zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen Folgendes an:
Er habe den Iran verlassen, weil er Schwierigkeiten mit den Sicherheitskräften, "nämlich dem Geheimdienst", bekommen habe. Er habe in Teheran ein Bauunternehmen betrieben. Im Juni 2000 sei er für drei Tage festgenommen und über einen Freund namens Babai - der wie der Beschwerdeführer Kurde sei - befragt worden. Am 30. April 1379 (19. Juli 2000) habe der Beschwerdeführer eine Gerichtsladung erhalten. Weil Babai und der Beschwerdeführer Kurden seien, Babai politisch aktiv sei und der Beschwerdeführer - wenn auch nur für kurze Zeit - mit ihm befreundet gewesen sei, werde er verdächtigt, auch "politisch aktiv" zu sein. Er sei über den Landweg "legal aus dem Iran ausgereist", ohne Gerichtsladungen Folge geleistet zu haben. Er befürchte im Falle eines Gerichtsverfahrens seine Unschuld nicht beweisen zu können.
Mit Bescheid vom 25. Jänner 2002 wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Iran zulässig sei. Das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen wurde als unglaubwürdig qualifiziert.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung.
Mit dem in der Berufungsverhandlung am 5. Februar 2004 mündlich verkündeten angefochtenen Bescheid wurde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß §§ 7 und 8 AsylG abgewiesen.
In einem Schriftsatz vom 15. Februar 2005 brachte der Beschwerdeführer vor, dass er, seine Ehefrau und seine Kinder am 6. Juni 2004 getauft worden seien. Auf Grund des Religionswechsels sei er im Falle seiner Rückkehr in den Iran einer asylrelevanten Gefährdung ausgesetzt, zumal er in Österreich aktiv missionarisch tätig sei und bereits mehrere Muslime zum Religionswechsel veranlassen habe können.
In der Begründung der schriftlichen Ausfertigung des angefochtenen Bescheides vom 30. Mai 2005 führt die belangte Behörde aus, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen unglaubwürdig sei. Die belangte Behörde sei ebenso wie das Bundesasylamt der Auffassung, dass der Beschwerdeführer den Iran nicht aus den von ihm genannten Gründen verlassen habe. Während des Berufungsverfahrens sei ein an das Bundesministerium für Inneres adressiertes Fahndungsersuchen von Interpol Teheran eingelangt, laut dem der Beschwerdeführer - dem dieses Fahndungsersuchen in der Berufungsverhandlung vorgehalten worden war - wegen Ausstellung eines ungedeckten Schecks gesucht werde und in Abwesenheit zu einem Jahr Haft und einer Geldstrafe von 2 Millionen Rial verurteilt worden sei. Die Beweiswürdigung des Bundesasylamtes zu den ursprünglichen Fluchtgründen würde sich auch nach Durchführung der Berufungsverhandlung als in sich stimmig erweisen, da das Vorbringen des Beschwerdeführers über die angebliche Vorgangsweise der iranischen Sicherheitsdienste tatsächlich in höchstem Maße unglaubwürdig sei. Auch in der Berufungsverhandlung habe der Beschwerdeführer nicht darlegen können, warum er sich trotz angeblicher Überwachung durch den Geheimdienst und Nichtbefolgung einer Ladung zu einem Revolutionsgericht freiwillig der Grenzkontrolle an der iranischtürkischen Grenze gestellt habe und wie es möglich sein solle, dass er trotz Passkontrolle den Iran verlassen habe dürfen. Auch die Angaben zum Reiseweg wertete die belangte Behörde als nicht plausibel. Weiters gebe es (näher dargestellte) Widersprüche zwischen den Angaben des Beschwerdeführers vor dem Bundesasylamt und in der Berufungsverhandlung. Der Beschwerdeführer habe eine Verfolgung aus politischen Gründen nicht plausibel darlegen können, während seine legale Ausreise aus dem Iran nachvollziehbar sei, da bei einem reinen Vermögensdelikt mit der erwähnten Strafbemessung laut Interpol Teheran mit großer Wahrscheinlichkeit nicht davon auszugehen sei, dass solche Angaben vordringlich an Grenzpolizeibehörden übermittelt würden. Insgesamt erweise sich das Vorgehen der iranischen Behörden, ein offizielles Ersuchen um polizeiliche Kooperation über Interpol zu stellen, als dergestalt, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein politischer Bezug ausgeschlossen werden könne, da es dem erkennenden Mitglied der belangten Behörde bisher nicht einmal andeutungsweise bekannt geworden sei, dass sich iranische Sicherheitsdienste oder Geheimdienste zur Ausforschung von Regimegegnern internationaler Polizeikontakte über Interpol bedienen würden. Es sei somit "einzig (glaubhaft), dass der Antragsteller im Iran wegen eines Vermögensdeliktes zu einer Strafe in einem solchen Ausmaß verurteilt wurde, welche ihm bei vergleichbaren Delikten auch in westlichen Demokratien wie in Österreich drohen könnte". Aus der Verurteilung des Beschwerdeführers ergebe sich daher nicht, "dass ihm im Fall der Rückkehr in den Iran eine solche schwer wiegende Strafe drohen könnte, dass bereits dadurch Art. 3 EMRK erfüllt wäre".
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
1. Vorweg ist festzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid anhand der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Im vorliegenden Fall ist der maßgebliche Zeitpunkt die Verkündung des angefochtenen Bescheides am 5. Februar 2004, sodass die Beschwerderüge, der Beschwerdeführer habe nach der Berufungsverhandlung seine Taufurkunde vom 6. Juni 2004 vorgelegt, der "eine wesentliche Änderung des Sachverhaltes dahingehend zu entnehmen" sei, dass er als kurdischer Christ im Iran auch aus religiösen Gründen verfolgt wäre, was im angefochtenen Bescheid "völlig unberücksichtigt" geblieben sei, nicht berechtigt ist.
2. Die belangte Behörde erachtete das Vorbringen des Beschwerdeführers "über die angeblichen asylrelevanten Beeinträchtigungen seiner Person durch den iranischen Geheimdienst" als unglaubwürdig.
Die Beweiswürdigung der belangten Behörde begegnet im Rahmen der vom Verwaltungsgerichtshof vorzunehmenden Schlüssigkeitsprüfung keinen Bedenken. Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid mehrere Argumente für die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens - nicht nur eine allenfalls vorliegende Verurteilung des Beschwerdeführers wegen eines Vermögensdeliktes, sondern auch Unstimmigkeiten und nicht nachvollziehbare Umstände in dessen Angaben - angeführt. Eine Unschlüssigkeit dieser Beweiswürdigung vermochte die Beschwerde nicht aufzuzeigen. Der Beschwerdeführer bestreitet in der Beschwerde auch nur mehr das Vorliegen eines Abwesenheitsurteils, nicht aber die begangene Straftat selbst. Die in diesem Zusammenhang - nämlich der Prüfung des Vorbringens des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen auf seine Glaubwürdigkeit - relevante Frage ist aber nicht das Vorliegen oder Nichtvorliegen des Abwesenheitsurteils, sondern vielmehr die Frage nach der Motivation des Beschwerdeführers für seine Ausreise aus dem Iran (nach Ansicht der belangten Behörde der Scheckbetrug).
Auch die weiteren, die Bescheinigung der vom Beschwerdeführer behaupteten Verfolgungsgefahr aus politischen Gründen betreffenden Verfahrensrügen sind schon im Hinblick darauf, dass der Beschwerdeführer die Relevanz der behaupteten Verfahrensmängel nicht aufgezeigt hat, nicht berechtigt. Der Verwaltungsgerichtshof kann schließlich im Beschwerdevorbringen auch keine im Sinne des § 7 Abs. 1 Z 4 AVG wichtigen Gründe für die vom Beschwerdeführer behauptete Befangenheit des im Beschwerdefall entscheidenden Mitgliedes der belangten Behörde und des Dolmetschers erkennen.
3. In der Beschwerde wird jedoch auch geltend gemacht, dass - ausgehend vom festgestellten Sachverhalt - hätte geprüft werden müssen, welche Haftbedingungen im Falle der Verbüßung einer Haft auf Grund des ergangenen Abwesenheitsurteils den Beschwerdeführer als Kurden erwarten würden. Durch Dokumentationen internationaler Organisationen sei belegt, dass "insbesondere Kurden mit grausamer, erniedrigender Behandlung und Strafe zu rechnen haben". Diesbezüglich sei jegliche Beweisaufnahme unterblieben. Schon in der Berufung habe der Beschwerdeführer vorgebracht, dass es "für Kurden im Iran enorm gefährlicher" sei, wenn man "Probleme" mit den staatlichen Behörden habe.
Damit zeigt der Beschwerdeführer einen Verfahrensmangel auf. Die belangte Behörde hat nämlich festgestellt, dass der Beschwerdeführer im Iran "wegen eines Vermögensdeliktes zu einer Strafe in einem solchen Ausmaß verurteilt wurde, welche ihm bei vergleichbaren Delikten auch in westlichen Demokratien wie in Österreich durchaus drohen könnte" - im konkreten Fall ein Jahr Haft und eine Geldstrafe. Daran knüpfte sie die (rechtliche) Folgerung, dass dem Beschwerdeführer auf Grund der Verurteilung keine so schwer wiegende Strafe drohen könnte, dass eine Verletzung des Art. 3 EMRK in Betracht käme. Dabei hat die belangte Behörde aber übersehen, dass eine Verletzung des Art. 3 EMRK im vorliegenden Fall nicht nur aus dem Ausmaß der verhängten Strafe, sondern auch daraus folgen kann, dass der Beschwerdeführer im Falle der Verbüßung dieser Strafe im Iran unmenschlichen oder erniedrigenden Haftbedingungen ausgesetzt wäre.
Der Beschwerdeführer hat nach den Feststellungen im angefochtenen Bescheid den Iran wegen des von im begangenen Deliktes und der ihm deswegen im Herkunftsstaat drohenden Strafe verlassen und macht in der vorliegenden Beschwerde nun geltend, dass ihn als Kurden eine besonders grausame und erniedrigende Behandlung und Strafe erwarte.
In diesem Zusammenhang hätte die belangte Behörde einerseits darauf Bedacht zu nehmen gehabt, dass in Länderberichten die Haftbedingungen im Iran kritisiert werden (vgl. etwa den Jahresbericht 2005 von Amnesty international für den Berichtszeitraum 1. Jänner bis 31. Dezember 2004, wonach Folterungen in vielen iranischen Gefängnissen weiterhin an der Tagesordnung stehen würden, und den Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 20. Jänner 2004 ("Iran - Reformen und Repression, Update der Entwicklungen seit Juni 2001"), wo im Kapitel "Gefängnisse und Haftbedingungen" ausgeführt wird, dass die Haftbedingungen im Iran internationalen Standards nicht entsprächen und sich "in den vergangenen Monaten noch verschlechtert" hätten; Folter sei während der Untersuchungshaft wie auch nach der Verurteilung weit verbreitet, wobei den Insassen medizinische Behandlung nach Folter verweigert oder fachlich unkorrekt verabreicht werde, was oft zum Tode führe). Andererseits werden in Länderberichten über den Iran staatliche Repressionen gegenüber der Volksgruppe der Kurden erwähnt (so etwa im Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 26. November 2001 ("Asyl Suchende aus dem Iran"), wonach die kurdische Minderheit im Iran in ihrer kulturellen Selbstverwirklichung eingeschränkt und ökonomisch und entwicklungspolitisch benachteiligt werde und Autonomiebestrebungen durch den Staat unterdrückt würden, sowie in dem schon erwähnten Länderbericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 20. Jänner 2004, wonach Kurden "wegen ihrer Sprache diskriminiert" würden).
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat unmenschliche oder erniedrigende Haftbedingungen wiederholt unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK gewürdigt (vgl. dazu das Nigeria betreffende Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Februar 2004, Zl. 99/20/0573). Da in Bezug auf die Haftbedingungen im Iran nicht von vornherein auszuschließen ist, dass diese eine den Art. 3 EMRK verletzende Behandlung darstellen, hätte die belangte Behörde konkrete Feststellungen darüber zu treffen gehabt, ob dem Beschwerdeführer im Falle der Abschiebung in den Iran und dortiger Verbüßung der dem angefochtenen Bescheid zu Grunde gelegten Verurteilung zu einer einjährigen Freiheitsstrafe ein "real risk" einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung drohte. Angesichts der erwähnten Berichtslage ist auch nicht auszuschließen, dass das asylrelevante Kriterium der kurdischen Volksgruppenzugehörigkeit des Beschwerdeführers dabei - wie vom Beschwerdeführer behauptet - von Bedeutung wäre.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 17. Oktober 2006
Schlagworte
Verfahrensbestimmungen BerufungsbehördeBesondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2005200496.X00Im RIS seit
29.11.2006Zuletzt aktualisiert am
13.07.2011